Aktueller Beitrag für „Themen der Zeit“:
„Mobilmachung gegen Russland in deutscher Regie?“
Deutsche Friedensbewegung bleibt stumm oder starr vor Schreck?
In den heutigen Tagesnachrichten vom 5. Februar 2015 wird verkündet , dass die NATO und die EU anlässlich der Ukraine-Krise ihre „schnelle Eingreiftruppe“ auf 30.000 Soldaten aufstocken wollen, davon allein 2.700 aus Deutschland – und zwar als „Speerspitze zur Abschreckung gegen Russland“ unter Führung der deutschen Bundeswehr. Derzeit umfasst die „Speerspitze“ 13.000 Soldaten. 5000 sollen bis nächstes Jahr zur besonders schnellen Handlungsfähigkeit als Spezialtruppe ausgebildet werden, die dann binnen weniger Tagen einsatzfähig ist. Ständige Stützpunkte neben dem Hauptquartier in Münster werden in 6 osteuropäischen Staaten eingerichtet.
Zugleich wird Bereitschaft aus den USA und einzelnen EU-Staaten signalisiert, die ukrainische Armee auf Wunsch der Regierung in Kiew mit modernen Waffen auszustatten, trotz des Widerstandes und der diplomatischen Bemühungen seitens der deutschen Regierung. Der kalte Krieg droht immer mehr in einen längst vorbereiteten (und in der Ost-Ukraine begonnenen) heißen Krieg auszuarten. Dabei wird so getan, als sei die schnelle Eingreiftruppe lediglich aus aktuellem Anlass eingerichtet worden, obwohl sie seit Jahrzehnten schon von langer Hand geplant war und bereits seit langem besteht – und zwar schon zu Zeiten der noch friedlichen Partnerschaft und Kooperation mit Russland – die jetzt allerdings weiter aufgestockt und für einen schnelleren Einsatz trainiert wird.
Was führt die NATO mit den US-Strategen im Hintergrund im Schilde mit ihrer auffälligen und propagandistischen „Mobilmachung“ in Zuspitzung des kalten Krieges – und warum setzt man unsensibel ausgerechnet Deutschland (das in der Vergangenheit zweimal Russland militärisch angegriffen hat) an die Spitze dieser Eingreiftruppe? Soll unter dem Vorwand der Ukraine-Krise der endgültige Bruch zwischen der EU und Russland im geopolitischen Interesse der USA Interesse zementiert werden? Und lässt sich Deutschland dafür willfährig benutzen, nachdem es bei den Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen (sprich: Freihandelsabkommen) der EU mit der Ukraine versäumt hat, Russland im Sinne eines trilateralen Abkommens mit einzubeziehen (als Ausgangspunkt der Ukraine-Krise)?
Sollen die haarsträubenden und folgenschweren diplomatischen Fehler des Westens nun militärisch kaschiert werden, obwohl ehemalige Regierungsberater wie Egon Bahr (SPD) und Horst Teltschik (CDU) ebenso davor warnen wie Friedensnobelpreisträger Gorbatschow oder die früheren Kanzler Schmidt, Kohl und Schröder sowie andere namhafte Persönlichkeiten? Mit Sorgen statt mit Hoffnung darf man auf die anberaumte nächste „Sicherheitskonferenz“ am ersten Februar-Wochenende in München blicken, da deren Vorsitzender Wolfgang Ischinger ebenfalls für die militärische Ausrüstung der ukrainischen Armee plädiert. Die Konferenz ist kein offizielles Gremium, sondern eine Ansammlung von Militärs, Rüstungsindustriellen und Lobbyisten sowie eingeladenen Regierungsvertretern, die von Obama bis Merkel dort antanzen und das Ganze zu einem amtlichen Regierungsgipfel aufwerten. Es braut sich etwas zusammen über dem verdunkelten Europa- und die deutsche Friedensbewegung bleibt stumm oder fassungslos und starr vor Schreck?
Wilhelm Neurohr
Schon am 15. Januar hat unser Autor Wilhelm Neurohr zur „schnellen Eingreiftruppe“ folgenden Leserbrief in der Recklinghäuser Zeitung veröffentlicht, in dem er auch die Presseagenturen mit ihren verschwiegenen Hintergrundinformationen der kritiklosen Widergabe der kalten Kriegspropaganda entlarvt:
Leserbrief zum RZ-Artikel „Nato startet Speerspitze“ vom 15. Januar 2015
Die „schnelle Eingreiftruppe als Speerspitze“ –
schlichte Propaganda im neuen kalten Krieg
Warum täuschen die Presse-Agenturen die Leser über schnelle Eingreiftruppe?
Angeblich nur als Reaktion auf Putins Fehlverhalten nach dem „Weckruf der Ukraine-Krise“ sei nunmehr eine „schnellen Einsatztruppe als Speerspitze“ von NATO und EU „zur Abschreckung Russlands“ schnellstens eingerichtet worden - und zwar mit dem deutsch-niederländischen Korps in Münster unter deutschem Kommando. So wollten es uns unisono am 15. Januar die Presseagenturen und Leitmedien vor dem Hintergrund einer angeblichen russischen Bedrohung der EU-Staaten glauben machen und verkaufen damit die Leser für dumm (siehe auch Leitartikel auf der Politikseite der RZ).
Hätten die Journalisten ein wenig recherchiert und hinterfragt, dann hätten sie diese offizielle Meldung aus Regierungs- und Militärkreisen als schlichte Propaganda im neuen Kalten Krieg entlarven können. Tatsächlich ist die „schnelle Eingreiftruppe als Speerspitze“ konkret bereits im Jahre 1999 auf der Helsinki-Konferenz – also noch in Zeiten der friedlichen Koexistenz von Russland und Europa - beschlossen worden. Danach sollte die EU bereits bis 2003 eine schnelle Einsatztruppe von 50.000 bis 60.000 Mann aufstellen, die innerhalb von 60 Tagen einsatz- und verlegefähig sein sollte. Im September 2008 beschlossen die EU-Verteidigungsminister eine Aufstockung auf 80.000 Mann. Deren vorgesehen Bewaffnung ist von Umfang und Kosten kein Pappenstiel. Hinzu kamen die 7-12 so genannten „Battlegroups“ der EU mit 28.000 Soldaten für Einsätze im Umkreis von 6000 km um Brüssel in „zusammenbrechenden Staaten“ als „Speerspitze der schnellen Eingreiftruppe“ (ohne NATO-Unterstützung).
EU und NATO haben also nach ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) damit lediglich uralte und langjährige Pläne und Vorbereitungen jetzt vollendet, die sogar schon von 1991 und 1992 datieren (NATO-Gipfel in Rom für „Sofort- und Schnellreaktionskräfte“ sowie Stoltenberg- und Rühe-Papier zu „Krisenreaktionskräften“). Das deutsch-niederländische Korps („Response Force“) sollte laut Beschluss des NATO-Gipfels 2001 schon in der Vergangenheit mit seinen 21.00 Einsatzkräften innerhalb von 30 Tagen an jedem Ort der Welt eingesetzt werden können, auch zur Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen, mit alleiniger Entscheidungskompetenz durch den EU-Ministerrat. Die mit dem Lissabonner EU-Vertrag eingerichtete Verteidigungsagentur (EDA) kontrolliert seither die jährlichen Aufrüstungsverpflichtungen der EU-Staaten; seitdem findet keine Abrüstung mehr statt. Schon Jahre vor dem neuen kalten Krieg mit Russland als Rüstungsvorwand erhöhte Deutschland seine Rüstungsausgaben 2010 auf umgerechnet 37 Mrd. Dollar, um damit die 35 Mrd. Dollar der Russen zu übertreffen.
Schon nach dem Nizza-Vertrag 2001 der EU sollte die EU außerdem (unter dem Druck der Rüstungs- und Militärlobby) einen eigenen Militärhaushalt neben den einzelstaatlichen Rüstungshaushalten aufstellen. Vor allem Außenminister Steinmeier plädierte seinerzeit wiederholt für eigene militärische Strukturen und Kompetenzen der EU, wie in den damaligen Agentur-Meldungen nachzulesen. In einem offiziellen Gutachten für die EU („Sicherheitspolitische Agenda“) riet die Bertelsmann-Stiftung zum Aufbau einer eigenen EU-Armee als „militärische Supermacht“, und zwar dessen ungeachtet, dass sich der Warschauer Pakt 1991 aufgelöst hatte. Die damit sinnlos gewordene NATO dachte nicht im Entferntesten daran, dem nachzueifern, sondern rückte in alle ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten rings um Russland vor und rüstete auf Rekordhöhe von 250 Mrd.Dollar stärker auf als jemals zuvor im ersten kalten Krieg. Ohne diese Hintergründe sind die aktuellen Pressemeldungen unvollständig und irreführend für die eigene Urteilsbildung der Leser!
(Vieles davon ist übrigens nachzulesen in meinem 2008 veröffentlichten Europa-Buch, ohne jede „Verschwörungstheorie“…. http://wilhelm-neurohr.de/publikationen/buchautor/buch/)
Wilhelm Neurohr