Wilhelm Neurohr

Leserbrief zur Vorstellung der neuen Minister-Riege der SPD für die GroKo

„Personaltableau der SPD-Minister kein Signal für wirklichen Aufbruch“

Auf den ersten Blick scheint dem SPD-Parteivorstand am 9. März unter der Regie der designierten Vorsitzenden Andrea Nahles – die von den Parteimitgliedern oder Delegierten noch gar nicht als Parteivorsitzende gewählt oder legitimiert worden ist – mit der Vorstellung ihrer 6 GroKo-Minister ein ausgewogenes Personaltableau gelungen zu sein. Doch bei näherem Hinschauen relativiert sich der Eindruck für Insider recht schnell , denn es wird mit dieser Minister-Riege doch wieder die Dominanz des rechten „Seeheimer Flügels“ sichtbar bei dieser personaltaktischen Entscheidung „von oben“. Und damit werden Zweifel genährt an dem tatsächlichen „Neuanfang“ einer sozialeren GroKo-Politik der SPD-Minister, wie der Parteibasis und der Bevölkerung versprochen wurde, denn die wichtigen Schlüsselressorts haben sich Verfechter der umstrittenen Agenda 2010 gesichert, ein Beleg des „Weiter so“.

Zwar sollen wohl mit den drei ausgewählten Frauen für die eher nachrangigen Ressorts Familie, Justiz und Umwelt einerseits die 30% weiblichen SPD-Mitglieder und andererseits zugleich die Mitte der Partei und der linke Flügel personell zufriedengestellt werden. Das Familienressort bezeichnete der Altkanzler Schröder einmal geringschätzig als „Ministerium für soziales Gedöns“, obwohl Franziska Giffey als neue Familienministerin der einzige Lichtblick ist. Aus dem Umweltministerium sind seit langem die umweltrelevanten Ressorts Bauen, Verkehr und Energie ausgegliedert, so dass ein Großteil der Umweltpolitik von CDU-Ministerien gestaltet wird. Und die Justizmisterin hat faktisch die eingeschränkte Funktion einer Justitiarin der Bundesregierung.

Das einflusseiche Schlüsselressort Finanzen mitsamt der Rolle des Vizekanzlers hat sich ausgerechnet Olaf Scholz gesichert, der als Dienstältester der 5 stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden für ein paar Wochen nur deshalb „kommissarischer Parteivorsitzender“ sein durfte, weil die Parteibasis den peinlichen Satzungsverstoß bei der voreiligen „Inthronisierung“ von Andrea Nahles als „Hinterzimmer-Entscheidung“ nicht akzeptierte. Von den Parteitagsdelegierten erhält der an der Basis unbeliebte Olaf Scholz vom rechten „Seeheimer“ Parteiflügel regelmäßig die wenigsten Stimmen, zuletzt gerade einmal knappe 59%. Als ehemaliger SPD-Generalsekretär unter SPD-Chef Gerhard Schröder zählt er noch heute zu den strammsten Verfechtern der an der Basis umstrittenen Agenda 2010. Er hat schon angekündigt, den Sparkurs (und damit den Austeritätskurs) seines Vorgängers Wolfgang Schäuble fortzuführen. Längst ist es Historie, dass er als junger Juso mal Anhänger der dogmatisch-marxistischen „Stamokap-Theorie“ (Staatsmonopolkapitalismus) in ideologischer Nähe fast zur DKP war, ebenso wie die zur politischen Mitte gerückte künftige Umweltministerin Svenja Schulz aus NRW.

Das zweitwichtigste Ressort für Arbeit und Soziales, in dem 42% des gesamten Bundeshaushaltes verwaltet und die gesamte Sozialpolitik gestaltet wird, hat sich ebenfalls ein bekennender Anhänger der Agenda 2010 gesichert: Hubertus Heil, der als früherer SPD-Generalsekretär mit nur 61% Unterstützung durch die Parteitagsdelegierten fungierte und als Wahlkampfmanager bei der Bundestagswahl 2009 für ein mageres 23%-Ergebnis mitverantwortlich war. Dass ausgerechnet er in der Lage und willens sein soll, die soziale Ungerechtigkeit und Armut in diesem Lande zu beseitigen, glaubt wohl kein Parteimitglied. Und das ebenfalls wichtige Außenministerium in Männerhand sicherte sich Heiko Maas, Sohn eines Berufssoldaten aus dem gutbürgerlichen Saarlouis, der sich ebenfalls nicht als Agenda-Kritiker hervorgetan hat. Sieht so sozialdemokratischer Neuanfang aus?

Bleibt nur die Hoffnung auf die mitgliederstarke NRW-SPD als Landtagswahl-Verlierer, die in ihrem Stammland 8% der Stimmen verlor und seither besonders laut nach „Erneuerung“ ruft. Allen voran ausgerechnet deren früherer Generalsekretär und für die Wahlschlappe mitverantwortliche Landesminister Michael Groschek, früher in der Immobilienwirtschaft tätig. Der 62-jährige wird flankiert vom 71-jährigen Fraktionsvorsitzenden Norbert Römer, früher in der privaten Versicherungswirtschaft, als Zeitsoldat und als Redakteur der IGBCE- Mitgliederzeitschrift tätig, der nach der Wahlniederlage krampfhaft an seinem Fraktionsvorsitz festhielt - (übrigens ein politischer Ziehsohn des damaligen „SPD-Rechtsaußen“ und legendären „Kanalarbeiters“ Horst Niggemeier, dem im Jahr 2000 verstorbenen SPD-Unterbezirksvorsitzenden von Recklinghausen). Diese beiden Garanten für ein „Weiter so“ sollen plötzlich die Hoffnungsträger für die personelle und inhaltliche Neuaufstellung der SPD von der Landes- bis zur Bundesebene sein? Ein armseliges Aufbruch-Signal…

Wilhelm Neurohr