Wilhelm Neurohr

Stadtrat soll Bundesregierung zur Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages auffordern

Heute vor 74 Jahren, am 6. August 1945, warfen die USA eine Atombombe auf Hiroshima ab, wenige Tage später, am 9. August, eine weitere auf Nagasaki. Beide Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. Bis Dezember 1945 starben 120 Tsd. der 330 Tsd. Einwohner Hiroshimas, in Nagasaki wurden 80 Tsd. von 250 Tsd. getötet. Ein großer Teil der Überlebenden erkrankte in den folgenden Jahrzehnten an Krebs, Mütter erlitten Todgeburten oder brachten Kinder mit massiven Behinderungen zur Welt. Bis heute sterben Menschen an den Folgen der radioaktiven Strahlung oder leiden an Behinderungen.

Der Bürgermeister von Hiroshima hatte 1982 die internationale Initiative "Bürgermeister für den Frieden" ins Leben gerufen, der mittlerweile 7.500 Kommunen weltweit, 600 in Deutschland und über 100 in NRW angehören, darunter auch die Stadt Haltern am See. Das Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt fordert den Rat der Stadt nunmehr auf, eine Resolution an die Bundesregierung zu richten, mit der Aufforderung, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, der von der zivilgesellschaftlichen Initiative ICAN initiiert wurde, die dafür in 2017 den Friedensnobelpreis erhielt und eine Kampagne startete: "Wettrüsten verhindern. Dem Verbot von Atomwaffen beitreten!".

Das Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt hat anlässlich des des Gedenkens an die Opfer der Atombomben-Abwürfe einen Ratsantrag an den Bürgermeister der Stadt Haltern eingereicht. Das Forum bittet den Rat der Stadt , eine Resolution an die Bundesregierung zu richten. Mit dieser Resolution soll die Bundesregierung aufgefordert werden, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 zu unterzeichnen. Bisher hat die Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterschrieben. Zugleich wird die Bundesregierung in dem Halterner Ratsantrag aufgefordert, den gültigen Buindetagsbeschluss von 2010 endlich umzusetzen, der Verhandlungen zum Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland zum Ziel hatte.

Dies ist nach Auffassung des Halterner Forums für Demokratie, Respekt und Vielfalt auch ein kommunales Anliegen, denn die Bürgervertreter in den Kommunen haben eine Mitverantwortung für den Schutz unser Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Massenvernichtungswaffen unterscheiden nicht zwischen Militärs und Zivilbevölkerung – sie töten jeden Menschen.

Hier der Ratsantrag mit Begründung in vollem Wortlaut:

Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt

Haltern, den 1. August 2019

An den

Bürgermeister

der Stadt Haltern

Herrn Bodo Klimpel

Rathaus

Dr. Conrads-Str. 1

45721 Haltern am See

Bürger-Anregung gemäß § 24 GO NRW für einen Ratsbeschluss

(Resolution an die Bundesregierung) zum Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Klimpel,

im März 2018 sind Sie als Bürgermeister für die Stadt Haltern dem internationalen Bündnis „Bürgermeister für den Frieden“ (Mayors for Peace) gegen Atomwaffen beigetreten, dem mittlerweile 7.500 Kommunen weltweit, 600 in Deutschland und 115 in NRW angehören, darunter 8 weitere Städte im Kreis Recklinghausen und fast alle Nachbargemeinden im Münsterland.

Am 15. Juni 2018 fand in Münster die Bundeskonferenz des Bündnisses statt. Dort war man sich aus Sorge angesichts aktueller Fehlentwicklungen einig: Die Bürgermeister wollen über Stadtgrenzen hinweg in Kooperation mehr öffentlichen Druck von kommunaler Ebene durch gemeinsame Vorstöße auf übergeordnete politische Gremien für den Verzicht auf Atomwaffen ausüben. Dies geschieht im Bewusstsein der Mitverantwortung für den Schutz unser Bürgerinnen und Bürger vor Krieg und Kriegseinwirkungen. Denn Massenvernichtungswaffen unterscheiden nicht zwischen Militärs und Zivilbevölkerung.

Deshalb ist es nur konsequent, wenn der Rat der Stadt Haltern im Namen der Bevölkerung die Ziele der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) unterstützt, mit der eine Welt ohne Atomwaffen angestrebt wird.

Am 6. und 9. August gedenken wir erneut der folgenschweren Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, bei denen 100.000 Menschen sofort getötet wurden und weitere 130.000 an den Folgen qualvoll starben und die Städte in Schutt und Asche legten.

Diese weltweit begangenen Gedenktage sollten von möglichst vielen Kommunalvertretungen zum Anlass genommen werden, per Ratsbeschluss die Bundesregierung mit Nachdruck aufzufordern, den UN-Atomwaffenverbotsvertrag – der in 2017 mit 124 der 193 UN-Mitgliedsstaaten ausgehandelt wurde – sofort zu unterzeichnen und zu ratifizieren, statt den Vertrag zu boykottieren mit dem Argument der „unverzichtbaren nuklearen Teilhabe und Abschreckung“.

Zugleich sollte die Bundesregierung dazu gedrängt werden, den Bundestagsbeschluss vom 26. März 2010 endlich umzusetzen und sich deutlich und hartnäckig dafür einzusetzen, dass die letzten 20 US-Atombomben auf deutschem Boden am Militärflugplatz Büchel in der Eifel nicht modernisiert und für deutsche Trägersysteme einsatzfähig gemacht werden, sondern in die USA abgezogen werden.

Damit käme die Bundesregierung auch endlich dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung nach: In einer repräsentativen Umfrage im Sommer 2018 hatten sich 71% der Bevölkerung dafür ausgesprochen, dass die Bundesregierung sich dem UN-Atomwaffenverbot anschließt, und 70% dafür, dass die USA ihre Atomwaffen aus Büchel abzieht. In beiden Punkten gibt es eine deutliche Mehrheit bei Anhängern aller Parteien.

An der Kampagne „Büchel ist überall atomwaffenfrei=>jetzt“, die alljährlich zu Protesten gegen die am Fliegerhorst Büchel gelagerten Atomwaffen aufruft, hatte sich unser Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt mit einer Delegation am 7. Juli 2019 zusammen mit Pax Christi und anderen Friedensfreunden mit einer Mahnwache beteiligt.

Nunmehr ermuntern wir mit der beigefügten Bürgeranregung gemäß § 24 Gemeindeordnung NRW den Rat der Stadt Haltern, im Interesse der Bürgerschaft die hier angeregte und näher begründete Resolution zu beschließen und als Aufforderung an die Bundesregierung zu richten, nach dem Vorbild vieler anderer Kommunen. Vielen Dank!

Mit freundlichen Grüßen

im Auftrag des Halterner Forums

für Demokratie, Respekt und Vielfalt

gez. Theo Haggeney gez. Prof. Dr. Werner Nienhüser gez. Hermann Döbber

Anlage: Beschlussvorschlag für den Rat der Stadt

Verteiler:

  • Bürgermeister Bodo Klimpel
  • Ratsfraktion der CDU
  • Ratsfraktion der SPD
  • Ratsfraktion Bündnis 90/Grüne
  • Ratsfraktion WGH
  • Ratsmitglieder FDP
  • Evangelische Kirchengemeinde Haltern
  • Katholische Kirche Dekanat Haltern
  • Neuapostolische Kirchengemeinde Haltern
  • Asylkreis Haltern
  • Forumsmitglieder drv

Anlage zum Schreiben an den Bürgermeister vom 1. August 2019

Beschlussvorschlag:

Der Rat der Stadt Haltern (als Mitgliedsgemeinde des internationalen Bündnisses „Bürgermeister für den Frieden“)möge beschließen:

„Der Rat der Stadt Haltern fordert die Bundesregierung auf, im Interesse und zum Schutz der zivilen Bevölkerung und in der Verpflichtung zum dauerhaften Frieden

  • den UN-Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 umgehend zu unterzeichnen und zu ratifizieren und sich damit der internationalen Staatengemeinschaft in Ihrem Bemühen um eine Beendigung der atomaren Rüstung und Kriegsführung anzuschließen;
  • der Rechtsauffassung des Internationalen Gerichtshofes in den Haag (Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996) nachzukommen, wonach der Einsatz von Atomwaffen wie auch die bloße Androhung des Einsatzes alle Bestimmungen des internationalen humanitären Völkerrechts verletzen und grundsätzlich illegal sind;
  • den gültigen Bundestagsbeschluss vom 26. März 2010 zum Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland (Büchel in der Eifel)in Verhandlungen endlich umzusetzen, auf deren Modernisierung und auf Trainingsflüge zu verzichten und keine Trägersysteme und Logistik für deren möglichen Einsatz bereitzustellen,
  • im Rahmen der NATO und der EU-Militärunion darauf hinzuwirken, dass die nukleare Militärstrategie und die nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner zugunsten einer neuen Abrüstungsinitiative und Entspannungspolitik im Geiste des US-Atomwaffenverbotsvertrages abgelöst werden im Bewusstsein der Verpflichtungen der EU als „Friedensnobelpreisträger“.

Der Rat der Stadt Haltern teilt die Ziele der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) und strebt eine Welt ohne Atomwaffen an für alle Menschen in den Städten und Gemeinden.

Begründung:

Gefährdeter INF-Abrüstungsvertrag

Ungeachtet der schrecklichen Folgen der Nutzung von Atomwaffen, streben auch heute noch Staaten in Atomwaffenprogrammen die Entwicklung eigener nuklearer Sprengköpfe an. Der Schrecken, der von Atomwaffen ausgeht, ist deshalb auch nach Ende des Kalten Krieges immer noch gegenwärtig und kann für jeden jederzeit wieder schreckliche Realität werden. Dies umso mehr, als aktuell die Verlängerung des auslaufenden INF-Abrüstungsvertrags für atomare Mittelstreckenraketen von Russland und den USA in Frage gestellt wird. Auch die Konflikte zwischen den USA und Nordkorea oder dem Iran oder der Streit um neue russische Mittelstreckenraketen umfassen atomare Drohungen. Bedrohlich ist zudem, dass die USA einen atomaren Krieg für begrenzbar und gewinnbar halten und an entsprechenden „smarten“ Waffen arbeiten.

Atomwaffen in Deutschland

Auch für die in Deutschland gelagerten US-Atomwaffen, die in deutschen Tornados und Trägersystemen transportfähig sind, wird die technische Aufrüstung und Modernisierung weiter vorangetrieben. Denn Deutschland beherbergt im Rahmen der sog. nuklearen Teilhabe der NATO ca. 20 US-amerikanische Atomwaffen am Fliegerhorst Büchel (ebenso wie an Standorten in 5 weiteren EU-Staaten). Diese müssten nach einem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag jedoch von deutschem Boden entfernt werden.

Ignorierter Bundestagsbeschluss

Einen solchen gültigen Beschluss hatte der Deutsche Bundestag bereits am 26. März 2010 mit großer Mehrheit getroffen, mit dem verbindlichen, aber bisher nicht umgesetzten Auftrag an die Bundesregierung, sich für den Abzug der letzten verbleiben US-Atomwaffen in Verhandlungen einzusetzen. Deshalb sollte der politische Druck von kommunaler Ebene auf die Bundesregierung verstärkt werden, die Bemühungen der UN und der Zivilgesellschaft auch im kommunalen Interesse zu unterstützen.

Boykott des UN-Atomwaffenverbotsvertrages

Während 70 Staaten den mit 122 ja-Stimmen verabschiedeten UN-Atomwaffenverbotsvertrag bereits unterzeichnet und 23 Staaten mittlerweile ratifiziert haben, boykottierten die Atommächte und alle NATO-Staaten einschließlich Deutschland die Verhandlungen und verweigern die Unterzeichnung, obwohl der Einsatz von Atomwaffen nach Auffassung des Internationalen Gerichtshofes von Den Haag gegen das geltende humanitäre Völkerecht verstößt. Lediglich die Niederlande nahmen an den Verhandlungen teil, enthielten sich aber der Stimme.

Völkerrechtswidrige Massenvernichtungswaffen

Atomwaffen waren bisher die einzigen Massenvernichtungswaffen, die völkerrechtlich nicht geächtet waren (anders als etwa biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen).

Der UN-Atomwaffenverbotsvertrag Vertrag wird 90 Tage nach der Hinterlegung der 50. Ratifikationsurkunde in Kraft treten, was angesichts der hohen Zahl der Unterstützer in den Reihen der Nichtatomwaffenstaaten alsbald geschehen dürfte. Deutschland darf sich nicht länger verweigern, denn mit dem Vertrag wird die Staatengemeinschaft zum ersten Mal in der Geschichte eine völkerrechtlich verbindliche Aussage gegen Atomwaffen treffen als Meilenstein auf dem Weg in eine atomwaffenfreie Welt.

Friedensnobelpreis 2017 für ICAN

Für die Initiierung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages hat deshalb die zivilgesellschaftliche Organisation ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen) in 2017 den Friedensnobelpreis erhalten. Ebenso erhielt die EU in 2012 den Friedensnobelpreis sowie 1971 der Deutsche Bundeskanzler Willy Brandt für seine Friedens- und Abrüstungsbemühungen. Dies sollte für Deutschland eine Verpflichtung für die Gegenwart und Zukunft sein.

Umfassendes Atomwaffenverbot

Der Atomwaffenverbotsvertrag - in Nachfolge des missachteten Atomwaffensperrvertrages von 2015 - verbietet nunmehr umfassend Herstellung, Erprobung, Besitz, Einsatz bzw. die Androhung eines Einsatzes, Transfer über und Stationierung von Atomwaffen im eigenen Staatsgebiet sowie jegliche Beihilfe zu den vorgenannten Verhaltensweisen.

Humanitäre staatliche Verpflichtungen

Jeder Staat, der beim Beitritt Atomwaffen besitzt, verpflichtet sich, diese so bald wie möglich zu vernichten. Ferner verpflichten sich die Mitgliedstaaten, Opfern von Atomwaffentests oder -einsätzen medizinische, psychologische, wirtschaftliche und soziale Hilfe zu leisten und in ihrem Hoheitsgebiet Maßnahmen zur Sanierung kontaminierter Gebiete zu ergreifen.

Friedensbemühungen für die gefährdete Zivilbevölkerung

Nicht zuletzt geht es um den Schutz und die Sicherheit der Zivilbevölkerung in den Städten und Gemeinden in Kriegs- und Krisenzeiten wie in Friedenzeiten als eine auch kommunale Verpflichtung, so dass die gemeinsamen Bemühungen um dauerhaften Frieden und Abrüstung sowie um zivile statt militärische Sicherheitsstrategien zum Durchbruch gelangen.