Wilhelm Neurohr

Europarat mahnt erneut zum Jahreswechsel:

KEINE FORTSCHRITTE BEIM KAMPF GEGEN KORRUPTION IN DEUTSCHLAND

In den jährlichen Weihnachts- und Neujahrsansprachen unserer politischen Repräsentanten gehören die Mahnungen vor den Krisen und Gefährdungen unserer Demokratie zum Ritual. Dabei wird verschwiegen, dass die größten Gefährdungen unserer Demokratie von den Spitzenpolitikern selber ausgehen: Denn alle Jahre wieder, so auch besonders eindringlich zu diesem Jahreswechsel, rügte der Europarat Mitte Dezember 2020 erneut, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung nur ungenügend nachkommt. Der große Einfluss der Lobbyisten auf die Bundesregierung ist weiterhin intransparent und es fehlt ein politischer Verhaltenskodex bezüglich der Verquickung politischer und privater Interessen bei unseren gewählten Mandatsträgern und in den Regierungsämtern.

Seit Monaten blockiert die Union im Bundestag schärfere Transparenz-Regeln für Bundestag und Bundesregierung durch die Einführung eines wirksamen verbindlichen Lobbyregisters, das den Namen verdient – so beklagt nicht nur die Opposition, sondern auch der sozialdemokratische Koalitionspartner. Deshalb setzte jetzt der Europarat - als führende Menschenrechtsorganisation mit 47 Mitgliedsstaaten (einschl. der 27 EU-Staaten) - den Deutschen eine Frist: Spätestens bis zum April 2022 ist dem Europarat vorzulegen, wie sie die verbindlichen Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung endlich umgesetzt haben. Denn bislang geschieht hier nur eine Pseudokorruptionsbekämpfung, wie der Buchautor Thomas Wieczorek nachwies und mit Beispielen der Abgeordnetenbestechung belegte.

Transparentes Lobbyregister wird weiterhin abgeblockt

Deutschland wurde deshalb aktuell am 15. Dezember 2020 vom Europarat nun mit Nachdruck und Fristsetzung nochmals aufgefordert, Transparenz zu schaffen, mit welchen Lobbyisten sich Spitzenpolitiker warum getroffen haben. Außerdem sollen nach dem Vorbild anderer Länder eine längere Karenzzeit und Regeln für Nebenverdienste eingeführt werden. Zudem ist ein Verhaltenskodex für politische Mandatsträger umzusetzen. Deutschland muss seinen Kampf gegen Korruption deutlich verstärken mit strengeren Vorgaben für die eigenen Politiker. Auch wird ein besserer Schutz von Whisteblowern gefordert, damit diese ungehindert und ungestraft Informationen weitergeben können über korrupte Machenschaften z.B. in den Ministerien.

Korruption in Politik und Wirtschaft

Wir zeigen gerne beim Thema Korruption mit dem Finger auf ferne „Bananenrepubliken“ oder osteuropäische Staaten, doch kein EU-Staat hat eine reine Weste und die neue EU-Generalstaatsanwältin verfolgt laufend Korruptionsfälle bei EU-Geldern. Nach dem „Korruptionswahrnehmungsindex“ von Transparency International kommen alle Staaten bei 100 möglichen Punkten nur auf einen Durchschnittswert von 43, die europäischen Länder auf durchschnittlich 66 Punkte. Deutschland stagniert bei 80 Punkten und rangiert damit zwischen dem 9. und 11. Platz. Auch Deutschland bleibt korrupt und hat enormen Verbesserungsbedarf, zumal auch die Korruption in der Wirtschaft sich verschlechtert hat, wie der Cum-Ex-Skandal oder Diesel-Skandal zutage förderten. Aber auch das Sponsoring bei Parteitagen und andere verdeckte Wahlkampfhilfen und verschleierte Parteispenden sind ein anhaltendes Ärgernis.

Anti-Korruptionsgesetz verweigert, verzögert und verwässert

Deshalb hatte der Europarat schon in den Vorjahren 2015 bis 2019 der Bundesrepublik stets ein mieses Zeugnis ausgestellt, weil Deutschland nur die Hälfte der Anti-Korruptions-Empfehlungen für Abgeordnete umgesetzt hatte. Auch das lange geforderte Gesetz zur Bestrafung von Abgeordnetenbestechung ließ (trotz Mahnung des Europarates von 1999, der UNO von 2002 und des Bundesgerichtshofs von 2006) lange auf sich warten: Während 193 UN-Staaten weltweit die Abgeordnetenbestechung längst wirksam unter Strafe gestellt hatten, ließ sich Deutschland nach wiederholten Mahnungen dafür 11 Jahre Zeit bis 2016 und hatte solange keine Antikorruptionsgesetzgebung - neben Staaten wie Nordkorea, Saudi-Arabien, Syrien oder Tschad. International blieb Deutschland deshalb auf einem unbefriedigenden 16. Platz der weltweiten Korruptionsliste von 163 Ländern.

Entgegen allen Sachverständigen-Empfehlungen bei der Anhörung im Bundestag wurde das Gesetz jedoch so gestaltet, dass faktisch kein Abgeordneter wirklich nach § 108 e Strafgesetzbuch strafrechtlich belangt werden kann, anders als jeder korrupte Normalbürger - denn: „Damit würden Parlamentarier an der freien Ausübung ihres Mandates gehindert“ (Zitat FDP-Politiker Patrick Döring) und es habe „noch nie einen Korruptions- und Verdachtsfall seit Bestehen des Bundestage gegeben“, (Zitat Dr. Götze/CSU). Noch 2013 hatte der Bundestag eine Veröffentlichung von Nebeneinkünften der Abgeordneten abgelehnt. Da half auch keine Petition von 51.000 Bürgerinnen und Bürgern zur wirksameren Strafverfolgung von politischer Korruption. Noch ein halbes Jahr vor der widerwilligen Verabschiedung des Antikorruptionsgesetzes hatten sich laut einer Umfrage von „Abgeordnetenwatch“ 90% der CDU-Abgeordneten, 74% der FDP-Abgeordneten, 30% der grünen und linken Abgeordneten und 27% der SPD-Abgeordneten gegen ein solches Gesetz ausgesprochen.

Verhaltenskodex für Spitzenpolitiker unerlässlich

Es ist mittlerweile an der Tagesordnung, dass ausscheidende Politiker oft ohne Karenzzeit unmittelbar in die Wirtschaft als Lobbyisten wechseln für Tätigkeiten, die oftmals in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem vorherigen politischen Verantwortungsbereich stehen. (Zahlreiche Beispiele dafür hat der Verfasser dieser Zeilen bereits am 30.10.2019 im Lokalkompass und mehrfach unter www.wilhelm-neurohr.de veröffentlicht). Vom Ex-Verteidigungsminister Niebel als anschließender Rüstungslobbyist bei Rheinmetall bis hin zum Ex-EU-Kommissionspräsidenten Barroso als Lobbyist bei der führenden Investment-Bank Goldman-Sachs (unter Verstoß gegen den EU-Verhaltenskodex) reicht die Vielzahl der skandalösen Fälle. Wie ein Verhaltenskodex schon für einfache Abgeordnete aussehen könnte, hat der Verfasser dieser Zeilen bereits 2013 veröffentlicht als „10 Gebote für Abgeordnete und Berufspolitiker“, die hier als zeitlos aktuell noch einmal zur Verfügung gestellt werden sollen:

„10 Gebote für Abgeordnete und Berufspolitiker“

Erstes Gebot: Du sollst dich in Bescheidenheit und im Zuhören üben, denn du hast lediglich eine dienende Funktion auf Zeit für deine Wähler und für das Wohl der Allgemeinheit. Nicht deine Meinung und deine Person sind wichtig, sondern die Mehrheitsmeinung der Menschen, deren Interessen du zu vertreten hast. Deine eigenen Interessen und Ambitionen haben hinten anzustehen; Vorrang haben der Wählerwille und der Gemeinnutz.

Zweites Gebot: Sei stets der Wahrheit und nicht der Lüge verpflichtet, denn die weit verbreitete Lüge im öffentlichen Leben und in Wahlkämpfen ist Gift für die Demokratie. Ehrlichkeit und Transparenz sei deshalb oberstes Gebot bei all deinem politischen Wirken und Handeln, um glaubwürdig zu sein. Hüte dich vor Halbwahrheiten, leeren Versprechungen und „faulen Kompromissen“, denn sie verderben die politische Kultur.

Drittes Gebot; Beteilige dich nicht an Machtkämpfen und politischen Intrigen, sondern folge dem Gebot politischer Fairness, denn sonst verdirbst du deinen Charakter und verlierst deine Aufrichtigkeit. Die dir verliehene „politische Macht auf Zeit“ dient lediglich der wirksamen Durchsetzung ausgewogener und mehrheitsfähiger politischer Ziele bei gleichzeitigem Minderheitenschutz, nicht der Vorführung der politischen Ohnmacht deines Wahlvolkes oder des politischen „Gegners“.

Viertes Gebot: Bewahre deine Unabhängigkeit und fühle dich nicht eigennützigen Interessengruppen und Lobbyisten verpflichtet, sondern ausschließlich den gemeinnützigen Anliegen zum Wohle aller. Sei nicht käuflich, denn maßgebend ist nicht die Höhe der Parteispenden zahlungskräftiger Konzerne und Gruppierungen, auch nicht lockende Nebeneinkünfte oder lukrative Jobs nach deiner politischen Laufbahn, sondern allein das Maß der politischen Zustimmung in der betroffenen Bevölkerung.

Fünftes Gebot: Betätige dich stets als Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und halte dich an die von dir selber mitgestalteten Gesetze und Wahlversprechungen. Nehme für dich selber keine Sonderrechte und Privilegien in Anspruch, sondern sei dir deiner Vorbildfunktion und deiner rechtlichen Verpflichtungen bewusst. Und merke: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt, ist nichts anderes als eine große Räuberbande“ (Zitat Staatsrechtslehrer Augustinus).

Sechstes Gebot: Beteilige die Menschen im Vorfeld an den demokratischen Entscheidungsprozessen und hole ernsthaft ihre Meinung ein. Rufe regelmäßige Wahlkreisversammlungen ein und tausche dich mit den Wählern auch außerhalb von Wahlkämpfen aus; begründe deine Entscheidungen und lege Rechenschaft ab. Mache Betroffene zu Beteiligten, sonst entscheiden fälschlich lauer Nichtbetroffene in der abgehobenen politischen Subkultur über die menschlichen Schicksale.

Siebtes Gebot: Folge stets deinem Gewissen und ethisch-moralischen Grundsätzen, weniger irgendeinem Koalitions- oder Fraktionszwang. Mache dich nicht zum Sklaven irgendwelcher Ideologien und Dogmen deiner Partei, sondern trage zu lebendigen und fruchtbaren Debatten bei der offenen Meinungsbildung im Parlament bei. Du bist als gewählter Mandatsträger in erster Linie Delegierter des Volkes, nicht nur Delegierter einer Partei oder Fraktion.

Achtes Gebot: Sei ebenso bescheiden bei deinen Einkünften und deiner Alterssicherung, wie du es den Bürgerinnen und Bürgern „draußen im Lande“ abverlangst. Orientiere deine Versorgungs- und Diäten-Ansprüche an den Durchschnittsverdiensten der arbeitenden Bevölkerung oder an deinem vorherigen beruflichen Status, weniger an den obszönen Einkommen gewisser Wirtschaftsmanager und Banker. Gehe auch in anderen Bereichen stets sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler um.

Neuntes Gebot: Übe dich in einer allgemeinverständlichen Sprache und Ausdrucksweise und entwöhne dich von den Sprechblasen des Politik- und Medienbetriebes, damit deine Wähler dich verstehen. Verstecke dich nicht hinter bürokratische und technokratische Verschleierungen oder den Parolen der Wahlkampfberater. Sage klar und deutlich, was angesagt ist oder schweige, wenn du nichts Wesentliches mitzuteilen oder beizutragen hast; denn du musst dich nicht zu allem und jedem in den Medien äußern und allzuständige Kompetenz vortäuschen.

Zehntes Gebot: Nimm dir neben deinem geschäftigen Politikerleben genügend Zeitausgleich für private, kulturelle und innovative Betätigungen, denn das verschafft dir geistige und seelische Bereicherung, neue Ideen und Kontaktmöglichkeiten mit den einfachen Bürgerinnen und Bürgern, die klüger sind, als du vielleicht denkst. Und lass in Ideenwerkstätten mit kreativen Menschen neues Gedankengut an dich heran, damit andersartige Problemlösungsansätze in den Politikbetrieb Einzug halten können.

Wilhelm Neurohr