Wilhelm Neurohr

3. Mai: Internationaler Tag der Pressefreiheit:

Schwierige Zeiten für die Pressefreiheit

Anlässlich des internationalen Tags der Pressefreiheit stellt Reporter ohne Grenzen den aktuellen Jahresbericht für den Zeitraum 2001 vor. Der Bericht dokumentiert Verstöße gegen die Pressefreiheit, die die internationale Menschenrechtsorganisation im vergangenen Jahr in 150 Ländern von Afghanistan bis Zypern registrierte. Mindestens 31 Journalistinnen und Journalisten wurden im Jahr 2001 wegen ihrer Recherchen und Veröffentlichungen oder bei Ausübung ihres Berufes getötet, im Jahr davor waren es 32. Bei weiteren 27 Fällen wird noch untersucht, ob ihr Tod im Zusammenhang mit ihrem Beruf steht. Die Zahl der zeitweilig festgenommenen oder länger inhaftierten Journalisten stieg im
Vergleich zum Vorjahr um 60%, auf insgesamt 489. 716 Reporter wurden bedroht, überfallen oder gezielt attackiert, 40% mehr als im Jahr 2000.

Seit Anfang 2002 kamen bereits acht Journalisten in Ausübung ihres Berufes ums Leben. 116 Journalistinnen und Journalisten sind zurzeit inhaftiert.
Nepal ist das größte Gefängnis für Medienvertreter (27). In Birma und im Iran sind mindestens 16 bzw. 12 Journalisten hinter Gittern.

Gravierende Einschränkungen auf jedem Kontinent

Einem Drittel der Weltbevölkerung wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf ungehinderten Zugang zu Informationen verweigert. In Ländern wie China, Kuba, Laos, Nordkorea und Vietnam diktieren die jeweiligen Parteien was gedruckt, gesendet oder ins Netz gestellt wird. Aber auch in Staaten mit nicht kommunistischen Einparteien-Systemen wie Syrien und Irak oder in Diktaturen wie Birma, Tunesien und Saudi-Arabien kontrollieren Regierungen die Beschaffung und Verbreitung von Information.

Die Mehrzahl der Länder der Welt haben zwar internationale Abkommen unterzeichnet, die Meinungs- und Informationsfreiheit garantieren; auch die Pressefreiheit ist in ihren Verfassungen verankert. Doch blieb dies im Jahr 2001 oft nur ein leeres Versprechen. In Bangladesch, Eritrea, Haiti und Simbabwe nahm die Zahl der übergriffe sowie Anklagen wegen sogenannter Pressedelikte gegen Journalisten drastisch zu.

Seit Beginn der 2. Intifada Ende 2000 verschärfte sich die Lage in den von Israel besetzten Gebieten. Allein im Jahr 2001 wurden acht Reporter durch Soldaten der israelischen Armee verletzt. Auch im Fall des französischen Journalisten, der von einem israelischen Soldaten gezielt angeschossen wurde, bestreiten die israelischen Behörden ihre Verantwortung. Palästinensische und ausländische Journalisten waren Schikanen und übergriffen der palästinensischen Autonomiebehörde ausgesetzt. Wiederholt verbot sie Zeitungen und ließ Radiostationen kurzfristig schließen. Verhaftungen und Verhöre schufen ein Klima von Einschüchterung und Selbstzensur.

Der Tod von acht Journalistinnen und Journalisten im November in Afghanistan fachte erneut die Diskussion über Risiken der Berichterstattung aus Kriegs- und Krisengebieten an. Der Schutz von Journalisten wurde endlich zu einem wichtigen Thema für die Medien. Auch die Europäische Union war kein sicherer Ort für Journalisten. Zwei Reporter wurden von militanten Gruppen in Spanien und Nordirland ermordet. In Italien, wo Premierminister Silvio Berlusconi die Mehrheit der Medien kontrolliert, wurde bei Demonstrationen gegen den G-8 Gipfel in Genua ein Mensch getötet und zahlreiche weitere Menschen verletzt, darunter 19 Journalisten. Zunehmende Medienkonzentration und politischer Druck auf
Medienschaffende, z.B. in österreich, bedrohten die Informationsvielfalt.

Fallout im "Kampf gegen den Terrorismus"

Seit dem 11. September sieht Reporter ohne Grenzen wachsende Bedrohungen für die Informationsfreiheit, die mit dem "Kampf gegen Terrorismus" in vielen Ländern gerechtfertigt werden. Nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes in Nepal Ende November nahm die Polizei mehr als 100 Journalisten wegen "Terrorismusverdachts" vorübergehend fest, drei von ihnen wurden gefoltert, derzeit sind noch 27 in Haft. Die in Kanada und den USA ergriffenen Maßnahmen gefährden den Quellenschutz und ermöglichen eine stärkere überwachung des Internets und der E-Mail-Kommunikation sowie Einschränkungen beim Zugang zu Informationen.

Straflosigkeit ist nach wie vor ein großes Problem. In Kolumbien sind 95% der gewalttätigen übergriffe auf Journalisten immer noch ungeahndet. Drei Journalisten wurden 2001 in Ausübung ihres Berufes getötet, bisher wurde keiner der Täter ermittelt. In der Ukraine nahm die Untersuchung zur Ermordung von Georgij Gongadse in 2001 absurde Züge an, als die Staatsanwaltschaft im Mai überraschend bekannt gab, der Fall sei aufgeklärt: Gongadse sei von gewöhnlichen Kriminellen ermordet worden. Die Täter selbst seien von ihrem Bandenchef anschließend getötet worden; die "Mörder der Mörder" jedoch seien gefasst. Reporter ohne Grenzen fordert nach wie vor die Entsendung einer internationalen und unabhängigen Kommission, die die Rolle der Behörden bei der Aufklärung des Falles und Beschuldigungen gegen Staatspräsident Kutschma untersucht.

Doch es gab auch Fortschritte und positive Entwicklungen, wenn auch mit Einschränkungen. Zwei jahrelang inhaftierte Journalisten, Symbolfiguren gegen die Repression, kamen in 2001 frei. Der syrische Journalist Nizar Nayyuf wurde im Mai nach neun Jahren Gefängnis und Folter entlassen. Seitdem versuchten die syrischen Behörden vergeblich, dem inzwischen im Ausland lebenden Nayyuf den Mund zu verbieten, indem sie seine Familie in Syrien unter Druck setzten. Im Juli kam die Journalistin San San Nweh nach sieben Jahren im birmesischen Kerker frei. In Birma befinden sich immer noch 16 Reporter in Haft.

Der Sturz des Taliban-Regimes kann als positives Zeichen für die Zukunft der Pressefreiheit in Afghanistan gewertet werden. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung dort das Recht auf freie Meinungsäußerung und Information achtet. Äthiopien, früher bekannt als das größte Gefängnis für Journalisten in Afrika, entließ in 2001 fast alle inhaftierten Reporter. Der letzte, Tamrat Zuma, konnte im März 2002 gegen Zahlung einer Kaution das Gefängnis verlassen. Journalisten in Tunesien umgingen die absolute Kontrolle des Polizeistaats, indem sie der tunesischen Bevölkerung ihre kritischen Berichte mittels des arabischen Fernsehsenders Al-Mustakillah mit Sitz in London übermittelten. Die Sendung ist in Tunesien sehr populär.

Der rund 700-seitige Jahresbericht ("Report 2002" in Englisch oder Französisch) kann von Reporter ohne Grenzen gegen einen Unkostenbeitrag von 14 Euro angefordert werden. Ab 2. Mai steht der Report mit Aktualisierungen unter www.rsf.org im Internet. Auch die aktuelle Liste der weltweit schärfsten Widersacher der Pressefreiheit ist dort abrufbar.

Für weitere Informationen: Tel. (030) 615 85 85

deutsch: www.reporter-ohne-grenzen.de