Wilhelm Neurohr

Für eine neue Handelspolitik

Netzwerk gerechter Welthandel: "Verträge stoppen: CETA / EU-Mercosur / Energiecharta"

An alle Interessierten einer neunen Handespolitik: Die Medien berichteten von der Schadensersatzklage des Energiekonzerns RWE gegen den niederländischen Kohleausstieg. Nun läuft bereits die nächste Klage in dieser Sache an: Auch Uniper will in den nächsten Tagen eine Klage vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington einreichen. Beide Konzerne berufen sich auf den Energiecharta-Vertrag. Dieser ermöglicht Energiekonzernen, Staaten wegen demokratisch gefasster Entscheidungen vor privaten Schiedsgerichten auf horrende Summen Schadensersatz zu verklagen: zum Beispiel, wenn sie aus Kohle- oder Atomkraft aussteigen wollen. Um diesen Klimakiller-Vertrag zu stoppen, starteten über 30 Organisationen aus mehreren europäischen Ländern Ende Februar eine Petition – die bereits drei Wochen später von einer Million Menschen unterzeichnet worden war!

Ebenso wie der Energiecharta-Vertrag schützen auch neoliberale Handelsabkommen wie CETA und EU-Mercosur die Interessen von Konzernen statt Mensch und Umwelt und tragen massiv zum Klimawandel bei. Deshalb beteiligten sich viele Menschen am Globalen Klimastreik am 19. März und forderten: Stoppt diese Klimakiller-Deals!

Appell an die Grünen: Wort halten – CETA stoppen!

Mitte März veröffentlichten die Grünen ihren Entwurf für das Bundestagswahlprogramm. Darin heißt es: „Am Ceta-Abkommen haben wir erhebliche Kritik. Wir wollen daher das Ceta-Abkommen in seiner derzeitigen Fassung nicht ratifizieren, sondern es bei der Anwendung der derzeit geltenden Teile belassen.“
Mit dieser Formulierung verabschiedet sich die Partei von ihrem klaren Nein gegen das EU-Kanada- Abkommen – dabei hatten die Grünen die breiten Proteste 2015 und 2016 stark unterstützt, ein Großteil der Basis lehnt CETA bis heute ab.

Sollte die Formulierung im endgültigen Wahlprogramm übernommen werden, unterstützen die Grünen somit ein Abkommen, das die parlamentarische Kontrolle umgeht und Konzerninteressen freie Bahn lässt. Denn schon jetzt tagen sogenannte CETA-Ausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die weitreichende Entscheidungen über Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherstandards treffen können. Erst kürzlich kritisierte ein Rechtsgutachten im Auftrag von Foodwatch die demokratischen Defizite dieser Ausschüsse.

Als Reaktion auf das Grünen-Wahlprogramm starteten Foodwatch und Mehr Demokratie Anfang April eine Protestaktion: In einer Petition an die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck fordern sie: „Sorgen Sie dafür, dass das finale Wahlprogramm ein klares und unmissverständliches NEIN zu CETA enthält.“ Die Petition kann hier unterzeichnet werden: www.ceta-stoppen.foodwatch.de

Auch in Baden-Württemberg regt sich weiterer Protest gegen die Linie der Grünen in Sachen CETA: Am gestrigen Montag veröffentlichten 18 Organisationen einen Appell zu den laufenden grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen. Darin fordern sie, eine Ablehnung von CETA im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Die Stuttgarter Zeitung berichtete.

Bundesverfassungsgericht weist Organklage gegen CETA zurück

Anfang März wies das Bundesverfassungsgericht eine Organklage der Linksfraktion im Bundestag zurück. Diese hatte bemängelt, dass der Bundestag unzureichend beteiligt war, als 2016 die vorläufige Anwendung des EU-Kanada-Abkommens CETA beschlossen wurde. Das Gericht teilte diese Auffassung nicht.

In einer Pressemitteilung zum Urteil wies das Netzwerk Gerechter Welthandel darauf hin, dass die wichtigsten gerichtlichen Entscheidungen zu CETA noch ausstehen: Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird das Bundesverfassungsgericht über mehrere Verfassungsbeschwerden verhandeln und entscheiden müssen, ob die in CETA geschaffenen Ausschüsse sowie die Konzernklagerechte mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind.

Doch auch unabhängig von der rechtlichen Bewertung ist CETA aus politischen Gründen abzulehnen. „Es ist für keine Partei mehr rechtfertigbar, dass sie demokratische Entscheidungen freiwillig unter den Vorbehalt von Schiedsgerichtsklagen stellt und damit Millionen an Steuergeld riskiert“, sagte Sarah Händel, Bundesvorständin von Mehr Demokratie.

Transatlantischer Protest gegen EU-Mercosur

Mitte März gründete sich ein neues transatlantisches Bündnis, um gemeinsam den Stopp des EU-Mercosur-Abkommens zu fordern und die Proteste zu bündeln. Weit über 400 Organisationen aus den Mercosur-Staaten und der EU, darunter knapp 50 Organisationen aus Deutschland, unterzeichneten die gemeinsame Erklärung. Darin heißt es unter anderem: „Das EU-Mercosur-Abkommen gehört zu einer überholten Handelspolitik des 20. Jahrhunderts, das den Planeten zerstört. (...) Die Ziele und Kernelemente dieses Abkommens stehen in direktem Widerspruch zu Klimaschutz, Ernährungssouveränität und der Wahrung von Menschenrechten und Tierschutz.“

Alle weiteren Infos zum Bündnis gibt es unter www.stopeumercosur.org. Die Pressekonferenz zum Start des Bündnisses wurde auf Facebook übertragen und kann dort nachgehört werden (in englischer Sprache); auch die taz berichtete.

Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, fand zudem eine Protestaktion vor der Brasilianischen Botschaft in Berlin statt. 14 Nichtregierungsorganisationen machten auf die fatalen Auswirkungen aufmerksam, die das Abkommen auf das globale Klima sowie auf Umwelt und Menschenrechte hätte. Bauernvertreter*innen fuhren zudem mit einem Trecker und Sojaschrotsäcken vor, um die Folgen der Futtermittelimporte in den Anbauländern und in Europa für Menschen und Umwelt zu verdeutlichen.

EU-Mercosur: Alles nachhaltig??

Mit großer Verzögerung veröffentlichte die EU-Kommission Ende März die lang erwartete Nachhaltigkeitsfolgenabschätzung zum EU-Mercosur-Abkommen. Derartige Folgenabschätzungen sollen die möglichen Auswirkungen von Handelsabkommen auf Wirtschaft, Gesellschaft, Menschenrechte und Umwelt analysieren und die Ergebnisse in die Verhandlungen einfließen lassen – eigentlich, denn die Verhandlungen wurden bereits im Juni 2019 weitgehend abgeschlossen. Dass die finale Folgenabschätzung erst jetzt veröffentlicht wurde, zeugt demnach von der Intransparenz der Handelsverhandlungen und der unzureichenden Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Handelspolitik der EU.

Zu diesem Urteil kam auch eine Untersuchung der Europäischen Ombudsfrau: Sie bemängelte Mitte März, dass die Folgenabschätzung vor der politischen Einigung auf das Abkommen hätte fertiggestellt hätten werden müssen. Dass dies nicht passiert sei, zeuge von „schlechter Verwaltungspraxis“ der EU-Kommission.

Wirtschaftswissenschaftler*innen kritisieren zudem die methodischen Grundlagen der Folgenabschätzung: „Die Wirtschaftsmodelle, die zur Berechnung dieser angeblichen Gewinne verwendet werden, [sind] für die Bewertung der sozialen und ökologischen Auswirkungen dieses Abkommens nicht geeignet“, heißt es in einem Offenen Brief, der von knapp 200 Wirtschaftswissenschaftler*innen unterzeichnet und vom zivilgesellschaftlichen transatlantischen Seattle2Brussels Network veröffentlicht wurde.

Der Energiecharta-Vertrag ist ein Klimakiller. Stoppen wir ihn!

Die Kampagne für einen Ausstieg aus dem Energiecharta-Vertrag ist erfolgreich gestartet und hat in den ersten drei Wochen bereits über eine Millionen Unterschriften gesammelt. In Deutschland beteiligen sich eine Reihe von Organisationen an der Aktion: Attac Deutschland, Campact, Forum Umwelt und Entwicklung, PowerShift, Umweltinstitut München, Urgewald und der Zukunftsrat Hamburg. Auch das Netzwerk Gerechter Welthandel unterstützt die Kampagne, die Petition kann hier unterzeichnet werden: www.gerechter-welthandel.org/ect-stoppen.
Ein kurzes Kampagnen-Video findet sich auf youtube: www.youtube.com/watch?v=U3JSjBLxVGs

Einigung zwischen Vattenfall und der Bundesregierung

Bei der Klage Vattenfalls gegen den Atomausstieg, die auch auf dem Energiecharta-Vertrag basiert, gab es inzwischen eine Einigung zwischen der Bundesregierung und AKW-Betreibern: Gegen eine Zahlung von 1,4 Milliarden Euro an Steuergeldern zieht Vattenfall die Klage zurück. Dass Vattenfall zuletzt bis zu 7 Milliarden Euro vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington gefordert hatte, dürfte bei der Höhe der Entschädigung eine Rolle gespielt haben.

Das Forum Umwelt und Entwicklung, PowerShift und das Umweltinstitut München reagierten mit einer Pressemitteilung: www.power-shift.de/milliardenzahlungen-an-akw-betreiber-zivilgesellschaft-fordert-kuendigung-des-energiecharta-vertrags/

Literatur-Empfehlungen:

Mythen rund um den Energiecharta-Vertrag entkräften: Ein Leitfaden für Medien, Politik und Zivilgesellschaft

Ein neuer Leitfaden zeigt, was hinter der PR für den Energiecharta-Vertrag steckt und widerlegt die Argumente der Befürworter.

Herausgegeben von Attac, BUND, Campact, Corporate Europe Observatory, Forum Umwelt und Entwicklung, PowerShift, Transnational Institute, Deutsche Umwelthilfe, Umweltinstitut, Urgewald und 22 weiteren Organisationen.

www.power-shift.de/mythen-rund-um-den-energiecharta-vertrag-entkraeften

Rechtsgutachten zu Demokratie-Defiziten des CETA-Abkommens

Das geplante EU-Kanada-Freihandelsabkommen CETA weist schwere demokratische Defizite auf und könnte negative Folgen für den Gesundheits- und Verbraucherschutz in Europa haben. Das geht aus einem Rechtsgutachten des Völkerrechtlers Prof. Dr. Wolfgang Weiß (Universität Speyer) hervor, das die Verbraucherorganisation foodwatch am 12. März veröffentlicht hat. Insbesondere die durch das Abkommen eingerichteten Ausschüsse seien „unter demokratischen Gesichtspunkten defizitär“.

www.foodwatch.org/de/pressemitteilungen/2021/rechtsgutachten-kritisiert-demokratie-defizite-des-ceta-handelsabkommens

Kommentar dazu in der taz von foodwatch-Gründer Thilo Bode: www.taz.de/Ceta-Abkommen-mit-Kanada/!5754789

Podcast: Klagen gegen den Klimaschutz und wie wir sie beenden können

RWE verklagt die Niederlande auf 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz wegen des Kohleausstiegs. Möglich werden solche Klagen durch den Energiecharta-Vertrag, dem wohl schärfsten Werkzeug der fossilen Lobby gegen effektive Klimapolitik. Über die Hintergründe und die jüngsten Entwicklungen rund um den Vertrag sowie um die zivilgesellschaftliche Kampagne für einen Ausstieg geht es in der 19. Folge des PowerShift Podcast „Kompass Weltwirtschaft“.

www.power-shift.de/podcast-nr-19-klagen-gegen-den-klimaschutz-und-wie-wir-sie-beenden-koennen/