Wilhelm Neurohr

Corona-Krise:

Die Story über Verlierer und Profiteure in Corona-Zeiten

Nahezu im gesamten Oktober und November haben die Corona-Pandemie und jüngst die US-Wahlen die mediale Berichterstattung und politischen Talk-Shows fast ausschließlich dominiert. Andere wichtige Themen führten derweil in der Nachrichtenwelt ein Schattendasein oder gingen fast völlig unter. Das ist als Totalversagen der Leitmedien zu werten, denn sie tragen mit der monatelangen Fixierung auf ein einziges Dauerthema zu einer folgenschweren politischen Bewusstseinstrübung über die gesamte übrige Lebenswirklichkeit mit ihren teils bedrohlichen Tendenzen bei. Indem die wichtigsten Nachrichten untergehen, wird unser politisches Bewusstsein vernebelt und der Handlungswille gelähmt. Gibt es nach Corona ein böses Erwachen aufgrund der entgangenen Entwicklungen, die im Schatten von Corona und Trumpismus der öffentlichen Aufmerksamkeit entzogen wurden? Oder wird (hoffentlich) nach Corona alles anders, statt in der gewohnten alten Spur weiterzumachen? Hier die aufrüttelnde Story über Armuts-Ängste und Reichtums-Konzentration in Corona-Zeiten.

Armutsängste größer als Corona-Angst

Es hat sich trotz oder wegen der Corona-Pandemie in Deutschland die Angst vor Armut und sozialer Ungleichheit zur dominierenden Sorge der Deutschen entwickelt, noch vor den Corona-Ängsten. (Dies ergab eine schon im Sommer durchgeführten Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsus). Aber auch in 27 Ländern weltweit sorgen sich 40% vor Arbeitslosigkeit und 32% vor Armut und sozialer Ungleichheit. In der Eurozone schrumpfen zudem die Wirtschaftsleistungen nach Prognosen von November 2020 um 7,8% und werden auch bis zum übernächsten Jahr nicht mehr das bisherige Niveau erreichen.

Immer mehr Menschen werden in Deutschland in Hartz-IV abrutschen. Das hält die Bundesregierung nicht davon ab, das vor einem Jahr gefällte Verfassungsgerichts-Urteil einfach zu ignorieren, wonach die Jobcenter die Praxis der Leistungskürzungen bis zu 30% bei geringfügigen Verstößen zu beenden haben. Die geringfügige Steigerung der Hartz-IV-Regelsätze zum 1. Januar 2020 um 14 € für Alleinstehende und 12 € für den Partner in der Bedarfsgemeinschaft sind skandalös, wie die Sozialverbände, Gewerkschaften und Opposition wegen falsch berechneter Sätze zu recht massiv kritisieren. Die Betroffenen beklagen, dass sie von der Gesellschaft total ausgeschlossen werden, sich „vor dem Amt ausziehen“ sollen und als Arme um jeden Cent betteln müssen.

Armutsgefährdung auf Rekordhöhe

Während des Lockdowns kam ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal zwei, drei Monate mit seinem regulären Einkommen aus, wie Armutsforscher Prof, Butterwegge konstatiert. Jeder fünfte abhängig Beschäftigte arbeitet für Niedriglohn, wie das Statistische Bundesamt feststellte: 8 Mio. Jobs wurden im letzten Jahr unterhalb der Schwelle von nur 11,05 € brutto pro Stunde entlohnt. Im reichen Deutschland sind deshalb 13,3 Mio. Menschen seit dem Lockdown (mit der anschließenden Rezession) von Armut betroffen oder bedroht.

Im Corona-Jahr ist auch die Altersarmut dramatisch gestiegen, so dass die Zahl der überschuldeten Senioren-Haushalte von über 70-jährigen innerhalb der letzten 12 Monate um 23% stieg; bei den 60- bis 69jährigen stiegen die Überschuldungsfälle um 13% auf 725.000 Fälle. Im kommenden Jahr droht ihnen auch noch der deutliche Anstieg der Strompreise. Die Anzahl der Senioren, die bei Tafeln Lebensmittel abholten, ist ebenfalls innerhalb eines Jahres alarmierend gestiegen. Bereits in 15 Jahren könnte jeder 5. Rentner (vor allem Rentnerinnen) von Altersarmut bedroht sein.

Mit 16% erreicht derzeit die offizielle Armutsgefährdungsquote aller Altersgruppen insgesamt einen Rekordstand im vereinten Deutschland. Umso täuschender und verzerrter erscheint eine Meldung vom 17. Oktober 2020 mit der Schlagzeile: „Die Deutschen sind so reich wie nie“. Die Sparquote würde in diesem Jahr wegen Corona einen Rekordwert erreichen. Das Argument: „Die Menschen haben in der Corona-Krise im zweiten Quartal mehr auf die hohe Kante gelegt und von der Erholung an den Aktienmärkten profitiert“.

Wieder einmal hat man die kleinen oder leeren Sparkonten der vielen Habenichtse und Überschuldeten mit den dicken Konten und Aktiendepots der Wohlhabenden statistisch in einen Topf geworfen und so das Geldvermögen der privaten Haushalte in Form von Bargeld, Wertpapieren, Bankeinlagen sowie Versicherungsansprüchen auf den Rekordwert von rund 6.330 Mrd. € hochgerechnet, mit einer Steigerung von 4% gegenüber dem ersten Vierteljahr. In Wirklichkeit trifft die Corona-Krise die sozial Benachteiligten um ein Vielfaches härter, während die Reichen davon reichlich profitierten.

Die reichen Profiteure der Corona-Krise

Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besaßen schon vor dem Corona-Ausbruch 45 hyperreiche Familien mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung, die immerhin über 40 Millionen Menschen umfasst. Die obersten 10% der Bevölkerung besitzen 67% des gesamten Nettovermögens, und bei den 0,1 % Supererreichen konzentrieren sich 35 % des Nettogesamtvermögens.

Diese Reichtums-Konzentration und -vermehrung geht auch in Corona-Zeiten ungebremst weiter, während am unteren Ende bestenfalls Kurzarbeit den Abstieg etwas bremst. Das Privatvermögen des reichsten Deutschen, Dieter Schwarz als Eigentümer von Lidl und Kaufland, stieg von 41,5 Mrd. € binnen eines Jahres um weitere 300 Mio. € auf 41.8 Mrd. € an, nicht zuletzt auch durch die Mehrwertsteuersenkung als Corona-Überbrückungshilfe, die größtenteils nicht an die Kunden weiter gegeben wurde.

Und auch angeschlagene Autokonzerne wie VW/Porsche konnten der Familie Wolfgang Porsche nichts anhaben, die mit 20 Mrd. € Privatvermögen auf dem dritten Platz der reichsten Deutschen rangiert. Auf 1,1 Billionen € summieren sich Hab und Gut der 1000 reichsten Deutschen insgesamt (darunter 251 Milliardäre), das sind im Corona-Jahr 0,76% mehr als im Vorjahr.

Die völlig abgehobenen Spitzenverdiener

Und sie langen ungeniert weiter zu: Der Aufsichtsratschef der kriminellen deutschen Bank, die mehrfach fast am Abgrund stand, Paul Achleitner, ist der bestbezahlte Spitzenverdiener als Aufseher eines Dax-Konzerns und erhöhte sich im letzten Jahr noch sein Jahresgehalt um 5% auf nunmehr 900.000 €. Die einzelnen Spitzenmanager in Dax-Unternehmen verdienen im Durchschnitt fast so viel wie 50 fleißige Arbeitnehmer zusammen, wie eine Studie unter Mitwirkung der Universität München ermittelt hat.

Dax-Vorstände wie Siemens-Chef Kaeser oder VW-Boss Diess bekommen im Schnitt sogar 71-mal so viel Gehalt wie ihre Mitarbeiter - und die Gehaltsabstände nehmen seit Jahren zu. In diesem Konzern sind sie besonders krass: Post-Chef Frank Appel führte mit dem 232-fachen Einkommen die Rangliste der Konzernchefs an – eine obszöne Schieflage in der Leistungsbewertung und eine Verhöhnung leistungsorientierter Arbeitnehmer.

Steuerhinterziehung höher als der EU-Haushalt

Reiche Personen und große Unternehmen wissen auf geschickte Art und Weise die Steuerschlupflöcher zu nutzen, obwohl gerade jetzt in Corona-Zeiten jeder Euro für die Folgekosten dringend gebraucht wird. Allein die legale Steuervermeidung durch internationale Konzerne liegt bei 50 bis 190 Mrd. € pro Jahr (laut Steuerexperte Richard Murphy). Weitere 130 Mrd. € gehen geschätzt jedes Jahr in Europa am Fiskus vorbei durch Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Umsatzsteuerbetrug. Einer Studie der University of London zufolge sind es insgesamt sogar 825 Mio. € pro Jahr an gigantischem Verlust, der durch Steuerhinterziehung in Europa verursacht wird. Das ist das Fünffache des EU-Haushaltes oder 1.650 € pro EU-Bürger.

Die ökonomischen Auswirkungen sind enorm und die Gelder hätten den Not leidenden Sozialsystemen oder den Kommunen zugutekommen können; außerdem werden sie dringend für notwendige Zukunftsinvestitionen gebraucht. Deshalb will die EU-Kommission endlich die Steuerschlupflöcher bei Geschäften auf Amazon und anderen Digitalplattformen stopfen sowie bei dem enormen Verlust von Mehrwertsteuern.

Doch gerade erst hat ein EU-Gericht dem Unternehmen Apple Recht gegeben im Streit um eine riesige Steuernachzahlung von 13 Mrd. €. Großkonzerne zahlen in der EU fast nirgendwo den vollen Steuersatz. Und die Steuerreform der EU kommt deshalb nicht voran, weil einige Länder weiterhin mit Steueroasen oder als Niedrigsteuerländer (wie Irland, Niederlande, Malta oder Luxemburg) strengere Regeln mit ihrem Veto verhindern.

Der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik

Durch Cum-Ex-Geschäfte verlor der deutsche Staat mindestens 31,8 Mrd. €. Stattdessen kassierten Banken, Börsenmakler und Anwälte über Jahre das Geld, das dem Fiskus zugestanden hätte. Es ist der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Staatsanwälte, Steuerfahnder, Beamte des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen und des Bundeskriminalamts sowie EDV-Experten haben bei einer Razzia im August 2020 erneut Büros von Geldhäusern in Hamburg, Frankfurt und München durchsucht.

Der Kreis der Beteiligten und Verdächtigen im Cum-Ex-Skandal ist groß: Anfang Juni waren allein in Nordrhein-Westfalen in 68 Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln rund 880 Beschuldigte erfasst. Nur in Italien werden mehr Steuern hinterzogen als in Deutschland. Doch der Ehrgeiz der lobbyhörigen Politik, das wirksam und zeitnah zu verändern, erscheint nicht besonders groß und das Ergebnis bislang kaum erfolgreich. Zum Jahresende 2020 droht nach 10 Jahren die Verjährungsfrist. Die Corona-Krise lässt dieses Thema in den Hintergrund treten und die Politik ist gerade mit dem Krisenmanagement scheinbar voll ausgelastet.

Explodierende Unternehmensgewinne trotz Corona-Krise

Unbeeindruckt von der Corona-Krise zeigen sich hingegen Energieriesen wie der RWE-Konzern, der im ersten Halbjahr des Corona-Jahres trotz Kohleausstieg mit weniger Stromerzeugung mehr verdiente als zuvor: Er steigerte seinen Gewinn um 18% auf 1,8 Mrd. € und hob die Aktien-Dividende auf 0,85 € je Aktie an. Nun bekommt der Konzern auch noch für den Kohleausstieg 2,6 Mrd. € vom Steuerzahler für entgangene Gewinnerwartungen hinterhergeworfen. Der Siemens-Konzern kann in Corona-Zeiten ebenfalls einen Jahesgewinn von 4,2 Mrd. € verkünden.

Auch der ausbeuterische Fleischkonzern Tönnies, der während der Corona-Krise in die negativen Schlagzeilen geriet und Betriebe vorübergehend schließen musste, ist nun weiter auf dem Expansionskurs durch Übernahme eines insolventen Wurstproduzenten sowie durch den Bau eines Schlachthofes in China für bis zu 6 Mio. Schweine jährlich. Insgesamt tätigt Tönnies Gesamtinvestitionen im Volumen von 500 Mio. € und setzt seine Billigfleisch-Produktion ungeniert fort.

Während die Verlierer des Corona-Lockdowns oft nicht wissen, wie sie noch ihre Miete bezahlen sollen oder ob ihnen Obdachlosigkeit droht, nahm der Wohnungskonzern Vonovia in den ersten neun Monaten des Corona-Jahres gut 1,7 Mrd. € an Mieten ein, fast 12 % mehr als im Vorjahreszeitraum, auch dank der Übernahme des schwedischen Immobilienunternehmens Hembla. Nun besitzt Venovia rund 356.000 Wohnungen in Deutschland und weitere 60.000 in Österreich und Schweden. Bis zum Jahresende will der Konzern damit einen operativen Gewinn von 1,3 Mrd. € erreichen und somit um 11% zulegen. Davon sollen auch die Aktionäre profitieren, die für 2020 eine Dividende von 1,69 € je Akte bekommen, das wären 12 Cent mehr als im Vorjahr.

Autokonzerne überstehen Corona-Schock

Sogar die angeschlagenen Auto-Konzerne können sich laut statistischem Bundesamt zumindest freuen, dass immer mehr Autos unterwegs sind. Während in den zurückliegenden zehn Jahren die Zahl der PKW pro 1000 Einwohner bei 509 lag, steig die PKW-Dichte pro 1000 EW um 12% auf zuletzt 569 Autos im Corona-Jahr 2020. Allein Toyota hat mit seinen Partnern im Vorjahr mehr als 16 Mio. Fahrzeuge verkauft und VW rund 11 Mio. Autos. Porsche schaffte auch während der Corona-Krise eine hohe Profitabilität mit 9.853 € Gewinn pro Auto. Und VW erzielte zumindest mit seiner Marke Skoda 748 € Gewinn pro verkauftem Fahrzeug.

Hatten Daimler, BMW und VW im zweiten Quartal 2020 durch die Corona-Krise noch Einbußen von mehr als 20% hinnehmen müssen, haben sie nicht zuletzt durch das China-Geschäft ein Plus zwischen 6,4% und 17,8% bei den Auslieferungen zu verzeichnen. Gleichwohl ist der deutsche Auto-Vorzeigekonzern Mercedes im Vorjahr mit 1,9 Mrd. Minus in die roten Zahlen gerutscht und verbucht ebenso wie BMW einen Absatzrückgang von 23%. Am Jahresende erwartet Daimler jedoch nach dem Corona-Schock wieder einen Gewinn und schwarze Zahlen.

Vor allem geht es zugunsten aller Hersteller mit den SUV-Neuzulassungen aufwärts, die im Corona-Jahr 2020 nur knapp die 100.000er-Marke verpassten, denn SUV-Premium ist gefragt, als gäbe es keine „Verkehrswende“ und keinen Klimawandel. Das überörtliche Verkehrsnetz wuchs zugunsten der Autos in Zeiten der angestrebten „Mobilitätswende“ immerhin um 1.200 km. Deutschland bleibt Autoland. Laut Bundesverkehrswegeplan 2010 sollen jährlich 2,3 Mrd. € pro Jahr in den Aus- und Neubau der Straßen investiert werden, das sind 53,6% aller Investitionen in die verschiedenen Verkehrsarten nur für den Straßenbau- und damit kein Signal für eine ökologische und nachhaltige „Verkehrswende“. Corona hat dieses Thema von der Tagesordnung verdrängt wie auch andere wichtige Zukunftsthemen.

Rüstungskonzerne haben Hochkonjunktur

Allen voran ist den Waffenschmieden wie Heckler & Koch dank der brummenden Rüstungsgeschäfte in den USA und in Europa ein deutlicher Gewinnsprung von 1000% im Corona-Krisenjahr 2020 gelungen: Der Gewinn nach Steuern stieg von 1,3 Mio. € im Vorjahr auf 13 Mio. Euro. Der Umsatz kletterte um 12% auf 207,5 Mio. €.

Die Rüstungskonzerne können allesamt frohlocken, denn die Militärausgaben der europäischen Bündnispartner (einschl. Kanada) wachsen um geschätzte 4,3%. Die für die Nato relevanten Ausgaben Deutschlands steigen nach den aktuellen Zahlen von 46,9 Mrd. € auf einen Rekordwert von 51,5 Mrd. €. Die Top 100 der Rüstungskonzerne machten 2018 mit Waffen und militärischen Dienstleistungen mehr als 400 Milliarden Dollar Umsatz.

Mit ihrem aktuellen Halbjahresbericht über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter hat die Bundesregierung im Oktober 2020 erneut belegt, dass sie ihre eigenen Grundsätze aus den Rüstungsexportrichtlinien nach wie vor nicht ernst nimmt, da sie wieder mehr Rüstungsgüter an Drittstaaten (1,74 Milliarden Euro) als an Bündnispartner (1,04 Milliarden Euro) genehmigt hat.

Rüstungsexporte in Krisenregionen gegen den Willen der Bevölkerung

Die Bundesregierung scheut auch nicht vor milliardenschweren Rüstungsexporten in Krisenregionen zurück, so z. B. in die Türkei. Seit 2002 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte für Kriegsschiffe etc. im Wert von 522 Mio. € genehmigt, davon ca. 129 Mio. € für U-Boote, wie eine aktuelle Anfrage im Bundestag im November 2020 zutage gefördert hat.

Dabei lehnt die große Mehrheit der Deutschen Rüstungsexporte ab: 83 Prozent sprachen sich 2016 in einer Emnid-Umfrage dagegen aus. Dennoch hat die Bunderegierung im selben Jahr die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von 6,88 Milliarden Euro genehmigt, der zweithöchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Denn die Rüstungsindustrie hat „erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ schreibt die Anti-Lobby-Organisation Transparency International in ihrem neuesten Bericht über die Rüstungsbeschaffung in Deutschland.

Einem ARD-Bericht von 2018 zufolge hat die große Koalition so viele Waffen in Krisengebiete verkauft wie noch nie. In den vorausgegangenen vier Jahren hat die Koalitionsregierung Waffenkäufe in sogenannte Drittstaaten erhöht, die nicht Verbündete in EU und Nato sind. Mit 3,8 Milliarden Euro lag die Genehmigungssumme im Jahr 2017 noch einmal leicht über dem Wert des Vorjahres mit 3,7 Milliarden. Bei einer Gesamtsumme von Einzelgenehmigungen im Wert von 6,24 Milliarden Euro im Jahr 2017 seien es mehr als 60 Prozent aller Rüstungsexporte, die auch in Krisengebiete gingen. Das sei der höchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik, heißt es in dem ARD-Bericht.

Aktuell ist auch eine notwendige Diskussion darüber, ob Deutschland nicht die atomaren Teilhabe in der Nato auf den Prüfstand stellen und endlich den Atomwaffenverbotsvertrag der Uno mit unterzeichnen soll, vorerst in der Regierungskoalition blockiert worden.

Wohnungsmangel und Mietwucher als neue soziale Frage

Während genügen Geld für Rüstung, Steuerverzicht und Unternehmenssubventionen und weiteren Autobahnbau bereitsteht, fehlt das Geld für notwendigen öffentlichen Wohnungsbau im massivem Umfang, um bezahlbare Wohnungen bereitzustellen. Zwar wurden in NRW in den vergangenen drei Jahren rund 46.000 Wohnungen jährlich gebaut, doch bis 2025 müssten es jährlich mindestens 51.000 notwendige Neubauten pro Jahr sein, wie das Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung ermittelt hat. Bis zum Jahr 2040 werden in NRW über eine Million neue Wohnungen gebraucht, darunter fast 439.000 altersgerechte Wohnungen einschließlich 234.000 Wohnungen für Seniorenhaushalte mit eingeschränkter Mobilität.

Auf dem privaten Wohnungsmarkt steigen die Mietpreise rapide und die explodierenden Grundstückspreise für den Eigenheimbau junger Familien sind unbezahlbar. Selbst die Corona-Krise hat den Immobilienboom in Deutschland nicht zum Erliegen gebracht. Trotz der immensen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind die Mieten sowie die Preise für Wohnungen und Häuser auch im ersten Halbjahr weiter gestiegen. „Eine Atempause für Mieter und Wohnungskäufer ist nicht zu sehen“, so stellt das Hamburger GEWOS-Institut in seiner Analyse fest.

Grundstücks- und Wohnungsmarkt erfordert staatliche Regulierungen

Um Mieter vor Verdrängung aus angestammten Wohnungen und Wohngegenden zu schützen, will die Bundesregierung im angespannten Wohnungsmarkt zwar die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen erschweren. Doch das Koalitionsgerangel um das so genannte Baulandmobilisierungsgesetz hat sich lange hingezogen und war wegen des massiven Lobby-Einflusses politisch gefährdet.

Der Erwerb eines Baugrundstückes für ein eigenes Wohnhaus für junge bauwillige Familien ist so teuer wie nie: Noch vor zehn Jahren war ein Quadratmeter im Bundesdurchschnitt für rund 122 € zu haben. In 2019 musste man schon im Durchschnitt 190 € dafür hinlegen. Bis Ende 2020 ist mit weiteren 10% Steigerung zu rechnen, zumindest wenn man am Nordrand des Ruhrgebietes etwa in Haltern am See wohnt: Hier kostet ein Wohnbaugrundstück in mittlerer bis guter Lage längst über 300 € und damit fast doppelt so viel wie im Bundesdurchschnitt.

Eine Preisbremse oder überfällige Bodenrechtsreform ist politisch nicht vorgesehen, weil man irrtümlich immer noch daran glaubt, der Markt mit dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage würde auch auf dem Immobilienmarkt funktionieren. Hier funktionieren aber nur die ungebremste Spekulation und der Preiswucher mit pandemischer Ausbreitung, bis irgendwann die Immobilienblase platzt. Deshalb sind staatliche Regulierungen vorausschauend angebracht. Eine nächste Finanzkrise steht ohnehin vor der Tür, so prophezeien Finanzmarktexperten hinter vorgehaltener Hand. Doch schon sichtbar und deutlich spürbar ist zumindest die bevorstehende Klima- und Umweltkatastrophe, die uns ein komplettes Umdenken und Umsteuern abverlangt und jede scheinbar sichere Wohnstätte in Frage stellt.

Die größten Verlierer sind das Klima sowie Natur und Umwelt

Das reichste 1% der Weltbevölkerung schädigt das Klima doppelt so stark wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Für über die Hälfte der Emissionen sind die reichsten 10% der Weltbevölkerung verantwortlich, da sie für fast die Hälfte des Energieverbrauchs im Verkehr und für drei Viertel des Flugverkehrs verantwortlich sind, so war im September 2020 einem aktuellen Oxfam-Bericht zu entnehmen.

Kurzum: Die Reichen schädigen das Klima, denn das reichste Prozent (=63 Millionen), die in Wohlstand leben, haben von 1990 bis 2015 allein 15% der Emissionen verursacht, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, die in Armut und Unsicherheit lebt, nur für 7% bislang verantwortlich gewesen ist. Die Menschheit kann die drohende Klimakatastrophe nur noch abwenden, wenn die Wohlhabenden ihren Lebensstil, insbesondere das Konsumverhalten, drastisch ändern. Die reichen 10% müssen ihr ihre Pro-Kopf-Emissionen bis 2030 auf ein Zehntel des aktuellen Wertes verringern.

Die größte Bedrohung für die Umwelt und Gesundheit ist die Luftverschmutzung, an deren Folgen jährlich 400.000 Menschen in Europa und Millionen weltweit vorzeitig sterben, weitaus mehr als an den Folgen der Corona-Infektion. Ein erster Schritt zur Veränderung wären Steuern für klimaschädliche SUVs und häufiges Fliegen. Die Einnahmen müssten in klimaeffiziente Mobilität, öffentliche Infrastruktur und soziale Absicherung fließen.

Doch solche ernsthaften Diskussionen sind in Corona-Zeiten nicht auf der Tagesordnung. Stattdessen müssen Bürgerinitiativen wegen des umstrittenen Exportes von Brennelementen nach Deutschland aus alten maroden und störanfälligen belgischen Atomkraftwerken klagen, um die politisch erteilten Exportgenehmigungen verbieten zu lassen. Oder das Beispiel der sechs Kinder und Jugendliche aus Portugal, die Deutschland und 32 weitere Länder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt haben, nachdem verheerende Waldbrände mit vielen Toten ihr Heimatland infolge des Klimakatastrophe zerstört und damit die Zukunft der jungen Generation gefährdet haben.

Alle UN-Ziele zum Schutz der Biodiversität verfehlt

Gleichgültig wurde auch der neue ernüchternde Bericht vom September 2020 hingenommen, dass alle UN-Ziele zum Schutz der Biodiversität verfehlt wurden und es deshalb um den globalen Naturschutz schlecht bestellt ist. Der Verlust der Biodiversität schreitet in beispielloser Geschwindigkeit voran. Deshalb können auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung nicht erreicht werden, wenn nicht schnellstens umgesteuert wird. Das hätte sonst fatale Auswirkungen für Natur und Mensch. Für den Artenschutz ist zwar ein Folgeabkommen nach 2020 in Arbeit, aber Corona hat zu Verzögerungen geführt.

Auch die Waldschäden sind größer als gedacht, wie aus neuen Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums von August 2020 hervorgeht: Dürre, Stürme und Schädlinge haben den Wäldern in Deutschland noch heftiger zugesetzt als bisher bekannt. Rund 285 000 Hektar müssen aufgeforstet werden, das ist mehr als die Fläche des Saarlandes. Besonders betroffen von den Waldschäden sind demnach NRW, Thüringen, Niedersachsen und Hessen. Der Anblick mancher Waldgebiete im Sauerland oder im Harz ist betrüblich.

Artensterben, Insektensterben und Dürre sowie Wassermangel sind dramatisch

Neue Studien belegen auch das dramatische Artensterben und Insektensterben mit alarmierenden Zahlen: In Deutschland gibt es im Sommerhalbjahr vor allem infolge der intensiven Landwirtschaft 82% weniger Fluginsekten als noch vor 27 Jahren, so dass eine Agrarwende längst überfällig ist. Auch der ungebremste Flächenverbrauch in Deutschland zerstört täglich Lebensräume. Eine Studie der Umweltorganisation WWF zeigt zudem die dramatischen Auswirkungen des Menschen auf die Tierwelt. Seit 1970 ist die weltweite Population von Tieren demnach bereits um mehr als zwei Drittel geschrumpft.

Die USA steuern einer Studie zufolge durch den Klimawandel mit der Erderwärmung zu Jahrzehnten andauernder Mega-Dürren. Die aktuellen Waldbrände im Westen des Landes deuten bereits auf Schlimmeres hin, denn Hitzewellen und Trockenheit treten gleichzeitig auf. Aber auch Deutschland muss aus den Hitzewellen und der Trockenheit seine Lehren ziehen, denn drohender Wassermangel kann zu Verteilungskämpfen führen. Und es drohen noch weitere Naturkatastrophen. Indem die Lebensräume der Tierwelt dezimiert werden, steigt auch die Gefahr weiter Pandemien durch auf den Menschen übergehende Viren, von denen Corona nur der erste Vorbote ist.

Kirchen prangern Raubbau an der Natur an und appellieren an Humanismus

„Wir müssen unseren Lebensstil und unsere Entscheidungen, die oft rücksichtslos und schädlich sind, überdenken“, so sagen inzwischen selbst katholische Bischöfe. Denn die Folgen seien die Zerstörung des Ökosystems, dessen Auswirkungen hauptsächlich die Ärmsten und die Verletzlichsten träfen. „Eine Wirtschaft, die nur auf Wachstum und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, können Christen nicht mehr guten Gewissens hinnehmen“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft christlichen Kirchen in Deutschland im Oktober 2020. Wir sollten den wahren Wert der Dinge ins Gedächtnis rufen. Die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft und jeder Einzelne sei zum konsequenten und verantwortungsvollen Handeln aufgerufen. (Die vordringlichen Handlungsfelder sind in dieser Story aufgezeigt).

Da die Welt aus den Fugen geraten zu sein scheint, fordert Papst Franziskus im September 2020 in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ zu einem neuen Humanismus auf. Die Corona-Pandemie habe „Unfähigkeit hinsichtlich eines gemeinsamen Handelns zum Vorschein gebracht“ und die bereits vorhandenen Konflikte in der Welt verschärft. „Aggressiver Nationalismus, weitverbreiteter Egoismus und der Verlust des Sozialempfindens haben Ungerechtigkeiten und Armut hervorgerufen“. Ein weitverbreitetes Wirtschaftsmodell, das allein auf den Profit ausgerichtet sei, „scheue nicht davor zurück, den Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten“. Nicht alles könne durch den Markt geregelt werden und statt Krieg sei friedensstiftender Dialog gefordert.

Corona-Erkenntnis: Gesundheitswesen und Altenpflege gehören in öffentliche Hand

Fazit: Wollen wir am Ende nicht alle Verlierer sein in diesen Corona-Zeiten, müssen wir auch mit der Natur und mit uns selber unseren Frieden schließen, statt Mensch und Natur weiter auszubeuten. Dann werden wir alle zu Profiteuren der weltweiten Corona-Krise, die uns die wechselseitige Abhängigkeit der gesamten verletzlichen Menschheit mit ihren selber verursachten Fluchtbewegungen sichtbar gemacht hat. Vielleicht sollten wir auch dank Corona erkennen, dass das Gesundheitswesen und die Altenpflege mit ihren zwischenmenschlichen Beziehungsdienstleistungen in die öffentliche Hand gehören statt in den profitorientierten Markt privater Träger.

Nicht zuletzt hat Corona auch weitreichende psychische Folgen insbesondere für 5 Mio. Menschen in Deutschland mit Depressionen, die den Lockdown als deutlich belastender empfunden haben, derweil Arzttermine und Klinikaufenthalte wegen Corona ausfallen, wie eine neue Studie der Stiftung Depressionshilfe aufgezeigt hat. Wir müssen aufpassen, dass nicht die Allgemeinbevölkerung insgesamt in eine kollektive Depression abrutscht.

Von der depressiven Corona-Lähmung zur aktiven Phase des Neugestaltens

Die Frage nach den Zukunftsperspektiven muss nun allmählich in den Vordergrund rücken, losgelöst von den Hoffnungen und der Euphorie, die allein durch die angekündigten Impfstoffe aktuell ausgelöst wurden. Müssen wir nicht endlich vom Krisenmodus in den Gestaltungsmodus übergehen, wie bereits in einer vorherigen Veröffentlichung durch den Verfasser aufgezeigt? Es ist an der Zeit, dass die monatelange Lähmung des gesamten öffentlichen und privaten Lebens in eine aktive Phase des nachhaltigen Neugestaltens mitsamt Verhaltensänderungen überführt wird.

Damit endet auch diese Story über die Verlierer und Profiteure in Corona-Zeiten, denn wir wollen ja eine Win-Win-Situation, von der alle profitieren. Darüber sollten die Diskurse auch in den Medien endlich beginnen. Wir stehen vor der größten Herausforderung aller Zeiten für die Erde und Menschheit – sind wir uns dessen wirklich bewusst – oder wollen wir einfach wieder zur Tagesordnung übergehen? Letzteres wäre allzu verführerisch, aber eine tödlichere Gefahr als Corona.

Den nächsten Krisen zuvorkommen, bevor die Probleme größer werden

Wir sollten dem Virus für seinen Weckruf dankbar sein, denn er gehört quasi zu den sieben laut tönenden Posaunen in der Apokalypse, die wir als Offenbarung verstehen und für die wir dankbar sein sollten. Denn ohne dem hätten wir so weitergemacht wie bisher – das wäre verhängnisvoll. Wie geht es nun weiter in punkto sozialer Gerechtigkeit und Konsumverhalten, in punkto Gesundheitswesen und Umweltschutz, mit Blick auf den Klimawandel usw.?

Wir sollten uns mit großen Problemen beschäftigen, solange sie noch klein sind. Denn die nächsten Krisen meistern wir am besten, wenn wir ihnen zuvorkommen. Und wenn wir nichts zur Lösung beitragen, sind wir Teil des Problems. Je schwieriger und bedeutender die Herausforderung ist, umso mehr Vorarbeit müssen wir jetzt leisten. Und je hoffnungsloser die Situation ist, desto optimistischer sollten wir Betroffene sein. Nur mit dieser Haltung können wir Zukunft gestalten in Corona-Zeiten.

Wilhelm Neurohr

11.November 2020