Wilhelm Neurohr

21. März 2015 in Köln: "Was haben TTIP und CETA mit den Kommunen zu tun?" (Info-Veranstaltung auf dem Rheinischen Aktionstag)

Termin/Ort: Samstag, 21. März 2015 von 19.30 Uhr (bis 22.00 Uhr) in Köln, Bürgerzentrum Alte Feuerwache, Melchiorstr. 3

Wilhelm Neurohr: "Was haben TTIP und CETA mit den Kommunen zu tun?" (Vortrag und Gesprächsrunde, mit Bündnisteilnehmern aus Köln, Bonn, Düsseldorf, Aachen, Krefeld, Leverkusen, Bergisch-Gladbach und Brühl)

Veranstalter: Mehr Demokratie e.V. NRW

(Nachschrift des frei gehaltenen Vortrages von ca. 45 Minuten in Köln):

Wilhelm Neurohr:

Was haben TTIP und CETA mit den Kommunen zu tun?

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

lassen Sie mich zunächst als Gast aus Westfalen ein dickes Kompliment an die hier versam­melten Rheinländerinnen und Rheinländer aussprechen für den heute gelungenen kon­zer­tier­ten und koordinierten Aktionstag! Was hier heute Mittag in acht großen rheinischen Städten auf zehn Marktplätzen und anderen Standorten bei trübem Nieselregen an Aktionen zeitgleich auf die Beine gestellt wurde, kann sich sehen lassen!

Es ist ja nicht selbstverständlich, dass die ansonsten konkurrierenden Kölner und Düsseldorfer oder Kölner und Bonner sich zusammentun… Ich habe mir sagen lassen, dass heute an den einzelnen Info-Ständen eine bis zu dreistellige Zahl an Unterschriften für unsere Europäische Bürgerinitiative gesammelt wurde, insgesamt um die 2.000 Unterschriften.

Bundesweit haben heute 80 bis 100 ähnliche Aktionen von über 30 lokalen und regionalen Bündnissen stattgefunden sowie weitere Veranstaltungen in den anderen europäischen Ländern und vielleicht auch transatlantisch in den USA und in Kanada. Morgen geht es in Leverkusen-Opladen weiter mit dem „Europäischen Stammtisch“, wo unser Mitkämpfer Peter Röhrig einen Vortrag über TTIP im Beisein des Oberbürgermeisters hält. Bereits vorgestern hatte im Kölner Rathaus eine Art Kolloquium mit Experten aus der Kommunalpolitik und den kommunalen Betrieben über die gleiche Thematik stattgefunden. Am 18. April legen wir mit dem deutschlandweiten Aktionstag noch eine Schüppe drauf!

Inzwischen haben wir durch unser wachsendes Bündnis mit 320 beteiligten Organisationen europaweit in wenigen Monaten insgesamt über 1,5 Millionen Unterschriften gesammelt. Mit dem heutigen Aktionstag starten wir in Richtung zwei Millionen Unterschriften! Damit sind wir die größte europäische Bürgerbewegung seit Gründung der Europäischen Union vor 57 Jahren. Ich wüsste jedenfalls kein europapolitisches Thema, dass jemals vergleichsweise so vie­le Menschen mobilisiert hat, mit Ausnahme vielleicht der Referenden gegen die umstrittene EU-Verfassung (aus dem Hinterzimmer-Konvent) in Frankreich, den Niederlanden und Irland 2005 und 2006.

Inzwischen sind wir dabei, eine Liste über die vielen hundert etablierten gesellschaftlichen Institutionen zu vervollständigen, die sich ebenfalls kritisch bis ablehnend gegen TTIP&Co. ausgesprochen haben, also nicht die „üblichen Verdächtigen“ wie wir aus der Zivilgesellschaft mit unserem Bündnis, sondern ich rede zum Beispiel von der Evangelischen und Katholischen Kirche mit ihren vielen Einrichtungen und Verbänden, vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft, von den Verbraucherzentralen und Rundfunkräten, vom Deutschen Kulturrat und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, von den Gewerkschaften und Sozialverbänden, von den kommunalen Spitzenverbänden und den Verbänden der öffentlichen Unternehmen, von den Lehrerverbänden, Ärzteverbänden und Richterverbänden, von den Parteien (Grüne, Linke, Piraten, Freie Wähler, Ökologisch-Demokratische Partei ÖDP, Unterorganisationen der SPD sowie SPD-Grundwerte-Kommission) usw., also das gesamte Spektrum der gesellschaftlichen Institutionen.

Diese Dimension der kritischen Gegenbewegung mit dem politischen Sprengstoff hat weder die Regierung in Berlin noch die EU-Kommission in Brüssel wirklich begriffen. Sie glaubten, TTIP als „geheime Kommandosache“ starten zu können – als Getriebene der Lobbyisten. Nur ausgewählte Europa-Abgeordnete durften in abgeschlossenen Leseräumen unzensierte Textpassagen unter strengster Geheimhaltung lesen, als ob es dort um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Firmen ginge (man wolle die Abgeordneten vor dem Vorwurf der „Wirt­schaftsspionage“ schützen, so lautete das dümmste vorgeschobene Argument).

Das Thema ist seit dem letzten Europa-Wahlkampf, wo es bereits Top-Thema war, längst in aller Munde und auch in allen Medien und offenbar auch in allen Köpfen, wie Umfragen des Emnid-Instituts zeigen. Selbst aus Brüssel waren jüngst Stimmen zu hören, die neidvoll anerkannten, dass unsere Bewegung mit ihrem professionellen Vorgehen mittlerweile die öffentliche Meinungsführerschaft über das Thema Freihandelsabkommen errungen hat, gegen die Brüssel ratlos ankämpft mit ihren von Bertelsmann & Co. unterstützten Werbe- und Informationskampagnen pro TTIP und CETA, auf die sogar Herr Gabriel hereingefallen ist, der die Argumentationsbausteine nachplappert.

Sind die Kritiker der Freihandelsabkommen hysterisch?

Eingangs hatte ich überlegt, ob ich Sie bei der Begrüßung überhaupt richtig angeredet habe als „liebe Mitstreiter“. Eigentlich hätte ich die hier Anwesenden anreden müssen als „Liebe Hysterikerinnen und Hysteriker, liebe Angsthasen!“ Denn so hat der vermeintlich zuständige Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der ja gar nicht selber mit am Verhandlungstisch sitzt, uns jüngst bezeichnet: Die Kritiker der Gegenbewegung seien ja hysterisch; man müsse mit ein paar Vorurteilen gegen TTIP und CETA aufräumen und er, Sigmar Gabriel, möchte die Abkommen zum Erfolg führen!

Daraufhin verkündete er vor zwei Wochen in der BILD-Zeitung „5 Punkte, die für TTIP sprechen“. Darin appellierte er, keine Angst zu haben vor den Freihandelsabkommen, sondern mutig die Regeln des globalen Welthandels von Deutschland und Europa aus vorzugeben, bevor uns die Chinesen zuvorkommen. Vor allem aber brauchten wir keinerlei Sorge um die kommunale Daseinsvorsorge zu haben, die komplett geschützt bleibe. Auch Rekommunalisierungen bleiben angeblich problemlos erlaubt, wo zuvor etwa Wasser, Energie oder Kindertagesstätten privatisiert worden seien.

Liebe Anwesende, dann können wir ja beruhigt diese Veranstaltung und unseren Widerstand abbrechen, noch ein Kölsch trinken und dann getrost heimgehen. Aber ich würde noch keine Entwarnung geben wollen! Denn kürzlich sagte Bundeskanzlerin Merkel: „TTIP ist alternativlos!“ Und immer, wenn sie das sagt, klingeln bei uns ja die Alarmglocken! Vor wenigen Tagen teilte sie nach ihrem Besuch bei der Brüsseler EU-Kommission mit: „In Brüssel habe ich für Deutschland klar gemacht, dass wir TTIP wollen!“

Wie bitte? Sie hat bereits für ganz Deutschland gesprochen, dass „wir“ – also auch Sie und ich hier im Saal –TTIP angeblich wollen? Sind wir denn gefragt worden? Und hat überhaupt das zuständige Parlament in Berlin, haben unsere Abgeordneten in Straßburg schon zugestimmt – oder bestimmt das neuerdings die Kanzlerin als Exekutive im Alleingang? Ist überhaupt schon abschließend geklärt, ob wirklich auch die Nationalparlamente, der Bundestag und der Bundesrat beteiligt werden (vor dem Hintergrund des Streites um den Begriff „gemischtes Abkommen“)?

Vor ihrer CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagte Frau Merkel vor zwei Wochen: „Ich will TTIP gegen alle Widerstände durchkämpfen. Das Abkommen ist für Europa so wichtig wie die EU-Gründung oder der damalige Nato-Doppelbeschluss.“ Nun haben wir ja begriffen, dass die Treiber von TTIP mit den Freihandelsverträgen der neuen Generation vor allem die geopolitischen Machtinteressen im Visier haben. Indem nun aber auch militärische Vergleiche und Begriffe damit in Verbindung gebracht werden, will die Kanzlerin uns wohl daran gewöhnen, dass es hierbei auch um eine Art Wirtschafts- oder Handelskrieg geht? Und dabei ist Demokratie eben zweitrangig? Da könnte man ja als Demokrat geradezu hysterisch werden….

Gabriels ÖPP-Projekt flankiert die Freihandelsverträge aus gleichem Ungeist

Bevor wir nun im Konkreten der Frage nachgehen, was TTIP und CETA mit den Kommunen zu tun haben, lassen Sie mich vorweg noch ein anderes aktuelles Projekt der Bundesregierung erwähnen, was damit indirekt im Zusammenhang steht und die Kommunen noch ärger treffen wird: Genau heute in einem Monat, am 21. April (drei Tage nach dem geplanten deutschlandweiten Aktionstag gegen TTIP) will Bundeswirtschaftsminister Gabriel die Vorschläge seiner ÖPP-Kommission öffentlich vorstellen.

Dort geht es um öffentlich-rechtliche Partnerschaft oder besser „Komplizenschaft“, früher unter dem Kürzel PPP = Public Privat Partnership, dann ÖPP = öffentlich-private Partnerschaft, jetzt ÖÖP = öffentlich-öffentliche Partnerschaft als alter Wein in neuen Schläuchen. Vorbereitet wird damit die private Finanzierung und damit die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur, beginnend zunächst beim Straßen- und Brückenbau, dann ausgeweitet auf die kommunale Infrastruktur.

Gabriels Berater in der Kommission waren der Vertreter der Deutschen Bank – der Vorstandsvorsitzende Jürgen Fitschen höchstpersönlich (gegen den der Staatsanwalt gerade ein Strafverfahren eingeleitet hat) – sowie Vertreter der größten Versicherungskonzerne Allianz und Ergo, die alljährlich die größten Parteispenden an CDU, CSU, FDP und SPD überweisen. Mit dieser großen Koalition aus Politik, Industrie sowie Banken- und Versicherungswirtschaft soll auf Kosten der Steuerzahler und zu Lasten der Allgemeinheit privates Geld für Investitionen mobilisiert werden.

Damit sollen z. B. über Gemeindegrenzen hinweg Bauprojekte gebündelt und aus Fonds fi­nanziert werden. Mit der Bündelung zu Großprojekten kommen dann auch die großen Baukonzerne und nicht mehr die örtlichen Handwerksbetriebe zum Zuge, die solche Großprojekte nicht stemmen könnten (und dann vor Ort auch keine Gewerbesteuern mehr zahlen). Indem auch den Bürgern eine Beteiligung an den Fonds über Einlagen (zu höheren Zinsen als derzeit bei den Banken) anbieten will, soll ihnen das Modell zum Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur schmackhaft gemacht werden. Weil an den Finanzmärkten alle Anlagemöglichkeiten ausgeschöpft sind, hofft man nun, dass sich die Privatinvestoren auf den nach Privatisierungen noch verbliebenen öffentlichen Sektor stürzen.

ÖPP also übersetzt mit „private Hand in öffentlicher Tasche“ – übrigens will die EU künftig Fördergelder für Länder, Kommunen und Regionen an die zwingende Auflage der ÖPP-Fi­nan­zierung knüpfen. Das wäre ein eigenes abendfüllendes Thema, aber Sie ahnen, dass es sich eigentlich nicht vom Thema TTIP/CETA/TISA trennen lässt, weil es eine ähnliche Stoßrichtung hat und aus gleichem Geist (oder Ungeist) und Interesse geboren ist bei der angestrebten Gleichstellung privater und öffentlicher Interessen, zu Lasten und nicht zum angeblichen Nutzen des örtlichen Gemeinwesens.

Ratsbeschlüsse und TTIP-freie Kommunen trotz „Maulkorberlass“

Deshalb wächst der breite Widerstand von ganz unten täglich. Inzwischen haben wir landauf, landab wohl schon 130 bis 150 Ratsbeschlüsse oder Resolutionen von Stadträten, Gemeinderäten oder Kreistagen gegen TTIP&Co. zu verzeichnen. Zwar sind wir von den von Attac ausgerufenen 10.000 TTIP-freien Kommunen in Deutschland noch weit entfernt (insgesamt gibt es ca. 11.500 Kommunen.) Doch ich weiß, dass Hunderte von Ratsanträgen noch in Vor­bereitung oder an die Bürgermeister unterwegs sind, so auch in Bonn und Leverkusen. (An einzelnen durfte ich auch mitformulieren). Und in Frankreich nebenan haben wir bereits 200 TTIP-freie Kommunen.

Der bereits gefasste Ratsbeschluss hier in Köln mit Zustimmung aller Parteien (einschließlich CDU) hat den CDU-Europa-Abgeordneten Axel Voss auf den Plan gerufen, der in einem Schrei­­ben heftig für TTIP und die privaten Schiedsgerichte wirbt und die Bedenken der Kom­munen und der kommunalen Spitzenverbände für völlig unbegründet hält. Er bedient sich der Argumentationsbausteine der EU-Kommission, die ebenfalls auf ihrer Homepage behauptet, sämtliche kommunalen und öffentlichen Dienstleistungen seien aus den Freihandelsabkom­men ausgeklammert und die Kommunen könnten weiterhin selber bestimmen, was in öffentlicher Hand bleibt – trotz angestrebter Negativlisten etc., über die wir gleich noch sprechen.

Es ist bemerkenswert, dass die über 100 Ratsbeschlüsse trotz dreier „Maulkorberlasse“ gefasst wurden. Zunächst preschte der Justitiar des (CDU-lastigen) Städte-und Gemeindebun­des für die kreisangehörigen Städte vor, indem er jegliche Äußerungen und Beschlüsse der Gemeinderäte für rechtswidrig und als Kompetenzüberschreitung ansah, da die Gemeinderäte kein allgemeinpolitisches Mandat hätten. Das verunsicherte einige Bürgermeister. Dem folgte dann eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, der zur glei­chen Erkenntnis kam und zudem behauptete, die Problemlagen seien in sämtlichen Städten völlig gleichgelagert, daher gebe es keine ortsspezifische Betroffenheit und damit keinerlei rechtliche Befugnis zu politischen Meinungsäußerungen, geschweige Ratsbeschlüssen oder Resolutionen zu TTIP.

In einem Erlass des Innenministers von NRW (ähnlich die bayrische Staatsregierung) wird im Wesentlichen die gleiche rechtliche Argumentation über die Unzuständigkeit der Kommunalparlamente betont, aber ein Hintertürchen eröffnet mit dem Hinweis, dass die Kommunalparlamente sich selbstverständlich immer dann äußern dürfen, wenn sie spezifische örtliche Be­troffenheit von konkreten Regelungen der Freihandelsabkommen nachweisen können. (Das wird überall problemlos möglich sein, wenn nicht, gebe ich Ihnen dazu gerne Tipps und Hinweise).

Städtetag warnte schon früh vor neuer Privatisierungswelle durch TTIP

Anders als der Städte- und Gemeindebund und der Landkreistag warnte der Präsident des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly (SPD), schon vor zwei, drei Jahren eindringlich vor einer neuen Deregulierungs-, Liberalisierungs- und Privatisierungswelle durch TTIP und TISA, die über die Kommunen hinwegrolle. Ich darf ihn wörtlich zitieren: „Die Menschen müssen auf der Hut sein, um die Errungenschaften der kommunalen Selbstverwaltung und Daseinsvorsorge zu bewahren und zu beschützen“. Er wurde noch deutlicher: „Die Belange der Bürgerschaft dürfen nicht wegen der vorrangigen Konzerninteressen unter den Tisch fallen! Wer heute den Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge verschläft, wacht morgen ohne kommunale Daseinsvorsorge auf!“

Und für alle Gutgläubigen möchte ich hinzufügen: „Erst wenn Eure Gemeinden in den Händen der Großkonzerne sind, werdet ihr begreifen, dass ihr versäumt habt, Eure Zukunft zu gestalten!“ Denn die Städte gehören uns, nicht den Konzernen. Sie gehören in Bürgerhand! Wir wollen keine Stadt der Konzerne!

Also fragen wir heute Abend: Was bedeuten die Freihandelsabkommen konkret für die lokale Demokratie vor Ort? Für die öffentliche Daseinsvorsorge? Für die kommunale Selbstverwaltung? Letztere ist immerhin über 200 Jahre alt; seit der preußischen Städtereform von 1802 darf die Bürgerschaft ihre örtlichen Belange selber in eigener Verantwortung und Zuständigkeit nach ihren lokalen Bedürfnissen und Interessen verwalten und gestalten. Das soll nun mit einem Federstrich von oben beseitigt oder zumindest eingeschränkt werden, ohne die Be­troffenen zu beteiligen, die in ihren gewählten Räten dazu schweigen sollen? Haben die Räte weniger Recht auf freie politische Meinungsäußerung als immerhin dem einzelnen Bürger verfassungsgemäß zugestanden wird?

Was bedeutet dann noch die verfassungsmäßig garantierte kommunale Selbstverwaltung nach Artikel 28 (2) des Grundgesetzes? Danach haben die Gemeinden das verbriefte Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung und Zuständigkeit zu regeln (einschließlich der Definitionshoheit, was sie für erforderlich erachten). Eingriffe in diese Rechte sind laut Grundgesetz nur durch Gesetz, also nicht etwa durch nicht gewählte Handelskommissare oder durch auswärtige Konzerne zulässig.

Auch gilt nach dem EU-Grundlagenvertrag (Lissabon-Vertrag als EU-Verfassungser­satz) das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, d. h. vereinfacht gesagt: Zunächst soll und kann die untere Ebene alles regeln, bevor eine höhere Ebene (Land, Bund, EU) mit Regelungskompetenzen und Zuständigkeiten eingreift. Gegen dieses Subsidiaritätsprinzip darf auch nicht anlässlich von Freihandelsverträgen einfach verstoßen werden. Die EU-Kommission bestreitet (scheinheilig) auf ihrer Homepage und in ihren vielen PR-Papieren pro TTIP und CETA, dass dies der Fall ist, kann aber die Kritiker nicht überzeugen – denn wer einmal lügt, dem glaubt man nicht (siehe die falschen Zahlen über die angeblichen wirtschaftlichen Effekte der Freihandelsabkommen).

Ohne kommunale Daseinsvorsorge keine Einhaltung der Menschenrechte.

In einem Papier vom Juli 2014 betont die EU-Kommission den Schutz öffentlicher Dienste sowie das Recht der Länder, selber zu entscheiden, welche Dienste öffentlich sind. Die Zwischenergebnisse der Verhandlungspapiere mit den juristisch verschleierten „Schlupflöchern“ und beschränkten Ausnahmen sprechen jedoch eine ganz andere Sprache und können die Sorgen nicht ausräumen. Im Einzelnen könnte man dies Punkt für Punkt nachweisen, würde aber ein ganztägiges Fachkolloquium erfordern unter Hinzuziehen von juristischem Sachverstand. Deshalb verweise ich dazu auf die diversen Gutachten, Aufsätze und Veröffentlichungen im Netz – oder auch auf das aktuelle Buch von Thilo Bode „Die Freihandelslüge“.

Wir sollten uns heute Abend fragen, warum die öffentlichen und kommunalen Dienstleistungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge so wichtig sind, um die wir hier und heute kämpfen? Ohne freien oder bezahlbaren Zugang zu Bildung, Kultur, Gesundheit, Sozialeinrichtungen, Kul­tur, Mobilität, Wasser und Energie wäre keine Einhaltung der geltenden Menschenrechte möglich! Ohne sie gibt es keine Versorgungssicherheit und kein Sozialstaatsmodell, auf das sich ja Deutschland und die EU als „Wertegemeinschaft“ etwas zugutehalten.

Öffentliche Dienste sind dem Gemeinwohl verpflichtet und deshalb nicht markttauglich, weil es am Markt immer um Eigennutz als treibende Kraft geht. Öffentliche Dienste und Einrichtungen müssen nicht profitabel sein und können dies als Zuschussbetriebe meist auch nicht sein. Sie werden demokratisch kontrolliert und legitimiert und nicht allein durch Angebot und Nachfrage am Markt, weil sie lebensnotwendige Grundbedürfnisse abdecken und die Teilhabe am gesellschaftlich-kultu­rel­len Leben gleichermaßen für alle gewährleisten.

Künftig soll aber nach der Ideologie der Freihändler gelten: Eigennutz geht vor Gemeinnutz, private Interessen sind gleichzusetzen mit öffentlichen Interessen oder sogar höherrangig. Deshalb hat man es genau darauf abgesehen: Auf die Sozialstaatsfunktion auch der unteren kommunalen Ebene der öffentlichen Daseinsvorsorge und auf deren hinderliche demokratische Steuerung! Sind es aber ein paar zweifelhafte Promille-Effekte für das Wirtschaftswachs­tum wirklich wert, unsere demokratischen Errungenschaften dafür preiszugeben?

Was macht unsere verarmten Städte so begehrlich für die Freihändler?

Angesichts der dramatischen Haushaltssituation in den meisten Städten mit ihren „Haushalts­löchern“ und „Sparkommissarenstellt sich die Frage: Was macht eigentlich unsere Städte so begehrlich für die transnationalen Konzerne und die Finanzmärkte? Dazu muss man wissen, dass der EU-Binnenmarkt zu 60% bis 70% ein Dienstleistungsmarkt ist (und da sind die öffentlichen Dienste wohl noch nicht eingerechnet) und demnach 75% aller Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig sind.

Allein in Deutschland vergeben Bund, Länder und Gemeinden öffentliche Aufträge von 400 Mrd. € jährlich, davon 50%, also 200 Mrd. € nur die Kommunen. Und trotz Privatisierungswelle haben wir noch insgesamt 14.000 öffentliche bzw. kommunale Unternehmen oder Eigenbetriebe, die im VKU, dem Verband kommunaler Unternehmen, zusammengeschlossen sind. Diese machen jährlich 300 Mrd. € Umsatz bzw. 10 Mrd. € Gewinn pro Jahr. Europaweit beträgt das Volumen des öffentlichen Beschaffungswesens 2 Bio. € oder 16% des Bruttoinlandsprodukts! (Bei CETA hat man 2,7 Bio. € prognostiziert). Das weckt Begehrlichkeiten bei den Privaten!

In Deutschland haben wir insgesamt 11.200 Städte und Gemeinden und 300 Landkreise, also 11.500 Kommunen oder Gebietskörperschaften, die alle ein breites Spektrum öffentlicher Dienstleitungen erbringen. Europaweit sind es geschätzte 200.000 bis 300.000 Kommunen (eine verlässliche Statistik gibt es darüber nicht). In den USA kommen im TTIP-Ein­zugsbereich 3.150 Countys hinzu (so heißt dort die untere Verwaltungsebene) und 245 Groß­städte. Dort werden allerdings bis auf das Wasser traditionell alle örtlichen Dienstleistungen bereits kommerziell oder durch bürgerschaftliches Engagement erbracht. Dort ist also nicht mehr viel zu holen. Dennoch legt gerade Deutschland und Europa Wert darauf, das öffentliche Auftrags- und Beschaffungswesen unbedingt in die Freihandelsabkommen einzubeziehen, in der Hoffnung auf neue Märkte.

Zudem sollte man wissen, dass an den internationalen Finanzmärkten auf 1 Bio. Dollar mit der Wasserprivatisierung spekuliert wird, auf weitere 3,5 Bio. Dollar mit der Privatisierung des Gesundheitswesens sowie ca. 2,5 Bio. Dollar auf dem Bildungsmarkt. Das sind die drei größten Wachstumsmärkte, wobei das Gesundheitswesen schon weitgehend privatisiert ist. Es gibt ja kaum noch städtische Kliniken; den Markt beherrschen hier fast nur noch die großen Krankenhauskonzerne (teilweise mit Aktienanteilen von Goldman-Sachs) wie z.B. Helios, Fresenius, Asklepios oder die Rhön-Kliniken.

Der boomende Bildungsmarkt degradiert Bildung zur Handelsware

Nun stürzt man sich auf den boomenden Bildungsmarkt, den sogenannten „Bildungshandel“, bei dem Bildung als Handelsware betrachtet wird. Dies wird bereits sichtbar im Hochschulbereich: Den 298 öffentlichen Hochschulen in Deutschland stehen bereits 129 private (kommer­zielle) Konzernhochschulen gegenüber; jede vierte Hochschule gehört also bereits den Konzernen mit eigenen (teuren) Bachelor-und Master-Studiengängen und Zulassungsregeln.

Die EU, die eigentlich gar keine originären Zuständigkeiten für das Schulwesen hat, will sogar erklärtermaßen jede Schule in Europa mit einem Unternehmen verbinden oder verknüpfen. Die 35.000 Schulen in Deutschland mit ihren 11 Mio. Schülern wecken also auch Begehr­lichkeiten, ebenso die 1.000 Volkshochschulen mit ihren jährlich 9 Mio. Besuchern auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung. Es gibt ja schon in Deutschland private Schulkonzerne wie die (inzwischen gescheiterte) anglo-amerikanische Phorms-AG mit fünf Schulgründungen in Deutschland, die auch die staatliche Lehrerausbildung übernehmen wollte, oder der GISMA-Business-Schulkonzern in Hannover, des Weiteren im Vorschulbereich das Privatunternehmen „eduCare“, das bundesweit zahlreiche Kindertagesstätten kommerziell betreibt.

Längst hat sich schon eine „Globale Allianz für transatlantische Erziehung“ als Lobbyverband gebildet. Und allen voran der Bertelsmann-Konzern, Europas größter Medienkonzern und welt­weit auf Platz 8, will laut Pressekonferenz künftig 20 Mio. Umsatz jährlich am internationalen Bildungsmarkt erzielen, insbesondere mit Erwachsenenbildung, E-Learning und Hochschul-Dienstleistungen. Zur Verbesserung der Startchancen hat es dazu bereits einen amerikanischen Bildungskonzern aufgekauft. Auch erinnern wir uns ja noch, dass die Bertelsmann-Tochter ARVATO die Kommunalverwaltungen oder Rathäuser quasi per „feindlicher Übernahme“ komplett übernehmen und managen wollte, einschließlich der hoheitlichen Aufgaben, beginnend in Yorkshire in England und dann in Würzburg, wo sie allerdings gescheitert sind. Gleichwohl setzt sich Bertelsmann an die Spitze der pro-TTIP-Lobbyisten – aus nahe­liegenden Eigeninteressen des Konzerns.

Der Angriff auf die Kommunen läuft schon seit 25 Jahren

Wir müssen also TTIP, CETA und TISA, die „nicht plötzlich aus heiterem Himmel kommen“, im Kontext der bisherigen langjährigen Privatisierungs- und Liberalisierungswellen einordnen, quasi als finalen Angriff auf den öffentlichen und kommunalen Dienstleistungssektor:

  • Es begann Anfang der 1990-er Jahre in sämtlichen Rathäusern und Kommunalverwaltungen im Lande mit dem „New Public Management“ der sogenannten „Neuen Steuerung“ durch die Bertelsmann-Stiftung (die im Gegensatz zu Attac ihren Gemein­nützigkeitscharakter behalten darf). Dabei ging es um die „Verbetriebswirtschaftlichung“ der kommunalen Daseinsvorsorge vor Ort, also nur noch kostendeckende und möglichst nicht subventionierte Dienstleistungen, folglich Gebührenanhebungen oder Ausgründung und Privatisierung oder Streichung unrentabler Dienste nach unternehmerischen Management-Methoden mitsamt Stellenabbau in den Rathäusern und Service-Einschränkungen. Der „Konzern Stadt“ war geboren. Hinzu kam die dop­pelte Buchführung anstelle der Kameralistik, damit für die „Heuschrecken“ zahlenmäßig sichtbar wird, welche öffentlichen Dienste sich zur kommerziellen Übernahme eig­nen und welche wenig lukrativen Dienste und Einrichtungen in den Händen der Kom­munen sozialisiert bleiben dürfen.
  • Es setzte sich 1999 fort mit dem GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) über den Handel mit Dienstleistungen, als zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte zwischenmenschliche Dienstleitungen zur Handelsware erklärt wurden. Hier gab es aufgrund unseres massiven Widerstandes aus der Zivilgesellschaft immerhin Länderlisten mit Ausnahmen auch zugunsten der Kommunen als „Positivlisten“ (was es mit den Positiv- und Negativlisten auf sich hat, darauf kommen wir noch zurück).
  • 1999 folgte dann das sogenannte MAI-Abkommen der OECD als multilaterales Investitionsabkommen, mit dem zum ersten Mal ein Klagerecht der Konzernen gegen Staa­ten (auch in den demokratischen Industriestaaten mit ihrem geordneten Rechtswesen) sowie die Einschränkung des Demonstrations- und Streikrechtes etabliert werden sollte. Hier war die Zivilgesellschaft hellwach und hat im letzten Moment durch Veröffentlichungen in Belgien und Frankreich das gesamte Abkommen zu Fall gebracht.
  • Im Jahr 2000 folgte dann in Deutschland die „Jahrhundert-Steuerreform“ unter Finanz­minister Hans Eichel (rot-grüne Regierung Gerhard Schröder) mit Veränderung der Körperschafts- und Gewerbesteuer, durch die den Kommunen seither jährlich 50 Mrd. € an Einnahmen verloren geht. Das war der Beginn der anhaltenden kommunalen Finanzmisere zugunsten der Unternehmen, die im Gegenzug Steuererleichterungen in zweistelliger Größenordnung bekamen, also eine dauerhafte Umverteilung von der öffentlichen Hand an die Unternehmen zu Lasten der niedergehenden Städte und ihrer Bürger. Der private Reichtum wurde mit öffentlicher Armut erkauft. Der verstorbene Bertelsmann-Patriarch Reinhard Mohn wird aus dieser Zeit mit einer Aussage zitiert, wonach es „ein Segen“ sei, dass die Kommunen nicht mehr so viel Geld verfügbar haben und nun endlich deren Dienstleistungen privatwirtschaftlich betrieben werden könnten…
  • 2008 gründete daraufhin Finanzminister Peer Steinbrück die „ÖPP-Deutsch­land AG“ (mit 57% Anteil öffentlicher Hand und 43% in Unternehmenshand), um die öffentliche Infrastruktur statt aus nicht mehr vorhandenen Steuergeldern nunmehr durch private Investoren zu finanzieren – also das, was Bundeswirtschaftsminister Gabriel jetzt wie­der in leicht abgewandelter Form aus der Schublade gezogen hat. Beteiligt an dem Deal war u. a. der große Baukonzern Bilfinger (deren Vorstandschef Roland Koch/ CDU später scheiterte) sowie die Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, für die Steinbrück hochbezahlte Vorträge hielt. Diese schreiben in den Ministerien auch an den Gesetzesvorlagen mit. Auf der Homepage der Landesfinanzministerien auch hier in NRW sehen Sie, dass es in den Ministerien überall eine ÖPP-Task-Force gibt, die dort mit Beratungsdienstleistungen etc. etabliert sind.
  • 2004/2005 gab es dann die großen Auseinandersetzungen um die umstrittene EU-Dienstleistungsrichtlinie, den sogenannten „Bolkestein-Hammer“, benannt nach dem damaligen EU-Kommissar Frits Bolkestein, seit 2009 auch für die Kommunen in Kraft. Auch hier war die Zivilgesellschaft recht wach und konnte eine dreistellige Zahl an Änderungen und Abmilderungen erkämpfen. Geblieben ist neben der europaweiten Ausschreibungspflicht u. a. ein „einheitlicher Ansprechpartner“ in den Rathäusern als Lotse für auswärtige Unternehmen bei Auftragsvergaben durch den deutschen „Bürokratie- und Behördendschungel“, um ihnen den Zugang zu unseren kommunalen Märkten zu erleichtern, also den roten Teppich auszurollen (2011 verklagte die EU Deutschland wegen der unzureichenden Umsetzung dieser Richtlinie).
  • Schließlich hat die aufmüpfige Zivilgesellschaft 2012/2013 die geplante EU-Kon­zes­sionsrichtlinie erfolgreich zu Fall gebracht, bei der es u. a. um die Wasserprivatisierung ging. (Zwischendurch wurde 2012 auch noch das Anti-Produktpiraterie-Handels­abkommen ACTA zu Fall gebracht). Wir sehen also, dass mehr als einmal David gegen Goliath obsiegt hat. Deshalb möchte ich hier und heute Mut und Hoffnung verbreiten auch in Bezug auf TTIP/CETA/TISA, wenn wir nur flächendeckend genügend Widerstand von unten aus den Städten und Gemeinden leisten.

Die Demokratie in Europa ist in einem besorgniserregenden Zustand

Obwohl die Kommunen mit ihrer kommunalen Daseinsvorsorge laut EU-Lissabon-Vertrag einen besonderen Schutz genießen und die EU formell keinerlei Zuständigkeiten für die lokale und regionale Eben hat, sind die Kommunen an den gesamten Verfahren zu TTIP, CETA oder TISA (oder EGA = Handel mit Umweltgütern) nicht beteiligt. Weder die kommunalen Spitzenverbände noch die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes noch die kommunalen Unternehmen mit ihren Verbänden sind einbezogen worden, im Gegensatz zu den eng eingebundenen hunderten Unternehmen und ihren Lobbyverbänden.

Nicht einmal der EU-„Ausschuss der Regionen“, in dem die Gebietskörperschaften sonst im­mer angehört werden müssen, wurde diesmal einbezogen. Auch Beschlüsse des EU-Parla­ments und des Europäischen Gerichtshofs EuGH wurden einfach ignoriert. 2010 hatte noch eine extra gebildete „Intergroup öffentliche Dienste“ den anhaltenden Streit zwischen EU-Par­lament und EU-Kommission über die „Binnenmarktrelevanz“ kommunaler Dienstleitungen zugunsten der Kommunen beigelegt, deren kommunale Hoheiten weiterhin nicht angetastet werden dürfen. Dies wurde anschließend noch durch ein Urteil des EuGH zum europäischen Primärrecht ausdrücklich bekräftigt und besiegelt. Aber auch ein Beschluss des EU-Parla­ments zur Herausnahme der Kultur aus TTIP und CETA wurde von der EU-Kom­mission ignoriert, sondern lediglich mit Rücksicht auf Frankreichs Filmwirtschaft die audiovisuellen Dienstleistungen ausgeklammert.

Alles das ist ein glatter Verstoß gegen das vorhin erwähnte Subsidiaritätsprinzip EU-Grund­lagenvertrag von Lissabon. Die EU-Kommission interessiert auch nicht die Rechtseinschätzung des EU-Justizausschusses, wonach die Freihandelsabkommen einen Verstoß gegen die EU-Grundrechte-Charta und die EU-Sozialcharta darstellen. Bis zuletzt wehrte sich die EU-Kommission auch gegen Beschlussfassungen in den Nationalparlamenten, weil es sich bei TTIP und CETA nur in Teilen um ein beteiligungspflichtiges „gemischtes“ Abkommen handele. Auch unsere Europäische Bürgerinitiative mit über 1 Mio. Unterschriften wurde sofort juristisch als unzulässig zurückgewiesen, weil es sich ja nur um verwaltungsinterne Vorbereitungen völkerrechtlicher Verträge handeln würde. Die Demokratie in Europa ist also in einem besorgniserregenden Zustand!

Die wahren Ziele und Absichten der neuen Freihandelsabkommen

Der langjährige EU-Handelskommissar Karel de Gucht aus Belgien als Vorgänger der jetzigen Handelskommissarin Cecilia Malmström, die ja nur seine Entwürfe weiterverfolgt, verriet uns folgendes, ich zitiere: „Wir arbeiten an einem geopolitischen Abkommen. Gentechnik und Chlorhühnchen spielen nur am Rande eine Rolle. Ziel ist es vielmehr, Regulierungen, Standards und Gesetze in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Sektors anzugleichen.“ Er wurde noch deutlicher: „Bei TTIP handelt es sich um die weitreichend­sten Veränderungen der Gesellschaften in Europa, weit über alle bisherigen Handelsabkom­men hinausreichend.“

Wenn uns Kritikern immer gesagt wird, es gäbe ja weltweit schon über 4.000 bilateraler Handels­abkommen (seit 1959 mit Schiedsgerichtsverfahren nach deutscher Blaupause vom damaligen Deutsche-Bank-Chef Hermann-Joseph Abs), 1.400 Handelsverträge der EU sowie 130 von Deutschland mit anderen Ländern, dann haben wir es jetzt offensichtlich mit einer anderen Generation von Handelsverträgen zu tun. Denn, so Karel de Gucht: „Das ist es, worum es in Wahrheit geht: die politische und wirtschaftliche Führung – und die Führung in Bezug auf das Gesellschaftsmodell für die nächste Generation… Es geht darum, den Rahmen für die Zukunft festzulegen.“

Wir halten also fest: Demokratisch nicht gewählte Handelskommissare wollen ohne öffentlichen Diskurs nicht nur über Zölle, Technikstandards und Handelsfragen verhandeln, sondern gesamtgesellschaftliche Zukunftsmodelle im geopolitischen Konzerninteresse festlegen, bei denen die Kommunen nur eine Fußnote sind. Es geht also um einen Paradigmenwechsel, um einen Systemwechsel, um eine Art Putsch von oben mittels eines trojanischen Pferdes!

Die Demokratie und die Bürgerinnen und Bürger als größtes Handelshemmnis

Das ist offenbar das Verständnis einer „marktkonformen Demokratie“, wie von Frau Merkel ausgerufen (die selber nicht mit Demokratie aufgewachsen ist). Als die größten Handelshemmnisse erscheinen dabei die Demokratie und die Bürgerinnen und Bürger. Es geht um die Herrschaft der Exekutive unter der Knute der Lobbyisten, also letztlich um die Herrschaft der Konzerne, um die Ablösung des Primats der Politik durch den Primat der Wirtschaft.

Das sehen Sie auch daran, wohin die gerade ausgeschiedenen EU-Kommissare (nach dem Wechsel infolge der EU-Wahl mit der Ablösung durch Juncker) ohne Karenzzeit gegangen sind: Der bisherige EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist zum Weltwirtschaftsfo­rum nach Davos gegangen, wohin vor ihm schon der deutsche Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) als Geschäftsführer gewechselt ist (Davos ist die größte Ansammlung von TTIP-Lobbyisten). Die ehemalige stellvertretende EU-Kommissionspräsidentin und EU-Justiz­kommissarin Viviane Reding aus Luxemburg ist direkt zu Bertelsmann als Kuratoriums­mitglied der neoliberalen Bertelsmann-Stiftung gegangen, zum einflussreichsten TTIP-Lobbyisten. Und der slowenische EU-Umweltkommissar Janez Potočnik ist zum Schweizer Agrarchemiekonzern Syngenta gewechselt. Da kommt Vertrauen in unsere EU auf?

Bei den geheimen Verhandlungen zum TISA-Abkommen unter Federführung der USA mit Australien in den Hinterzimmern der Genfer Botschaft ist die (einflusslose) EU übrigens nur einer unter 24 Verhandlungspartnern, denn beteiligt sind 23 Staaten plus die EU (für ihre weiteren 28 Staaten). Sie kann hierbei weder auf ihre EU-Regeln noch auf die WTO-Regeln (deren Geschäftsführer sogar vor der Tür bleiben muss) hoffen, denn hier gilt amerikanische Verhandlungs- und Handelskultur.

Die demokratische Gewaltenteilung würde ausgehebelt

Letztlich wird mit TTIP&Co die gesamte demokratische Gewaltenteilung in der EU ausgehebelt, obwohl Grundvoraussetzung eines demokratischen Systems: An die Stelle der Legislative tritt mit Vetorecht der geplante „regulatorische Kooperationsrat“, der alle Gesetzesvorhaben und -vorlagen auf Wettbewerbshemmnisse und Gewinneinbußen hin überprüfen soll, bevor es die demokratisch gewählten Parlamentarier überhaupt zu Gesicht bekommen. Außerdem soll das Gremium (mit Konzernvertretern auch aus den USA) anstelle der Parlamente die Fortschreibungen, Aktualisierungen und Änderungen der rechtskräftigen Abkommen vornehmen können (also auch Punkte einfach wieder aufnehmen, die wir vielleicht als Zivilgesellschaft herausgekämpft haben?).

An die Stelle der Exekutive sind längst die Lobbyisten in den Ministerien und vor allem in der EU-Kommission (mit freiem Zugang) sowie die einflussreichen Beratergremien getreten, die uns die Gesetzestexte oder Handelsverträge nach ihren Interessen schreiben. Und an die Stelle der Judikative treten dann die privaten Schiedsgerichte mit den Wirtschaftsanwälten, ohne dass wir unsere Verfassungsrechte auf ordentliche Gerichtsbarkeit beibehalten, an die auch wir als betroffene Bürger uns wenden können, um uns dagegen zu wehren, dass auf uns als Steuerzahler das finanzielle Risiko der auswärtigen Großkonzerne bei entgangenen Gewinnerwartungen abgewälzt werden soll.

Wir Bürger als „Konsultative“ oder „vierte Gewalt“ mit den Medien zusammen müssen vor der Geheimhaltung der Verhandlungen kapitulieren, weil das demokratische Prinzip der Öffentlichkeit und Transparenz auch nicht mehr gilt? Der Wirtschaftsnobelpreisträger Jochen Stieglitz drückte es so aus: „Konzerne versuchen, durch geheim verhandelte Handelsabkommen zu bekommen, was sie in offenen politischen Prozessen nicht erreichen.“ Bereits heute kontrollieren 500 Großkonzerne mehr als die Hälfte des Weltbruttosozialprodukts. Bei der Grundwertekommission der SPD unter Vorsitz von Gesine Schwan liest es sich so: „Sogar die politisch-demokratischen Verfahren und Prozesse werden privatisiert und zur Disposition gestellt. Der Primat der Politik über der Wirtschaft steht auf dem Spiel. Die staatliche Souveränität wird preisgegeben.“

Auch aus den USA gibt es kritische Stimmen. Zum Beispiel warnt der kompetente Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman vor dem Kleingedruckten in TTIP. Für ihn gibt es keine vernünftigen Gründe für das Abkommen; seines Erachtens drängen sich unlautere Motive als Erklärung auf. Wörtlich: „Meine Nackenhaare sträuben sich auf und mein Misstrauen wächst, wenn ich den TTIP-Befürwortern zuhöre.“

Demokratie gilt als Standortnachteil im globalen Wettbewerb

Mit den Freihandelsabkommen wird offensichtlich Demokratie als Standortnachteil im globalen Wettbewerb angesehen. Kommen manche Konzernchefs besser zurecht mit den Oligarchien und den autokratischen und diktatorischen Staaten ringsum, die bald weltweit in der Überzahl sind? Deshalb wird offensichtlich die Verhinderung oder Außerkraftsetzung von Gesetzesregelungen oder Verfassungsgrundsätzen in den lästigen Demokratien als legitimes Mittel auf dem Weg zu einer Art Wirtschaftsdiktatur angesehen. Und die dem dienenden Politiker, die ja eigentlich auf die Einhaltung der Verfassung und auf das Wohl des Volkes vereidigt sind, gebärden sich teilweise als Handlanger oder Steigbügelhalter für solche Verfahrensweisen.

Unsere Forderung kann deshalb nur lauten: Transparenz, Bürgerbeteiligung, Verfassungstreue! Die kommunale und öffentliche Daseinsvorsorge muss aus den Freihandelsabkommen komplett herausgenommen werden, ohne Wenn und Aber, ebenso der gesamte Kulturbereich, ohne Einschränkungen! Denn die Kultur ist Grundlage auch allen politischen und wirtschaftlichen Handelns und keine Handelsware!

Mittlerweile gibt es mindestens vier Gutachten von namhaften Professoren, die Verfassungs- oder Völkerrechtler sind, zuletzt vom ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Broß. Sie halten diese Freihandelsabkommen in zentralen Teilen für verfassungswidrig, auch bezüglich der kommunalen Daseinsvorsorge. Eine Verfassungsbeschwerde mit zigtausenden Unterstützern ist in Vorbereitung; eine Petition mit 51.000 Unterschriften gelangte schon vor Monaten in den Bundestag, in dem auch eine dreistellige Zahl von großen und kleinen kritischen Anfragen der Opposition an die Regierung zu TTIP, CETA und TISA gestellt wurden. Sogar die hochkarätig besetzte Grundwertekommission der mitregierenden SPD, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ) in der SPD und die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) verurteilen die Freihandelsverträge als nicht demokratiekonform.

Der von Bundeswirtschaftsminister Gabriel einberufene TTIP-Beirat mit Gewerkschaftsvertretern, Umwelt- und Sozialverbänden etc. rebelliert, weil gemeinsam formulierte rote Linien in einem 14-Punkte-Papier überschritten oder ignoriert werden, darunter auch Forderungen zum Schutz und zur Herausnahme der kommunalen Daseinsvorsorge. Wenn der Bundeswirtschaftsminister die Abkommen dennoch für unbedenklich erklärt und die Argumentations­bausteine der EU-Kommission 1:1 übernimmt, dann täuscht er die Bevölkerung und auch seine eigenen Parteimitglieder, wie eine interne Rund-Email von ihm an alle Sozialdemokraten offenbart. Oder er weiß nicht, worüber er redet – das kommt bei ihm öfter vor, zuletzt bei seinen völlig abstrusen und im Faktencheck nachweislich falschen Behauptungen zur Vorratsdatenspeicherung. Müssen wir also sogar unterstellen, dass der Vizekanzler öffentlich lügt?

Die Verhandlungsmandate gelten auch für die lokale und regionale Ebene

Offenbar weiß der deutsche Vizekanzler nicht, dass das vom EU-Parlament beschlossene Verhandlungsmandat und die Verhandlungsleitlinien für die EU-Kommission ausdrücklich für alle Verwaltungsebenen, also auch für die lokale und regionale Ebene, gelten – auch wenn der Beschluss somit gegen den EU-Lissabon-Vertrag verstößt. Noch schlimmer ist eigentlich der einmütige Mandatsbeschluss des EU-Parlaments für die TISA-Verhand­lungen, die ja jetzt schon in die 16. Verhandlungsrunde gingen, währen TTIP erst in die 9. Verhandlungsrunde geht. Für die Kommunen ist das noch geheimere TISA-Abkommen (in Federführung der USA und Australien außerhalb der WTO-Regeln und der EU-Regeln) als Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (einschließlich öffentlicher Dienstleistungen) noch viel bedrohlicher. Es soll quasi das alte GATS-Abkommen mitsamt den dort noch enthaltenen Ausnahmeregelungen und Länderlisten ablösen.

Wenn Sigmar Gabriel für die Kommunen trotzdem lauthals Entwarnung gibt, dann sollte er in die Lobby-Broschüre seines eigenen Ministeriums schauen, die von dort verbreitet wird mit dem Titel „Hilfe, ich werde enteignet“. Darin wird erklärt, dass die privaten Schiedsgerichte auch (indirekt) für die Kommunen bzw. für kommunale Rats­entscheidungen und Verwaltungsentscheidungen der Bürgermeister zuständig sind. Denn im Rahmen der Staatshaftung bei völkerrechtlichen Verträgen ist der Staat auch in der Verantwortung für alle nachgeordneten staatlichen Ebenen.

Vor allem aber wird in dieser Broschüre, die noch aus der Ära seines Vorgängers Philipp Rös­­ler stammt, von einem Lobbyisten-Verband erstellt wurde und mit öffentlichen Geldern per einmütigem Bundestagsbeschluss gefördert wurde, den Konzernen Tipps gegeben: Wie können sie ihre enteignungsgleichen Tatbestände juristisch so wasserdicht formulieren, dass sie bei den privaten Schiedsgerichten mit ihren Milliardenforderungen an den Staat auch Er­folg haben? Der Staat berät also die Unternehmen, wie sie ihr Risiko auf die Bürger und Steu­erzahler und den Staatshaushalt abwälzen können! Ist das nicht ein Fall für den Staatsanwalt, quasi: Vorbereitung zur Veruntreuung öffentlicher Gelder?

Die Praxis belegt, dass unter den 500 bis 600 bisherigen Schiedsgerichtsverfahren längst auch Klagen und Entscheidungen bezüglich der Kommunen gelaufen sind, so z. B. das bekannte Verfahren mit Millionenforderungen gegen den Hamburger Senat wegen seiner gesetzeskonformen Umweltauflagen bei der Genehmigung des Kraftwerks Moorburg. Das Ganze endete mit einem Vergleich. Es gibt noch etliche weitere Beispiel, zumeist wegen Umweltauflagen, aber auch gegen Mindestlöhne etwa der Müllwerker in Ägypten. Unsere Stadträte werden also in Zukunft immer die Schere im Kopf haben bei allen Beratungen und Beschlüssen, ob sie damit nicht Regressansprüche der Konzerne auslösen und dann lieber auf soziale oder umweltbezogene politische Gestaltungsspielräume verzichten. Rumänien wurde sogar von Konzernen verklagt, weil es gewagt hatte, EU-Recht anzuwenden…

Kommunen verlieren ihre Organisations-, Planungs- und Finanzhoheit

Ich wage aufgrund des Vorhergesagten die Prognose: Wir werden eine massive Einschränkung der kommunalen Organisations- und Gestaltungshoheit erleben, ferner ihrer Planungshoheit und Finanzhoheit, ihrer Satzungshoheit und Definitionshoheit (bezüglich der örtlichen Daseinsvorsorge) sowie ihrer politischen Rechtsgestaltungsmöglichkeiten.

Die konkrete Sorge der Städte gilt vor allem den öffentlichen Ausschreibungen und Auftragsvergaben, die künftig nicht mehr nur europaweit, sondern transnational erfolgen müssen – auch wenn die EU-Kommission auf ihrer Homepage falsche Entwarnung zu diesem Thema gibt. Schon ab niedrigen Schwellenwerten von knapp über 200.000 € bei Beschaffungen oder 5 bis 6 Mio. € bei Bauaufträgen greifen die transnationalen Ausschreibungsverpflichtungen. Schon der Kauf neuer Schreibtische und Computer fürs Rathaus oder die Sanierung einer Schule und Turnhalle überschreitet diese Schwellenwerte. Auch übliche Quersubventionierungen (z.B. die Unterhaltung des städtischen Freibades aus Erlösen der Stadtwerke) werden ebenso der Vergangenheit angehören wie Inhouse-Vergaben zwischen den städtischen Fachbereichen oder im Rahmen interkommunaler Zusammenarbeit (zur Vermeidung öffentlicher Ausschreibungen) und ähnliche kommunale Praktiken.

Vor allem ist dann keine Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen, Handwerker, Lieferanten, Dienstleister mehr erlaubt, etwa aus Gründen der regionalen Wirtschaftsförderung oder aus Umweltgründen (kurze Transportwege, regionale Märkte). Vor allen Dingen wird die gängige kommunale Praxis vereitelt, den Zuschlag für einen Auftrag nur an solche Unternehmen zu vergeben, die sich an Mindestlöhne und Tariftreuegesetz halten, die Umweltzertifikate vorweisen können und fair gehandelte Produkte (zum Beispiel ohne Kinderarbeit) garantieren. Bei den Umweltauflagen scheinen sich die Freihändler in den Verhandlungen etwas zu bewegen; mit den Sozialauflagen tun sie sich eher schwer.

Auch die momentane Welle der Gründung eigener Stadtwerke zur Rekommunalisierung der regionalen Energieversorgung könnte jäh gebremst werden. Deren Monopole stünden in Fra­­ge, auch wenn die EU-Kommission dies leugnet. Sie müssten wahrscheinlich ihre geschlossenen Konzessionsgebiete (Konzessionsabgaben) hinterfragen, ihre Leitungsnetze für Konkurrenten öffnen und womöglich etwaigen Anschluss- und Benutzungszwang z.B. für Fernwärme aufgeben. Womöglich können vor den Schiedsgerichten künftig auch unterschiedliche Gebührensätze oder Gewerbesteuersätze zwischen Nachbarstädten als wettbewerbsverzerrend und gewinnschmälernd beanstandet werden.

Auch Auflagen in Flächennutzungsplänen, Bebauungsplänen oder regionalen Raum­ordungsplänen wie z.B. das Verbot großflächiger Einzelhandelsbetriebe auf der grünen Wiese (zum Schutz des gewachsenen Einzelhandels in den Innenstädten) könnten von internationalen Handelskonzernen wegen Wettbewerbsverzerrung und Gewinnschmälerung vor die privaten Schiedsgerichte gezerrt werden. Ähnliches gilt bei Baugenehmigungen oder Betriebsgenehmigungen. Zudem wird zwecks „Entbürokratisierung“ die Verkürzung von Genehmigungs- und Planverfahren angestrebt, d. h. im Endeffekt immer weniger Bürgerbeteiligung und weniger aufwändige Umweltverträglichkeitsprüfungen etc.

Einschnitte bis hin zu den öffentlichen Sparkassen und der Wasserversorgung

Da auch die Finanzmarktregulierungen einbezogen werden sollen, könnte es den öffentlich-rechtlichen Sparkasse in Gewährsträgerschaft der Städte und Kreise an den Kragen gehen, die sich gerade ihren Sonderstatus mühsam gegen die EU-Kommission erkämpft haben. Wenn künftig die Veräußerung des Stammkapitals aufgelockert wird, dann verwandeln sich die Sparkassen ungewollt schnell in den Status privater Banken mit den dort geltenden Regelungen. Und auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften werden bei der Anwendung der eingeführten Mietpreisbremse (mit der Neufestlegung im Mietpreisspiegel) oder bei der Auflage einer „Sozialcharta“ im Zuge der Veräußerung öffentlicher Wohnungen an private Immobilienkonzerne erleben, was die Freihandelsabkommen dazu an Erschwernissen bringen.

Sogar örtliche und regionale Arbeitsmarktprogramme des Jobcenters zum Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors sind über die Freihandelsreglungen angreifbar, bis hin zur erzwungenen Zulassung von noch mehr privaten Arbeitsvermittlern.

Und wenn der Gentechnik und dem Fracking in den ländlichen Gemeinden oder städtischen Randzonen (mit evtl. Wasserschutzgebieten) schrittweise Tür und Tor geöffnet werden, dann wird sich die Umwelt und landwirtschaftliche Struktur dort einschneidend verändern. Auch die städtischen Lebensmittelkontrolleure haben bald vielleicht nur noch das verschlechterte Verbraucherschutzniveau anzuwenden, wenn etwa das Vorsorgeprinzip durch das Nachsorgeprinzip nach USA-Muster abgelöst wird.

Von der Gefahr der Privatisierung der öffentlichen Wasserversorgung erst gar nicht zu reden (nachdem gerade die EU-Konzessionsrichtlinie verhindert wurde) oder von noch mehr Konkurrenz beim ÖPNV, bis hin zum wettbewerbsverzerrenden Subventionsverbot, wozu schon das ermäßigte Sozialticket für Hartz-IV-Empfänger gehören könnte. Auch die Krankenhäuser (soweit es noch welche in kommunaler oder sozialer Trägerschaft gibt) werden sich den verstärkten „Angriffen“ der großen Krankenhauskonzerne ausgesetzt sehen. Und selbst die Rettungsdienste, Pflegedienste und Seniorenheime sowie weitere Einrichtungen gemeinnütziger Träger sind für kommerzielle Anbieter durchaus lukrativ, so dass auch das ehrenamtliche En­­gagement der Bürgerschaft auf der Strecke bleiben könnte.

Die größten Sorgen bereiten aber die künftig erschwerten öffentlichen Zuschüsse, Förderprogramme und Subventionierungen für die Bildungs- und Kultureinrichtungen wie zum Beispiel VHS, Musikschule, Bibliothek, Theater, Museum, Orchester oder Lokalfunk. Oder denken wir an den heutigen Veranstaltungsort, die alte Kölner Feuerwache als Bürgerhaus mit ihren öffentlichen Zuschüssen, die demnächst gefährdet sind. Denn entweder muss aus Wettbewerbsgründen den kommerziellen Anbietern die gleiche Subventionierung gewährt werden oder für die städ­tische Einrichtung hat sie ebenfalls zu unterbleiben, es sei denn, die Stadt kann rechtsfähig nachweisen, dass die öffentliche Subventionierung keine Nachteile für den privaten Anbieter auslöst. Und auch die Sorge um das Fallen der Buchpreisbindung ist berechtigt, denn der Buchverkauf gegen Geld gilt als kommerzielle Betätigung im Sinne von „Kulturwirtschaft“.

Trickreiche Schlupflöcher vereiteln vermeintliche Zugeständnisse

Wenn von Ausnahmen für den hoheitlichen Bereich (Polizei, Justiz, Strafvollzug) die Rede ist, dann wird unterschlagen, das ja längst nach dem Motto „Privat vor Staat“ überall private Sicherheitsdienste unterwegs sind; die Gefängnisse in Hessen werden bereits von privaten Betrieben und die Flüchtlingsheime in NRW von privaten Sicherheitsdiensten beaufsichtigt (bis hin zum aktuellen Skandal in NRW, wo Flüchtlinge durch eben diese Privataufseher gequält wurden). Wo also der hoheitliche Bereich für Private längst geöffnet wurde, lässt sich auch der weitere Zugang über die Freihandelsabkommen nicht mehr verwehren, im Gegenteil.

In den Werbekampagnen der EU für die Freihandelsabkommen wird betont, dass in CETA die Bereiche ÖPNV, Wasser, Abwasser, Abfall, Bildung, Gesundheit und Soziales herausgenommen worden seien. Dringeblieben ist aber Energie, Gas, Strom, Fernwärme, öffentliche Beleuchtung und Grünflächen – alles kommunale und öffentliche Betätigungsfelder. Und die herausgenommene Kultur wird als „Kulturwirtschaft“ wieder hereingenommen. Da es überall im Kulturellen auch kommerzielle Anbieter und Konkurrenz gibt (und sei es der IT-Lehr­gangs-Anbieter in Konkurrenz zur VHS), ist quasi fast alles immer auch „Kulturwirtschaft“. Und beim Wasser ist lediglich das „Wasser in seinem natürlichen Zustand“ herausgenommen. Was heißt das? Ist nach dem ersten Filtervorgang im Wasserwerk das veredelte Wasser eben nicht mehr in seinem natürlichen Zustand? Da ist auf das Kleingedruckte zu achten.

Alles das, was in dem einen Abkommen herausgenommen wurde, könnte über ein anderes Abkommen wieder hereingemogelt werden. Denn wir haben es mit einem Spinnennetz mehrerer Abkommen zu tun, aus dem es kein Entrinnen gibt und die sich alle aufeinander beziehen. Es erinnert an das schlangenähnliche Ungeheuer mit den vielen Köpfen in der griechischen Mythologie: Immer, wenn ein Kopf abgeschlagen wird, wächst ein neuer Kopf mit einem noch gefräßigeren Maul nach. Und mit der Abkehr von den Positivlisten und Hinwendung zu den Negativlisten hat man erreicht, dass nicht mehr alle nicht ausdrücklich genannten Ausnahmen von einer Privatisierung und Liberalisierung verschont bleiben, sondern künftig umgekehrt alles der Deregulierung und Privatisierung freigegeben ist, was nicht im Ausnahmekatalog aufgeführt ist. Hinzu kommt noch der berüchtigte „Sperrklinkeneffekt“ mit der Ratchet­-Klausel und Stillstand-Klausel, also ein faktisches Rekommunalisierungs-Verbot und ein Privatisierungszwang auch für Zukünftiges.

Die Freihändler und die EU-Kommission arbeiten mit allerlei unbestimmten Rechtsbegriffen. Angeblich ausgenommen seien Dienstleistungen „von allgemeinem Interesse“ oder Dienstleistungen, die „nicht in wirtschaftlicher Konkurrenz“ erbracht werden (es gibt aber in allen Bereichen wirtschaftliche Konkurrenz). Die Kommunen dürften weiterhin eigene Regulierungen vornehmen, die „legitim und angemessen“ sind – was das genau ist, bestimmt die EU? So haben sich die Freihändler allerlei Schlupflöcher und Hintertürchen offengehalten, um die hoch und heilig versicherten Freiheiten der Kommunen im Konzerninteresse doch noch zu beschränken. Zu den vielen Verlierern werden absehbar die Bürger, die Verbraucher, die Mittelständler (und natürlich die Entwicklungsländer) gehören – gegenüber ganz wenigen Gewinnern.

Zusammenfasende Feststellung der negativen kommunalen Effekte

Um es zusammenzufassen: Wir werden erleben, dass die Freihandelsabkommen TTIP, CETA, TISA und EGA in erheblichem Maße beeinflussen,

  • ob und welche Dienstleistungen von den Kommunen noch selber uneingeschränkt erbracht werden dürfen;
  • welche davon nicht mehr subventioniert und monopolisiert werden dürfen;
  • welche dem globalen Wettbewerb durch ungehinderten Marktzugang für private Konkurrenz geöffnet werden müssen.

Es wird vorgeschrieben, welche öffentlichen Ausschreibungen und Auftragsvergaben künftig nicht nur europaweit, sondern transnational zu erfolgen haben. Auf den Kom­munen lastet künftig ein dramatisch zunehmender Privatisierungsdruck. Möglichst alle (auch die öffentlichen) Dienstleistungsbereiche sollen weitgehend ungeschützt dem globalen Wettbewerb geöffnet werden; lokale und regionale Besonderheiten sollen eliminiert sowie kommunale Monopole, Privilegien und Zuständigkeiten geschleift werden. Es geht um eine völlige Gleich­schaltung privater und öffentlicher Dienstleistungsanbieter, um eine Gleichschaltung öffentlicher und privater (kommerzieller) Interessen. Hierbei sind Arbeits- und Tarifrecht, Sozialstandards, Umwelt­anforderungen sowie Verbraucher- und Gesundheitsschutz oder Vorsorgeprinzip und demokratische Prinzipien eher hinderlich.

Die Marktöffnungsverpflichtung und Marktzugangsberechtigung, die „Inländergleichbehandlung“ und das „Diskriminierungsverbot“ für auswärtige Konzerne sowie die „Meistbegünstigungsklausel“ sorgen vor allem für die Interessensgarantie zugunsten der kommerziellen Dienstleitungsanbieter. Letztgenannte Klausel ist besonders infam, denn sie zwingt dazu,

die für den Privaten jeweils günstigste Regelung (auch aus anderen Abkommen) anzuwenden. Selbst wenn es uns also gelingt, etwa TTIP in einigen Punkten abzuschwächen oder Ausnahmen vorzusehen, könnten sich die Konzerne dann auf andere, günstigere Regelungen und Abkommen zur Anwendung berufen.

Die Wirksamkeit der Abkommen reicht also von öffentlichen Ausschreibungen über Gewerbesteuer- und Gebührenpolitik sowie Mietpreisbremse bis hin zu den kommunalen Eigenbetrieben, der lokalen Infrastruktur sowie der örtlichen Kultur- und Sozialpolitik sowie Umwelt- und Verkehrspolitik. Es startet mit TTIP und TISA so etwas wie ein Frontalangriff auf den kommunalen und öffentlichen Sektor, der dem privaten Verwertungsinteresse unterzogen werden soll. Und das unter Zeitdruck, denn Frau Merkel möchte bis Ende 2015 TTIP zum Abschluss bringen, bevor der zivilgesellschaftliche Widerstand noch stärker wird. Ihre CDU-Bundestagsfraktion ist gerade im Clinch mit dem Deutschen Kulturrat, der den „Schweinsgalopp“ von Frau Merkel bei TTIP mit deutlichen Worten kritisierte.

Schlussappell zur kommunalen Gegenwehr

Mein Schlussappell kann also nur lauten: Lasst uns die Gegenwehr in 2015 verstärken, aber auch Alternativen aufzeigen für fairen Handel und demokratische und transparente Verfahren! Mit seinem „Alternativen Handelsmandat“ hat ja Attac in fünfjähriger Arbeit mit 50 beteiligten Gruppen gezeigt, wie Handel auch zur Win-Win-Situation und zum demokratischen Ge­winn führen kann. Dieses Konzept ist in unserer Bewegung viel zu wenig bekannt und verbreitet und sollte überall publiziert werden, auch um Politiker und Wirtschaft damit herauszufordern und darauf zu verpflichten!

Regelwerke für fairen Handel gehen nur in Konsultation mit den Bürgerinnen und Bürgern in allen Phasen, mit Transparenz und mit inhaltlichen Prüfmaßstäben für fairen Handel, vor allem aber mit Rückholung der Zuständigkeit von der Exekutive in die Legislative! Geregelter Handel geht nur unter Wahrung der Menschenrechte, der sozialen Rechte, der Umweltrechte, der Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte und der kommunalen Selbstverwaltungsrechte! Und er erfordert die völlige Herausnahme der öffentlichen und kommunalen Dienstleistungen einschließlich Bildung und Kultur!

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, nutzen wir auch die Instrumente der Gemeindeordnung (§§ 20-23 etc.), die einzuberufenden Einwohnerversammlungen, die Bürgerfragestunden, Ratsanträge, Bürgerbegehren – und mahnen wir die Berichtspflichten des Bürgermeisters zu allen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gefährdungen unserer jeweiligen Stadt an!

Nicht nur alle rheinischen Städte sollen TTIP-freie Zonen werden, sondern alle Städte in Deutschland und Europa! Und alle Infrastruktureinrichtungen und kommunalen Häuser sollen als TTIP-freie Einrichtungen auch als solche sichtbar ausgewiesen werden: Lasst es uns landauf, landab auch optisch sichtbar machen mit Schildern an allen Türen, Eingängen, öffentlichen Räumen und Plätzen und an jedem Ortsschild: „TTIP-freie Zone“! Davon muss ab morgen das Straßenbild in allen Städten beherrscht sein. Also nein zu TTIP & CO., denn wir sind der Souverän!

Daten zu Wilhelm Neurohr: siehe Internet, www.Wilhelm-Neurohr.de