Wilhelm Neurohr

Gewinnmaximierung auf Kosten der vernachlässigten Senioren

Erneuter Pflegeskandal im Sythener Alloheim:

Wann entzieht die Heimaufsicht den Alloheim-„Heuschrecken“ endlich die Betriebserlaubnis?

EINE DOKUMENTATION IN 6 TEILEN

HALTERN-SYTHEN. Im Oktober war in der privaten Senioren-Pflegeeinrichtung von Alloheim in Sythen mit 80 Heimbewohnern schon wieder ein Skandal wegen schwerer Pflegemängel öffentlich bekanntgeworden, wie zuvor schon in einem Dutzend weiterer Einrichtungen des gleichen Betreibers bundesweit. Hinter dem kommerziellen Pflegekonzern Alloheim mit bundesweit 240 Senioren-„Residenzen“ für 22.000 Bewohner stecken ständig wechselnde auswärtige Finanzgesellschaften zur bloßen Profiterzielung. Sie erstreben Milliardengewinne auf Kosten der Heimbewohner, der Pflegekassen und der Steuerzahler zu Lasten der Pflegebedürftigen und verschieben ihre Gewinne in Steueroasen. Darüber hatte schon im März 2019 Prof. Dr. Werner Nienhüser aus Haltern in einem öffentlichen Vortrag im evangelischen Gemeindehaus aufgeklärt mit der Betrachtung der Eigentums- und Machtkonzentration bei Großunternehmen wie Alloheim und anderen.

Trotz der langen Liste an gravierenden Pflegemängeln im Alloheim Sythen, die beinahe an den Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung heranreichen, begnügt sich die Heimaufsicht beim Kreis Recklinghausen aktuell mit einem erneuten temporären Belegungsstopp, wie schon einmal in 2018 oder mit einer Mängelrüge in 2021 (wegen Hygiene-Verstößen und 4 Corona-Todesopfern). Wäre es nicht nach dem dritten Vorfall und nach fünfmaligem Wechsel der Heimleitung nunmehr angebracht, die gewinnorientierte Einrichtung des Skandalkonzerns Alloheim durch Entzug der Betriebserlaubnis (spätestens nach Auslaufen oder Kündigung der Versorgungsverträge) zu schließen, wie bereits in zwei anderen Städten in NRW und Süddeutschland vollzogen, um nach einem gemeinnützigen Träger Ausschau zu halten? Die für den seinerzeitigen Deal mit Alloheim verantwortliche Stadt Haltern schweigt zu dem erneuten Skandal und geht auf Tauchstation. Auch der ansonsten rührige Seniorenbeirat hält sich mit öffentlicher Kritik zurück.

In dieser umfassenden 6-teiligen Dokumentation sollen hinreichende Gründe für eine überfällige Schließung auch des Sythener Alloheimes genannt werden.

TEIL 1:
DER HALTERNER ALLOHEIM-SKANDAL:


Die 2014 kommunalpolitisch entschiedene Beauftragung von Alloheim für den Betrieb der in 2017 eröffneten Pflegeeinrichtung in Haltern-Sythen erwies sich in den Folgejahren durch wiederholte Mängel und negative Vorfälle als problematisch bis skandalös. Der Seniorenbeirat, der regelmäßig die örtlichen Seniorenheime in Haltern vor Ort aufsucht und mit Heimbewohnern spricht, hatte beim zurückliegenden Skandal in 2018 immerhin reagiert: Er traf sich zu einem Kritikgespräch mit der Leitung des Sythener Alloheims im März 2018, die mit Schönfärberei eine dauerhafte Problemlösung versprach.

Danach freute sich der davon überzeugte Seniorenbeirat, „feststellen zu können, dass auch künftig mit einem reibungslosen und qualitativ gesicherten Betrieb der Seniorenanlage in Sythen gerechnet werden darf. Die in diesem Zusammenhang aufgekommene Phase der Unsicherheit betrachtet der Seniorenbeirat als beendet - eine gute Nachricht für Heimbewohner und Interessenten“, so die damalige Verlautbarung. Diese Feststellung war wohl verfrüht und etwas zu gutgläubig. Denn inzwischen müssen sich die Beteiligten von Alloheim getäuscht und enttäuscht fühlen nach den nun wieder aufgetretenen schwerwiegenden Pflegemängeln und Mißständen, entgegen allen Versprechungen und Beteuerungen des Pflegekonzerns.

"Geborgenheit in liebvoller Umsorgung bei hoher Lebensqualität"

Auf der Homepage des Sythener Alloheimes ist trotz der gravierenden Pflegemängel weiterhin zu lesen: "In der Alloheim Senioren-Residenz „Sythen am See“ in Haltern am See können Sie oder Ihre Angehörigen Geborgenheit und eine hohe Lebensqualität genießen – liebevoll umsorgt in unserer stationären Pflege." In einer Referenz für Alloheim heisst es: "Der übergreifende inhaltliche Anspruch „Wir dienen Ihrer Lebensqualität“ gilt für Alloheim im Hinblick auf die Kunden und Bewohner, aber auch für den Umgang mit Mitarbeitern. (...) Alloheim bietet hochwertige Leistungen in der Pflege für verschiedene Altersgruppen sowie im Betreuten Wohnen für Senioren und verfügt über eine herausragende Pflegekompetenz, die neben der stationären und mobilen Pflege für Senioren auch umfassende Angebote in der Spezialpflege umfasst."

Auch das Alloheim in Sythen wird so angepriesen: Wir wollen, dass alle eine gute Zeit bei und mit uns verbringen. „Wir dienen Ihrer Lebensqualität“, unser Leitbild, nehmen wir wörtlich. Wir sind Dienstleister der Menschen, die uns anvertraut sind. Wir möchten ihre Wünsche erfüllen und ihnen eine angenehme, erfüllte Zeit ermöglichen. Sie sollen sich mit und bei uns wohl fühlen".

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Ständig wechselnde Heimleitung

Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander, dass musste auch die Stadt Haltern feststellen, die auf die Werbung von und für Alloheim 2014 hereingefallen war. In Wirklichkeit wird nun erneut vom Konzern über Stellenanzeigen für das Sythener Alloheim die Neubesetzung der Pflegedienstleitung als auch der Hauswirtschaftsleitung und der Wohnbereichsleitung Pflege angestrebt und damit zum sechsten oder siebten Mal in 5 Jahren das Leitungspersonal ausgetauscht und zudem ein Qualitätsbeauftragter und medizinisches Personal gesucht. Ein jahr zuvor, im September 2021, stand die Meldung in der Immobilienzeitung: "Für Deutschlands zweitgrößten Pflegeheimbetreiber wird ein neuer Eigentümer gesucht. Nordic Capital will sich zurückziehen".

Dringend benötigte Heimplätze gehören in öffentliche oder gemeinnützige Trägerschaft

In der Selbstdarstellung des Alloheim-Konzerns, der 1973 gegründet wurde und schon 2015 einen Umsatz von fast 300 Mio. € erzielte, heißt es: "Die Alloheim-Unternehmensgruppe gehört zu den führenden privaten Betreibern von Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Seit der Gründung vor über 45 Jahren ist unser Unternehmen kontinuierlich gewachsen, auf mehr als 250 Residenzen und 22.000 Mitarbeiter. Wir sind deutschlandweit in den Geschäftsfeldern „Stationäre Pflegeeinrichtungen“, „Ambulante Pflegedienste“ und „Betreutes Wohnen“ tätig. (...) Das Leistungsportfolio unterteilt sich in die Bereiche stationäre Pflege, mobile Pflege sowie betreutes Wohnen. Den Schwerpunkt bildet das Segment der stationären Pflege. "

Gehören aber nicht dringend benötigte Heimplätze in zuverlässige öffentliche oder gemeinnützige Trägerschaft ohne Gewinninteressen? Nach Undercover-Recherchen des Teams von Günter-Wallraff in verschiedenen Heimen der großen Pflegekonzerne wurde Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit den schockierenden Ergebnissen konfrontiert. Für den Gesundheitsminister liegt der Fehler in der Privatisierung der Pflegebranche mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995. „Jetzt ist es so, dass diese privaten Investoren einfach nicht enteignet werden können“, so Lauterbach im RTL-Interview. „Das ist rechtlich so nicht machbar. Rückblickend hätte ich es richtig gefunden, wenn die Pflege einfach eine kommunale Aufgabe geblieben wäre.“

Alloheim-Projekte als profitable Kapitalanlage angepriesen

Dass die Pflegeimmobilien der Alloheim Residenzen GmbH wie in Haltern-Sythen in Wirklichkeit nur als Geldanlage für Kapitalanleger betrachtet werden, wird auf der Homepage der "Ott Investment AG" aus den Vorjahren unverblümt verraten, als Alloheim noch auf Platz 3 (heute Platz 2) der großen kommerziellen Pflegkonzerne stand. Dort hieß es: "Als drittgrößter Betreiber von Pflegeeinrichtungen und 40 Jahren erfolgreichen Wirtschaftens am Markt, ist die Alloheim Senioren-Residenzen GmbH ein wahrer Gigant. Doch das Unternehmen steht nicht nur für seinen Erfolg, sondern auch für höchste Qualität bei stationärer Pflege, Spezialpflege, betreutem Wohnen und mobiler Pflege. 6.000 Mitarbeiter beschäftigt Alloheim an 70 Standorten. Das enorme Wachstum von 30% in den letzten Jahren ist Resultat der Umsetzung von Erfolgsstrategien sowie des hohen Qualitätsanspruchs.".

Weiter hieß es dort: "Ein solcher Betreiber gewährleistet natürlich ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit und langfristige Betriebsstabilität. Für Investoren ein Signal für Sicherheit und Verlässlichkeit bei der Kapitalanlage. Dies bestätigen auch die stets sehr guten Noten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Es dürfe selbst den skeptischsten Kapitalanleger überzeugen, wie bodenständig und profitabel eine Anlage bei einem Objekt ist, das von der Alloheim-Gruppe betrieben wird."

Dringend benötigte Heimplätze rechtfertigen keine Duldung von Schlechtleistungen

Allein die Sorge um das Fehlen dringend benötigter Heimplätze und Seniorenwohnungen in Haltern rechtfertigt deshalb keinen duldsamen Umgang mit dem profitorientierten Skandalkonzern Alloheim, der nicht nur in Sythen, sondern bundesweit in Dutzenden seiner Heime für Skandale sorgt und aus den negativen Schlagzeilen nicht mehr herauskommt. "Denn Pflege ist Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge so wie Kinderbetreuung und Bildung. In diesem höchst sensiblen Bereich hat das Prinzip der Gewinnmaximierung zugunsten von Finanzinvestoren mit Verbindung zu Steueroasen nichts verloren". (Siehe hierzu: https://www.investigate-europe.eu/de/2021/heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/ )

Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren schaden der Pflegeversicherung

„Zweistellige Renditen für Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften - das ist nicht die Idee einer sozialen Pflegeversicherung”, sagte der vorherige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon 2018 in einem Interview. Denn in Wirklichkeit erweisen sich die privaten Investitionen in Pflegeheime, Betreuungseinrichtungen und -dienstleistungen sowie Seniorenwohnungen als profitable Kapitalanlage - zu Lasten und auf Kosten der Senioren, der Pflegekasse und des Pflegepersonals. In anderen EU-Ländern hat man deshalb den privaten Firmen (nach Auslaufen der Versorgungsverträge oder durch deren vorzeitige Kündigung wegen Schlechtleistung) den Heimbetrieb längst entzogen und den Betrieb selber in öffentlicher Hand übernommen.

Andere EU-Länder entziehen privaten Firmen den Heimbetrieb

In Österreich und Norwegen beispielsweise haben Kommunen privaten Firmen den Heimbetrieb mittlerweile entzogen, darauf weist "Investigate Europe" hin. So schrieb die Landesregierung im österreichischen Burgenland schon 2019 fest, dass alle Altenheime ab 2024 nur noch von gemeinnützigen Gesellschaften betrieben werden dürfen. Das machen viele Kommunen in Norwegen genauso: "Nach Auslaufen der Versorgungsverträge mit privaten Heimbetreibern gestanden etwa Oslo, Bergen und Stavanger keine Verlängerung zu und übernahmen die Heime in eigener Regie". Private Unternehmen seien gut für die Gesellschaft, „aber sie sind gefährlich, wenn sie Pflegedienste betreiben“. Diese Sichtweise sollte man auch bei uns in Deutschland übernehmen und zum Handlungsmaßstab für den Halterner Skandalfall nehmen.

Profitmaximierung auf Kosten der Senioren

Denn der in Händen von Finanzgesellschaften befindliche Alloheim-Konzern - als zweitgrößter kommerzieller Seniorenheim-Betreiber in Deutschland und sechstgrößter in Europa - verursacht seit Jahren Skandal um Skandal in Dutzenden Seniorenresidenzen im ganzen Land zwischen 2016 und 2022. Erhebliche Pflegemängel und wiederholter Aufnahmestopp sind an der Tagesordnung. Erst zu Beginn dieses Jahres hat das Undercover-Reporterteam von Günter Wallraff haarsträubende Mißstände in mehreren Alloheimen aktuell aufgedeckt und auch in Fernseh-Dokumentationen von "Frontal 21" wurden weitere Skandale publik.

Das Unternehmen Alloheim steht immer wieder wegen mangelhafter Pflege in der öffentlichen Kritik und wird mit wiederholtem Aufnahmestopp von der jeweiligen Heimaufsicht belegt. Sein Geschäftsprinzip: Rendite um jeden Preis - Profitmaximierung auf Kosten der Patienten. Das hätte die Stadt vor ihrer Entscheidung wissen können.

Hatte die Stadt sich vorher nicht über Alloheim erkundigt?

Die dubiose Alloheim-Kette mit ständig wechselnden Investoren im Hintergrund betrieb nach Erwerb der Senterra AG bereits 2018 insgesamt fast 20.000 Pflegebetten und Apartments für Betreutes Wohnen. Zur Alloheim-Gruppe gehörten 2018 bereits mehr als 155 Pflegeheime, 27 Einrichtungen mit betreutem Wohnen und 13 ambulante Pflegedienste. Heute sind es bereits 240 Einrichtungen.

Hat die Stadt Haltern vor Auftragsvergabe dort keine Erkundigungen eingeholt über die Zuverlässigkeit und Zufriedenheit mit dem kommerziellen Dienstleister? Waren ihr die öffentlichen Klagen von den Beschäftigten und den Gewerkschaften sowie von Angehörigen der Heimbewohner entgangen?

„Leuchtturmprojekt“ Alloheim:
Mitschuldige Stadt bereute ihre Fehlentscheidung

Mit der in 2014 erfolgten Vergabe des 2017 eröffneten Pflegeheim- und Seniorenwohnprojektes im Halterner Stadtteil Sythen an den kommerziellen Betreiber Alloheim-Seniorenresidenzen mit Sitz in Düsseldorf (statt an einen öffentlichen, gemeinnützigen oder kirchlichen Träger) hatte die Stadt Haltern eine unverzeihliche politische Fehlentscheidung getroffen - mit den Stimmen von CDU und einigen Grünen im Rat. Diesen Ratsbeschluss auf Vorschlag der Verwaltung hat man inzwischen nach den wiederholten Skandalfällen wohl längst bereut. Dabei sollte es ein „Leuchtturmprojekt der Altenhilfe" werden, so hieß es beim Spatenstich 2017.

Stattdessen enttäuschte der Pflegekonzern wiederholt mit gravierenden Mängeln in Sythen. Das hielt die damalige Stadtspitze jedoch in 2020 nicht davon ab, dem skandalträchtigen Konzern mit einer rechtswidrigen Baugenehmigung für eine heftig umstrittene Umbaumaßnahme in Abweichung vom gültigen Bebauungsplan nochmals zu Diensten zu sein, wie ein Gutachten des Kreises als Aufsichtsbehörde in 2021 feststellte. Per Amtswillkür wurde also geltendes Recht im Interesse von Alloheim und seines Bauträgers gebeugt (eigentlich ein Straftatbestand für die obersten Amtsträger aus dem Halterner Rathaus, die das im Alleingang ohne Einbezug ihrer Fachleute und des Stadtrates entschieden hatten).

Leere Versprechen auch beim Bau bezahlbarer Seniorenwohnungen

Und auch die Realisierung des Versprechens von Alloheim (bzw. seines Grundstückskäufers und Geschäftspartners TSC Osmium), 25 seniorengerechte Wohnungen neben der Residenz zeitnah in 2015 zu errichten, wurde jahrelang hinausgezögert. Die verärgerte Stadt wurde wiederholt vertröstet bis zum Spatenstich 2017. Als die Seniorenwohnungen nach Fertigstellung ab 2020 endlich vermarktet werden sollten, blieben die meisten leer, weil maßlos überteuert durch verlangte „Wuchermiete“ weit über dem Mietpreisspiegel. Damit war den Senioren in Haltern und Sythen nicht gedient, wohl aber den Immobilienhaien. Die „Halterner Zeitung“ kommentierte im Februar 2021: „Es ist ein trauriges Bild. Wo ein lebendiges Quartier entstehen sollte, wo sich Jung und Alt begegnen, findet sich momentan trostloser Leerstand.“ Vielleicht dient dieser der steuerlichen Verlustabschreibung?

Stadt würde heute wohl nicht mehr für Alloheim votieren

Beim zurückliegenden Sythener Alloheim-Skandal im Jahr 2018 hatte die Stadt Haltern die Alloheim-Verantwortlichen immerhin in die Ratssitzung vorgeladen. Dazu hieß es damals in der Presseberichterstattung: „Keinen angenehmen Abend verbrachten die drei Vertreter der Firma Alloheim in der Ratssitzung am Donnerstagabend. Denn Christoph Mosler, Markus Marx und Marcel Trümpelmann ernteten von den Ratsmitgliedern ausschließlich negative Bewertungen wegen der alles andere als zufriedenstellenden Bedingungen im Sythener Altenwohnheim“.

Weiter hieß es nach der Ratssitzung: „Auch die Politiker, die seinerzeit für die Vergabe an Alloheim gestimmt hatten, erklärten nun sehr deutlich, dass sie so gegenwärtig nicht mehr votieren würden. Denn zu gravierend sind die Mängel, die im Altenwohnheim im Baugebiet Elterbreischlag bekannt geworden sind. Nach wie vor besteht der Aufnahmestopp, den die Heimaufsicht des Kreises verhängt hatte.“ Auch der erneute Aufnahmestopp in 2022 ist auf der Grundlage einer aktuellen Mängelliste mit gravierenden Verstößen erfolgt. Diese reichen von unzureichender ärztlicher Versorgung über Mangelernährung, unzureichende Wundbehandlung und mangelndes Schmerzmanagement bis zu fehlenden oder falschen Medikamenten sowie unvollständiger Dokumentation u.v.m. Die Stadt hat zu dem neuen Skandal bislang keinerlei Stellungnahme abgegeben.

Kommerzielles Geschäftsmodell hätte Stadt abhalten müssen

Die bereits im Januar 2018 aufgekommene öffentliche Diskussion über die Entwicklungen rund ums Alloheim in Sythen ist - nach Bekanntwerden der Grundstücksverkäufe an die Viam-TSC Osmium Berlin und der Übernahme des Altenheim-Betreibers durch den Finanzinvestor Nordic Capital mit Sitz auf Jersey - mehr als verständlich. Dass kurz darauf in 2021 schwere Hygieneverstöße aufgedeckt wurden und jetzt in 2022 schwerwiegende Pflegemängel, verwundert nicht. Hätte die Stadt vor ihrer Grundsatzentscheidung in 2014 gründlicher über die Qualität und Reputation des Alloheim-Konzerns recherchiert und Referenzen eingeholt, wäre sie dem Konzern nicht auf den Leim gegangen und den Heimbewohnern wäre Leid erspart worden.

Das Unternehmen stand schon damals immer wieder wegen mangelhafter Pflege in seinen zahlreichen Einrichtungen in der öffentlichen Kritik. Schon das kommerzielle Geschäftsmodell an sich hätte die Stadt von ihrer Entscheidung abhalten müssen. Aber die neoliberale Ideologie von der „vorteilhaften Privatisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge“ über "finanzstarke Investoren" beherrscht bis heute die Köpfe mancher politischer Entscheidungsträger, obwohl sie nun eines Besseren belehrt werden.

„Verhältnisse für die Alloheim-Bewohner immer unerträglicher“

In einem Leserbrief am 22. Oktober 2022 an die Halterner Lokalzeitung schrieb ein Halterner Bürger zu dem erschütternden aktuellen Sythener Skandalfall: „Es ist grausam, lesen zu müssen, was den Bewohnern des Alloheims angetan wird. Die schon immer schlechten Verhältnisse dort werden anscheinend immer unerträglicher. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es Mitglieder des damaligen Stadtrates waren, die diesen „Pflegekonzern“ in die Stadt geholt haben. Man fragt sich, ob diese Leute nicht eine Mitschuld am Leiden und an den Schmerzen der Bewohner des Alloheims tragen.“

Auch auf diesen berechtigten Vorwurf reagierten die Verantwortlichen in der Stadt mit Stillschweigen und sind allesamt „abgetaucht“, wie der Leserbriefschreiber zu Recht beklagte. Denn alle wissen längst um die generelle Problematik des Skandalkonzerns Alloheim, dem die Senioren ausgeliefert sind, die dort abgezockt und vernachlässigt werden. Eine politische Mitverantwortung und Handlungsbedarf sieht man offensichtlich nicht.

Armutszeugnis: Problemlösung mit Leiharbeitskräften von Zeitarbeitsfirmen?

Der Alloheim-Konzern hat im aktuellen Sythener Skandalfall selber schwere Pflegemängel und personelle Unterbesetzung eingeräumt und will zur Problembewältigung unter anderem auf Leiharbeitskräfte von Zeitarbeitsfirmen zurückgreifen. Zugleich bedauert er, dass er innerhalb von sieben Monaten die von der Heimaufsicht beanstandeten Mängel nicht zu beheben in der Lage gewesen sei.

Dazu kommentierte die „Halterner Zeitung“ am 22. Oktober: „Ein Armutszeugnis, das umso härter ausfällt, weil das Unternehmen erklärt, ohne externe Hilfe nicht aus der Misere kommen zu können“. Der Konzern habe sich selbst entlarvt, denn sein Pflegeservice sei längst zum reinen Geschäft mit der Pflege geworden Ein großer gutverdienender Marktführer auf dem Pflegesektor schafft das nicht, was man den kleinen Trägern von Seniorenheimen an Qualität abverlangt?

Geschäft mit der Pflege: Vorgehen von Alloheim menschenunwürdig

Weiter heißt es in dem Zeitungskommentar: Der Konzern habe das Vertrauen missbraucht. „Im aktuellen Fall geht es nicht um irgendwelche Produkte, bei deren Herstellung es zu Verzögerungen gekommen ist. Es geht um Menschen, die darauf vertrauen, dass sie in der Pflegeeinrichtung gut versorgt sind. Die händeringend einen Pflegeplatz gesucht haben. Viele von ihnen wurden möglicherweise monatelang vernachlässigt. Die Vorgehensweise der Alloheim Senioren Residenzen SE ist menschenunwürdig. Und macht deutlich, wie sehr der Pflegeservice längst zum reinen Geschäft mit der Pflege geworden ist“.

Sythener Heimbewohner berichteten über katastrophale Zustände

Auf der Homepage der Halterner SPD-Ratsfraktion, die 2014 nicht für die Vergabe und den Grundstücksverkauf an Alloheim plädiert hatte, wurden schon in 2018 bedrückende Aussagen des Heimbeirates und von Heimbewohnern und Nachbarn zitiert: „Lange haben wir die Einrichtung geschützt. Jetzt war ein Punkt gekommen, wo das nicht mehr ging“, sagte der Vorsitzende des Heimbeirats, Jürgen Koch. Er macht sich große Sorgen um die Bewohner der Einrichtung und wirft dem Betreiber Alloheim Intransparenz vor. Die Kommunikation zwischen einzelnen Abteilungen innerhalb des Hauses funktioniere nicht.

Leiharbeit und Lohndrückerei: „Rendite und Altenhilfe passen nicht zusammen“

Leiharbeit spiele im Sythener Alloheim eine große Rolle, machte Jürgen Koch vom Heimbeirat darüber hinaus deutlich. Nach seinen Informationen verdienen die Mitarbeiter, die direkt beim Arbeitgeber Alloheim beschäftigt sind, weniger als die Leiharbeiter. „Rendite und Altenhilfe passen einfach nicht zusammen“, spielte er auf den Verkauf der Alloheimgruppe an den schwedischen Investmentfonds „Nordic Capital“ im Juni 2017 an. Aus seiner Sicht geht es im Sythener Alloheim momentan nur darum, Gewinn zu machen. Selbst kleinste Anschaffungen zum Wohle der Bewohner seien nicht möglich.

Fehlendes Personal: Engagierte Mitarbeiter suchen das Weite

Auch eine Heimbewohnerin, die anonym bleiben möchte, erhob schwere Vorwürfe gegen die Alloheim-Leitung. Die Eingewöhnungszeit im Haus sei noch sehr schön gewesen. Mit zunehmender Belegung des Demenzbereiches habe aber in den anderen Wohnbereichen das Personal gefehlt. Medikamente seien nicht richtig ausgeteilt, Toilettengänge von nicht mobilen Personen nicht richtig betreut worden. So sei es zu menschenunwürdigen Situationen gekommen. Beim Pflegepersonal sei eine sehr hohe Fluktuation zu beobachten gewesen. „Manche blieben nur drei Tage“, schilderte die Bewohnerin. Viele engagierte Mitarbeiter hätten mittlerweile die Segel gestrichen. Zurzeit würde das Personal im Haus aufgestockt, indem Alloheim Mitarbeiter aus weit entfernten Einrichtungen abziehe und in Sythen einsetze.

Nachbarn kümmern sich um die Pflege der vernachlässigten Außenanlagen

Die Nachbarn rund um das Alloheim in Sythen haben tatkräftig mitangepackt, um die vernachlässigten Grünanlagen der Einrichtung mit gespendeten Pflanzen zu verschönern. „Was wir in diesem Sommer nicht selbst gewässert haben, ist einfach eingegangen“, ist eine Nachbarin enttäuscht, die ihren Namen ebenfalls nicht öffentlich lesen möchte. Sie berichtete über Bewohner des Alloheims, die im kahlen Innenhof immer wieder dieselbe Runde drehen und dieselbe Klinke drücken. Als sie dem Heim gemeldet habe, dass sie einen Bewohner nackt am Fenster stehen sehe, habe man ihr mitgeteilt: „Das müssen Sie aushalten".

TEIL 2:
DIE BUNDESWEITEN ALLOHEIM-SKANDALE:

Bundesweite Skandale bei Alloheim sind keine „Einzelfälle“

Wenn der Alloheim-Konzern zumeist von „bedauerlichen Einzelfällen“ bei aufgedeckten Mißständen spricht, so blendet er die seit Jahren anhaltende Skandalserie aus. Anfang 2018 berichteten Stuttgarter Zeitung und ZDF Frontal21 über Missstände in Altenheimen der Alloheim-Kette. Beim System Alloheim geht es um Rendite um jeden Preis. Dahinter steckt ein System von Profitmaximierung auf Kosten der Patienten und der Pflegekräfte, wie die investigativen Journalisten entlarvt haben: „Die Hygiene war mangelhaft, in den Gängen stank es nach Urin, das Heim war personell unterbesetzt und das Fachpersonal fehlte oft. Zu häufig wurden Senioren ans Bett gefesselt.“

Zwangsschließung der Alloheime in Ludwigsburgs und Simmerath

Spätestens seit 2015 waren solche Zustände bekannt. Nach einem jahrelangen Hickhack hat z. B. die Heimaufsicht im Ludwigsburger Landratsamt im Herbst 2017 die Zwangsschließung des dortigen Heimes verfügt. Das Seniorenheim gehörte bis Dezember 2017 zur Alloheim-Gruppe aus Nordrhein-Westfalen, die damals bundesweit über 160 Heime betrieb und durch Zukäufe ständig gewachsen ist.

Die skandalträchtige Alloheim-Dependance in Ludwigsburg ist kein Einzelfall, auch die Alloheim-Einrichtung in Simmerath wurde geschlossen. Diese Fälle wurden bundesweit über die Medien bekannt und konnten auch in Haltern zur Kenntnis genommen werden. Hinter den Missständen steckt nach Überzeugung der Gewerkschaft Verdi und von Pflegeexperten ein breit angelegtes System zur Steigerung der Rendite zu Lasten der Heimbewohner und des Pflegepersonals.

300 € Gewinn pro Patient im Monat im Ludwigsburger Heim

Die Vielzahl und Häufung von Skandalfällen bei Alloheim ließ die Öffentlichkeit nach einer Fernsehsendung über den Ludwigsburger Skandal aufhorchen. Wollte der Eigentümer sogar die Bilanzen aufhübschen, um für den Verkauf an Nordic Capital mehr herausschlagen zu können? Ein Blick in die Finanzunterlagen für das Ludwigsburger Heim zwischen Januar und Juni 2016 lässt die Vermutung plausibel erscheinen, dass bei dem Pflegekonzern Profitmaximierung an oberster Stelle steht. Nach den Unterlagen von „Frontal 21“ und der Stuttgarter Zeitung wurde in dem betreffenden Zeitraum ein Gewinn von 190.000 Euro in dem Heim gemacht. Das würde pro Patient im Monat etwa 300 Euro Gewinn ausmachen. Lediglich vier Euro je Tag und Bewohner wurde für die Ernährung ausgegeben.

Alloheim erklärte gegenüber Frontal 21 dazu: „Am Essen wurde nicht gespart.“ Zu den Geschäftszahlen will man sich aber nicht äußern. Generell erklärt das Unternehmen, dass es in „wenigen bedauerlichen Einzelfällen“ dazu gekommen sei, dass einzelne Einrichtungen zeitweise die „hohen Qualitätsanforderungen von Alloheim nicht vollständig erfüllten“. Man habe umgehend entschieden und gehandelt.

Schließung der Heime durch Verkauf abgewendet

Die Schließung der beiden Alloheim-Einrichtungen in Ludwigsburg und Simmerath war jedenfalls ein Problem für das Image des Unternehmens. Deswegen griffen die Geschäftsführer Rainer Hohmann und Thomas Kupczik zu einem Trick: Sie verkauften kurz vor dem angedrohten Schließungstermin die Einrichtung an eine andere Firma. In Nordrhein-Westfalen an die „Itertal-Seniorenresidenzen“, in Ludwigsburg an die Convivo-Gruppe in Bremen. Beide Male entschied die Heimaufsicht, den Pflegeheimen unter neuer Leitung den Weiterbetrieb zu ermöglichen, wie im Portal „Pflegen online“ dargestellt.

Der Convivo-Geschäftsführer Timm Klöpper erklärte bei der Übernahme: „Wir haben eine andere Unternehmenskultur.“ Man wolle die Probleme aufarbeiten. Pikant ist, dass der andere Convivo-Geschäftsführer Torsten Gehle zeitweilig mit einem anderen Mitstreiter geschäftsführender Gesellschafter der Senator-Gruppe war, deren 48 Heime im Jahr 2016 an Alloheim verkauft wurden. An einer Teilgesellschaft mit Alloheim besaß er für einige Monate sogar 50 Prozent Anteile; Gehle und Kupczik haben sich die Klinke in die Hand gegeben. „Nun rettet Gehle das Ludwigsburger Alloheim vor der Schließung – und behält die Heimleitung bei. Nur ein Zufall?“

Ein weiterer Skandalfall im Alloheim Bremen

Im April 2018 wurde Kritik an der Alloheim-Pflegeinrichtung in Bremen laut, nachdem der „Weser-Kurier“ mit Angehörigen einer Zeitarbeitsfirma gesprochen hatte. Wenige Stammkräfte und überlastetes Personal hätten zu Missständen geführt, berichteten Angehörige und erhoben schwere Vorwürfe. Sie klagten über fehlende Medikamentenvergabe und Sauberkeit, doch Alloheim hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen. Daraufhin hatte sich der Senat in den Fall eingeschaltet, über den zunächst Radio Bremen berichtet hatte.

Eine Vereinbarung zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Träger ist danach getroffen worden, ein Qualitätsmanagement wurde eingestellt. Erst nach ein paar Wochen seien wieder neue Leute eingestellt worden, berichtet ein Angehöriger. Diese Pfleger seien aber noch ganz neu und würden sich noch nicht richtig auskennen. Ein weibliches Familienmitglied sei in der Einrichtung in der Langzeitpflege-Abteilung untergebracht. Die Frau sei schwer krank und nicht mehr in der Lage, die Situation einzuschätzen oder sich dazu zu äußern. Sie habe aber Schlimmes erlebt und erlitten.

Strafanzeige wegen Körperverletzung

Die Alloheim-Einrichtung im Bremer Stadtteil Horn geriet ins Visier der Staatsanwälte nach einer Strafanzeige wegen Körperverletzung. Verzweifelt wendet sich eine Pflegekraft an die Bildzeitung gewandt: Sie wollte anonym bleiben, um nicht ihren Job zu gefährden und sagte: „Es gibt massive Missstände seit vielen Monaten. Die Bewohner werden vernachlässigt!“ Es fehle an Inkontinenzmaterial, Netzhosen, Bettwäsche und Handtüchern. Erschreckend: Auch am Essen wird gespart. „Wenn ich zum Nachtdienst komme, liegen die Leute teilweise hungrig im Bett und die Kühlschränke sind leer“, sagt die Mitarbeiterin. Zuletzt hatte eine Angehörige Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt und ihren Vater aus der Einrichtung (Alloheim-Gruppe), verlegen lassen. Auch in einer anderen Einrichtung ermittelte nach dem Tod eines Patienten der Staatsanwalt.

Zehn Einrichtungen von Alloheim in der Kritik der Behörden

Seit 2016 wurden bei zehn Einrichtungen der Alloheim-Gruppe Ermittlungen durch Behörden aufgenommen oder ein Aufnahmestopp erlassen, so z. B. in Bredstedt, wo behördlicherseits mehrfach ein Unterschreiten der Fachkräftequote festgestellt wurde. Alloheim sah hierin durch die Gesamtzahl der betriebenen Einrichtungen keine Häufung. Im Dezember 2020 gab es Berichte über die Vorwürfe einer Angehörigen gegen die Seniorenresidenz Osterfeld. Eine ehemalige Mitarbeiterin des Betreibers Alloheim meldete sich und gab tiefe Einblicke.

2017 berichtete die Wetterauer Zeitung über Probleme im Assenheimer „Haus Taunusblick“. Diese seien mit der Übernahme durch die Alloheim-Gruppe aufgetreten. Die Vorwürfe der Gewinnmaximierung und des Personalmangels wurden seitens des Betreibers als Verleumdungen zurückgewiesen; die zuständige Heimaufsicht bestätigte jedoch „Mängel im Bereich der Betreuung und Pflege sowie hinsichtlich des Personals“ und ordnete einen Belegungsstopp an. Ähnliche Beschwerden gab es über Heime der Alloheim-Gruppe in Erfurt und über die bereits erwähnten Heime in Ludwigsburg und Simmerath; die von der Heimaufsicht geschlossen bzw. an einen anderen Betreiber übergeben wurden, wie zuvor angemerkt.

Schwere Mißstände in den Alloheim-Seniorenheimen in Bredstedt und Niebüll

In Berichten des Norddeutschen Rundfunks (NDR) erhoben Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen die in Düsseldorf ansässige Betreibergesellschaft Alloheim. Herrscht in den Heimen der Alloheim-Seniorenresidenzen in Bredstedt und Niebüll der Pflegenotstand? Demnach würden die Bewohner des Bredstedter Heims zu wenig zu essen bekommen, Zimmer schimmeln und aufgrund von Personalmangel erhielten die Bewohner generell zu wenig Unterstützung. Auch für die Pflegeeinrichtung in Niebüll-Gath klagte ein ehemaliger Mitarbeiter über zu wenig Personal und Hygienemängel. In Niebüll wurde 2018 von der Heimaufsicht ein Belegungsstopp ausgesprochen.

Die beiden Häuser in Niebüll-Gath und Bredstedt waren ursprünglich einmal in öffentlicher Hand. Der Kreis Nordfriesland hatte in den 1990er-Jahren sein „Tafelsilber“ in Form von Aktien und Alten- und Pflegeeinrichtungen veräußert, zumal er selber finanziell unter Druck war und in den Häusern teilweise Investitions-Stau herrschte. Käufer war der DRK-Landesverband, der später selber in finanzielle Turbulenzen geriet und die Einrichtungen an die Senator-Unternehmensgruppe veräußerte. Diese wurde Anfang 2016 von der Alloheim-Senioren-Residenzen SE geschluckt.

Brand in Seniorenheim in Bönen: Bewohner evakuiert - Zimmer zerstört

Im Juli 2022 war ein Großeinsatz in der Senioren-Residenz in Bönen: Ein Zimmer brannte komplett aus. Die Bewohner mussten evakuiert werden. Es war ein Schock für die Bewohner und Mitarbeiter der „Senioren-Residenz Bönen-Königsborn“ an der Heinrich-Wieschhoff-Straße: Am Sonntagvormittag war in einem der Zimmer im Obergeschoss des vorderen Gebäudekomplexes ein Feuer ausgebrochen. Ein Großaufgebot der Feuerwehr rückte an, die Bewohner mussten zwischenzeitlich das Gebäude verlassen. Noch auf dem Weg zum Einsatz wurde über die Leitstelle bestätigt, dass es eine Rauchentwicklung in dem Gebäude gibt. Daraufhin wurden weitere Kräfte aus dem Kreis Unna alarmiert. Die Evakuierung der 47 Bewohner hat dann reibungslos funktioniert. Sämtliche Bewohner und Mitarbeiter waren wohlauf, es gab keine Verletzten. Es ist nochmal gut gegangen, obwohl danach einige Räume vorerst nicht mehr nutzbar waren.

Weitere Mißstände in Heimen der Alloheim-Kette in Brandenburg und Bremen

Anfang 2018 berichteten Stuttgarter Zeitung und ZDF Frontal21 nach Recherchen über weitere Missstände in Altenheimen der Alloheim-Kette. Ein Corona-Ausbruch in einem Altenheim der Alloheim-Kette in Brandenburg, in dem nur die Hälfte der Pflegekräfte gegen Covid-19 geimpft war und infolgedessen über zehn Bewohner starben, hatte im November 2021 eine deutschlandweite Berichterstattung zur Folge.

Ebenfalls 2018 wurde für ein Seniorenheim der Alloheim-Gruppe in Bremen aufgrund von Mängeln ein Belegungsverbot verhängt. Alloheim war zunächst rechtlich gegen die Anordnungen vorgegangen, zog dann aber seinen Widerspruch zurück. Im selben Jahr wurde von der Heimaufsicht auch ein Belegungsverbot gegen das Heim in Sythen erlassen.

Düsseldorfer Pflegekette Alloheim gerät in die Schusslinie

Auch die NRZ berichtete in 2018 über skandalöse Vorgänge in mehreren Alloheimen: „In einem TV-Beitrag werfen Angehörige von Bewohnern Alloheim in seinen Altenheimen desaströse Bedingungen vor. Maden in Wunden, Hämatome im Gesicht. Zwei Frauen, die jeweils eine Angehörige in die Obhut zweier verschiedener Altenheime von Alloheim gegeben hatten, kritisieren in dem Bericht die Bedingungen in den Wohnstätten scharf. Eine Frau gibt an, dass ihre Mutter während des Aufenthalts in einer Seniorenresidenz von Alloheim plötzlich große Hämatome im Gesicht und einen gebrochenen Arm gehabt habe.

Das Unternehmen widersprach, doch der damalige Bericht im ZDF-Magazin „Frontal 21“ rund um unmenschliche Bedingungen in Altenheimen rückte kommerzielle Unternehmen in den Fokus der Kritik – mittendrin der Anbieter Alloheim, der seine Zentrale in Düsseldorf hat. Die routinierten Ausreden und Entschuldigungen des Konzerns auf vorgehaltene Mißstände sind immer die gleichen, auch wenn Bewohner gedemütigt, erniedrigt und beschimpft wurden, wie in der Alloheim Seniorenresidenz Frankenberg.

Auch in Hannover: Maden in Wunden im Alloheim-Wohnheim

Eine Frau aus Hannover sagte, dass sich der Gesundheitszustand ihrer Angehörigen in einem durch Alloheim betriebenen Wohnheim stark verschlechtert habe. Nicht nur seien die Bewohnerin und ihre Kleidung blutverschmiert gewesen, auch seien in ihren Wunden Maden gefunden worden. Dass es einen Fall, in dem sich Maden in Wunden befanden, gegeben habe, bestätigt das Unternehmen gegenüber „Frontal 21“. Die beiden Wohnheime, um die es dabei geht, befinden sich in Hannover und dem bereits erwähnten Ludwigsburg. Letzteres existiert nicht mehr unter der Regie von Alloheim. Ihm wurde die Betriebserlaubnis entzogen bzw. an einen anderen Träger erteilt.

Sparen am Personal könnte ein Grund sein

Die Ursache für die desaströsen Bedingungen liegen nach Aussagen der Fernsehreporter vor allem in der Personalknappheit. Kommerzielle Betreiber von Altenheimen würden dort besonders sparen, heißt es. Auch in internen Berichten der Wohnhäuser von Alloheim sollen die Mitarbeiter laut TV-Beitrag bestätigt haben, dass die Arbeit mit dem vorhandenen Personal nicht zu bewältigen sei.

Schwere Vorwürfe gegen Seniorenheim: Alloheim sieht sich falsch dargestellt

Alloheim widerspricht diesen Vorwürfen vehement und erklärt, dass das in dem TV-Beitrag gezeichnete Bild die Firma „in ein falsches Licht rückt“. Es handele sich dabei um „zwei bedauerliche, aber verzerrt dargestellte Einzelfälle“. Dennoch sagt eine Sprecherin: „In der Vergangenheit haben diese zwei Einrichtungen zeitweise unsere hohen Qualitätsansprüche nicht in allen Punkten erfüllt.“ Das Unternehmen habe daraufhin aber „jeweils umgehend gehandelt“. Darum könne die Firma die Vorwürfe sowie die Schließung des Heimes in Ludwigsburg „nicht nachvollziehen“.

Ein Sprecher der Heimaufsicht des Landratsamtes Ludwigsburg, die das Heim erst drei Jahre nach Bekanntwerden der ersten Mängel schloss, sagt dazu bei „Frontal 21“: „Wir waren immer hinterher. Und wenn wir das waren, wurde die Talfahrt der Qualität immer wieder gestoppt.“ So sei es schwer gewesen dem Unternehmen nachhaltig etwas nachzuweisen.

Abgemagert, vernachlässigt, verstorben:
Staatsanwalt ermittelte bei Alloheim in München

Im Mai 2021 berichtete Frontal21 über einen neuen Skandalfall: „ Die Staatsanwaltschaft München II ermittelt in einem Pflegeheim am Schliersee wegen Körperverletzungsdelikten und Todesfällen. Es geht um Vernachlässigung, mangelhafte medizinische Versorgung und unzureichende Ernährung. Im Fokus stehen unter anderem die ehemalige Leitung und zwei weitere Mitarbeiter des Seniorenpflegeheims".

Auch ein Corona-Ausbruch im Frühjahr 2020 wurde untersucht. Damals kam durch den Krisenstab des zuständigen Gesundheitsamtes Erschütterndes ans Licht. Die Liste der Missstände ist lang: apathisch wirkende, dehydrierte Heimbewohner mit offenen, unbehandelten Wunden, seit Tagen nicht gewechselte Urinbeutel, abgelaufene Medikamente, Mäuse in der Küche.“

Als Mitarbeitende in Quarantäne mussten, gab es keine Reserven

Zuletzt traf es zwei Heime der Aloheim-Kette im nordfriesischen Bredstedt, wo die Corona-Pandemie 18 Heimbewohnern den Tod brachte. Dabei kam heraus, dass die Aufsicht dort schon vor der Pandemie „wiederholt festgestellt hatte, dass die Fachkräftequote nicht eingehalten wurde“, wie eine Behördensprecherin den Husumer Nachrichten bestätigte.

Als dann mehrere Mitarbeitende in Quarantäne gehen mussten, gab es keine Reserven, die Zustände wurden unhaltbar. „Wir waren teilweise nur zu zweit hier“, erzählte eine Mitarbeiterin der Reporterin. Alloheim weist die Schuld den Behörden zu. Diese hätten „zweimal binnen eines Monats das gesamte Personal der Einrichtung in Quarantäne geschickt“, schrieb ein Sprecher. „Mit enormem Aufwand“ sei „es dennoch gelungen, kurzfristig qualifiziertes Ersatzpersonal in ausreichender Anzahl zu stellen“. Die Kreisbehörde verordnete gleichwohl einen „Personalschlüssel über dem Mindestmaß“ und das Unternehmen versprach, dies werde „vollumfänglich umgesetzt“.

"Überarbeitete Pflegekräfte, vernachlässigte Heimbewohner,
knallharte Konzernmanager"


Noch drastischer sind die Tatsachen einer Recherche von „Investigate Europe“ in mehreren großen Pflegekonzernen, von Harald Schumann und Nico Schmidt, veröffentlicht im Tagesspiegel im Juli 2021 unter der Überschift: „Das Milliardengeschäft Altenpflege: Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren. Vernachlässigte Bewohner, überarbeitete Angestellte, knallharte Sparvorgaben. Und viel Geld vom Staat.“ Sparen an Arbeitskräften und fehlende Zeit mit der Folge schlecht versorgter Heimbewohner, das sei der dominante Mißstand. „Die Bewohner werden behandelt wie Werkstücke in der Fabrik, alle sind in Eile. Viele Kollegen kündigen, weil sie es nicht ertragen.“ (Nachzulesen unter https://www.investigate-europe.eu/de/2021/heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/ ).

"Überarbeitete Pflegekräfte, vernachlässigte Heimbewohner, knallharte Konzernmanager: Quer durch Europa machen alte Menschen und ihre Angehörigen diese schlimme Erfahrung", so heißt es in der Recherche von Investigate Europe. Die Corona-Pandemie habe diesen Notstand europaweit in die öffentliche Wahrnehmung gerückt: "Fast die Hälfte aller Covid-Toten während der ersten beiden Infektionswellen waren Bewohner von Altenheimen". Auch weil es an Personal fehlte, um schnell die nötigen Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Wie groß der Mangel allein in Deutschland ist, haben Pflegeexperten im Auftrag der Pflegekassen anhand exakter Beobachtung in 60 Heimen erforscht. Ergebnis: Um die Bedürftigen gut zu versorgen, müssten 120.000 Vollzeitstellen zusätzlich geschaffen werden."

Gewerkschaften und Betriebsräte sind bei Alloheim nicht erwünscht

Auf Gewerkschaften und Betriebsräte ist die Geschäftsleitung von Alloheim nicht gut zu sprechen. Das mussten die Mitarbeiter der Einrichtungen unter anderem in Berlin feststellen. Dort hat Alloheim die Altenheime des Unternehmens Poli Care gekauft. Nach der Übernahme klagten die Mitarbeiterinnen im Jahr 2016 über die zu hohe Arbeitsbelastung. „Ich nenne es Gewalt in der Pflege, was wir tun müssen“, sagte damals eine ehemalige Angestellte.

Auch die Betriebsratschefin äußerte offen Kritik. Als sie gegen die Missstände aufbegehrt habe, sei sie „rausgeekelt“ worden, man habe ihr Fehler in der Dokumentation unterstellt und sie letztlich gekündigt. Ein Alloheim-Sprecher widersprach: „Die Qualität der Pflege und das Wohl der Bewohner haben für Alloheim oberste Priorität. Um beides sicher zu stellen, legt Alloheim auch großen Wert auf zufriedene und motivierte Mitarbeiter.“

"Gewerkschafter müssen mit harten Bandagen kämpfen"

Wehe denen, die sich gegen diese Zustände wehren. Diese Erfahrung machen Arbeitnehmervertreter schon seit langem, denn Gewerkschaften und Personalräte sind in Pflegekonzernen wie Alloheim nicht erwünscht. "Dass die Beschäftigten sich organisieren, ist in der Pflegebranche aber noch immer die Ausnahme. Nur zehn Prozent der privaten Seniorenheime in Deutschland haben überhaupt einen Betriebsrat, und die wenigsten Mitarbeitenden sind Mitglied bei Gewerkschaften", so recherchierte Investigate Europe.

Das macht es für das belastete Personal ohne Interessenvertretung vor Ort nicht einfacher, erst recht nicht für die Leih- und Zeitarbeiter der angeheuerten Firmen. "Darum trifft der organisierte Mangel an Pflegekräften auf wenig Widerstand. Von dieser Schwäche profitieren erst recht die anonymen Finanzinvestoren, die in das Pflegegeschäft drängen", kritisieren Nico Schmidt und Harald Schumann in Ihrem Artikel im Tagesspiegel vom 24. August 2021.

Tarifansprüche der Beschäftigten in Pflegeheimen werden ausgehebelt

Nach Auffassung der Gewerkschaften sollten Alten- und Pflegeeinrichtungen keine Spekulationsobjekte sein. Bei einer Privatisierung sollen die privaten Eigentümer zumindest bestehenden Tarifverträge oder Haustarifverträge übernehmen und die Tarifpartnerschaft fortsetzen. Doch schon kurz nach der Übernahme steigen die neuen Betreiber zumeist aus den Tarifverträgen aus. Da der Tarifvertrag jedoch Grundlage der Pflegesatzverhandlungen sei, bekomme der Träger die Kosten erstattet. Deshalb müsse man sich auch gegen profitorientierte Investoren durchsetzen können.

Günther Wallraffs Undercover-Reporter decken Mißstände bei Alloheim auf

Als im Februar 2022 die aktuellen Recherchen von Wallraffs Undercover-Reporter über die Mißstände beim kommerziellen Pflegekonzern „Alloheim“ veröffentlicht wurden, sah sich der profitorientierte Konzern wieder einmal „in ein falsches Licht gerückt“: Alloheim spare angeblich nicht zur Gewinnmaximierung an Qualitätsaspekten und an der Personalausstattung. Insgesamt 300 Mitarbeiter seien ausschließlich für die Qualitätssicherung in der Pflege zuständig. (Dies hatte man auch im Sythener Skandalfall behauptet).

„Abgeschoben und vergessen: Das würdelose Geschäft mit alten Menschen in unseren Pflegeheimen“ hieß der Fernseh-Beitrag über die Wallraff-Rechechen vom 12. Februar 2022: "Vom individuellen und kollektiven Versagen: Wieder einmal ein Blick auf das würdelose Geschäft mit alten Menschen in Pflegeheimen". Die Bilder der Sendung haben viele verstört und angewidert und es gab offensichtlich so viele Reaktionen, dass man sich in der Redaktion entschieden hat, einigen der Hinweise nachzugehen und eine weitere Sendung zu produzieren. Die wurde am 23. Juni ebenfalls zur besten Sendezeit platziert: "Team Wallraff – Jetzt erst recht!" Man war erneut in drei unterschiedlichen privaten Einrichtungen der „Alloheim“-Gruppe undercover unterwegs. "Verwahrlosung und Verachtung: Team Wallraff dokumentiert Demütigung von Pflegebedürftigen", so war ein Bericht über die neue Sendung überschrieben. (Siehe Homepage "Aktuelle Sozialpolitik" / Aus den Tiefen und Untiefen der Sozialpolitik", https://aktuelle-sozialpolitik.de/2022/06/24/private-equity-in-der-pflege-mal-wieder/ )

"Schlechte Versorgung und demotiviertes Personal"

Das TeamWallraff hatte unter anderem Mißstände in einer Alloheim-Pflegeeinrichtung in Malente aufgedeckt. Dabei kam heraus, dass auch bereits der Kreis als Heimaufsicht Mängel festgestellt hatte. Die Wallraff-Recherchen schlugen hohe Wellen. Eine Reporterin hatte sich dort im Frühjahr als Praktikantin eingeschleust und mit versteckten Kameras die Zustände dokumentiert. Die junge Frau berichtete in der Sendung von erheblichen organisatorischen Problemen, einer schlechten Versorgung und demotiviertem Personal. Der Betreiber der Alloheim Senioren-Residenzen sprach zwar von einer „irreführenden Darstellung“, räumte aber auch „individuelle menschliche Fehler im Umgang mit Bewohnern“ ein.

Behörde bestätigte Mängel im Alloheim Dormagen

Zwei Wochen lang hatte eine Undercover-Reporterin im Alloheim Dormagen recherchiert und gravierende Missstände entdeckt, so ist bei RTL News nachzulesen: Eine Bewohnerin erzählt zum Beispiel, sie habe „im Wasser geschwommen“, da ihre Einlage über einen längeren Zeitraum nicht gewechselt wurde. Eine Pflegerin wischt einen blutenden Katheter mit dem Nachthemd einer Bewohnerin ab – da anscheinend keine Verbandsmaterialien zur Hand waren.

Nachdem „vereinzelt Beschwerden“ eingegangen waren, haben Kontrollen der WTG-Behörde die eklatanten Missstände im Alloheim Dormagen offenbar bestätigt, berichtet die Neuß-Grevenbroicher-Zeitung. Laut Kreis-Sprecher Benjamin Josephs gebe es „Mängel in der Wundversorgung“ sowie eine „nicht ausreichende“ Personalbesetzung. Erste Hinweise gingen bei der Behörde bereits im Sommer letzten Jahres ein. Zeitgleich recherchierte auch das „Team Wallraff“ vor Ort. Anschließend wurden laut Josephs fünf unangemeldete Kontrollen im Alloheim Dormagen durchgeführt. Über die schockierenden Ergebnisse war Dormagens Bürgermeistger beschämt und fassungslos.

Schockierende Aufnahmen aus dem Alloheim in Braunschweig und Frankenberg

Im „Alloheim“ in Braunschweig arbeitete im Wallraff-Team die RTL-Reporterin Alesia in der Seniorenresidenz in Brunswik als Praktikantin mit. Sie wollte herausfinden, wie sich das Heim mit der Pflege junger Menschen umgeht, die dort auch angeboten wird. Was sie hier bei der schroffen Morgenroutine erlebte, war schockierend. Eine Pflegerin begann eine Frau mit einem Waschlappen zu reinigen. Was dann passiert ist grob fahrlässig: Die Pflegerin beginnt mit den entzündeten Füßen der Frau, um anschließend mit dem gleichen Waschlappen die Intimwäsche durchzuführen. Ausgewaschen wurde der Lappen zwischenzeitlich nicht. Auch der Umgangston war mehr als fragwürdig,

Als sich die Frau umdreht, wird klar, die Verletzungen an den Füßen sind nicht die Einzigen an ihrem Körper. Der Intimbereich und beide Gesäßhälften sind knallrot und sehen entzündet aus. Im Laufe der Recherchen stellt sich raus, es ist nicht der einzige Fall, der anscheinend im Heim-Alltag untergeht. Bei der Undercover-Reporterin ist der Eindruck entstanden, dass man junge Menschen hier nur verwahrt statt sie korrekt zu pflegen und zu betreuen. Auch im Alloheim in Frankenberg sieht es nicht besser aus, wo das Team Wallraff . ebenfalls mit einer unglaublichen Situation bei seiner Arbeit konfrontiert wurde.

Schliersee-Skandal durch Gesundheitspflegerin aufgedeckt

Die Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Andrea Würtz hat den „Schliersee-Skandal“ aufgedeckt und ist am 23. Juni 2022 in der Wallraff-Reportage „Jetzt erst recht“ über drei Alloheim-Einrichtungen als Kommentatorin aufgetreten. Im Interview spricht sie darüber, wie Überversorgung Bewohnern Leid zufügt und wie sich solch ein grausamer Umgang künftig verhindern ließe.

Bei „Team Wallraff – Reporter Undercover“ wurden am 23. Juni Patientinnen und Patienten mit besonderen Versorgungsformen in Einrichtungen der privat betriebenen Alloheimkette vorgestellt. Es ging um die „Junge Pflege“, die speziell für Menschen im Alter zwischen 28 und 65 Jahren geschaffen wurde. Die Krankenkassen zahlen dafür rund 6.000 Euro im Monat pro Patienten. Die „Junge Pflege“ wurde geschaffen für Menschen im Alter zwischen 28 und 65 Jahren, um sie zu rehabilitieren, gesellschaftlich wieder einzugliedern, ihre Teilhabe am öffentlichen Leben wiederherzustellen, sie wieder aus den Heimen zu holen. Die Zielsetzung der Rehabilitation steht hier im Vordergrund und so wird argumentiert, dass der Mehraufwand an Therapien und adäquater Beschäftigung Mehrkosten rechtfertige.

"Die Realität ist unerträglicher als im Fernsehen dargestellt"

Andrea Würtz: „Während der Dreharbeiten mit Team Wallraff habe ich immer wieder mit den Tränen kämpfen müssen, obwohl ich selbst zuvor schon so viele Missstände erlebt hatte. Und, glauben Sie mir, in der Reportage haben die Zuschauerinnen und Zuschauer nur gepixelte Ausschnitte des Filmmaterials gesehen. Die Realität ist noch unerträglicher. Die Schicksale in der „Jungen Pflege“ berühren ohnehin ungemein. Es kann jeden treffen, wie uns diese Beispiele zeigen. Dann aber zu sehen, wie diese wehrlosen Menschen auch noch Demütigungen, schweren Pflegefehlern und schließlich unnötigen Maßnahmen ausgesetzt sind, nur um an ihnen zu verdienen, das ist wirklich schwere Kost. Und da spielt es keine Rolle, wie alt die Bewohnerinnen und Bewohner sind.“

TEIL 3:
DIE KLAGEN DER ALLOHEIM-BESCHÄFTIGTEN:

Mitarbeiterinnen aus über 20 Heimen von Alloheim packen aus

Allein im aktuellen Zeitraum von August bis Oktober 2022 beurteilten im Internet Dutzende Mitarbeiterinnen aus fast 20 Alloheim-Einrichtungen ihren Arbeitgeber und die Situation in ihrer jeweiligen Einrichtung, mit einem vernichtenden Tenor. Angesprochen wurden dabei von den Beschäftigten zahlreiche Heime quer durch Deutschland in mehreren Bundesländern: In Berlin, Düsseldorf, Dresden, in Gießen und Wetzlar, in Einbeck, Pirna und Bramsche sowie Brake, in Einbeck und Rosenthal-Bielatal, in Reichenbach, Bruckberg und Bedburg sowie nicht zuletzt in Sythen.

Die Beschäftigten sollten sich in der Bewertungsabfrage dazu äußern, was sie an ihrem Arbeitgeber gut oder schlecht finden, wie sie das Vorgesetztenverhalten und die Arbeitsbedingungen erleben, wie sie die Arbeitsatmosphäre und die Work-Life-Balance empfinden, den Zusammenhalt zwischen den Kolleginnen und Kollegen und den Umgang mit älteren Kollegen und Kolleginnen, die Kommunikation und Gleichberechtigung, das Image der Einrichtung, ihr Umwelt- und Sozialbewusstsein, ferner die Karriere und die Weiterbildung sowie den Umgang mit Verbesserungsvorschlägen.

Die größtenteils vernichtenden Antworten sprechen Bände und belegen den großen Frust der Beschäftigten und ihre Resignation. Hier einige subjektive Stimmen und Aussagen aus der Alloheim-Belegschaft:

Arbeiten bis zur Erschöpfung (Beschäftigtenaussagen)

„Man bekommt kaum seine normale Arbeit geschafft“. „Arbeitsbelastung extrem hoch! Man arbeitet für 2-3“. „Work-Life-Balance? Eigentlich gibt es das Wort nicht. Arbeiten bis zur völligen Erschöpfung und wenn man dann krank wird, wird noch über einen schlecht geredet und ständig von der Leitung angerufen ob man trotz Krankschreibung einspringen kann“. „Work-Life-Balance gibt’s nicht: Nur einspringen und wenn möglich Doppelschichten“. „12 Tage am Stück arbeiten und einen Tag frei vor der nächsten Schicht spricht für sich.“ „Man bekommt die Masse an Arbeit kaum in seinem Dienst geschafft. Pause kann man vergessen die schenkt man der Residenz täglich.“ „Es wird nicht mehr an der Basis gearbeitet und hingeschaut. Hauptsache der Profit stimmt“. „Lernt doch mal aus den Fehlern der Vergangenheit. Nein, es wird noch weiter geknechtet.“

Keine faire Entlohnung und Vertragstreue (Beschäftigtenaussagen)

„Zuschüsse, Zulagen für Sonn-und Feiertage sind unterirdisch, sonst kaum Benefits, die tatsächlich ankommen, muss oft hinterfragt und erbettelt werden.“ „Kein Weihnachtsgeld- kein Urlaubsgeld - geringe Zuschläge“. „Zuschläge sind leider gering. Versprochene Zusatzleistungen werden Mitarbeitern versprochen aber meist nicht ermöglicht“.„Gelder werden eher in Leasing investiert, als über zeitgemäße Entlohnung, welcher Art auch immer, nachzudenken, und das nur, um um anderen Trägern und Leasingfirmen Konkurrenz zu machen“. „Karriere und Weiterbildung wäre sicherlich möglich, wenn man es denn bei Alloheim wirklich will.“ „Undurchsichtige Verträge, teilweise werden Absprachen getroffen und dann nicht eingehalten bzw. man wird hingehalten.“ „Schlechtes Arbeitsklima“. „Veraltete Technik und Inventar“. „Man wird nicht gefragt ob man sich weiterbilden möchte“.

Inkompetente Vorgesetzte (Beschäftigtenaussagen)

„Das Vorgesetztenverhalten ist übergriffig, distanzlos, respektlos.“ Vorgesetzte sind nicht loyal, Kommunikation findet kaum statt.“ „Vorgesetztenverhalten? Was für ein Verhalten ??? Das muss man erleben, sonst glaubt es einem keiner: Zwischen Lügen, Tränenausbrüchen und Selbstüberschätzung ist jeden Tag was dabei“. „Durch den permanenten Personalmangel in nahezu allen Pflegeeinrichtungen kommt es zu häufigem Einspringen und damit verbunden eine steigende Frustration der Mitarbeiter. Das wurden durch Vorgesetzte zwar wahrgenommen, aber nicht im Rahmen der Möglichkeiten darauf reagiert. Es kommt die Wertschätzung aller Mitarbeiter zu kurz, was sich durch oben genannte Verbesserungsvorschläge verändern könnte“. „Die Pflegedienstleitung ist komplett inkompetent. Im Pflegeheim wird durch Angst regiert. Teams auf den einzelnen Wohnbereichen können wiederum sehr nett und kollegial sein“.

„Umgangston untereinander: Negativität. Machtspielchen in der Führungsriege, fehlende Lösungsorientierung“. „Es könnte so schön sein, wenn die Leitungsebene wechseln würde.“ „Keine Mitarbeiterversammlungen, keine Infos, keine Motivation“. „Katastrophale Dienstplan-Planung. Keine Wertschätzung der Mitarbeiter“. „Es gibt in der Führungsebene auch gute Vorgesetzte aber auch welche die wohl einfach ihren Beruf verfehlt haben. Teilweise verhalten sich manche echt unterirdisch und werden schon fast beleidigend auf persönlicher und privater Ebene“.

„Das Vorgesetztenverhalten ist unprofessionell und Entscheidungen werden oft Anhand von Sympathie und nicht nach Sachlage getroffen. Beschwerden werden nicht ernst genommen“. „Der Tag wird mit Lügen und Mobbing begonnen und endet damit auch. Man hat schon Magenschmerzen morgens aufzustehen. Viele Kollegen sind krank oder kündigen. Die Leitung in diesem Haus ist einfach nicht zu ertragen“. „Die Arbeitsatmosphäre ist eine Katastrophe und auf Familie wird keine Rücksicht genommen.“ „Keine Gleichberechtigung.“ „Man wird nicht ernst genommen. Probleme werden totgeschwiegen oder ausgesessen.“ „Man geht täglich mit Bauchschmerzen zur Arbeit“. "Vorgesetztenverhalten: Unterste Schublade“.

Mangelhafte Kommunikation (Beschäftigtenaussagen)

„Kommunikation ist nicht gewünscht.“ „Kommunikation: Wenn Sie stattfindet, muss man überlegen ob es der Wahrheit entsprechen könnte. Ansonsten werden Informationen zurück gehalten damit man am Ende unwissend da steht“. „Kommunikation: Unpersönlich, keine Wertschätzung, zum Teil respektlos.“ „Der kollegiale Zusammenhalt hat stark nachgelassen durch hohe Belastung und viele Leitungswechsel.“ „Jeder für sich! Kein Miteinander nur Gegeneinander.“ „Die Kommunikation ist weder fachlich korrekt, noch respektvoll.“„Kommunikation kann nicht stattfinden weil einfach zu viel Arbeit.“ „Keine Offene Kommunikation, Leitungsebene (mal wieder kein Heimleiter) lügt dem Personal ins Gesicht, alle werden massiv überfordert, und die Regionalleitung macht Druck, wenn das nicht auch eine Lüge ist.“ „Es gibt keine Konfliktlösungen“. „Kommunizieren geht nur dann wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“.

Miserable Arbeitsbedingungen (Beschäftigtenaussagen)

„Bei Alloheim war das schlimmste Jahr meines Lebens.“ „Viele Personalausfälle, fehlende Wertschätzung, Beschwerdemanagement funktioniert nicht oder wird nicht Ernst genommen, Mangel an Arbeitsmaterialien.“ „Überstunden sind an der Tagesordnung. An jedem freien Wochenende wird man gefragt ob man nicht doch einen Dienst übernehmen kann. Sagt man dann nein, wird das gleich als negativ abgestempelt und man muss sich dann so Dinge anhören wie z.B. man solle Prioritäten setzten usw.“ „Work-Life-Balance gibt es nicht. Am besten du lebst nur für die Arbeit und hast kein Privatleben. Selbst im Urlaub wirst du gefragt ob du nicht doch arbeiten kommen kannst. Ob du Kinder hast interessiert auch keinen. Alleinerziehende sollen sich kümmern wo sie ihre Kinder lassen, damit sie einspringen können“. „Das Image ist grottenschlecht, die Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen sind lächerlich und die Arbeitsbedingungen anderswo besser.“ „Gut am Arbeitgeber find ich nichts, schlecht am Arbeitgeber finde ich alles.“ „Als Pflegehelfer wirst du oft von oben herab behandelt.“ „Helfer sind dort die Letzten in der Hierarchie und werden auch so behandelt“.

„Der Fokus wird nicht auf den Mitarbeiter gerichtet“. „Arbeitsbedingungen: Schmutzig, alles kaputt.“ „Gleichberechtigung: Jeder wird geschlechtsunabhängig schlecht behandelt.“ „Arbeitsatmosphäre eher schlecht. Vorgesetzte sehen nur die negativen Dinge“. „Alle sind überlastet, jeder gegen Jeden, vor allem Leitung gegen alle.“ „Durch die Überlastung herrscht in jedem Bereich ein ziemlich rauer Ton.“ „Kritik darf nicht geäußert werden. Eigene Meinung wird von der ''Führung'' nicht geduldet.“ „Arbeitsatmosphäre und Arbeitsbedingungen sehr schlecht. Kommunikation ohne Worte und kollegialer Zusammenhalt: na ja.“ „Es fällt mir nichts ein, was ich gut am Arbeitgeber finde. Versprechungen werden so gut wie nicht gehalten.“ „Große Unzufriedenheit“. „Schlechte Arbeitszeiten, kaum Freizeitmöglichkeiten. In Gedanken immer bei der Arbeit“. „Ältere Mitarbeiter werden nicht geschont, auf sie wird nicht Rücksicht genommen, sie müssen das Gleiche leisten; Umgang mit ihnen müsste respektvoller sein.“ „Du arbeitest in einem Pflegeheim du hast gefälligst kein Privatleben“. „Hohe Mitarbeiterfluktuation. Gehalt und Sozialleistungen müssten besser sein.“

„Es geht einfach nur ums Geld und nicht um die Bewohner“ (Beschäftigtenaussagen)

„Schlecht am Arbeitgeber find ich, dass es einfach nur ums Geld und nicht um die Bewohner geht“. „Es geht nur um Profit und nicht um den Menschen“ „Einsparungen beim Personal, beim Essen für die Bewohner. Keine Kommunikation. Profitgier.“ „Man äußert Missstände, es wird nichts unternommen!“ „Verbesserungsvorschlag: Mehr auf die Bewohner achten nicht nur das Geld sehen. Nicht so viele Bewohner aufnehmen wenn das Personal schon am Limit ist: 68 Bewohner und 3 Hilfskräfte passt nicht!“ „Dinge die defekt waren, mussten erst ewig beantragt werden, auch wenn sie zum Tagesablauf gehören“. „Es wird am falschen Ende gespart.“ „Schlecht am Arbeitgeber finde ich, dass die Bewohner nicht richtig versorgt werden können, keine Handtücher oder Bettwäsche usw.“ „Schlimmer Pflegeschlüssel, Fachkraft-Abdeckung die ausreicht, ist selten gegeben, Handtücher und Waschlappen sucht man vergebens. So einige kritische Situationen welche von der Leitung bewusst ignoriert werden, gruselige Dienstpläne.“

„Wirtschaftlichkeit steht an oberste Stelle, Profit machen heißt es, gegen jede Moral und Ethik, der Bewohner steht längst nicht mehr im Mittelpunkt.“ „Hier wird jedem Klienten nur das Geld aus der Tasche gezogen und nur gewinnorientiert gearbeitet.“ „Hier wird übermäßig Druck auf die Angestellten ausgeübt. Eine vernünftige Betreuung der Klienten kann niemals gewährleistet werden. Hier steht das Geld im Vordergrund. Dies wird von der Konzernspitze so gewünscht“. „Arbeitsbedingungen: Nicht genug Material da. Trotz Skandalberichte im Fernsehen lernt niemand daraus. Es wird gespart wo es nur geht. Die armen alten Menschen“. „Verbesserungsvorschlag: Nicht nur an Profit denken, sondern in erster Linie an die Bewohner und das Pflegepersonal, ansonsten wird sich nie etwas ändern und alle sind und bleiben unzufrieden!“ „Das ging gar nicht: Wie oft hat die Vorgesetzte die Bewohner angeschrien“. „Verbesserungsvorschlag: Pflege mit Herz und Wertschätzung in der Pflege.“

Qualitätsdefizite und schlechtes Image (Beschäftigtenaussagen)

„Die Qualität im Alltag leidet enorm. Der Bewohner ist geradeso minimal versorgt. Wenn ich das Pflegeleitbild Alloheims lese, ist das wie ein Schlag ins Gesicht.“ „Alloheim, dieser Verein zieht den Bewohnern das letzte Geld aus der Tasche und es wird denen nichts geboten, außer leere Versprechen“. „Derzeit ist kaum Qualität im Pflege-Alltag möglich (gefälschte Dokumentation)“. „Verbesserungsvorschlag: weniger Aufkäufe von anderen Einrichtungen, mehr Investition in Bestandshäuser und Mitarbeiter. Dem Wahlspruch "wir dienen Ihrer Lebensqualität" gerecht werden und die Gelder/Leistungen auch den Bewohnern zurückgeben (z.B. Verpflegungssatz erhöhen, Leasingpersonal reduzieren, indem das Stammpersonal mehr Würdigung erhält).
Geschäftsführung ist von der Basis zu weit weg, um sich einen realistischen Eindruck der miesen Pflegesituation zu machen“.

"Verbesserungsvorschlag: Umdenken von ganz oben, damit nicht nur Anleger verdienen, sondern nach dem eigenen Konzept gehandelt wird: „Der Mensch im Mittelpunkt'' bezieht sich nämlich derzeitig weder auf Bewohner noch auf Angestellte.“ „Image? Fragt Herrn Wallraff!“ „Alles was man aus den Medien kennt, trifft zu.“ „Worüber man beim Alloheim erzählen könnte, darüber könnte man auch mehrere Fernsehbeiträge drehen.“ „Mitarbeiter sprechen schlecht über das eigene Unternehmen“. „Nach außen hin muss alles perfekt sein. Schöne heile Welt“. „Verbesserungsvorschlag: Das Unternehmen muss komplett umgekrempelt werden.“ Oder: „Alloheim schließen. Mehr Kontrolle durch den Staat.“

TEIL 4:
DER ALLOHEIM-KONZERN UND SEINE FINANZINVESTOREN


Alloheim als zweitgrößter Pflegekonzern im Ranking

Wie der Alloheim-Pflegekonzern trotz allem zu den Branchenführern im Lande als Nr. 2 aufsteigen konnte, ist verwunderlich, lässt sich aber nachfolgend mitvollziehen, wenn man sein Geschäftsmodell und die Abhängigkeiten des Konzerns von den großen Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften in die Betrachtungen einbezieht.

Das 1973 von Alois Mollik (Spitzname „Allo“) gegründete und 2008 in eine GmbH umgewandelte Unternehmen „Alloheim Senioren-Residenzen GmbH“ erhielt mit dem Kauf durch den Private-Equity-Investor Star Capital Partners eine neue Trägerschaft. Alloheim konnte seine Position auf Platz 2 im Ranking der 30 größten Pflegeheimbetreiber verteidigen. Mit der Übernahme der Firmengruppe Mohring, Anfang 2020 und einiger weiterer Übernahmen im Laufe des Jahres, versorgt die Alloheimgruppe mittlerweile 22.000 Bewohner in vollstationären Einrichtungen.
Nicht zuletzt gehört Alloheim zudem zu den Top Betreibern im betreuten Wohnen und ist auch in der Liste der 25 einflussreichsten Frauen in der Pflege, sowie in der Liste der Top 40 unter 40 vertreten. Alloheim betreibt Deutschlandweit rund 240 Senioren-„Residenzen“ mit über 22.000 Pflegeplätzen. Insgesamt beschäftigt Alloheim 22.000 Mitarbeiter und bildet 1.500 Auszubildende aus.

Seniorenheime werden zu Finanzinvestoren durchgereicht

Die Altenheime werden von Finanzinvestoren durchgereicht und auf Rentabilität getrimmt. Der Eigentümer, die US-amerikanische Carlyle-Gruppe, hat Alloheim 2008 vom Finanzinvestor Star Capital Partners in London gekauft, die Heime auf Rentabilität getrimmt – und das ganze Unternehmen im Dezember 2017 für 1,1 Milliarden Euro an Nordic Capital mit Sitz auf der Kanalinsel Jersey verkauft. So wurde das 1973 in Bad Marienberg als einzelnes Heim gegründete Unternehmen von Finanzinvestor zu Finanzinvestor weitergereicht. Die Leidtragenden dieser Geschäftspraktiken sind die Senioren und die überlasteten Beschäftigten. Im Pflegekonzern Alloheim sind übrigens Betriebsräte und Gewerkschaften nicht erwünscht.

Wiederholter Eigentümerwechsel bei Alloheim

Im September 2021 berichtete die Frankfurter Börsenzeitung, dass der zweitgrößte Pflegeheimbetreiber in Deutschland, die Alloheim Senioren-Residenzen SE, bald einen neuen Eigentümer bekommen soll: „Derzeit gehört das Unternehmen aus Düsseldorf, das 238 stationäre Einrichtungen betreibt, dem schwedischen Finanzinvestor Nordic Capital , der jetzt den Verkaufsprozess einzuleiten beginnt. Mit der milliardenschweren Transaktion beauftragt ist die Investmentbank UBS. Das wird aus Kreisen von Transaktionsberatern und Kanzleien bestätigt. Nordic Capital selbst gibt sich ebenso wie die UBS auf Anfrage zugeknöpft: „Wir kommentieren grundsätzlich keine Marktgerüchte oder Spekulationen.“

Das Private-Equity-Haus aus Stockholm, das 25 Mrd. Euro verwaltet und in Deutschland unter der Führung von Partner Rainer Lenhard stark im Gesundheitssektor engagiert ist, hatte Alloheim 2017 für 1,1 Mrd. Euro vom Konkurrenten Carlyle übernommen. Als mögliche Interessenten werden jetzt der Finanzinvestor Advent und der Pflegeheim-Marktführer Korian genannt, so der Bericht der Börsenzeitung.

Altenpflege als Milliardengeschäft mit knallharten Vorgaben

"Investigate Europe" stellt fest: "Altenpflege ist ein Milliardengeschäft: Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren. Vernachlässigte Bewohner, überarbeitete Angestellte, knallharte Sparvorgaben. Und viel Geld vom Staat. Aus viel Geld noch viel mehr Geld machen. Das ist der Daseinszweck von Hedgefonds und anderen Finanzinvestoren. Dafür kaufen sie Unternehmen, treiben den Aktienwert in die Höhe und verkaufen sie meist nach wenigen Jahren gewinnbringend weiter". (Die nachfolgenden Fakten sind überwiegend den Recherchen von "Investigate Europe" entnommen und hier näher nachzulesen: https://www.investigate-europe.eu/de/2021/heime-als-gewinnmaschinen-fuer-konzerne-und-investoren/ ).

"Raubritter in der Pflege"

Dieses Geschäftsmodell ist längst nicht mehr auf die Privatindustrie beschränkt. Auch das Gesundheits- und Sozialwesen wird zunehmend zum Spielball kurzfristiger Profitinteressen – besonders die Altenhilfe, wie die geplanten Verkäufe der Betreiber Vitanas und Alloheim demonstrieren. Auf dem »Pflegemarkt« geht es um viel Geld: Jährlich werden rund 23 Milliarden Euro in der stationären und weitere elf Milliarden Euro in der ambulanten Pflege ausgegeben. Tendenz: immer weiter steigend.

Einen wachsenden Teil dieses Kuchens schneiden sich private Unternehmen ab, die insbesondere seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 in die Branche drängen. So stieg der Anteil privatwirtschaftlicher Betriebe zwischen 1999 und 2015 von 43,7 auf 52,3 Prozent. In der ambulanten Pflege dominieren private Firmen mit 64 Prozent den Markt, bei Pflegeheimen liegt der Anteil mit 41 Prozent etwas niedriger.

Ausländische Großkonzerne und Finanzinvestoren kapern deutsche Pflegeeinrichtungen

"Doch privat ist nicht gleich privat. Derzeit sind es vor allem ausländische Großkonzerne und Finanzinvestoren, die hierzulande expandieren. Global agierende Fonds, die stets weltweit auf der Suche nach hochprofitablen Anlagemöglichkeiten sind, haben deutsche Pflegeeinrichtungen für sich entdeckt". Bei der Wirtschaftsberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers liest sich das so: „Die Transaktionsdynamik in der Pflege wird weiterhin insbesondere durch drei Käufergruppen getrieben: Ausländische Strategen, Finanzinvestoren und Immobilieninvestoren.“

Gewinne fließen über verschachtelte Firmenkonstrukte in Steueroasen

Harald Schumann und Nico Schmidt haben recherchiert: Das nötige Kapital sammeln die Großkonzerne und Finanzinvestoren bei Privatanlegern und institutionellen Investoren wie Versicherungen ein, verbunden mit dem Versprechen hoher zweistelliger Renditen. Gewinne fließen über verschachtelte Firmenkonstrukte in Steueroasen. Finanzinvestoren werden angelockt von den gut berechenbaren Erträgen aus pauschalen Zahlungen für die Pflege. Denn bei anhaltenden Niedrigzinsen und mauen Wachstumsraten bietet die Pflegebranche privaten Investoren eine einzigartige Konstellation. Der Markt wächst unablässig, und der wichtigste Kunde ist der Staat, der selbst in Krisenzeiten immer zahlt.

Altenpflege als krisensicheres Geschäft – der Staat zahlt

Nach Schätzung der EU-Kommission werden sich die Kosten für die Langzeitpflege in Europa darum von derzeit 1,7 Prozent auf 3,9 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2070 mehr als verdoppeln. Das mache das Geschäft krisensicher, erklärt Matthias Gruß, Fachmann für die Pflegebranche bei Verdi. „Wenn die Pflegekassen blank sind, zahlt notfalls der Steuerzahler, es wird nie einen Zahlungsausfall geben.“ Allein in den vergangenen vier Jahren steigerten die 25 führenden Unternehmen ihre Kapazität um 22 Prozent – für die Anleger ein blendendes Geschäft. Beim Marktführer Orpea hat sich der Aktienkurs seit 2015 verdoppelt.

Die Betreiber machen Milliardengewinne - Geld, das für Personal fehlt

Der Anspruch der internationalen Pflegekonzerne auf Rendite verschärft die Not in den Pflegeheimen. Wie viel der Einnahmen für die Gewinnerzielung abfließen, lässt sich nicht genau beziffern, weil die Daten über die tatsächlichen Zahlungen nicht transparent sind. Einen Hinweis liefert eine Studie der unabhängigen Denkfabrik CHPI in Großbritannien, zitiert bei "Investigate Europe": Demnach erzielen die privaten Heimbetreiber dort Gewinne von mehr als einer Milliarde Euro im Jahr, entsprechend rund zehn Prozent der Umsätze – "Geld, das für mehr Personal und damit eine bessere Versorgung fehlt".

Das spüren die Pflegearbeitenden bei den großen Ketten jeden Tag. Nach Erfahrung von Rothgang und seinen Kollegen verwenden gut geführte Heime rund 70 Prozent ihrer Einnahmen für das Personal. Die marktführenden Konzerne wie Orpea und Korian veranschlagen in ihren jüngsten Konzernbilanzen dagegen lediglich 50 bis 55 Prozent. Man erfülle die vorgegebenen Schlüssel. Aber es gebe Einzelfälle, wo die Einrichtung es nicht ohne Leihpersonal schaffe, das manchmal nicht zuverlässig sei. Die Verantwortlichen hätten nur die Zahlen im Blick: „Es geht nur darum, dass sie Geld verdienen.“

Renditedruck und schnelle Veräußerung nach Übernahmen

Bezeichnend ist der enorme Renditedruck, den die Investoren den Unternehmen auferlegen. Mit 14,1 Prozent lag 2016 die Umsatzrendite des Marktführers für die kommerzielle Altenpflege deutlich über der Marge vieler Industriekonzerne. Mit der Aufweichung der Fachkraftquote von 50% in Pflegeheimen, um die Personalkosten durch den Einsatz schlechter qualifizierter Kräfte zu senken, wird zwecks Renditesteigerung der Druck auf die Beschäftigten erhöht.

Vor allem aber geht es den Finanzjongleuren darum, den Wert der Firmen durch Übernahmen und Neubauten zu steigern (im Branchejargon »Buy-and-Build«) – um sie teurer weiter verkaufen zu können. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass die sogenannten Private-Equity-Fonds Unternehmen schon nach durchschnittlich vier bis fünf Jahren wieder veräußern. Neben der Expansion setzen die Firmen in dieser Zeit oft Programme zur Kostensenkung um, zum Beispiel durch Outsourcing, Arbeitsverdichtung oder Tarifflucht. All das steigert den Verkaufspreis – auf Kosten von Beschäftigten und pflegebedürftigen Menschen.

Alloheim wird von einem Finanzinvestor zum anderen weitergereicht

Inzwischen werden Unternehmen immer öfter von einem Finanzinvestor an den nächsten weitergereicht (»Secondary Buyouts«). Aktuelles Beispiel: Alloheim. Erst 2013 hat die US-Beteiligungsgesellschaft Carlyle die Pflegeheimkette vom britischen Konkurrenten Star Capital übernommen. Kurz darauf sollte Alloheim mit ihren rund 14.500 Beschäftigten laut Medienberichten schon wieder verkauft werden. Zuvor hatte der Betreiber seinen Umsatz durch diverse Übernahmen auf 291 Millionen Euro erhöht und dabei einen Gewinn von 32,4 Millionen Euro abgeschöpft (2015). Wie viel Carlyle für den Verkauf einstreichen wird, ist nicht bekannt. Es dürften jedoch mehrere hundert Millionen Euro sein.

Alloheim mit 1 Mrd. Umsatz und 100 Mio. € Gewinn

Alloheim selber ist durch etliche Zukäufe zum Riesen gewachsen. Das Unternehmen betreibt bundesweit 238 stationäre Pflegeeinrichtungen mit 22 900 Pflegeplätzen. Hinzu kommen 87 Einrichtungen mit betreutem Wohnen sowie 25 ambulante Pflegedienste. Insgesamt beschäftigt Alloheim 22 000 Mitarbeiter und bildet 1 500 Auszubildende aus. Der Umsatz dürfte bei 1 Mrd. Euro liegen und der operative Gewinn bei mehr als 100 Mill. Euro, wie Branchenexperten schätzen. Alloheim selbst gibt dazu nichts bekannt. Erhofft wird laut Insidern ein Verkaufswert von bis zu fast 2 Mrd. Euro inklusive Schulden. Und das ist nur ein Fall von vielen. Nach Recherchen von Investigate Europe operieren mindestens 30 Private-Equity-Firmen im europäischen Altenpflegemarkt. Zusammen besitzen sie 2834 Altenheime mit knapp 200.000 Plätzen, davon rund 57.000 in Deutschland.

Alloheim in den Händen von Heuschrecken

Hier drehen die Finanzingenieure der schwedischen PE-Firma Nordic Capital das größte Rad. Sie kauften 2017 den Alloheim-Konzern vom amerikanischen Finanzinvestor Carlyle und sind damit schon der dritte Private Equity-Fonds, der Deutschlands zweitgrößte Altenheim-Kette führt. Für die mehr als 200 Einrichtungen zahlten die Investoren 1,1 Milliarden Euro.

Im Handelsregister firmiert Alloheim seitdem unter dem Namen Cidron Atrium und ist ausweislich der Bilanz 2019 mehr als 1,3 Milliarden Euro verschuldet, für die 79 Millionen Euro Zinsen fällig wurden. Volle 500 Millionen Euro davon schuldet Alloheim dem in der Bilanz genannten einzigen Gesellschafter, der Luxemburger Cidron Kuma 2. Diese kassiert dafür den stolzen Zinssatz von 9,1 Prozent. Darum fließen 45,5 Millionen Euro der jährlichen Einnahmen von Alloheim nach Luxemburg ab.

TEIL 5:
DIE SCHWIERIGE ROLLE DER HEIMAUFSICHT


Heimaufsicht mit finanzwirtschaftlicher Kontrolle überfordert

Das Verblüffende ist laut "Investigate Europe": "Die zuständigen Behörden haben keine Ahnung, wie hoch der Anteil der Erlöse ist, den solche Investoren als Gewinn vereinnahmen. Und das, obwohl der ganz überwiegende Teil ihrer Umsätze von den Pflegekassen und Sozialämtern bezahlt wird, also von Beitrags- und Steuerzahlern. Schuld daran ist die Konstruktion der Pflegeversicherung. Diese schreibt vor, dass die Kassen die Pflegesätze mit den Betreibern für jedes Heim aushandeln. Dabei sind die Höchstsätze für die Kassen zwar gesetzlich festgelegt."

Weiter heißt es: "Ob diese Kosten dann tatsächlich angefallen sind und an wen sie bezahlt werden, prüft keine Behörde. Das sei zwar eigentlich gesetzlich vorgesehen, aber scheitere an den mangelnden Ressourcen", sagen Verwaltungsexperten: „Eine Prüfung der Heimbetreiber im wirtschaftsrechtlichen Sinn findet nicht statt.“ Ob veranschlagte Kosten wirklich anfallen, kontrolliert niemand.

Heimbetreiber kassieren Eigenbeiträge von Bewohnern nach eigenem Gutdünken

"Jetzt gilt es, den Heimbetreibern in jeder Hinsicht kritisch auf die Finger zu schauen: Vor allem bei den sogenannten Eigenbeiträgen für die Bewohner haben die Betreiber viel Freiheit". Im Bundesdurchschnitt betragen diese jetzt schon mehr als 2000 Euro im Monat. Vor allem die „Investitionskosten“, also Ausgaben für Immobilien oder Instandhaltung, können sie weitgehend frei festlegen und kassieren bis zu 40 Euro pro Bewohner und Tag. Aber alle Ausgaben werden nur im Vorhinein vereinbart.

Staat und Privatpersonen zahlen also für die Pflege, die Heimbetreiber schleusen ihre Gewinne in Steueroasen. Gewinnmaximierung für Finanzinvestoren und gleichzeitig Mangel an Pflegekräften sowie mangelhafte Aufsicht – das spiegelt, wie Europas Regierungen die Versorgung für alte Pflegebedürftige vernachlässigen, vor allem auch in Deutschland. Deshalb ist wirksame Kontrolle dringend geboten.

Personell, fachlich und zeitlich überforderte Heimaufsicht

In Deutschland gilt von Gesetzes wegen eine Aufsicht, die Missstände in den Seniorenheimen verhindern soll. Die Gesetze der Bundesländer fordern, dass die kommunale Heimaufsicht jede Pflegeeinrichtung einmal im Jahr gründlich inspizieren soll. Doch dafür fehlt häufig die Zeit. Und fast überall sind die Kontrollinstanzen unterbesetzt und überfordert. Nur mit „Mühe und Not“ gelingt oftmals die gründliche Kontrolle aller Heime. Stellen die behördlichen Aufseher Mängel fest, bekommen die Heime die Auflage, diese zu beseitigen. Aber längst nicht immer wird auch der Vollzug konsequent nachverfolgt.

"Werden zu viele Heime gesperrt, fehlt es an Plätzen"

Zudem stecken die Aufseher ohnehin in einem Interessenskonflikt, auf den "Investigate Europe" aufmerksam macht: Dieselben Behörden müssen auch die Versorgung sichern. "Wenn zu viele Heime gesperrt werden, fehlt es an dringend benötigten Plätzen". Auch die Pflegekassen schicken Prüfer in die Heime. Ihr „Medizinischer Dienst“ begutachtet jährlich die Pflegequalität jeder Einrichtung. Doch fast immer, wenn Pflegeskandale bekannt werden, stellt sich heraus, dass der sogenannte „Pflege-TÜV“ davon nichts mitbekommt oder die Heime sogar mit Bestnoten beurteilt, so auch im Skandalfall beim Alloheim in Bredstedt.

Landrat als Chef der Heimaufsicht hatte zuvor Alloheim-Deal eingefädelt

Im aktuellen Pflege-Skandalfall im Alloheim Haltern-Sythen kommt eine besondere Konstellation für die zuständige Heimaufsicht des Kreises Recklinghausen hinzu: Der amtierende Landrat als Chef der Heimaufsicht hatte zuvor als damaliger Bürgermeister der Stadt Haltern am See den Deal mit Alloheim maßgeblich eingefädelt und dem Stadtrat zur Zustimmung empfohlen. Dass er nun in seiner neuen Rolle als Leiter der Aufsichtsbehörde diesen Deal kritisch hinterfragen oder mit einer eigentlich gebotenen Heimschließung beenden müsste, ist die Ironie des Schicksals. Doch gegenüber dem Heimbetreiber Alloheim gilt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende...

TEIL 6:
DAS DILEMMA DER KOMMERZIALISIERTEN ALTENPFLEGE


"Altenpflege war traditionell eine karitative Aufgabe"

"Allzu sehr lässt man die großen Pflegekonzerne unbehelligt am Markt und vor Ort frei agieren und den Pflegemarkt erobern", kritisiert "Investigate Europe". In der Folge rollen die Konzerne den Markt in Europa auf: "In Spanien sind schon mehr als 80 Prozent aller Pflegeeinrichtungen in der Hand von privaten Unternehmen. In Großbritannien sind es 76 und in Deutschland inzwischen 43 Prozent." Neoliberale Politiker vertreten die Ansicht, dass private Anbieter „einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Milliarden-Investitionen in Pflegeheime stemmen zu können, die bei einer immer älter werdenden Bevölkerung anstehen“. Angeblich machen private Investoren das „schneller und effizienter als Gemeinnützige oder der Staat“. (Doch Kindergärten und Schulen werden auch nicht von privaten Finanzinvestoren betrieben).
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"Dabei war die Altenpflege traditionell eine karitative Aufgabe für Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Kommunen", daran erinnert Investigate Europe: "Das änderte sich erst in den 90er Jahren, als der Bedarf an Pflegeplätzen in der alternden Gesellschaft stark wuchs, und die meisten Regierungen dem Glauben folgten, dass private Unternehmen öffentliche Aufgaben effizienter erledigen könnten als der Staat oder gemeinnützige Organisationen. In Deutschland gab die Regierung von Kanzler Kohl im Jahr 1995 mit der Einführung der Pflegeversicherung den Startschuss."

Betriebswirtschaftliches Diktat zu Lasten menschenwürdiger Pflege

Lassen sich zwischenmenschliche Dienstleistungen nach den gleichen ökonomischen Prinzipien regeln wie die wirtschaftliche Optimierung der Warenproduktion in einem privaten Industriebetrieb oder in einer kommerziellen Einrichtung? Welches Kostenlimit wird beispielsweise für ein Menschenleben im Altenheim oder in der „Seniorenresidenz“ angesetzt und kalkuliert, damit die Menschenwürde noch gewahrt bleibt – sofern sie im betriebswirtschaftlichen Kalkül überhaupt vorkommt?

Blicken wir einige Jahre zurück auf den fast schon wieder vergessenen bundesweiten Skandal, der im Jahr 2004 zutage trat und die Republik erschütterte – ohne bis heute überall wirkliche Abhilfe zu schaffen: Wochenlang wurde der Öffentlichkeit durch erschütternde Presseberichte über die Zustände in der Altenpflege drastisch vor Augen geführt, wohin es führen kann, wenn soziale Dienstleistungen ausschließlich nach rein betriebswirtschaftlichen Vorgaben organisiert werden und der Mensch dadurch entweder zu einem lästigen Kostenfaktor degradiert oder als gewinnversprechende Einnahmequelle einkalkuliert wird – immer häufiger mit Todesfolge.

„Größte soziale und humanitäre Katastrophe seit dem Weltkrieg“

Die medizinischen Dienste der Krankenkassen hatten ermittelt, dass mehr als die Hälfte der Altenheimbewohner in Deutschland mangel-, fehl- oder unterernährt seien; ein Drittel der künstlich ernährten Heimbewohner würden trotz der künstlichen Ernährung verhungern. Nach Schätzung des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) sterben mindestens 10.000 Menschen an mangelhafter Versorgung. Viele Todesopfer gehen auf Liegegeschwüre zurück, von denen 30% der Bettlägerigen betroffen seien. Die Vertreter der Organisation sprachen deshalb von der größten sozialen und humanitären Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. (Manche Mängel in der häuslichen Pflege durch private Pflegekonzerne sind damit nicht einmal angesprochen).

Die Spitzenverbände der Krankenkassen bestätigten gegenüber Zweiflern, dass es sich bei den angesprochenen Problemen nicht um Einzelfälle handeln würde. Vielfach fehle die Zeit, die alten Menschen zu füttern oder mit ihnen zur Toilette zu gehen. Wer aber kalkuliert und bestimmt die Zeitaufwendung für die Betreuung der alten Menschen nach welchen Gesichtspunkten und unter welchem Menschenbild? Können öffentliche Dienstleistungen überhaupt wirtschaftlich rentabel sein oder sind sie nicht von ihrem Selbstverständnis her ein nicht dem Wirtschaftsleben zuzurechnendes „Zuschuss-Geschäft“ der Solidargemeinschaft, dienen sie doch der Sicherung der Menschenrechte und der Menschenwürde.

Wilhelm Neurohr, 31. Oktober 2022

>>> Siehe auch zum gleichen Thema den früheren Artikel vom Juni 2021 im Lokalkompass „Halterner Senioren als Opfer von Rendite-Jägern“:

https://www.lokalkompass.de/haltern/c-politik/halterner-senioren-als-opfer-von-rendite-jaegern_a1584722#gallery=null