Wilhelm Neurohr

Leserbrief an die RZ zu den Berichten vom 06. und 07. Februar über höhere Verteidigungsausgaben

„ERHÖHTER VERTEIDIGUNGSHAUSHALT ZU LASTEN DER SOZIALAUSGABEN?“

Ist die große Koalition zur Halbzeit von allen guten Geistern verlassen? Trotz eines Milliardenlochs in der mittelfristigen Finanzplanung verspricht die deutsche Bundesregierung in ihrem jährlichen „Strategiebericht“ plötzlich ohne öffentliche Diskussion die nochmalige Erhöhung der Verteidigungsausgaben, und zwar über den bereits beschlossenen Anstieg von 80% noch hinaus. Der deutsche Militärhaushalt steigt damit nicht nur von bisher 33 Mrd. auf 60 Mrd. Euro in den nächsten 10 Jahren, sondern noch deutlich darüber hinaus um weitere 12 Mrd. € auf 2% des Bruttoinlandsprodukts, wie von Donald Trump eingefordert.

Aller vier Oppositionsparteien im Bundestag sind strikt dagegen, denn das ist im Vergleich zu 1960 fast eine Verzehnfachung der deutschen Verteidigungsausgaben und mit 72 Mrd. € dann der höchste Militäretat seit Bestehen der Bundesrepublik. Er ist inzwischen der zweitgrößten Ausgabe-Posten im Bundeshaushalt nach den unverzichtbaren Sozialausgaben für die Menschen. Selbst in Zeiten des kalten Krieges nach dem Mauerbau lagen die Militärausgaben unter dem heutigen Niveau.

Zugleich kommt eine neue Debatte über atomare Mittelstreckenraketen in Deutschland und Europa auf und es wird parallel zur NATO die neue „Europäische Verteidigungsunion“ aufgerüstet, zur Freude der Rüstungslobby und der ihr hörigen Verteidigungsministerin, die sich in der GroKo durchgesetzt hat. Das bitter benötigte Geld fehlt angesichts der steigenden Armutsquoten künftig vorne und hinten für die notwendigen Sozialausgaben, die mit Sicherheit wieder gekürzt werden, sowie für die gesamten Zukunftsinvestitionen in Bildung, Wohnungsbau, Infrastruktur und Mobilität angesichts maroder Straßen, Brücken und Bahnstrecken.

Bei den Geldern für die Digitalisierung der Schulen hat Finanzminister Scholz angesichts des aktuellen 5-Mrd.-Lochs im Haushalt schon die Notbremse gezogen. Und seine neuesten SPD-Pläne zur armutsfesten Grundrente kann Arbeitsminister Hubertus Heil wohl wieder einpacken. Das Volk als Souverän wird zu der Verwendung seiner Steuergelder natürlich nicht gefragt.

„SPD BRICHT WAHLVERSPRECHEN BEI DER VERTEIDIGUNGSPOLITIK“

Die Erhöhung der Militärausgaben auf 2% des BIP entspricht zwar dem Wahlprogramm der CDU zur Bundestagswahl, doch für den Koalitionspartner SPD ist das zur Halbzeit der GroKO ein klarer Bruch ihrer Wahlversprechen! Denn in ihrem Wahlprogramm ist nachzulesen, sie wolle eine Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts keinesfalls mittragen! Außerdem wolle sie eine Welt ohne Atomwaffen und sich für weltweite Abrüstung auf Basis von Verträgen einsetzen. Die SPD- Außenminister Gabriel und Maas haben jedoch die Unterzeichnung des UN-Vertrages gegen Atomwaffen von Juli 2017 verweigert. Von Abrüstung ist weder bei der Bundesregierung und in ihrem Bundeswehr-Weißbuch noch in der NATO-Strategie, geschweige in der gemeinsamen Sicherheitspolitik der EU etwas zu lesen, im Gegenteil: Es geht nur noch um Aufrüstung, wie schon als gemeinsame Verpflichtung im EU-Lissabon-Vertrag von 2014 festgeschrieben

Al s Begründung dafür werden Ängste geschürt und militärische NATO-Großmanöver an den Ostgrenzen durchgeführt, als stünden die Russen kampfbereit zu einem Angriff auf EU-Mitgliedsstaaten in den Schützengräben. (Waren nicht umgekehrt die Deutschen zweimal in Russland einmarschiert?). In Wirklichkeit betragen die Rüstungsausgaben der NATO 900 Mrd. Dollar gegenüber nur 66 Mrd. Dollar in Russland. (Stand 2017).

Der SPD als einstiger Partei des Friedensnobelpreisträgers und Ostpolitikers Willy Brandt wird diese Militärpolitik politisch das Genick brechen, davor rettet sie auch nicht die jüngste Kehrtwende bei Hartz IV! Hoffentlich ist die Friedensbewegung bei den diesjährigen Ostermärschen wach, damit Deutschland nicht wieder mit seiner Militarisierung des politischen Denkens schlafwandelnd in eine Katastrophe läuft, wie weiland beim ersten Weltkrieg…

Wilhelm Neurohr