Wilhelm Neurohr

15. /16. Februar in Frankfurt:

"20 Jahre Attac"

Im Jahr 2020 wird Attac Deutschland, gegründet als Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte, 20 Jahre jung! Wir finden: der beste Zeitpunkt, um nicht nur einen Blick zurück zu den Anfängen zu werfen, sondern uns auch mit den veränderten Rahmenbedingungen für politisches Engagament zu beschäftigen. Weltweit verengen sich die demokratischen Spielräume, und das in einer Zeit, in der der Rechtsruck eine starke Antwort der kritischen Zivilgesellschaft erfordert. Darüber wollen wir gern mit euch diskutieren! Und wir wollen feiern! Wir laden euch herzlich ein, dabei zu sein, und freuen uns auf euch!

Programm

Zivilgesellschaft unter Druck: Die Bedeutung von kritischem Engagement für die Demokratie
15. Februar 2020, 14.00 Uhr, Frankfurter Paulskirche
Podiumsdiskussion mit Gästen aus der kritischen Zivilgesellschaft. Unter anderem mit dabei: Luisa Neubauer (Fridays for Future), Heribert Prantl (u.a. Süddeutsche Zeitung) und Ferda Ataman (Journalistin und Kolumnistin). In einem Open Space organisieren wir Diskussionen zur Bedeutung und Bedrohung von Zivilgesellschaft in der demokratische Gesellschaft, u.a. mit dem VVN-BdA, Medico, Venro, DemoZ, der Allianz für Zivilgesellschaft, The Voice Forum und dem Grundrechtekomitee.

Party 20 Jahre – wir feiern!
15. Februar 2020, ab 19.00 Uhr, Café KOZ, Studierendenhaus (Bockenheim)

Zum Feiern braucht es Musik. Rainer von Vielen spielt für uns auf!

Matinee – 20 Jahre Attac Deutschland

16. Februar 2020, 10:30 Uhr, Evang. Akademie Frankfurt (Römerberg)



Matinee mit Weggefährt*innen aus 20 Jahren, Inputs zur Zukunft von Attac und der globalisierungskritischen Bewegung weltweit. Diskussionsrunde zu sich verändernden Rahmenbedingungen politischen Handelns. Natürlich mit kulturellen Beiträgen, Häppchen, Getränken und allem, was eine Matinee rund macht.

Hintergrund:

Her mit der Demokratie! 20 Jahre Attac

Im September vergangenen Jahres besetzten rund 80 Attac-Aktivist*innen 24 Stunden lang die Paulskirche in in Frankfurt. Am 15. Februar 2020 wird Attac anlässlich seines 20-jährigen Bestehens die Diskussion über zivilgesellschaftliches Engagement in einer lebendigen Demokratie hier fortsetzen: an diesem symbolträchtigen Ort, an dem 1848 die erste demokratische Verfassung und der erste Grundrechtekatalog in Deutschland ausgearbeitet wurden. Die Veranstaltung findet in enger Kooperation mit der Stadt Frankfurt statt und bildet den Auftakt zu deren Reihe "Bürgerdialog zur Paulskirche".

Das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit ("zu politisch!") hat nicht nur Attac erschüttert, sondern auch Verunsicherung bei vielen anderen Organisationen ausgelöst. Diese Verunsicherung birgt das Potenzial, die Zivilgesellschaft zu lähmen, und ist fatal in einer Zeit, in der rechtsextreme Ideologien täglich mehr Raum einnehmen.

Schrumpfende Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliches Engagement ("Shrinking Spaces") sehen wir nicht nur in Ländern mit autoritären oder undemokratischen Regierungen. Sie machen sich auch hierzulande zunehmend auf verschiedene Art und Weise bemerkbar: beispielsweise in der Kriminalisierung von Seenotrettung, beim Versammlungsrecht in Form von verschärften Polizeigesetzen oder wenn die Landesregierung in Baden-Württemberg fordert, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Die BFH- Entscheidung reiht sich nahtlos in diese Liste ein. Doch gerade jetzt sind Akteure, die sich für soziale, ökologische und Menschenrechte einsetzen, bitter nötig. Sie sollten gestärkt und nicht geschwächt werden.

Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann sagt in der Frankfurter Rundschau: "Die Paulskirche ist für mich das stärkste Symbol der deutschen Demokratie. […] Ich möchte […] ein Forum schaffen, in dem kritisch über unsere Demokratie diskutiert werden kann. Es braucht dann keine Besetzung mehr durch die Aktivisten von Attac oder Fridays for Future. Ich möchte, dass wir diskutieren in der Tradition der kritischen Frankfurter Schule, in einem radikalen Demokratieverständnis. […] Wie können Menschen heute weltweite Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Pressefreiheit und Redefreiheit durchsetzen?"

Wenn Menschen ihre Existenzgrundlage aufgrund von Klimazerstörung, ungerechten Handelsverträgen, rücksichsloser Rohstoffausbeutung, Landgrabbing und Rüstungsexporten verlieren und flüchten müssen, wenn man sie auf der Flucht bewusst ertrinken lässt oder in die Folterlager Libyens oder der Türkei zurückschickt, um den menschenverachtenden Rechten hierzulande den Wind aus den Segeln zu nehmen – dann steht auch unsere Lebensweise und unsere Demokratie in Flammen. Wie können wir diesen Zuspitzungen begegnen? Wie können die Brüche in der Gessellschaft konstruktiv genutzt werden, um einer "anderen Welt" ein Stück näher zu kommen? Was bedeutet das für 20 Jahre globalisierungskritische Bewegung und für Attac? Darüber möchten wir mit prominenten Gästen und mit einem breiten Publikum in der Paulskirche diskutieren. Wir laden alle herzlich dazu ein, daran teilzunehmen und am selben Wochenende das 20. Attac-Jubiläum mit uns zu feiern!

Paulskirchenerklärung 2018

*im September 2018 bei der Besetzung der Paulskirche entstanden

Wir, die Besetzer*innen der Paulskirche, haben uns hier versammelt, um an dieser Geburtsstätte der deutschen Demokratie nachdrücklich daran zu erinnern, dass staatliches Handeln und politische Entscheidungen dem Geist der Verfassung verpflichtet sind. Die Grundpfeiler unserer Demokratie sehen wir an vielen Stellen erheblich gefährdet. Deswegen öffnen wir einen Raum für die Diskussion der zentralen demokratischen Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

In der Verfassung ist festgehalten: Alle Bürger*innen dürfen gleichermaßen mitbestimmen. Weder Geld noch Herkunft dürfen darüber bestimmen, wer seine Interessen besser durchsetzen kann. Wenn der Staat die wirtschaftliche Macht Einzelner nicht beschränkt, auch wenn diese das Gemeinwohl und die Demokratie gefährden, ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Wenn der Staat Einkommen und Vermögen, und damit auch gesellschaftlichen Einfluss, von unten nach oben umverteilt, statt ausgleichend zu wirken, ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Wenn Menschen, die dauerhaft hier leben, die gleichen Rechte vorenthalten werden, ist dies ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die Gesellschaft, in der wir leben möchten, ist eine Gesellschaft der Gleichen und Freien.

In der Verfassung ist festgehalten: Der Staat ist verpflichtet, die Demokratie zu schützen. Die Staatsgewalt muss dem Willen der Bürger*innen folgen. Wenn die deutsche Regierung ihre Politik an den Bedürfnissen der Wirtschaft ausrichtet, statt dass die Bürger*innen entscheiden, wie sie wirtschaften wollen, ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Wenn die deutsche Regierung sich an Handelsabkommen beteiligt, in deren Folge sich Konzerne über demokratische Regeln und Gesetze hinwegsetzen dürfen, ist das ein Verstoß gegen den Grundsatz der Demokratie. Wenn Regierungen von Bund und Ländern einen autoritären Umbau des Staates vorantreiben, indem neue Polizeigesetze tief in die Rechte der Bürger*innen eingreifen, statt Bürger*innenrechte zu verteidigen, ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die Gesellschaft, in der wir leben möchten, ist demokratisch.

In der Verfassung ist festgehalten: Deutschland ist ein sozialer Staat. Ein sozialer Staat muss dafür sorgen, dass seine Einwohner*innen von ihrer Arbeit ein gutes Leben führen können, und ohne Arbeit auch; doch nicht nur die deutsche Innen- und Wirtschaftspolitik, sondern auch die deutsche Außen- und Handelspolitik haben sich nach sozialen Grundsätzen zu richten. Wenn der deutsche Staat prekäre Arbeit fördert, Sozialleistungen kürzt und mit seiner Steuerpolitik den Reichtum von unten nach oben umverteilt, dann ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Wenn die Bundesregierung mit ihrer Beteiligung an der Deregulierung der Finanzmärkte dazu beiträgt, dass Gewinne privatisiert, Verluste aber auf die Gesellschaft umgelegt werden, dann ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Wenn die deutsche Außen- und Handelspolitik den Reichtum der Industrienationen zulasten armer Länder mehrt, dann ist das ein Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die Gesellschaft, in der wir leben möchten, ist sozial.

In der Verfassung ist festgehalten: Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Dieser Grundsatz ist nicht geografisch an deutsche Landesgrenzen gebunden; vielmehr ist der deutsche Staat verpflichtet, auch seine internationalen Handlungen nach diesem Grundsatz auszurichten. Wenn in einem reichen Land Menschen gezwungen sind, auf der Straße zu leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können, und Mülleimer nach Flaschen durchwühlen müssen, um sich etwas zu essen zu kaufen, ist das ein Verstoß gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde. Wenn die deutsche Regierung ihre Zustimmung gibt zur Lieferung von Waffen, die in anderen Teilen der Welt Menschenrecht brechen, oder zu Wirtschaftsabkommen, die in anderen Ländern zu unwürdigen Lebensbedingungen führen, ist das ein Verstoß gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde. Wenn, das Recht auf Leben missachtend, der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen wird, weil mit Beteiligung der deutschen Regierung sichere Fluchtrouten unmöglich gemacht und Menschen gewaltsam von Europa ferngehalten werden, oder wenn ein politischer Rahmen geschaffen wird, in dem Menschen aufgrund ihrer Herkunft pogromartig gejagt werden können und um Leib und Leben fürchten müssen, ist das ein Verstoß gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde. Die Gesellschaft, in der wir leben möchten, ist menschenwürdig.