Wilhelm Neurohr

Leserbrief an das Medienhaus Bauer zu den Berichten über CETA-Beschluss auf dem SPD-Konvent

„CETA-BESCHLUSS OFFENBART

ABGRÜNDE IM DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER SPD“

Die SPD offenbart mit ihrem umstrittenen CETA-Beschluss auf dem Parteikonvent „Abgründe in ihrem Demokratieverständnis“ und zeigt damit „Lust am Untergang“. Ihre „soziale Seele“ hat die SPD bereits mit ihrer Agenda 2010 verkauft und damit die Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verloren. Nun hat die „sozial-demokratische“ Partei mit der kompromissbereiten CETA-Zustimmung auch noch ihre „demokratische Seele“ verkauft und riskiert damit als „seelenlose“ Partei den Verlust der übrigen Hälfte ihrer Anhänger. Die „Gesichtswahrung“ für ihren Parteivorsitzenden Gabriel war ihnen wichtiger als die grundlegende Sachentscheidung über den gefährdeten Handlungsspielraum der parlamentarischen Demokratie infolge CETA.

Wie kann eine demokratische Partei faktisch die „Selbstentmachtung der gewählten Parlamente“ beschließen und die Ablösung des Primats der Politik durch den Primat der Wirtschaft akzeptieren, die künftig über die völkerrechtlichen Freihandelsabkommen den Regierungen und Parlamenten den politischen Handlungsspielraum für gesetzliche Regulierungen einschränkt!? Zahlreiche Gutachten von Völkerrechtlern und Verfassungsrechtlern halten CETA in großen Teilen für verfassungswidrig und 125.000 Bürger haben bereits eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde eingereicht, die größte Bürgerklage seit Bestehen der Bundesrepublik. Von den Hunderttausenden Demonstranten oder den 3,5 Mio. Unterschriften und 2000 Ratsbeschlüssen gegen CETA in ganz Europa erst gar nicht zu reden, von denen sich die SPD-Spitzer nicht umstimmen lässt.

ROTE LINIEN ÜBERSCHRITTEN

Die mutlose Parteibasis der SPD und ihre Delegierten ohne Rückgrat können einem leidtun, schließlich sind sie ja irgendwann einmal in die Partei eingetreten, um Politik mitgestalten zu können im Rahmen „innerparteilicher Demokratie“. So haben sie auf einem Parteitag mit breiter Mehrheit „rote Linien“ beschlossen, die mit CETA nicht überschritten werden dürfen. Doch die Partei-Oberen scheren sich weder um die Meinung ihrer Basis noch der Bevölkerungsmehrheit: Vorstand und Präsidium der SPD sowie der kleine Parteikonvent setzen sich einfach über die demokratischen Parteitagsbeschlüsse der Parteibasis hinweg, obwohl die selbst gesetzten „roten Linien“ zu CETA in vollem Umfang überschritten werden.

Dies wird selbst von der SPD-Arbeitsgemeinschaft der Juristen (ASJ)festgestellt, die in der Aussage gipfelt: „CETA ist ein weiterer Baustein zu einer internationalen Wirtschaftsverfassung unter neoliberalen Vorzeichen. Sozialdemokratische

Politik wird in Zukunft strukturell erheblich in die Defensive gedrängt, wenn sie diese Entwicklung nicht erkennt und sie umkehrt“. Doch weder die Juristen in der SPD im Einklang mit dem deutschen Richterbund, noch die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen oder die SPD-Jugendorganisation (Jusos), nicht einmal die Grundwerte-Kommission unter Prof. Gesine Schwan und Alterspräsident Erhard Eppler oder die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin konnten den SPD-Vorstand von einer CETA-Ablehnung überzeugen

„NACHVERHANDLUNGEN“ UNWIRKSAM

Die als Kompromiss von Gabriel trickreich vorgeschlagenen, aber aussichtslosen und unwirksamen „Nachverhandlungen“ zu Einzelpunkten von CETA in Form, „klarstellender Protokollnotizen“ ändern daran keinen Deut und sind pure Augenwischerei, denn das Heft des Handelns liegt gar nicht bei der SPD, sondern bei der bei der „großen Koalition“ im EU-Parlament und bei EU-Kommission, die substantielle Nachverhandlungen ablehnt und über den Europäischen Gerichtshof sogar die rechtliche Notwendigkeit zur Beteiligung der Nationalparlamente in Frage stellt.

Der Europarechtler Wolfgang Weiß von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer hält „rechtliche Nachverhandlungen “für wenig wirksam. In seinem Ceta-Gutachten schreibt er: „Die beabsichtigten Präzisierungen werden, wenn überhaupt, erst in vielen Jahren wirksam werden“.

In der SPD bleibt dennoch also „alles beim Alten“: Zuerst folgt die gehorsame Basis den Basta-Drohungen ihres Vorsitzenden Gerhard Schröder, (dessen Beratervertrag bei der Rothschild-Bank laut Presse übrigens erst vor 2 Wochen abgelaufen ist). Dann akzeptieren sie ohne Widerspruch die geforderte „Beinfreiheit“ für ihren selbst ernannten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Und nun fallen sie (aus wahltaktischer Rücksichtnahme) auf die Verfahrenstricks ihres Vorsitzenden Gabriel folgsam herein. Offensichtlich will sich die älteste Partei Deutschlands demnächst mit einstelligen Wahlergebnissen begnügen oder begeht „Selbstmord aus Angst vor dem Tode“…Eine rot-rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl kann die SPD damit vergessen, denn Die Grünen wie die Linkspartei werden wohl nicht mit einem CETA-Befürworter koalieren. Vielleicht wollte Gabriel damit die Fortsetzung der großen Koalition?

Wilhelm Neurohr

Antwortschreiben des SPD-Parteivorstandes aus Berlin vom 21. September 2016, der CETA als Erfolgsprojekt betrachtet:

Sehr geehrter Herr Neurohr,

vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 20. September 2016 erreicht hat.

Sie kritisieren die Entscheidung des SPD-Konvents, dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada (Ceta), im Grundsatz zuzustimmen.

Die SPD diskutiert seit mehr als zwei Jahren über die Chancen und Risiken von Freihandelsabkommen. Auslöser für die Debatte war vor allem das von vielen Bürgerinitiativen und NGOs kritisierte Abkommen mit den USA TTIP. Die SPD hat sehr früh klar gemacht, was aus unserer Sicht rote Linien in einem solchen Abkommen sind. Und Sigmar Gabriel hat in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass es bei den Amerikanern in dieser Hinsicht an Verhandlungsbereitschaft mangele und TTIP daher faktisch tot sei.

Das eigentlich schon vor drei Jahren fertig ausgehandelte Freihandelsabkommen Ceta ist auf Betreiben der SPD und der neuen kanadischen Regierung in der Folge erheblich verbessert worden. So wird es erstmals keine privaten Schiedsgerichte mehr geben, sondern einen internationalen Handelsgerichtshof mit öffentlich bestellten Richtern. Zusätzlich wurden Standards bei Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten sowie beim Umweltschutz angehoben. Und wichtige Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, etwa die kommunale Wasserversorgung geschützt. Das Abkommen könnte damit den Standard setzen für neue progressive Regeln in der Globalisierung.

Ceta ist ein Schutz vor schlechten Handelsabkommen wie es sie bereits hundertfach gibt. Ceta soll als Blaupause auch für bereits bestehende Abkommen gelten und auch die dort geltenden Standards heben. Es ist also der Versuch, Globalisierung im Sinne der SPD zu gestalten. Scheitert Ceta, bleiben alle bislang geltenden Vereinbarungen in Kraft. Mit all den schlechten Standards, den privaten Schiedsgerichten und ohne den Schutz von Arbeitnehmerrechten. Das kann nicht im Interesse der SPD sein.

Die SPD ist die einzige Partei, die sich mit diesem Abkommen tatsächlich auseinandergesetzt hat. Weder befürworten wir es widerspruchslos wie die Union es tut. Noch verurteilen wir Freihandel in Bausch und Bogen wie das die Linkspartei macht. Auf dem Parteikonvent fand eine sachliche, an Argumenten interessierte Debatte statt und die Delegierten haben eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen. Darauf kann die SPD stolz sein.

Auf unserer Homepage finden Sie viele Informationen rund um Ceta: Den Beschluss des Parteikonvents, ein FAQ, einen Mitschnitt der Pressekonferenz mit Sigmar Gabriel und Martin Schulz sowie eine Bewertung des Vertragstextes durch den Vorsitzenden des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments, Bernd Lange:

https://www.spd.de/standpunkte/starke-wirtschaft-in-der-gerechten-gesellschaft/ceta/

Wir würden uns freuen, wenn Sie die Gelegenheit wahrnehmen, um mit uns Gespräch zu kommen. Denn eines hat die SPD in ihrer 154-jährigen Geschichte verinnerlicht: nur im Dialog, im Abwägen der Argumente und am Ende im Kompromiss kann es Fortschritt geben.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Willy-Brandt-Haus,

Juliane Wlodarczak

SPD-Parteivorstand
Direktkommunikation

Telefon: (030) 25 991-500
Telefax: (030) 25 991-375
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Postanschrift:
SPD-Parteivorstand
Willy-Brandt-Haus
Wilhelmstraße 141
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Persönliches Antwortschreiben von MdB Dr. Matthias Miersch, Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion und Befürworter sowie Wegbereiter des CETA-Beschlusses des SPD-Konvents:

Sehr geehrter Herr Neurohr,

vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema CETA, die ich gerne beantworte.

Die SPD hat bereits zu Beginn der Diskussion um TTIP und CETA klare Anforderungen beschlossen, die wir an diese Freihandelsabkommen richten, damit wir ihnen zustimmen können. Damit heben wir uns von allen anderen Parteien ab, die entweder bedingungslos Ja oder pauschal Nein sagen. Die Beschlüsse der SPD habe ich mitgetragen und sie waren für mich immer Richtschnur meines Handelns in der Diskussion um einen fairen Welthandel, die ich mit vielen Bürger_innen und NGOs geführt habe.

Als der fertige CETA-Text vorlag, habe ich im August dieses Jahres ein Papier verfasst, in dem ich aufgezeigt habe, an welchen Stellen des Abkommens die roten Linien der SPD überschritten sind. Ich habe deshalb geschrieben, dass dem jetzt vorliegenden CETA-Entwurf nach meiner Überzeugung kein SPD-Parlamentarier zustimmen kann. Daran hat sich für mich bis zum jetzigen Zeitpunkt nichts geändert, und das habe ich auch mehrfach öffentlich erklärt.

Für mich ist allerdings auch klar: Mit einem einfachen Nein zu CETA kommen wir nicht weiter. Ich möchte nicht keine Handelsabkommen, sondern gute Handelsabkommen. Außerdem müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass CETA nur in wenigen Ländern der EU so kritisch diskutiert wird, wie in Deutschland. Deshalb habe ich bereits in meinem Papier eine Brücke zwischen CETA-Kritikern und CETA-Befürwortern vorgeschlagen: Ich will, dass das Europäische Parlament einen breiten Diskurs mit den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft für die kritischen Punkte des Abkommens führt und über diesen Weg Verbesserungen am Abkommen erwirkt.

Auf dem SPD-Konvent in Wolfsburg ist es mir gemeinsam mit vielen Mitstreiter_innen, insbesondere mit Bernd Lange und Stephan Weil gelungen, diese Position innerhalb der SPD durchzusetzen. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der von der Parteispitze übernommen wurde: Im Beschluss der SPD steht nun klar und deutlich, dass CETA über ein breites parlamentarisches Anhörungsverfahren noch einmal verbessert werden muss, damit es für mich zustimmungsfähig ist:

§ Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe im Kapitel zum Investorenschutz müssen so präzisiert werden, dass sie kein Einfallstor für unberechtigte Schadenersatzklagen großer Konzerne gegen Staaten bieten.

§ Es muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip abweicht.

§ CETA braucht einen Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards. Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen von allen Vertragspartnern ratifiziert werden.

§ Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.

Entscheidend ist für mich, dass die Verbesserungen erfolgen müssen, bevor das Europäische Parlament über CETA abstimmt und damit bestimmte Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden können. Welche Teile das genau sein werden, muss im parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Für die SPD steht fest: Unter anderem der Bereich Investorenschutz berührt nationale Kompetenzen und kann damit erst angewendet werden, wenn auch das letzte nationale Parlament dem Vertrag zugestimmt hat.

Dieser Weg, CETA über das parlamentarische Verfahren zu verändern, ist wegweisend für Demokratie und Transparenz in der EU.

Die SPD hat damit einen guten Beschluss gefasst, der am Ende des Verfahrens Maßstab für jeden Abgeordneten sein muss, wenn es darum geht, über die Zustimmung zu CETA zu entscheiden. Das habe ich auch heute in meiner Bundestagsrede gesagt.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch

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Dr. Matthias Miersch, MdB

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11011 Berlin

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Fax 030-227-76099

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