Wilhelm Neurohr

Leserbrief an die Lokalredaktion der Recklinghäuser Zeitung

Strafbare Spekulationsgeschäfte der Kommunen

„ES IST NOCHMAL GUT GEGANGEN“

Da wird rückblickend die Verwaltungsspitze im Recklinghäuser Rathaus und in vielen anderen Rathäusern vorige Tage erleichtert aufgeatmet haben – und zwar mit Blick auf die Stadt Pforzheim und ein dort jetzt vom Landgericht Mannheim ergangenes Gerichtsurteil mit Bewährungsstrafen für die ehemalige Oberbürgermeisterin und die Kämmerin. Denn auch die Stadt Recklinghausen hatte sich, ähnlich wie Pforzheim, eine Zeitlang zwecks angestrebter Haushaltsentlastung auf das derivate Finanzinstrument namens „Zins-swaps“ eingelassen – also auf riskante spekulative Zinswetten oder-geschäfte mit Banken für 20- 30% der städtischen Zinslast. Verkauft wurde das als „neues kommunales Schulden- und Zinsmanagement“.

Trotz aller Warnungen von Finanzexperten und dem Bund der Steuerzahler hatten damals allein in NRW 289 Kommunen, darunter auch Recklinghausen, in ihrer Finanznot verzweifelt auf diese Spekulationsgeschäft als das „dicke Geschäft zur erhofften Zinseinsparung“ gesetzt. Die Stadt Recklinghausen hatte Glück und kassierte tatsächlich unter dem Strich 5,3 Mio. €, ähnlich wie 34 weitere Kommunen in NRW mit positiven Effekten.

Die Nachbarstadt Marl hingegen hatte einen Verlust von 4,7 Mio. € und etliche weitere Kommunen verloren teils zweistellige Millionensummen zu Lasten der Bürger und Steuerzahler. So auch die Stadt Hagen mit 40 Mio. €; hohe Verluste verbuchten auch die Kämmerer in Remscheid, Neuss, Ennepetal, Hückeswagen sowie im Kreis Euskirchen. Sie hatten Glück, dass nach einem Gerichtsurteil die Banken (Deutsche Bank und WestLB) wegen „unzureichender Risiko-Aufklärung“ wenigstens einen Teil der Verluste an die Kommunen zurückzahlen mussten.

Der damalige Recklinghäuser Stadtkämmerer und einige Amtskollegen hatten zuvor im überregionalen Fachverband der Kämmerer laut Protokoll für die umstrittenen „swaps-Derivate“ geworben, indem sie die nach ihrer Meinung relativ risikoarmen „normalen swaps“ dort den Kommunen empfahlen. Einige Städte wie Pforzheim hatten sich jedoch auch auf die noch riskanteren „Speed-Ladder-Swaps“ eingelassen und prompt hohe Verluste eingefahren. Wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder und Pflichtverletzungen erhielten dafür jetzt die ehemalige Oberbürgermeisterin und die Kämmerin zweijährige Bewährungsstrafen. Ihnen drohen nun obendrein hohe Schadenersatzforderungen und der Verlust ihrer Beamtenpensionen. (Das konnte auch ihr Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki, Träger der „Weißen Weste“ des Recklinghäuser Karneval-Vereins, nicht verhindern.)

Mangelndes Gespür für risikoreiche Geschäfte der Kommunen bewiesen manche Kämmerer auch seinerzeit bei den umstrittenen Leasing-Geschäften („Cross Border Leasing“) mit den städtischen Abwässerkanälen – gegen den heftigen Widerstand aus der Bürgerschaft. In Recklinghausen hatte man Riesenglück, dass auch hier nach dem Straucheln der US-Versicherung AIG als Geschäftspartner unter dem Strich keine Verluste entstanden, anders als bei anderen Kommunen.

Bei „Glücksspielen“ mit öffentlichen Haushaltsmitteln kann man zwar als „Spielernatur“ auch mal Glück haben, aber seriöse Haushaltspolitik sieht meines Erachtens anders aus. Das Mannheimer Urteil sollte jedenfalls Warnung und Anlass sein, trotz Haushaltsnot in Recklinghausen und anderswo in Zukunft die Finger von solcherart Spekulationsgeschäften zu lassen! Verurteilt werden sollten aber eigentlich nicht die Kommunalpolitiker, sondern die Landes- und Bundesregierung - weil sie die Kommunen (verfassungswidrig) nicht mit den erforderlichen Finanzmitteln ausstatten, und damit die Stadtkämmerer zu verzweifelten Aktionen verleiten.

Wilhelm Neurohr