Wilhelm Neurohr

Leserbrief zum Kurzbericht vom 27.05.2015 „Bundesstraßen privat bauen“

Schleichende Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur durch ÖPP –

Seilschaften aus Politik und Privatwirtschaft eröffnen Einfallstor für Korruption“

Eine unscheinbare Kurzmeldung vom 27. Mai offenbart ungeheuren Sprengstoff für die Zukunft der öffentlichen Infrastruktur in unserem Land: Da verkündete Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) nebenbei, dass private Investoren zehn Bundesstraßen-Projekte sowie den Neubau von 600 km Autobahn für insg. 7 bis 14 Mrd. € realisieren sollen, und zwar im Rahmen Öffentlich-Privater-Partnerschaften (ÖPP). Abschnitte der Autobahn A 7 wurden bereits von Privaten gebaut - die demnächst unsere Maut abkassieren?

Das Vergabeverfahren für die neuen Projekte läuft bereits mit Baubeginn für 2017, entgegen allen Warnungen des Bundesrechnungshofes und der Landesrechnungshöfe. Diese haben festgestellt , dass alle bisherigen ÖPP-Projekte für den Steuerzahler deutlich teurer waren als bei herkömmlicher Finanzierung durch den Staat, weil dieser keine Profite damit erzielen will und als öffentliche Hand zinsgünstigere Kredite bekommt. Nun sollen also die Bürger und Steuerzahler den großen Baukonzernen die Gewinne zusätzlich finanzieren?

Doch das ist erst der Anfang des Ausverkaufs der öffentlichen Infrastruktur, die bisher in Bürgerhand war und ordentlich über Steuern finanziert wurde. Schon im April hatte Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) auf Vorschlag seiner einberufenen Beraterkommission den Plan verkündet, generell die öffentliche Infrastruktur durch Private finanzieren zu lassen, beginnend mit dem Brücken- und Straßenbau, dann ausgeweitet auf die kommunale Infrastruktur.

In Gabriels Kommission waren vertreten: Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen höchstpersönlich (gegen den der Staatsanwalt gerade ein Strafverfahren eingeleitet hat) sowie Vertreter des BDI (Bund der deutschen Industrie) und der größten Versicherungskonzerne Allianz und Ergo, die alljährlich die größten Parteispenden an CDU, CSU, FDP und SPD überweisen (laut Bericht des Bundestagspräsidenten). Mit dieser großen Koalition aus Politik, Industrie sowie Banken- und Versicherungswirtschaft soll auf Kosten der Steuerzahler und zu Lasten der Allgemeinheit privates Geld für Investitionen mobilisiert werden. Zwei Gewerkschaftsvertreter in der Kommission, die sich vergeblich gegen ÖPP aussprachen, dienten als Alibi.

Damit sollen z. B. über Gemeindegrenzen hinweg Bauprojekte gebündelt und aus Fonds fi­nanziert werden. Mit der Bündelung zu Großprojekten kommen dann auch die großen Baukonzerne und nicht mehr die örtlichen Handwerksbetriebe zum Zuge, die solche Großprojekte nicht stemmen könnten (und dann vor Ort auch keine Gewerbesteuern mehr zahlen). Indem auch den Bürgern eine Beteiligung an den Fonds über Einlagen (zu höheren Zinsen als derzeit bei den Banken) anbieten will, soll ihnen das Modell zum Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur schmackhaft gemacht werden. Weil an den Finanzmärkten alle Anlagemöglichkeiten ausgeschöpft sind, hofft man nun, dass sich die Privatinvestoren auf den nach Privatisierungen noch verbliebenen öffentlichen Sektor stürzen.

Die Pläne des sozialdemokratischen Vizekanzlers sind übrigens alte Ladenhüter aus der Zeit des SPD-Finanzministers Steinbrück, der 2008 die „ÖPP Deutschland AG“ gründete mit 57% Anteil öffentlicher Hand und 43% in Unternehmenshand). Beteiligt an diesem Deal war u.a. der Baukonzern Bilfinger, deren Vorstandschef Roland Koch (CDU) später scheiterte. Ferner die Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer, für die Steinbrück hochbezahlte Vorträge hielt. Diese schreiben in den Ministerien schon seit der rot-grünen Regierungsära Schröder an den Gesetzesvorlagen mit, trotz Empörung durch das Parlament. Auf der Homepage des Landesfinanzministeriums NRW und der übrigen Bundesländer ist nachzulesen, dass in diesen Ministerien überall eine ÖPP-Task Force unter Firmenbeteiligung gibt, die dort mit Beratungsdienstleistungen bereits etabliert sind.

Fazit: Seilschaften aus Politik und Privatwirtschaft eröffnen hier ein bedenkliches Einfallstor für mögliche Korruption zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger und Steuerzahler, deren öffentlichen Einrichtungen und Räume schleichend privatisiert werden, obwohl sie in Bürgerhand gehören.

Wilhelm Neurohr

Antwort des SPD-Parteivorstandes vom 2. Juni 2015:

Sehr geehrter Herr Neurohr,

vielen Dank für Ihre E-Mail, die uns am 02.06.2015 erreicht hat.

Sie sprechen mit der Frage der Investitionen in Infrastruktur eines der gegenwärtig wichtigsten Themen an. Die Situation ist leider nicht einfach.

Richtig ist, dass sehr viele der PPP (zu deutsch: Öffentlich-private Partnerschaft) in der Vergangenheit unwirtschaftlich waren. Das trifft übrigens nicht nur für Projekte im Straßenbau zu. Nun könnten wir es uns leicht machen und uns kategorisch gegen diese PPP-Projekte aussprechen. Allerdings sind wir dann für die immer maroder werdende Infrastruktur verantwortlich. Die Alternative, die Infrastruktur aus öffentlichen Geldern zu finanzieren, ist leider ebenfalls in vielen Fällen nicht mehr möglich, weil viele Kommunen und Länder dafür kein Geld zur Verfügung haben. Auf Bundesebene haben wir zudem die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.

Eine wesentliche Alternative, um dem Verfall der Infrastruktur zu entgehen, ist die Einbeziehung privater Gelder. Auch Sigmar Gabriel steht dieser Variante keinesfalls unvoreingenommen gegenüber. Deswegen hat unser Wirtschaftsminister am 28.8.2014 eine unabhängige Expertenkommission zum Thema "Stärkung von Investitionen in Deutschland" eingesetzt. Die Kommission setzt sich aus Experten aus Wissenschaft und Praxis unter dem Vorsitz von Prof. Marcel Fratzscher (DIW) zusammen. Hintergrund ist die niedrige Investitionsentwicklung in Deutschland – nicht nur im Hinblick auf die öffentliche Infrastruktur. Die Kommission soll Vorschläge erarbeiten, wie private und öffentliche Investitionen gestärkt werden können. Der Bericht wird Mitte/Ende April vorliegen.

Die Summen, über die wir hier reden (Schätzungen gehen von über 100 Milliarden pro Jahr aus, die in den nächsten Jahren notwendig wären), sind auch nicht über vereinzelte haushälterische Maßnahmen zu stemmen. Wir wollen deswegen prüfen, ob wir einen gesetzlichen Rahmen schaffen können, um notwendige langfristige Investitionen (und nicht: Spekulationen!) in öffentliche Infrastruktur zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Willy-Brandt-Haus

Kai Ihlefeld