Wilhelm Neurohr

03.07.2016

Sehr geehrter Herr Laschet,

den Pressemeldungen der letzten Tage entnehme ich, dass Sie die politische (und rechtlich fragwürdige) Auffassung der EU-Kommission teilen, dass bei CETA eine Beteiligung der Nationalparlamente nicht erforderlich sei. Sie halten die Zustimmung des EU-Parlamentes und der Nationalregierungen für ausreichend, da es sich angeblich "um ein reines Handelsabkommen" handeln würde. Ähnlich hatte sich auch die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende zuvor geäußert.

Zugleich werfen Sie jedoch den CETA-Kritikern und Befürwortern einer Bundestags-Beteiligung vor, diese würden sich mit ihrer Forderung nach demokratischer Parlamentsbeteiligung auf das Niveau der Rechtspopulisten begeben und damit aus dem Brexit nichts gelernt zu haben. Auch scheinen Sie die Gutachten von zahlreichen Völker- und Staatsrechtlern sowie ehemaligen Verfassungsrichtern zu ignorieren, die diese Vorgehensweise als nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar ansehen. Schon zum EU-Lissabon-Vertrag hatte unser Bundesverfassungsgericht in vielen Punkten auf eine notwendige Einbindung des Bundestages verwiesen.

Ganz offensichtlich spielen Sie damit die keineswegs nur "von rechtsaußen", sondern quer durch alle politischen Lager und auch wissenschaftlich sowie von Verbänden etc. seit langem kritisierten unbestreitbaren Demokratie-Defizite der EU und deren Exekutivlastigkeit bei Gesetzesvorgaben und Entscheidungsprozessen herunter, die nicht mit unserem Verständnis von Gewaltenteilung kompatibel ist.

Damit offenbaren Sie ihre eigene Lernunfähigkeit und die der Landes-CDU bei den Konsequenzen aus dem Brexit und dem europaweiten politischen Rechtstrend sowie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und Reformnotwendigkeit der EU.

Offensichtlich ist Ihnen entgangen, dass mit CETA (ebenso mit TTIP und TISA) von nicht gewählten Handelskommissaren unter intensiver Beteiligung von Lobbyisten Regelungen vorgesehen werden, die unsere in langjährigen parlamentarischen Verfahren und öffentlichen Diskursen demokratisch errungenen Regelungen zum Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz, zum Arbeits-, Tarif-und Sozialrecht sowie zur kommunalen Selbstverwaltung aushebeln und unser Parlament zur Ohnmacht zwingen.

Diese Kritik kommt auch von ideologisch unverdächtiger Seite wie von den kommunalen Spitzenverbänden, den kirchlichen Organisationen, dem Kulturrat und Richterbund, dem Bundesverband der mittelständischen Unternehmen u.v.m., also nicht nur von den Sozial- und Umweltverbände und Gewerkschaften etc. Hunderte Kommunalparlamente haben sich (auch mit CDU-Zustimmung vor Ort) ebenso kritisch geäußert. Darüber setzt sich der CDU-Landesvorsitzende einfach hinweg?

Schon bei der Großdemonstration in Berlin seitens der CETA-und TTIP-Kritiker mit 250.000 Telnehmenden wurde die Behauptung in die Welt gesetzt, dass diese besorgten Menschenmassen von der Pegida-Bewegung gesteuert wären, bis eine seriöse Untersuchung der Universität Göttingen anhand der genauen Teilnehmerstruktur belegte, welcher Unfug da verbreitet wurde, um die CETA-Kritiker als angeblich von rechts fremdgesteuert zu diffamieren.

Sollte CETA auf die geplante Weise mit CDU-Unterstützung durch die EU "durchgedrückt" werden gegen den Willen einer Mehrheit von 60% in der Bevölkerung (laut Umfragen), dann wird das zu noch mehr EU- und Demokratieverdrossenheit führen und auch zum Unmut gegenüber Ihrer Partei.

Auch viele Wähler und CDU-Mitglieder an der Basis, die aus guten Gründen eine ablehnen Haltung zu CETA haben und weitaus besser über die Inhalte informiert sind als die meisten Spitzenpolitiker, soviel konnte ich regional beobachten, sind über Ihre Aussagen ebenso empört wie viele andere. Bei der nächsten Landtagswahl wird es deshalb mit Sicherheit eine deutliche Quittung für Ihre Landespartei geben, weil sich die Menschen nicht in die rechte Populisten-Ecke von Ihnen stellen lassen, da Sie offenbaren, dass Sie sich weder vertieft mit der CETA-Problematik befasst haben noch den Brexit-Weckruf richtig einordnen können - und damit der Europa-Idee und der Demokratie einen Bärendienst erweisen. Von Ihnen hätte ich politisch und intellektuell etwas anderes erwartet als platten Gegenpopulismus.

Mit enttäuschten Grüßen

Wilhelm Neurohr

(Buchautor: "Ist Europa noch zu retten?")

Mitglied des Präsidiums

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Am 14. Juli 2016 schrieb Armin Laschet folgende (empörende) Antwort >>> siehe pdf-Datei

Als meine Entgegnung darauf eignet sich mein am 07.07.2016 in der taz erschienener Leserbrief zu einem Kommentar von Klaus Hillenbrandt vom 06.07.2016, der ebenso wie Laschet dafür plädierte, CETA nur dem EU-Parlament und nicht dem Bundestag vorzulegen.

Leserbrief an die taz, zum Kommentar von Klaus Hillenbrand am 6. Juli zur Parlamentsbeteiligung bei CETA

"Demokratie-Defizite bei der EU nicht bemerkt?"

Ganz offensichtlich hat Klaus Hillenbrand noch nie etwas vom Subsidiaritätsprinzip gehört und davon, dass unserem EU-Parlament in der Exekutiv-lastigen EU mit ihrer mangelnden Gewaltenteilung die Kernkompetenz eines richtigen Parlamentes zur Ergreifung von Gesetzesinitiativen fehlt. Es hat nur beschränkte Kontrollfunktionen und auch die wenigsten EU-Abgeordneten durften lange Zeit die geheimen CETA- und TTIP-Verhandlungsdokumente einsehen. Vor allem aber: Die EU-Abgeordneten kennen keine Direktwahl und haben keine Wahlkreise, deshalb mangelt es an bürgernahen öffentlichen Diskursen vor Parlamentsentscheidungen. Außerdem fehlt die Gleichheit der Stimmen wegen der völlig ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen in den einzelnen Ländern. Auch hat Klaus Hillenbrand wohl nicht mitbekommen, dass mit CETA und TTIP der Primat der Politik durch den Primat der Wirtschaft final abgelöst werden soll und deshalb Dutzende Verfassungs- und Völkerrechtler sowie ein ehemaliger Verfassungsrichter auf die Unvereinbarkeit mit unserem Grundgesetz hingewiesen haben. Deshalb kann das EU-Parlament, in dem übrigens weitaus mehr Lobbyisten ein- und ausgehen als in unserem Bundestag, bei CETA § Co. nicht unsere einzige zuständige Ebene der Volksvertretung sein - denn sie würde unsere mühsam und demokratisch errungenen Gesetzesregelungen obsolet machen – von wegen mehr Demokratie durch das bürgerferne EU-„Parlament“. Mit nur 40% Wahlbeteiligung (in manchen EU-Ländern um 20%) bei der EU-Parlamentswahl mangelt es dem Europaparlament ohnehin an demokratischer Legitimation. All diese Demokratiedefizite bei der EU sind Klaus Hillenbrand entgangen? Dann lieber direkte Volksabstimmungen über CETA und TTIP, die laut Umfragen von über 60% der Bevölkerung abgelehnt werden. Diesen Mehrheitswillen haben unsere Parlamente zu vollziehen.

Wilhelm Neurohr

Haltern am See

(Buchautor: „Ist Europa noch zu retten?“)