Wilhelm Neurohr

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“

Am 27.1.1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Über eine Million Menschen waren allein hier ermordet worden. Nach 73 Jahren werden die überlebenden Augenzeugen immer weniger und sehr alt. Doch es gibt sie noch, die Zeitzeugen, die etwas zu sagen haben und erzählen, was wirklich in Auschwitz geschah.
Herten hat das Glück, eine von ihnen zu Besuch zu haben: Halina Birenbaum. Sie erlebte und überlebte als junge polnische Jüdin das Grauen im Warschauer Ghetto, in den KZs von Majdanek, Auschwitz und Ravensbrück. Am Dienstag, dem 23.1.2018 um 19 Uhr, wird Halina Birenbaum auf Einladung des Kulturbüros und dem Projekt „Demokratie leben!“ zu Gast im Glashaus sein. Ihr Lebensbericht vergegenwärtigt auf beklemmende Art und Weise die Realität des Terrors und soll Anlass geben für Diskussionen und Fragen.
Halina Birenbaum wurde am 15. September 1929 in Warschau als jüngstes Kind von Jakub und Pola Grynsztejn geboren. Der Vater arbeitete als Handelsvertreter, die Mutter führte den Haushalt und trug mit Häkeln zum Unterhalt bei.
Zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs war Halina zehn Jahre alt und wollte in die 3. Klasse der Grundschule gehen. Ihr Bruder Marek studierte Medizin, ihr Bruder Chilek besuchte eine Handwerksschule.
„Die Grausamkeit von all dem, was sich ringsherum abspielte, war unermesslich. Eine hohe Mauer trennte uns im Spätherbst 1940 von der ‚arischen’ Bevölkerung“, erinnert sich Halina Birenbaum, „Hunger, Dreck, Epidemien brachten vielen den Tod. Neue Nachrichten über erneute Siege in Deutschland, über Morde an Juden, später auch über die Errichtung von Gaskammern in Kulmhof, Belzec und Auschwitz erreichten uns fast jeden Tag. Ich träumte damals, ich wache einen Morgens auf, und es wird keine Deutschen in Warschau mehr geben, sie verschwinden einfach aus unserem Leben, so plötzlich, wie sie in dieses eingedrungen waren…“
Im Sommer 1942 wurde Halinas Vater von den Nationalsozialisten nach Treblinka deportiert und dort ermordet. Ein Jahr später drohte dieses Schicksal dem älteren Bruder Marek, der sich aber wie durch ein Wunder durch eine gewagte Flucht von dem Transport retten konnte. Dann tauchte er unter und überlebte bis zum Kriegsende in einem Versteck in Warschau.
Nach der Liquidation des Warschauer Ghettos wurden Halina, ihre Mutter sowie ihr Bruder Chilek mit seiner frisch angetrauten Frau Hela in das Konzentrationslager Majdanek bei Lublin verbracht. Die Mutter hat die Selektion nicht überstanden und fand den Tod in der Gaskammer. Der Bruder wurde nach Auschwitz deportiert, wo er später umkam. Für die junge Halina blieb ihre Schwägerin Hela die letzte Stütze. „Hela kämpfte für mich um einen Platz auf dem Fußboden der überfüllten Baracke, um eine Suppenschüssel, von denen es stets viel zu wenige gab für die vor Hunger und Durst wahnsinnigen Frauen. Wir trennten uns nicht einmal für einen Augenblick voneinander. Doch Hela wurde zunehmend magerer, schwächer, sie wurde immer weniger und ich fing an erbittert zu kämpfen, um sie nicht zu verlieren“, erinnert sich Halina Birenbaum. Am 8. Juli 1943 landet sie mit Hela zusammen im Konzentrationslager Auschwitz.
„Auf derFahrt klammerten wir uns fest aneinander und träumten von einem besseren Lager“, berichtet Halina Birenbaum, „bald erschien vor unseren Augen ein Tor mit der großen Aufschrift: ‚Arbeit macht frei’,“ Halina erhielt die Lagernummer 48693. Ihre Schwägerin überlebte lediglich einige Wochen. „
Halina Birenbaum hat Birkenau überlebt. Am 18. Januar 1945 erreichte sie mit dem „Todesmarsch“ das Konzentrationslager Ravensbrück und anschließend Neustadt-Glewe.
3. Mai 1945. In Zivil gekleidete Deutsche fuhren davon. Das Tor des Konzentrationslagers Neustadt-Glewe blieb offen. „Ich konnte mich über die wiedererlangte Freiheit nicht freuen. Für die Freude war ich damals noch nicht richtig geboren, ich war eine ausgebrannte Greisin.“
Halina Birenbaum kehrte als sechzehnjähriges Mädchen nach Warschau zurück. Dort traf sie ihren Bruder Marek, der den Holocaust überlebt hatte. 1946 verließ sie illegal Polen. Mit einer Gruppe von jüdischen Jugendlichen erreichte sie am 3. Dezember 1947 mit einem Schiff den Hafen von Tel-Aviv. Seitdem lebt Halina Birenbaum in Israel. In den letzten Jahren besucht sie jedoch regelmäßig Polen und Deutschland, um sich mit Jugendlichen zu treffen und mit ihnen auf eine beeindruckend emotionale Art und Weise ihre tragischen Erinnerungen zu teilen.
Halina Birenbaum (geb. Grynsztejn-Balin) – Schriftstellerin und Dichterin, schreibt und publiziert in Polnisch und Hebräisch. Ihre Erlebnisse aus der Zeit des Holocaust teilt sie seit Jahren mit Jugendlichen in Israel, Deutschland und Polen.
Veröffentlichungen: „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ (poln. Erstausgabe 1967), „Rückkehr in das Land der Väter“ (1991). (1998: Jeder wiedergewonnene Tag, nur auf Polnisch). „“ (1999; Ruf nach Erinnerung, nur auf Polnisch). „Echa dalekie i bliskie. Spotkana Z mlodzieza“ (2001: Ferne und nahe Echos. Begegnungen mit Jugendlichen, nur auf Polnisch) sowie Gedichtbänden wie „Nawet gdy sie smiejc“ (1990; Selbst wenn ich lache, nur auf Polnisch), „Nicht der Blumen wegen“ (1990), „Jak mozna w slowach“ (1995; Wie kann man in Worten, nur auf Polnisch).
2001 wurde sie vom Polnischen Rat der Christen und Juden mit dem Titel „Mensch der Versöhnung“ ausgezeichnet.
Der Überlebende Elie Wiesel sagte einmal: „Jeder der heute einem Zeitzeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge werden.“
Die Erlebnisse der Zeitzeugen und ihre Berichte sollen dazu beitragen, Menschen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu sensibilisieren und stark zu machen.
Dienstag, 23.1.2018 um 19 Uhr im Glashaus Herten.
Die Veranstaltung ist kostenlos. Halina Birenbaum bringt zu dieser Veranstaltung ihr Buch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ mit, das für 15 € von interessierten ZuhörerInnen erworben werden kann.