Wilhelm Neurohr

Rechtspopulistische „Geisterfahrer“ in der Union auf den Spuren von Donald Trump?

Vor einigen Tagen hatte CDU-Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz der „schlafwandlerischen“ Bundesregierung und der EU vorgeworfen, sich nicht ausreichend auf eine Wiederwahl von Donald Trump als Präsident der USA vorzubereiten. Dafür sei es "höchste Zeit". Wie gut Merz selber seit langem darauf vorbereitet ist, belegt sein Interview vom 4. November 2020 bei BILD-live: „Trump und ich – wir kämen schon klar“, wenn er Bundeskanzler wäre. Er wisse, wie die Amerikaner ticken. „Wir sollten Respekt vor den Wählerinnen und Wählern der USA zeigen“. Die US-Republikaner hörten diese Botschaft gerne von ihrer deutschen Schwesterpartei, für deren CDU-Spitzenpolitiker sie enge Verbindungen zu Trumps umstrittenen Wahlkampf- und Regierungsberatern knüpfen halfen.

Der CDU-Fraktionsvize Jens Spahn (damals parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und danach Gesundheitsminister) war bereits 2017 in engem Kontakt nicht nur mit Trumps umstrittenen US-Botschafter Richard Grenell, sondern er reiste am 21. April 2017 in vertraulicher Mission zu Trumps Sicherheitsberater John Bolton und hauptsächlich zu Trumps Präsidentenberater Stephen Bannon - der mit einer extrem rechten Internet-Plattform wesentlichen Anteil an Trumps Wahlsieg hatte.

Zuspruch für Trump beim rechten Parteiflügel der Union

Spahn war wohl nicht offiziell als Regierungsvertreter dorthin gereist, wie damals gegenüber Kritikern verlautete, sondern eher privat oder als CDU-Funktionär. Denn der erste Sieg von Trump, für viele ein Albtraum, traf zunächst beim rechten Flügel der CDU auf Zuspruch. (Ob Friedrich Merz heute immer noch mit Trump auf behaupteter Augenhöhe klar käme?). "Trump ist aggressiv und laut, aber nicht dumm", relativierte Friedrich Merz in einem Interview mit der "Welt" im November 2016.

"Die USA müssen auch unter einem Präsidenten Donald Trump unser Partner bleiben", betonte Merz auch als damaliger Vorsitzender der "Atlantik-Brücke" (als Nachfolger des nach dem CDU-Parteispendenskandal vorbestraften Walther Leisler Kiep, der den spendablen Waffenhändler Schreiber als Mitglied der Atlantik-Brücke schützte). Deshalb tolerierte Merz wohl die Kontakte seines Parteifreundes Spahn zu Bannon & Co. in den USA. Spahn wiederum hofierte Merz (als Gegenkandidat für den Parteivorsitz) mit der Aussage, dieser sei der geborene Kanzlerkandidat der Union.

Jens Spahn als geförderter Nachwuchspolitiker mit guten Kontakten zum rechten Rand

Jens Spahn vom konservativen CDU-Flügel, der seit 2014 dem CDU-Präsidium angehört, gilt als Hoffnungsträger und künftige politische Führungskraft. Er absolvierte das „Young Leader Program“ für aufstrebende Führungskräfte in Politik und Wirtschaft, ein Partnerprojekt der "Atlantik-Brücke" und des "American Council on Germany". Im Juni 2017 war Spahn Teilnehmer der "Bilderberg-Konferenz" in Chantilly im US-Bundesstaat Virginia. Auch von daher rühren seine guten Kontakte in die USA.

Jens Spahn: "Flüchtlinge mit physischer Gewalt entfernen"

In Deutschland forderte er im Oktober 2023 "auch physische Gewalt gegen Migranten anzuwenden", nachdem Trump eine ähnliche Strategie an der Mauer zu Mexiko empfohlen hatte. Das hatte Spahn wohl imponiert, deshalb überholte er mit seinem Vorschlag sogar die AfD von rechts. Trotz weiterer oft fragwürdiger Aussagen zur Migrationspolitik distanzierte er sich ausdrücklich von rechtsradikalen Positionen. Er wird aber z.B. von Spiegel-Redakteur Florian Gathmann treffend als „Populist“ charakterisiert und pflegte längere Zeit gute Kontakte zur "Werte-Union" am äußerst rechten Rand der CDU - von der sich nun aktuell auch einige CDU-Mitglieder mit Rechtsradikalen und AfD-Vertretern in Potsdam zum Thema "Remigration" trafen.

Gegenseitige Wertschätzung von Steve Bannon und Jens Spahn

Steve Bannon hielt Spahn für „beeindruckend“, der sich seinerseits wohlwollend über Trumps Regierungsberater äußerte, wie die Medien und er selber berichteten. Über die Gesprächsinhalte mit Trumps Berater und erfolgreichem Wahlkampfmanager wurde Stillschweigen bewahrt, so dass gemutmaßt wurde, Spahn habe sich bei dem eher "privaten Besuch" Wahlkampftipps für die Union von Bannon geben lassen.

Nachdem Bannon von Trump gefeuert worden war, traf sich Bannon ein Jahr später in einem Züricher Hotel mit der AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel zum Gedankenaustausch, wie die Presse aufdeckte. Auch für sie hatte Steve Bannon vielleicht Wahlkampftipps und Unterstützungsangebote parat?

Fehlende Distanzierung zum US-Rechtspopulisten Steve Bannon?

Nachdem Steve Bannon sich 2022 einer Anhörung im Untersuchungsausschuss zum Angriff auf das US-Kapitol verweigerte, musste er 4 Monate in Haft. Weitere Strafverfahren gegen ihn waren anhängig wegen Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Mauerbau an der Grenze zu Mexiko, wegen Geldwäsche, Verschwörung und Betrugsplänen. Auch Wahlkampfspendengelder habe er sich eingesteckt, so wurde ihm vorgeworfen.

Spätestens danach hätte man aus Unionskreisen und aus der rechten AfD deutlich hörbare Distanzierung von Trumps ehemaligem Präsidentenberater erwarten können, den man zuvor als begehrten Gesprächspartner aufgesucht hatte, ebenso wie zu den ihn stützenden Republikanern generell.

"In einem de facto Zwei-Parteien-System ist es grundsätzlich nicht schlecht, Kontakte zu beiden Lagern zu haben. Aber in den USA ringen längst nicht mehr zwei Parteien, von den die eine etwas konservativer und die andere etwas sozialdemokratischer ist, miteinander. Die republikanische Partei hat sich in eine Gruppierung verwandelt, die Wahlergebnisse oder Gerichtsentscheidungen nur noch dann anerkennt, wenn ihr die Ergebnisse gefallen." So kommentierte die taz im Septermber 2023.

Auch grüne Außenministerin bevorzugt Gesprächskontakte mit rechten Republikanern

Doch auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock pflegte zuletzt auf ihrer USA-Reise im September 2023 Gesprächskontakte bevorzugt mit Vertretern der Trump-begeisterten republikanischen Partei, wie zu Senator Mitch McConell, dem republikanischen Minderheitsführer im Senat - wohl im Rahmen ihrer "wertegeleiteten" Außenpolitik. Sie ließ sich auch nicht davon abhalten, ausgerechnet den erzkonservativen republikanischen Gouverneur Greg Abbott von Texas aufzusuchen, der selbst innerhalb seiner konservativen Partei zum rechten Flügel zählt.

Abott twitterte ein Video vom Mauerbau in Mexiko, ist für das Tragen schwerer Waffen und gegen Abtreibungen und macht queeren Menschen das Leben schwer. Mexiko hat das restriktivste Einwanderungsgesetz eines US-Bundesstaates - neuerdings Vorbild für Deutschland und Europa? Baerbock wollte aber erklärtermaßen "mit solchen transatlantischen Partnern Kräfte bündeln." So adelt man die Rechtspopulisten und tadelt andere Politiker etwa in China?.

Junge Union: "Bürgerlich-konservative CDU sollte an der Seite der Republikaner sein"

Die stockkonservative Junge Union hatte noch 2018 Trumps höchst umstrittenen Berliner US-Botschafter Richard Grenell zu ihrem Deutschlandtag nach Kiel eingeladen, obwohl Angela Merkel ein Jahr zuvor nach einem Treffen mit Trump verkündet hatte, auf diese USA könne sich Europa nicht mehr verlassen. Am 18.02.2021 schrieb Thorben Meier von der Jungen Union auf der JU-Homepage: "Aber ich bin, allen Differenzen zum Trotz, der festen Überzeugung, dass unser Platz als bürgerlich-konservative Kraft der Mitte weiterhin vor allem an der Seite der Republikaner sein sollte."

Damit bekam er wohl das Wohlwollen der Parteispitze um Jens Spahn und Friedrich Merz, obwohl inzwischen die Republikaner als polarisierende Partei der evangelikalen Christen die Demokratie in den USA zerstören, die Gewaltenteilung hinterfragen und einem Autokraten zujubeln? Seit ihrem Parteitag 2022 sind die Republikaner "auf dem Weg zur rechtsextremen Sekte" mit totalitären Zügen, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland im Februar 2022 schrieb.

Erfreulicherweise widersprach aus der Jungen Union Leila Rifahi ihrem Parteikollegen zu seiner Veröffentlichung pro Republikaner und gab Kontra: "Die Entwicklungen dieses Landes zeigen, wohin es führen kann, wenn Nationalismus und Protektionismus zur Staatsdoktrin werden. Es liegt nun an uns, diese Partnerschaft für die nächsten vier Jahre zu erneuern. Dies wird nur mit einem starken Partner gelingen, der unsere westlichen Werte teilt. In diesem Fall: den Demokraten." Auf welcher Seite und an wessen Seite stehen nun die Transatlantiker der CDU im USA-Wahljahr 2024 ?

Wie die Rechtspopulisten die EU „umzukehren“ versuchen

Aber auch die bevorstehene Europawahl in diesem Jahr wirft Fragen auf und bereitet Sorgen. Zur letzten EU-Wahl 2019 hatte sich Spahn-Freund Steve Bannon laut Spiegel auch mit dem damaligen AfD-Chef und Europa-Abgeordneten Jörg Meuthen im Berliner Hotel Adlon getroffen. Der frühere Publizist und Filmproduzent Bannon sah sich als Berater für europäische Rechtspopulisten, um „Europa umzukehren“. Er träumte von einem "politischen Erdbeben" nach der EU-Wahl: „Nach der Wahl wird jeder Tag in Brüssel Stalingrad sein“, so wurde er zitiert. Der niederländische Rechtspopulist Jan Wilders und andere hatten sich laut FAZ einiges von Bannon abgeschaut.

Bannon lobte auch den damaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz von der ÖVP – der österreichischen Schwesterpartei der CDU - für dessen Migrationspolitik und nannte ihn in einem Atemzug mit Salvini, Orban und Le Pen. Am 16. Juli 2019 ließ sich dann im Europa-Parlament die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen mit den Stimmen der Rechtspopulisten von Orbans Fidesz-Partei und Polens PIS-Partei sowie Italiens rechter Lega zur EU-Kommissionspräsidentin wählen, nachdem ihr Grüne, SPD und Linke keine Unterstützung in Aussicht gestellt hatten.

Ursula von der Leyen schont in der EU ihre rechten Wahlunterstützer aus Ungarn und Polen

Kanzlerin Merkel und CDU-Generalsekratär Paul Ziemiak waren damals eigens zu Absprachen mit den rechten Staatschefs von Polen und Ungarn zugunsten ihrer Parteifreundin von der Leyen geeilt, die den Spitzenkandidaten Weber von der CSU zuvor beiseite gedrängt hatte. Seither war zu beobachten, wie sich die EU-Kommissions-Chefin der CDU in Brüssel und Straßburg bemühte, ihre rechten Wahlunterstützer aus Ungarn und Polen bei Rechtsverstößen nicht allzusehr mit Sanktionen zu maßregeln und ihnen bei der Migrationspolitik entgegenzukommen.

Ganz aktuell wollen deshalb Europa-Abgeordnete gegen die EU-Kommissionspräsidentin klagen, weil sie eigenmächtig die gesperrten Gelder für Ungarn freigegeben hat. Auch zur rechten italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei Fratelli d`Italia pflegt die CDU-Spitzenpolitikerin von der Leyen ein ausgesprochen herzliches Verhältnis und erhofft sich so Stimmen für ihre Wiederwahl als Kommissionspräsidentin. Alles das ist ein versteckter Sieg für die Rechtspopulisten in Europa, dank CDU.

CSU-Spitzenpolitiker arbeitete lange Zeit mit dem Rechtspupopulisten Viktor Orban in der EVP-Fraktion zusammen

Auch der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volksparteien im EU-Parlament, Manfred Weber von der CSU, zögerte lange Zeit bis 2019, die Zusammenarbeit mit dem rechtsnationalen Ungarn Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei zu beenden, da man zuvor als EVP-Fraktionsgemeinschaft viele gemeinsme Beschlüsse im EU-Parlament gefasst hatte. Noch in 2018 hatte die CSU Viktor Orban sogar zu einer Parteiveranstaltung der CSU eingeladen, weil man dessen ungarische Partei als gleichgesinnte "Schwesterpartei" der CSU betrachtete und Orban mit viel Beifall bedachte.

Orban pflegte enge Kontakt zu Donald Trump, nachdem dieser ihn bei seinem Besuch in den USA besonders freundlich umgarnte und Orbans Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen und Migranten mitsamt Grenzanlagen lobte. "Trump hat aus seinem Faible für Autokraten nie einen Hehl gemacht" so kommentierte die "Zeit". Und der ehemalige Trump-Chefberater Steve Bannon nannte den seit 2010 regierenden Ungarn Viktor Orban einmal als "Trump von Trump". In der CSU ist er dennoch herzlich willkommen?

Wie verhält sich die Union nach Erfolgen der Rechten bei der Europawahl?

Sollten bei der diesjährigen Europa-Wahl die Rechtspopulisten in Deutschland, Frankreich Niederlanden und Italien sowie weiteren Ländern absehbar zulegen, werden dann die Berührungsängste der CDU zu den Rechten noch geringer? Dies lässt aktuell die Teilnahme mehrerer CDU-Mitglieder (von der aus ihren Reihen entstandenen rechtslastigen „Werteunion“) auch an dem Geheimtreffen der Rechtsradikalen in Potsdam befürchten - auch wenn sich die CDU-Spitze daraufhin endlich von ihrem rechten Rand nun abgrenzen will. Aber warum erst jetzt? Und verhindert das den längst erkennbaren Einzug rechter Gesinnung bis hinauf in die Parteispitze der Union?

US-Zeitung vergleicht Friedrich Merz mit Donald Trump

Die US-amerikanische Zeitung "Politico" bezeichnete im November 2020 den Bewerber um den CDU-Vorsitz, den konservativen Wirtschaftspolitiker und Millionär Friedrich Merz, als den "deutschen Donald Trump", der vermehrt negative Schlagzeilen produzierte. In der Verschiebung des Parteitages sah er "ein geplantes Manöver, um ihn als Parteivorsitzenden zu verhindern". Damit habe er "seinen inneren Trump kanalisiert" mit der Andeutung, dass sich das Establishment gegen ihn verschworen habe, um seine Kandidatur zu untergraben. "Der wütende Merz twittert wie Trump", hieß es daraufhin in einem Artikel des Redaktionsnetzwerkes Deutschland, denn "sein Tonfall wurde trumpistisch" nach seinen Verschwörungsklagen.

In dem Artikel der US-Zeitung wird Merz beschrieben als "kämpferischer alter Weißer, der in einem Atemzug von Schwulen und Pädophilen spricht." Nach scharfer Kritik aus der CDU wegen dieser Aussage behauptete Merz, dass unbenannte Kräfte einen Komplott gegen ihn schmieden und absichtlich seine Worte verdrehen würden, um ihn zu untergraben. Von dem Erfolg , den der ehemalige Schützling des konservativen Wolfgang Schäuble dennoch hat, nachdem er sich ein kleines Millionenvermögen verdient hatte und sich "als Liebling des rechten Flügels" etablierte, zeigte sich der US-Autor erstaunt. Im Rennen um die Merkel-Nachfolge sei er wie Trump "aus dem Nichts aufgetaucht".

Die "Zeit-online" titelte im Juni 2023 nach AfD-Wahlerfolgen im Osten: "Merz ist doch kein Trump". Das ZDF fragte im Dezember 2022 in einer Analyse: "Ist Friedrich Merz der deutsche Trump, mit dem er in den Medien verglichen wird? Sorgt er in der Union wirklich für einen Rechtsruck? oder steht gerade die gesamte politische Landschaft in Deutschland vor einer ähnlichen Entwicklung?"

Populistische Wahlkampfmasche der „Trumpisten“ in der CDU?

Was sich nun zu Beginn des US-Wahljahres 2024 - mit der Mahnung von CDU-Chef Merz an die deutsche "schlafwandelnde" Regierung und die EU-Regierung - wie eine überfällige Absetzbewegung von der US-amerikanischen Schwesterpartei mit ihrem republikanischen Präsidentschaftskandidaten und Rechtspopulisten Trump anhört, wirkt eher wie ein geschicktes Ablenkungsmanöver von eigenen rechtspopulistischen Infizierungen.

Denn ähnlich wie Trump und seine Berater im letzten US-Wahlkampf erfolgreich behaupteten, unter einem demokratischen Präsidenten Jo Biden drohe der Sozialismus oder Kommunismus, hat sich auch die CDU seit jeher in Wahlkämpfen des gleichen plumpen Populismus gegen ihren politischen „Gegner“ in Deutschland bedient – zu dem damals noch nicht die Grünen erkoren waren, sondern die SPD (obwohl langjähriger Koalitionspartner in der gemeinsamen Regierung).

Im Europawahlkampf 2019 hatte unter anderem die Düsseldorfer CDU den Eindruck zu erwecken versucht, mit der SPD (unter Olaf Scholz) drohe der Sozialismus. Unvergessen auch die „Rote-Socken-Kampagne“ der Bundes-CDU unter Generalsekretär und Ex-Pastor Peter Hintze. Schon in der Vergangenheit hatte die CDU unter Helmut Kohl mit Generalsekretär Biedenkopf ihre Wahlkampagne 1976 mit dem populistischen Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ betrieben. Gemeint waren als Wahlgegner die „Sozialisten“ der Koalition von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher sowie zuvor Willy Brandt.

Noch toller trieb es CDU-Kanzler Konrad Adenauer 1953 mit der erfolgreichen populistischen Wahlkampfparole gegen SPD-Spitzenkandidat Erich Ollenhauer: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau.“ Die FDP hatte sogar plakatiert: „Wer Ollenhauer pflügt, sät Moskau“. Die Trump-Berater konnten also von Deutschland viel lernen in Sachen Populismus – denn die „Trumpisten“ sind offensichtlich mitten unter uns in der eigenen Parteienlandschaft, vor allem am rechten Rand der CDU.

Rechtslastige Werte-Union mit Rechtsradikalen und Nazis an einem Tisch

Die rechte "Werte-Union" bestätigte aktuell die Teilnahme von zwei ihrer Mitgliedern am skandalösen Potsdamer Treffen, an dem Strategien zur "Remigration" als klar verfassungsfeindliche Pläne beraten wurden. Die WerteUnion ist ein Verein, der nach eigener Darstellung "loyal zu CDU und CSU steht" und Mitglieder beider Parteien in seinen Reihen hat.

Der Vorsitzende, Ex-Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen (CDU) hatte kürzlich angekündigt, die WerteUnion in eine eigene Partei umwandeln zu wollen. Mit der Werteunion könnte es also bald eine neue rechts-konservative Partei in Deutschland geben. Deren Erfolgsaussichten betrachtet der Politologe und Parteienforscher Volker Kronenberg zurückhaltend: Zwischen CDU und AfD sei wenig Platz.

Die CDU versucht seither, Maaßen auszuschließen, nachdem er keine Berührungsängste zur AfD zeigt. Daraufhin waren angeblich Hunderte neue Mitglieder in die Werteunion eingetreten. In 2023 hatte das zuständige Kreisparteigericht in Thüringen den Ausschluss von Maaßen abgelehnt. Der Mitbegründer der Werteunion und deren Vorsitzender bis 2012, Alexander Mitsch aus der CDU-Mittelstandsvereinigung (und "Klimaleugner" wie Trump), hatte zuvor den von Kanzlerin Merkel gefeuerten Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßen in die Werteunion aufgenommen und verteidigt: "Die CDU muss aufrechten Personen wie Herrn Maaßen mehr Mitspracherecht geben, dafür setzen wir uns ein."

Späte Konsequenzen der CDU-Spitze gegen ihre Rechtsaußen-Mitglieder

Erst am 14. Januar 2024, nach der öffentlichen Enthüllung und Empörung über das Geheimtreffen der rechten Szene in Potsdam, verkündete CDU-Chef Friedrich Merz eine nunmehr geplante klare Trennung von der rechtskonservativen Vereinigung "WerteUnion" und einen Unvereinbarkeitsbeschluss auf dem CDU-Bundesparteitag. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, vormals Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung (von deren Mitgliedern einige zugleich auch in der Werteunion sind) kündigte "hartes Durchgreifen" und "harte Konsequenzen" gegen Werteunion-Mitglieder als Teilnehmer an solchen Treffen an.

CDU-Generalsekretär: "Ich schätze den Werteunion-Vorsitzenden Maaßen"

Dabei hatte Carsten Linnemann vor nicht allzulanger Zeit bei der Jungen Union folgende Einschätzung von Werte-Union-Vorstand Hans-Georg Georg Maaßen abgegeben: "Selbstverständlich gehört Hans-Georg Maaßen zur CDU. Ich schätze ihn als Fachmann, der nicht etwa einen Rechtsruck vorantreibt, wie manche meinen, sondern den Rechtsstaat durchsetzen will. Danach sehnen sich in Deutschland viele Menschen." Die CDU hofft nun auf die eigene Parteigründung durch Georg Maaßen, damit sie sich einen Unvereinbarkeitsbeschluss ersparen kann.

Rechtsradikale als "angenehme Typen" in Privatwohnungen von CDU-lern willkommen

Wie unverbesserlich Potsdamer Teilnehmer mit CDU-Parteibuch sind, offenbarte der Jurist Ulrich Vosgerau, der laut Frankfurter Rundschau bestätigte, dass er im Landhaus Adlon dabei gewesen ist. In Bezug auf den Rechtsextremisten Martin Sellner habe er gehört, dass der „persönlich ein angenehmer Typ sein soll, der nicht fanatisch wirkt“. Deswegen habe er „gerne die Gelegenheit wahrgenommen, ihn persönlich kennenzulernen“. Vosgerau steht gleichzeitig der AfD nahe. Er war Kuratoriumsmitglied der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und vertritt die Partei aktuell bei einem Verfahren um die Stiftungsfinanzierung vor dem Bundesverfassungsgericht.

Auch der Berliner Ex-CDU-Finanzsenator Peter Kurth - der für die CDU auch als OB-Kandidat in Köln antrat und einer rechten Studentenverbinung angehört - veranstaltete bereits im Sommer 2023 in seiner Wohnung ein privates Treffen von Rechtsradikalen, an der auch die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker und der Rechtsextremist Martin Sellner zu Gast waren, wie die dpa am 18. Januar 2024 berichtete.

Ex-Vorsitzender der Werte-Union als AfD-Bundespräsidenten-Kandidat

Maaßens Vorgänger im Vorstand der WerteUnion war bekanntlich von 2021 bis 2022 der Fondsmanager Max Otte, ein deutsch-US-amerikanischer Ökonom und Publizist, der als Professor unter anderem auch das Bundeswirtschaftsministerium beriet. Er trat 2020 auf "Querdenker"-Demos auf und war 2022 als AfD-Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten angetreten. Erst danach wurde er aus der CDU geworfen. Zuvor hatte er auch mit umstrittenen Äußerungen versucht, Rechtsextreme mit Opfern des Nationalsozialismus gleichzusetzen, wie das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin kritisierte.

Werteunion warb bis 2020 für Merz als Unionschef und Wirtschaftsminister

Lange Zeit hatten auch Friedrich Merz und Jens Spahn in der Vergangenheit gute Kontakte zur Werteunion gepflegt. Der von Merz aufgegriffene Begriff der "deutschen Leitkultur" entstammt der Werteunion, die von Zuwanderern „Assimilation statt Integration“ fordert und die "Orientierung „an einer europäisch-deutschen Leitkultur“ verlangt.

Die rechtsgerichtete und teilweise AfD-affine „Werte-Union“ als konservativer Rand der Union unter dem damaligen Vorsitzenden Alexander Mitsch aus der CDU-Mittelstandsvereinigung (Fördermitglied der Wirtschaftsjunioren) trommelte bis Ende 2020 zweimal für Merz als CDU-Chef. Sie mahnte für den Wirtschaftslobbyisten und BlackRock-Aufsichtsrat eine zentrale Rolle in der Partei an und wollte Friedrich Merz auch nach seinen zwei parteiinternen Niederlagen als Wirtschaftminister sehen. Sie wollten Merz dabei helfen, „den Linkskurs von Kanzlerin Merkel“ wieder rückgängig zu machen“.

"Wirtschaftslobbyist Merz darf kein Staatsamt mehr ausüben"

Doch nachdem der neue Wortführer der Werteunion, Max Otte, in einem Interview später Friedrich Merz als „Wirtschaftslobbyist“ wegen seiner früheren Tätigkeiten in Dutzenden Aufsichtsräten beschimpfte, der deshalb kein Staatsamt mehr ausüben dürfe, war Friedrich Merz gekränkt und empört. Er rief daraufhin seine 4.000 Parteifreunde in der Werteunion verärgert zum Austritt auf und forderte auch die klare Abgrenzung zur AfD. Doch auch wenn er eine Kooperation mit der AfD ablehnt, so würde Friedrich Merz nach eigenen Aussagen jedoch einen AfD-Vertreter als Bundestagsvizepräsidenten wählen.

Parteirechte und Medien treiben die Frage der Kanzlerkandidatur von Merz voran

Seit dem Jahreswechsel wird Friedrich Merz - ohne jegliche Regierungserfahrung - von gleichgesinnten Parteifreunden mit Blick auf die Bundestagswahl 2025 immer öfter aufs Schild gehoben als geeigneter neuer Bundeskanzler. "Die Kanzlerfrage ist entschieden" sagte im Dezember 2023 der sächsische Ministerpräisdent Kretschmer als Vize-CDU-Vorsitzenderund berief sich auf Absprachen mit den CSU-Politikern Markus Söder und Alexander Dobrindt. Aktuell schrieb Anfang Januar die Süddeutsche Zeitung: "Kanzlerkandidatur der Union - Jahr der Entscheidung".

Aber auch die wirtschaftsnahen Zeitungen trommeln seit Wochen für einen Kanzler Merz. Die Zeitschrift Capital gibt ihm gleich eine historische Aufgabe mit: Die Reform der Schuldenbremse. Und der "Stern" schrieb schon im November: "Friedrich Merz profitiert vom Ampel-Versagen - und könnte ernsthaft Kanzlerkandidat werden." Veröffentlicht werden laufend Umfragen, wonach der bislang unbeliebte Merz "nur noch knapp hinter Scholz liegt." Bei den Funke-Medien liest man schon seit November: "Friedrich Merz selbst sieht seine Kanzler-Chance gekommen - die CDU bereitet sich auf Neuwahl vor". Da kam der von der CDU unterstützte Bauernprotest gerade recht, um das Ende der Ampelkoalition zu beschleunigen?

Vereinbarkeit der Positionen der Werteunion mit CDU-Mitgliedschaft?

Die Werteunion ist ein eingetragener Verein mit über 4.000 Mitgliedern, der beansprucht, einen „konservativen Markenkern“ der CDU und CSU zu vertreten. Sie ist zwar keine anerkannte Parteigliederung von CDU oder CSU und in der Union seit kurzem stark umstritten. Doch gehören ihr nach eigenen Angaben überwiegend Mitglieder der Unionsparteien und deren Vorfeld-Organisationen an. Die Werteunion ist vor allem eine Vereinigung von unzufriedenen Merkel-Kritikern. Unterstützt wird sie auch von einem Zusammenschluss konservativer Altstipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Die Haltung der Werteunion zur AfD und deren Positionen wird von führenden Unionspolitikern und -vereinigungen als problematisch bis unvereinbar mit einer Mitgliedschaft in der Union erachtet. Auf der Gründungsversammlung in Schwetzingen am 25. März 2017 und auf Folgeveransaltungen referierten jedoch namhafte Unionspolitiker, so auch der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

Wertschätzende Grußworte von Jens Spahn bei der Werteunion

Noch im April 2018, beim Bundestreffen der Werteunion in Schwetzingen, sandte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ein Grußwort. Er versicherte der rechten Truppe seine Wertschätzung. Die Union brauche solche Kreise und eine Haltung, „die breite, sich bürgerlich fühlende Schichten oft schmerzlich vermisst haben“. Der Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, Manuel Hagel, nahm an dem Treffen teil. Dort wurde ein „Konservatives Manifest“ beschlossen, das der Verein am 7. April 2018 veröffentlichte. Darin wurde ein Richtungswechsel der CDU/CSU gefordert.

Am 15. Juni 2019 fand in Filderstadt der zweite Bundeskongress der Werteunion statt. Der angekündigte Redner, CDU-Vize Thomas Strobl (Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble), hatte kurz zuvor abgesagt, wie es hieß, weil aus der Werteunion die CDU-Parteispitze attackiert wurde. 2020 kam es zu Rücktritten, Austritten und Spaltungen, nachdem die Wertunion die umstrittene Vera Lengsfeld aus der AfD-nahen Szene der Neurechten aufgenommen hatte.

Zündelte Jens Spahn als prominenter Unterstützer der Werteunion mit dem Feuer?

Im Januar 2020 schrieb die Frankfurter Rundschau: "Jens Spahn, Gesundheitsminister und Bewerber um das Amt des CDU-Vorsitzenden, zündelt gegen den UN-Migrationspakt". Mit ihm habe die Werteunion, die bisher eher am Rand der Partei agiert, prominente Unterstützer gewonnen. Jens Spahn, einer der drei Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz, ließ Sympathie erkennen für eine mögliche Verschiebung der für den Dezember geplanten Unterzeichnung des UN-Migrationspaktes. „Alle Fragen der Bürger gehören auf den Tisch und beantwortet, sonst holt uns das politisch schnell ein. Notfalls unterzeichnen wir eben später“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carsten Linnemann und Thüringens CDU-Chef Mike Mohring plädierten für eine Debatte auf dem Parteitag und stützten damit Spahn zumindest im Ansatz.

Die Ultrakonservativen in der Union hatten zu dem Konfliktthema den Anfang gemacht. Mitte Oktober verkündete der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, seine Gruppierung werde auf dem CDU-Bundesparteitag im Dezember beantragen, „den Migrationspakt seitens der Bundesrepublik Deutschland nicht vor einer Beratung und Beschlussfassung in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU und im Bundestag unterschreiben zu lassen“. Es war der nächste Schritt in einer Choreografie: Einige Wochen vorher war der Antrag bereits ohne konkrete Inhalte angekündigt worden. Tatsächlich wirkt inzwischen die gesamte CDU in ihrer Migrationspolitik wie eine Getriebene und spielt damit der AfD in die Hände.

Jens Spahn: Gelassenheit statt Abgrenzung im Umgang mit der rechten Werteunion

Im Streit um die erzkonservative WerteUnion riet Jens Spahn im Februar 2020 in einem Spiegel-Interview der CDU-Spitze jedoch zur Gelassenheit: "Wir brauchen wegen der WerteUnion nicht in Panik zu verfallen", sagte Spahn. "Jeder hat einen Platz in der CDU, der die Werte der Partei teilt, ihre Beschlüsse respektiert und vertritt." Und weiter: "Ich finde eine klare Abgrenzung zu unseren politischen Mitbewerbern wichtig. Aber wir dürfen uns nicht ausschließlich über Abgrenzung definieren." Heisst das, auch nach rechts weiter offen zu bleiben? Ex-CDU-Chef Armin Laschet hingegen distanzierte sich 2021 von der Werteunion, die "vom rechten Rand vereinnahmt" worden sei.

Merz: "Ich hätte AfD-Politiker längst zum Bundestags-Vizepräsidenten gewählt"

Beifall von der Werteunion bekam hingegen Friedrich Merz sicherlich auch für folgenden Vorstoß: Anders als die Bundestagsmehrheit hatte er im Juli 2020 laut "Welt" geäußert: „Ich hätte längst einen Bundestagsvize der AfD gewählt“. Auch die AfD vom Kirchentag auszuschließen, hielt er für falsch. Doch im Juli 2023 goß CDU-Chef Friedrich Merz in der Abgrenzungsfrage nach rechts wieder Öl aufs Feuer mit seiner umstrittenen Aussage zur möglichen Kooperation mit der rechten AfD auf kommunaler Ebene. Der Richtungsstreit in der CDU drohte daraufhin zu eskalieren.

Der Kurs von Parteichef Merz ist nicht unumstritten. Vor allem der Umgang mit der AfD sorgt parteiintern für Zündstoff. Merz hatte nicht die AfD, sondern Ende Juni 2023 die Grünen als „Hauptgegner“ der Union in der Bundesregierung bezeichnet. Zudem hatte er den Generalsekratär aus dem Sozialflügel seiner Partei gegen Carsten Linnemann vom konservativen Wirtschaftsflügel ausgetauscht. Das wird als konservatve Kurskorrektur der Unionspartei betrachtet, die sich auch im neuen Grundsatzprogramm widerspiegelt.

Kooperation mit der AfD auf kommunaler Ebene?

Nicht nur die Politiker der anderen Parteien, sondern die Stellvertreter aus seiner eigenen Partei zeigten sich 2023 entsetzt über den Kommentar von Friedrich Merz zur Kooperation mit der rechten AfD auf Kommunalebene. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung bekräftigte im "Focus": "Zur AfD kann es nur klare Kante geben, auf allen Ebenen, heute, morgen und übermorgen. (...) Die AfD ist eine rechtsradikale Partei, die Hass und Hetze duldet. Die klare Abgrenzung auch in den Kommunen ist das Fundament der Brandmauer zur AfD. „Man kann eine Mauer nicht von oben nach unten bauen, nur Stein auf Stein, sonst kommt alles ins Rutschen und fällt in sich zusammen“.

Der CDU-Politiker Tobias Hans (vormals Ministerpräsident des Saarlandes) attestiert Friedrich Merz mangelnde Führungsstärke und zweifelte an dessen Eignung zum Kanzler. Er sprach vom „Abschied vom Kurs der Mitte“. Die Linken warfen der Union "Geschichtsvergesenheit mit der AfD" vor: "Nur 'ein bisschen' Zusammenarbeit gibt es nicht. Wer mit Faschisten kooperiert, gefährdet die Demokratie“, warnte Linken-Geschäftsführer Jan Korte im Bundestag: „Wenn Merz die AfD stoppen will, muss er aufhören, ihre Parolen nachzuquatschen. Denn das hilft nicht ihm und seiner orientierungslosen Partei, sondern nur dem faschistischen Original“. Doch wollte Merz nicht die AfD "halbieren" statt sie nunmehr zu verdoppeln?

Konservative bis reaktionäre CDU-Politiker gegen liberales Gesellschaftsbild

Vor allem die östlichen Landesverbände der CDU als Fangemeinde von Friedrich Merz sind längst nicht alle so eindeutig mit ihrer Abgrenzungspolitik nach rechts, die lange Zeit kein Thema war. So konnte sich dort lange Zeit ein Konservatismus halten, der im Westen längst Vergangenheit zu sein schien. Wenn in den 90er Jahren Männer wie der ehemalige sächsische Justizminister Steffen Heitmann, der zeitweilig gar als Bundespräsidenten-Kandidat der CDU im Gespräch war, durch ultra-konservative Aussagen zur Geschlechter- oder zur Einwanderungsfrage auffielen, erregte das nur kurzzeitig Empörung.

Nicht zuletzt Friedrich Merz nährte mit fragwürdigen Aussagen selber immer wieder Zweifel an einem liberalen Gesellschaftsbild der CDU, was ihm bis heute Sympathien in der Ost-CDU an der Basis einbringt. Originalton Merz: „Ich bin fest entschlossen, meinen Beitrag dazu zu leisten, dass diese CDU wieder eine klare Position zu den Fragen einnimmt, wo sie früher auch klar gewesen ist.“ Er ist Gegner einer Frauenquote, war gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe und lehnte zunächst die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ab. Er trat für ein „Werbeverbot für Abtreibungen“ ein und sprach sich 2001 gegen Präimplantationsdiagnostik aus. Homosexuelle rückte er in die Nähe von Pädophilen. Schon vergessen? Der irrelichternde Friedrich Merz: Von konservativ bis reaktionär?

Rechtsdrall der Merz-CDU in der Asylpolitik

Der wandlungsfähige Friedrich Merz forderte sehr früh Grenzkontrollen und Obergrenzen für Einwanderer und lehnte doppelte Staatsbürgerschaft ab. Das „großzügige deutsche Asylrecht“ hinterfragte er wiederholt. Er verteidigte den Begriff der Leitkultur und positionierte sich in der Kopftuchdebatte. Noch im November 2021 warnte er vor "unkontrollierter Einwanderung in unsere Sozialsysteme". (Damit macht er sich eine AfD-Wahlparole zu eigen). Aktuell schießt die Merz-CDU gegen die Einbürgerungsreform und spricht im Stil der AfD vom "Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft". Sie fordert in einem Antrag, "den Wert der deutschen Staatsbürgerschaft zu bewahren."

Die Linken kritisierten deshalb Merz und die CDU am 17. Januar 2024 nach der rechten Potsdam-Konferenz; aber auch die Ampelparteien haben sich der CDU und AfD angenähert: "Letzte Woche haben Politiker der Ampelparteien noch ihr Entsetzen über die Deportationspläne der AfD kundgetan, jetzt machen sie schon wieder knallharte Abschiebepolitik." Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl spricht laut "taz" von "rechtsstaatlich fragwürdigen Verschärfungen bei Abschiebungen, denen jede Verhältnismäßigkeit fehlt." Die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger brachte es auf den Punkt: "Wer ernsthaft etwas gegen das Erstarken der AfD unternehmen will, der darf einem solchen Entrechtungspaket nicht zustimmen."

Soziale Kälte: Minderheiten und sozial Schwache sollen sich selber helfen?

Aber nicht nur in der Asyl- und Migrationspolitik, sondern auf allen gesellschaftlichen Feldern erklingen befremdende Töne aus der CDU unter Parteichef Merz: Seine Grundsatzhaltung zu einer vielfältigen pluralen Gesellschaft und zu Minderheitenrechten: „Unsere Gesellschaft sei „zu konsensduselig“ geworden, Konsens sei die „Diktatur der am besten organisierten Minderheit.“ Für die Bildungsverlierer aus den bildungsfernen Schichten hat er nicht viel übrig: Bildung und Betreuung sollten nicht länger Staatsaufgabe sein, sondern durch Eltern und Ehemalige mitfinanziert werden, so eine seiner früheren Aussagen. Kindergärten bräuchten höhere Elternbeiträge und eine eigene Kapitalbasis.

Seitdem CDU-Chef Friedrich Merz seinen bisherigen Bundesgeschäftsführer vom Arbeitnehmerflügel "entsorgt" hat und der konservative Wirtschaftsflügel den Posten besetzt, ist das Schimpfen über staatliche Sozialleistungen und das Bürgergeld sehr laut geworden. In diesen Tagen sprach sich Merz öffentlich gegen die Kindergundsicherung und das Bürgeld aus. Der Haushalt solle zu Lasten der sozialen Leistungen saniert werden. Hier scheint wieder die "soziale Kälte" der CDU durch. Weiteres von dem erzkonservativen bis neoliberalen Menschen- und Weltbild des langlährigen Wirtschaftslobbyisten Friedrich Merz klingt in seinem Buch „Neue Zeit - neue Verantwortung“ an der einen oder anderen Stelle durch.

Mitglied in studentischer Verbindung mit nationalsozialistischer Vergangenheit

Als Student trat Friedrich Merz der ältesten deutschen katholischen Studentenverbindung (KDStV Bavaria Bonn im CV) bei, die sich mit ihrer konservativen patriotischen Einstellung im Gegensatz zu den liberalen Studentenverbindungen aufstellte. Die Verbindung hatte sich während der nationalsozialistischen Machtergreifung mit einer unrühmlichen und ehrerbietigen Ergebenheitsadresse an Reichspräsident Hindenburg und Reichskanzler Hitler gewandt und „treue Mitarbeit im nationalen Volksstaat“ gelobt. Eines ihrer prominentesten Mitglieder war Hans Globke, Chef des Bundeskanzleramtes unter Adenauer und zuvor Kommentator der Nürnberger Rassengesetze.

"Der Kampf gegen rechts muss auch in der Mitte geführt werden"

So löblich es ist, dass nunmehr nach der Potsdam-Konferenz der Rechten auch Spitzenpolitiker der CDU gegen rechte Umsturzfantasien auf die Straße gehen, so sehr ist zu bedenken: "Den Kampf gegen rechts gewinnt man nicht nur am rechten Rand, sondern ,man muss ihn auch in der Mitte führen", so kommentiert Dinah Riese am 18. Januar 2024 in der taz zum politischen Diskurs in Deutschland. Wie glaubwürdig ist der Kampf der CDU gegen Rechtsaußen? Die AfD ist eine Gefahr für die Demokratie, aber ebenso gefährlich ist der schleichende Rechtspopulismus in den etablierten Parteien der Mitte wie vor allem der CDU, in der die rechte Gesinnung von den Rändern offenbar bis in die Parteispitze hineinreicht. Warum erst jetzt die Abgrenzung von der WerteUnion? Und ist damit das Problem des Rechtsrucks der CDU gelöst?

"Die Union tut laut taz-Kommentar seit Monaten so gut wie alles dafür, rechten Inhalten den Boden zu bereiten. Tagtäglich gibt sie der AfD recht, wenn sie behauptet, das Hauptproblem in Lande seien die Migranten. Von den "Ausbürgerungswünschen" des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor bis hin zur "Remigration" sei es am Ende nicht weit. Restriktiv sei auch das "Rückführungsverbesserungsgesetz". Es wäre "zu hoffen, dass die Union ihren zerstörerischen Kurs ändert; doch darauf warten darf der Rest des Landes noch", schreibt die taz.

Wie soll der geforderte "Plan B" nach Trumps Wahlsieg aussehen?

Wie der von Merz geforderte "Plan B" im Fall der Wiederwahl von Trump zum US-Präsidenten aussieht? Bisher gibt es von ihm dazu nur sehr vage Aussagen, bezogen allein auf das Thema NATO und Rüstung. Folgt man Friedrich Merz und der CDU, dann müssen Deutschland und die EU wegen der evtl. verringerten Unterstützung der USA für die NATO ihre Rüstung wohl noch weiter hochfahren als derzeit ohnehin - und auch die EU müsse sich militärisch aufstellen und engagieren. Friedrich Merz: "Wer den Frieden will, muss zum Krieg bereit sein". Bekommt er dafür auch Beifall von ganz rechts - oder vor allem von der Rüstungslobby? Als langjähriger Lobbyist und deutscher Aufsichtsratsvorsitzender des weltgrößten Finanzkonzerns BlackRock, mit den größten Aktienanteilen auch bei allen Rüstungskonzernen, ist die kriegsbereite Aussage von Merz entsprechend einzuordnen.

Derzeit bereiten BlackRock und JPMorgan die Finanzierung des Ukraine-Aufbaus über privates Kapital vor, da sie die rohstoffeiche Ukraine als Investitionsstandort der Zukunft betrachten. In Habecks Wirtschaftsministerium ist dafür eigens (unter dem Beifall von Merz) eine hochrangige BlackRock-Mitarbeiterin als Beraterin eingestellt worden. Lobbyisten in Washington berichten von einer Art Goldgräberstimmung, die teilweise die Rüstungsindustrie betrifft, die in der Ukraine aufgebaut werden soll. "Westliche Investoren werden das Land überschwemmen, denn es könne für den Rest der Welt ein Leuchtfeuer des Kapitalismus werden", so schwärmt BlackRock-Manager Larry Fink laut Handelsblatt von Juni 2023. Dabei könnte ein künftiger Kanzler Friedrich Merz nach Abgang der Ampel mit seinen Wirtschaftskontakten bis in die USA behilflich sein - auch wenn viele US-Firmen, die vorige Woche in Davos beim "Weltwirtschaftsgipfel" dabei waren, US-Präsidentschaftskandidat Trump finanziell sponsern.
Aber was ist mit der Brandmauer gegen rechts im eigenen Land und in den USA? Ist das damit erledigt?

Wilhelm Neurohr, 18. Januar 2024

> siehe auch Lokalkompass-Artikel:
https://www.lokalkompass.de/c-politik/die-neue-cdu-des-friedrich-merz_a1661839