Wilhelm Neurohr

Link: http://www.brbgf.de/aktuelles.html

Gefährdet TiSA die kommunale Daseinsvorsorge im Rhein-Erft-Kreis?

Wilhelm Neurohr

Öffentlicher Vortrag: 25.9.2015, 19:00

Wilhelm Neurohr

Wilhelm Neurohr vom Gemeinnützigen Institut für Wissenschaft, politische Bildung und gesellschaftliches Handeln wird am 25. September über TiSA und die Bedeutung des Freihandelsabkommens für kommunales Handeln berichten.

Während alle wie gebannt auf den Fortgang von TTIP nach der 10. Verhandlungsrunde fixiert sind, läuft nahezu unbeachtet seit März 2013 in den Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf bereits die 12. und 13. Geheimverhandlung zu TiSA. Das noch viel bedrohlichere Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen zwischen 21 beteiligten Staaten plus der EU für ihre 28 Mitgliedsstaaten wird unter dem wechselnden Vorsitz der USA, Kanadas und der EU außerhalb der Regeln der WTO und der EU verhandelt. Denn die Handelsmärkte sind heutzutage vorwiegend Dienstleistungsmärkte.

Bislang galten für den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen allein die multilateralen Regelungen des alten GATS-Abkommens der WTO von 1995, nach dem erstmalig in der Menschheitsgeschichte zwischenmenschliche Dienstleistungen zur Handelswarte erklärt wurden. Den Neoliberalen erscheinen die alten GATS-Regelungen zu lasch, mit zu vielen Ausnahmen und Schutzregelungen in Länderlisten etc. Nunmehr soll der Dienstleistungsmarkt noch mehr dereguliert und liberalisiert werden, unter Einbezug der Finanzdienstleistungen, der Wasserversorgung, der personenbezogenen Daten und der öffentlichen Vergabe von Dienstleistungsaufträgen.

Damit startet über TTIP hinaus ein noch weitergehender Angriff auch auf die öffentliche Daseinsvorsorge in den Städten, Kreisen und Gemeinden. Die Auswirkungen werden auch im Rhein-Erft-Kreis massiv spürbar sein. Mit allerlei Klauseln sollen Privatisierungen erzwungen und Rekommunalisierungen verhindert werden und deshalb die Inhalte des Abkommen auch noch 5 Jahre nach Inkrafttreten vor der kritischen Öffentlichkeit verborgen bleiben. Deshalb lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen und die Organisation des Widerstandes, denn TiSA könnte noch eher in Kraft treten als TTIP, mit noch weniger Beteiligungsrechten der Parlamente.

Zitat (Pressemitteilung der EU-Kommision vom 2. Mai 2014): "Wie die übrigen Teilnehmer möchte die EU mit den Verhandlungen mehr erreichen als bloß eine weitere Öffnung der Märkte für Dienstleistungen. So werden für den Handel mit Dienstleistungen neue Vorschriften angestrebt, die mit denen vergleichbar sind, die für die öffentliche Vergabe von Dienstleistungsaufträgen, Lizenzverfahren oder den Zugang zu Kommunikationsnetzen gelten".

Wilhelm Neurohr

Am 25. September 2015 kamen gut 30 Interessierte zu einem Vortrag über TiSA (Trade in Services Agreement), zu dem das Brühler Bürgerbündnis gegen Freihandelsabkommen in den Schlosskeller im Haus Wetterstein eingeladen hatte. Wilhelm Neurohr vom Gemeinnützigen „Institut für Wissenschaft, politische Bildung und gesellschaftliches Handeln“ und Autor von "Ist Europa noch zu retten?" berichtete über TiSA und die Bedeutung des Freihandelsabkommens für kommunales Handeln.

Er zeigte in einer engagierten und sachkundigen Rede die kommunale Betroffenheit der Städte und der Umwelt von den negativen Folgen der Freihandelsabkommen TTIP, CETA, TISA und löste damit lebhafte Diskussionen der Anwesenden aus. Während alle wie gebannt auf den Fortgang von TTIP nach der 10. Verhandlungsrunde fixiert sind, läuft nahezu unbeachtet seit März 2013 in den Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf bereits die 12. und 13. Geheimverhandlung zu TiSA. In dem noch viel bedrohlichere Abkommen wird zwischen der EU, den USA und 21 weiteren beteiligten Staaten über die Deregulierung und Liberalisierung des internationalen Dienstleistungsmarktes verhandelt. Praktisch könnte TiSA noch eher in Kraft treten als TTIP, mit noch weniger Beteiligungsrechten der Parlamente.

Bislang galten für den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen allein die multilateralen Regelungen des alten GATS-Abkommens der WTO von 1995, nach dem erstmalig in der Menschheitsgeschichte zwischenmenschliche Dienstleistungen zur Handelswarte erklärt wurden. Den Neoliberalen erscheinen die alten GATS-Regelungen zu lasch, mit zu vielen Ausnahmen und Schutzregelungen in Länderlisten etc. Nunmehr soll der Dienstleistungsmarkt noch mehr dereguliert und liberalisiert werden, unter Einbezug der Finanzdienstleistungen, der Wasserversorgung, der personenbezogenen Daten und der öffentlichen Vergabe von Dienstleistungsaufträgen.

Damit startet über TTIP hinaus ein noch weitergehender Angriff auch auf die öffentliche Daseinsvorsorge in den Städten, Kreisen und Gemeinden. Mit allerlei Klauseln sollen Privatisierungen erzwungen und Rekommunalisierungen verhindert werden und deshalb die Inhalte des Abkommen auch noch 5 Jahre nach Inkrafttreten vor der kritischen Öffentlichkeit verborgen bleiben. Wilhelm Neurohr demonstrierte die vielen „verfassungswidrigen und demokratiegefährdenden Ansätze der Freihandelsverträge, die auch den kommunalen Alltag dramatisch verändern werden“.

Besonders pikant: Ausführliche Recherchen über die maßgebliche Einflussnahme des Bertelsmann-Konzerns und dessen Stiftung zeigen deren Rolle als Lobbyist und öffentlichkeitswirksame Mediengruppe die Inhalte und Zielrichtung der Freihandelsabkommen im Interesse großer Konzerne direkt mitbestimmen.

In der lebhaften Diskussion brachten die Zuhörer ihre Empörung zum Ausdruck auf diese „Angriffe auf die Demokratie“. Sie erwarten von ihren Ratsvertretern, dass sie nach dem Vorbild von Hunderten Stadtparlamenten in Deutschland und Europa ebenfalls einen ablehnenden Beschluss zu TTIP, CETA und TISA fassen. Der Vortrag fand vor dem Hintergrund der am 10.10., stattfinden Demonstration gegen TTIP und CETA in Berlin statt, an der auch Vertreter des Brühler Bürgerbündnisses gegen Freihandelsabkommen teilnehmen.

Hier die Nachschrift des gehaltenen Vortrages:

Handel mit Dienstleistungen:

Gefährdet TISA die kommunale Daseinsvorsorge?

Nachschrift eines Vortrages von Wilhelm Neurohr am 25. September 2015 in Brühl (Rhein-Erft-Kreis) beim „Brühler Bündnis gegen Freihandelsabkommen“

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

für die Einladung und die freundliche Begrüßung hier beim „Brühler Bündnis gegen Freihandelsabkommen“ bedanke ich mich herzlich, insbesondere bei der Organisatorin Frau Wilhelmi. Bereits am 21. März durfte ich ja schon am Abend des Rheinischen Aktionstages in Köln einen Beitrag zu TTIP leisten, unter Beteiligung wiederum des Brühler Bündnisses.

Gerne bin ich zum Thema TISA nochmal aus dem nördlichen Ruhrgebiet nach Brühl in den Rhein-Erft-Kreis gekommen, wo ja in den 10 mittleren und großen kreisangehörigen Städte des Kreises fast ½ Mio. Menschen (456.000 EW) von den umstrittenen Freihandelsverträgen unmittelbar betroffen sein werden – und zwar von TISA noch hundertmal heftiger als von TTIP.

Das lebendige Gemeinwese in Brühl als Kultur- und Erlebnisstadt lohnt es sich zu verteidigen gegen die unfairen und undemokratischen Freihandelsverträge der EU. Diese sorgen nicht zuletzt auch für Armut und Verlierer in den Entwicklungsländern, so dass wir ja gerade eine neue Flüchtlingsbewegung etwa auch aus Afrika zu uns hier in den Kommunen erleben.

Am Standort der (wirtschaftslastigen) Europäischen Fachhochschule und als Städtepartner von 4 europäischen Städten dürfen und sollten die Brühler Bürger auch bei europäischen Themen wie dem Freihandel deshalb mitreden. Und der gesamte Rhein-Erft-Kreis sollte nicht nur durch die Braunkohle-Konflikte von sich reden machen, sondern vor allem als Region des Widerstandes gegen TISA, TTIP, CETA & Co.!

Dienstleistungsmärkte funktionieren nicht wie Handelsmärkte

Damit sind wir beim heutigen Thema: TISA – Handel mit Dienstleistungen, darunter auch die öffentlichen Dienstleistungen als Handelsware. Dabei funktionieren Dienstleistungsmärkte nicht wie Handelsmärkte! Hier in der Standortgemeinde von „Phantasialand“ braucht es nicht viel Phantasie, um sich die Folgen von TISA für die kommunale Daseinsvorsorge lebhaft auszumalen.

Den Kritikern der Freihandelsabkommen wird von den Verfechtern oft „Panikmache“ vorgeworfen oder gar die Verbreitung falscher Behauptungen. Die Wirklichkeit ist viel heftiger als behauptet: Wir haben es nämlich mit einem ganzen Bündel von Abkommen zu tun, quasi mit einem Spinnennetz, aus dem es kein Entrinnen gibt. (Wie bei der Hydra in der griechischen Mythologie, dem schlangenähnlichen Ungeheuer mit den vielen Köpfen, wächst nach dem Abschlagen eines Kopfes jedes Mal ein neuer, noch größerer und gefräßigerer Kopf nach). Zeitgleich werden TISA, TTIP, CETA, EGA, EPA und TPP ausgehandelt, die sich alle aufeinander beziehen mit ihren Wechselwirkungen - und in verschiedener Weise auch die Kommunalen Dienstleistungen vor Ort tangieren – auch hier im Rhein-Erft-Kreis.

Doch die zuständige EU-Handelskommissarin Cäcilia Malmström – als Ex-Flüchtlingskommissarin hatte sie schon im vorherigen Ressort ziemlich versagt – und ihr US-amerikanischer Amtskollege Michael Froman gaben im März 2015 in einer gemeinsamen Pressekonferenz „Entwarnung“: Es würde durch TISA und TTIP angeblich keine Beschränkungen in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit von Regierungen und Kommunen geben.

Bei den erteilten Verhandlungsmandaten sind jedoch ausdrücklich keine Branchen aus den Verhandlungen ausgeklammert. Und die Mandate gelten für alle staatlichen Ebenen, also auch für die regionale und kommunale Ebene. Für diese hat aber die EU nach dem gültigen Subsidiaritätsprinzip eigentlich keine Zuständigkeiten. Doch die demokratisch nicht gewählten Handelskommissare behaupten abwiegelnd: Kein Handelsabkommen könne Regierungen davon abhalten, öffentliche Dienstleistungen wie Bildung, Wasserversorgung, Gesundheitswesen, oder Sozialfürsorge „anzubieten“ oder zu „unterstützen“. (Man achte auf die spitzfindigen, einschränkenden Begriffe!)

Beide betonten auf ihrer Pressekonferenz außerdem die angeblichen Möglichkeiten der Verstaatlichung oder Rekommunalisierung eines Dienstleistungssektors, d. h. vormals privatisierte Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge könnten wieder in kommunale Hand zurückgeführt werden. (Letzteres hatte ja der „Berliner Wassertisch“ als Bürgerinitiative bei der Rückführung der erfolgten Wasserprivatisierung wieder in öffentliche Hand mittels eines Bürgerentscheids mit großer Mehrheit kürzlich geschafft – bevor TISA und TTIP in Kraft treten…).

Sind unsere Interessen bei der EU-Kommission in guten Händen?

Entgegen allen Behauptungen der EU-Handelskommission können wir demgegenüber in der offiziellen Zeitschrift „Kommunal“ der EU-Kommission von Mai 2014 folgendes lesen, ich zitiere: „Auch kommunale Kulturförderung wie Museen, Theater und Musikschule als elementare Bestandteile der öffentlichen Daseinsvorsorge können bei schlechter Verhandlungsführung erschwert werden.“ Sollen wir uns jetzt bei TISA auf „gute Verhandlungsführung“ der EU verlassen bei 51 involvierten Staaten weltweit – von denen 50 das deutsche Niveau und System der öffentlichen Daseinsvorsorge so gar nicht kennen?

Trotzdem beruhigen Frau Merkel und Herr Gabriel die Kritiker: „Die deutschen Interessen sind bei der EU-Kommission in guten Händen.“ Und die EU-Handelskommissarin fügt beruhigend hinzu: Ein privatisierter Sektor bedeute nicht, dass er „unwiderruflich“ in kommerzieller Nutzung bleiben müsse.

Liebe Anwesende, dann können wir ja beruhigt nach Hause gehen – oder dafür abstimmen, zu bleiben, um die TISA-Lüge zu entlarven. Denn es gibt nicht nur eine TTIP-Lüge (nach dem gleichnamigen Buch von Thilo Bode), sondern auch eine TISA-Lüge!

Was also ist TISA und worum geht es? Hinter TISA – „Trade in Services Agreement“ verbirgt sich ein Abkommen zur Neuregelung des internationalen Dienstleistungshandels. Damit sollen alle Wettbewerbshindernisse aus dem Weg geräumt werden – und dazu gehören offenbar auch die Demokratie und das kritische Volk als Souverän.

Nationale und regionale Besonderheiten sollen mehr oder weniger eliminiert werden. Alle diesbezüglichen Gesetzesregelungen sollen international vereinheitlicht werden und haben sich TISA anzupassen. Von den Kritikern wird TISA deshalb als 100 Mal schlimmer angesehen als TTIP (das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA). TISA ist in der Tat noch weitreichender, gefährlicher und geheimer als TTIP. Und es wird noch schneller vorangetrieben mit der bevorstehenden 17. Verhandlungsrunde (die 16. war Ende August 2015 in Genf, begleitet von Protesten der Zivilgesellschaft) – während TTIP nach der 10. Verhandlungsrunde feststeckt. Trotzdem starren alle nur auf TTIP wie das „Kaninchen auf die Schlange“, während TISA in den geheimen Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf unter Federführung der USA munter vorangetrieben wird!

Schon jahrelange Geheimverhandlungen ohne politisches Mandat

Im März 2013 erteilte das EU-Parlament nahezu einmütig das offizielle Verhandlungsmandat für TISA an die EU-Kommission, das dann 2 Jahre lang geheim gehalten und erst im März 2015 veröffentlicht wurde - nachdem es inoffiziell geleakt worden war. Eigentlich hätte es nicht einmal eines Mandates durch das EU-Parlament bedurft, weil der § 206/207 des gültigen Lissabon-Vertrages der EU-Kommission die Alleinzuständigkeit für alle Handelsfragen von den EU-Mitgliedsstaaten übertragen hat. (Nun wundert sich der Bundestag, der dem damals zugestimmt hatte, warum seine Beteiligung bei TISA in Frag steht…) Deshalb haben in Wirklichkeit die Verhandlungen schon seit 2011 auch ohne Mandat des EU-Parlamentes begonnen, denn über den EU-Ministerrat (als Exekutive) fanden seitdem bereits regelmäßige Vorverhandlungen statt, die dann als offizielle Verhandlungsrunden gezählt wurden..

Schaut man einmal bei TISA in die zugehörigen Verhandlungsrichtlinien, die der europäische Rat im März 2013 nachträglich gebilligt hatte, stehen einem die Haare zu Berge (Letzteres ist bei mir eher schwierig…). Wir schauen uns gleich noch einzelne Punkte an.

Zuvor sollten wir uns bewusst machen: Als völkerrechtlicher Vertrag wird TISA (ebenso wie TTIP) rechtlich über der europäischen und nationalen Gesetzgebung stehen, die dem nicht entgegenstehen darf. Alle Rechtsetzungen haben also den Vorgaben von TISA und TTIP zu folgen und sind auf allen staatlichen Ebenen anzupassen. Mit anderen Worten: Die staatliche Souveränität geht verloren und damit ist auch das Volk nicht mehr der Souverän bei der Gestaltung von Gesetzen, die dann nicht mehr demokratisch vonstatten geht.

Wir reden hier also über die Abschaffung oder zumindest Einschränkung der Demokratie und der demokratischen Gewaltenteilung – bis hin zur Abschaffung oder Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung vor Ort, ungeachtet ihrer verfassungsmäßigen Garantie im Art. 28 (2) des Grundgesetzes. Wir reden quasi über eine Art „Putsch von oben“. Schon zu TTIP gibt es inzwischen ½ Dutzend Rechtsgutachten von namhaften Völkerrechtlern und Verfassungsrechtlern, darunter auch ein ehemaliger Verfassungsrichter. Gegen CETA (das Abkommen mit Kanada als „Blaupause“) ist sogar schon eine Verfassungsklage oder -beschwerde in Vorbereitung. Die Juristen betonen die Verfassungswidrigkeit vieler Inhalte der Abkommen und ihrer Verfahrensweisen.

Bei TTIP sieht sogar der EU-Justizausschuss Verstöße gegen die EU-Grundrechte-Charta und die europäische Sozialcharta. Dies alles gilt umso mehr für TISA als Angriff auf Demokratie, Rechtsstaat und öffentliche Daseinsvorsorge. Zu diesem Zweck treffen sich Unterhändler, die wir nicht kennen, an Orten, die wir nicht sehen (nämlich in Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf), um Sachen zu verhandeln, die wir nicht erfahren, damit sie Dinge beschließen, die wir nicht wollen! (Frei nach dem Kabarettisten Butzko).

Und was die dort aushecken, das soll überall als verbindliche Spielregel gelten, in allen Ländern einheitlich zum gleichen Gesetz werden – mit Eliminierung nationaler und regionaler Besonderheiten. Denn, wie gesagt: Freihandelsverträge als völkerrechtliche Verträge - geheim ausgehandelt von nicht gewählten Handelskommissaren unter Einbezug von Lobbyisten und Konzernvertretern - stehen über europäischer und nationaler Gesetzgebung als Vorgabe von oben. Soviel Macht haben nicht gewählte Handelskommissare gegenüber demokratischen Parlamenten. (Wir fühlen uns erinnert an die unsägliche Troika für Griechenland…).

Übrigens ist ausgerechnet die beteiligte Schweiz der einzige Vertrags- und Verhandlungspartner, der umfassend über die Verhandlungsrunden und -inhalte von TISA seine Bürger online informiert – ansonsten ist TISA noch geheimer als TTIP, wo wenigstens ausgewählte Funktionsträger in geschlossenen Leseräumen selektierte Teilinhalte lesen (aber mit niemandem darüber sprechen) dürfen.

TISA als Projekt der „wirklich guten Freunde der Dienstleistungen“

Jetzt gehen wir ans „Eingemachte“ und stellen zuvor die Eingangsfrage: Wer verhandelt bei TISA eigentlich mit wem und wozu und worüber? Die Idee eines solchen Abkommens wurde schon 2011 unter Vorsitz der USA und Australiens von 20 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) eingebracht und eingeleitet. Die Gruppe selber nennt sich „Die wirklich guten Freunde von Dienstleistungen“ (Really Good Friends of Services). Treibende Kraft: Die US-Lobbyverbände CSI und GSC (die so genannte „Dienstleistungskoalition“) inklusive ESF (Europäisches Service-Forum).

TISA wird auch als Reaktion auf das bisherige Scheitern zur Neuauflage des GATS-Abkommens von 1995 betrachtet, das zwischen 2000 und 2005 eigentlich neu verhandelt werden sollte, aber dieses Vorhaben wurde vereitelt. Das GATS-Abkommen der WTO (General Agreement on Trade in Services), also das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, hatte erstmals in der Menschheitsgeschichte zwischenmenschliche Dienstleistungen zur Handelsware erklärt!

Die konsequente Anwendung des GATS würde auf die Abschaffung öffentlicher Dienste hinauslaufen. Doch die zivilgesellschaftliche Gegenbewegung hatte damals viele Änderungen bewirkt, so dass in so genannten Länderlisten als Positivlisten viele Ausnahmen zugunsten der öffentlichen Dienste erwirkt wurden. Später hatte die EU-Kommission mehrmals den Versuch gestartet, die Ausnahmen in GATS zu verringern und weitere Liberalsierungen anzustreben. Das wird nun bei TISA durch die Hintertür mit den sogenannten Negativlisten statt Positivlisten erneut vorgesehen (was es mit diesen Begriffen auf sich hat, dazu gleich noch Näheres).

Bei GATS waren nur solche staatlichen Dienstleistungen gesichert, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb zu anderen erbracht werden, also so genannte Dienstleistungen „im allgemeinen Interesse“. Damit war bereits alles, was eigene wirtschaftliche Betätigungen der Kommunen und des Staates anbelangt - oder wo kommerzielle Anbieter als Konkurrenten auftreten – eingeschränkt und unter Deregulierungs- und Privatisierungsdruck geraten, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Es sollten nur so genannte „hoheitliche Aufgaben“ verbleiben, die aber in den einzelnen Ländern unterschiedlich definiert sind.

Davon sind schon viele „hoheitliche Aufgaben“ auch bei uns in Deutschland längst privatisiert, wie z. B. private Sicherheitsdienste, private Gefängnisbetreiber (in Hessen) oder privat betreute Flüchtlingsheime (in denen ja in NRW ein Misshandlungs-Skandal zutage trat), so dass auch diese Bereiche für die kommerzielle Konkurrenz überall zu öffnen sind.

TISA ist nun die Reaktion auf das Scheitern in der WTO, das GATS-Abkommen global neu aufzulegen, d. h. weitere Liberalisierungen und Privatisierungen nicht länger zu behindern. Künftig muss jedes Mitgliedsland dafür sorgen, dass seine Rechts- und Verwaltungsvorschriften nahezu ausnahmslos mit TISA übereinstimmen. Verhandelt wird unter wechselndem Vorsitz der federführenden USA (nach deren Rechts- und Handelsverständnis) sowie Australiens und der EU, und zwar, wie gesagt, streng geheim in den Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf. Diese geheimen, zunächst inoffiziellen Hinterzimmer-Runden in Genf werden nun seit 2013 als offizielle Verhandlungsrunden nicht minder geheim fortgeführt.

Wie werden die Interessen von 51 involvierten Staaten ausgeglichen?

Verhandelt wird für 23 einbezogene Staaten (auch aus Asien und Südamerika) sowie für die nicht am Verhandlungstisch sitzenden 28 EU-Staaten durch die EU-Kommission. Insgesamt sind also 51 Staaten involviert, die 70% des weltweiten Dienstleistungshandels abdecken. Die EU sieht sich somit über 20 anderen Staaten mit ihren Interessen gegenüber – anders als bei TTIP, wo nur die USA und die EU sich am Verhandlungstisch einig werden müssen bei ihrem Interessenausgleich, was sich als schwierig genug erweist bei den gerade festgefahrenen Verhandlungen.

Die EU ist der weltweit größte Exporteur von Dienstleistungen mit einem jährlichen Volumen von 1.157 Mrd. € und -zig Millionen Menschen im Dienstleistungssektor (75% aller Arbeitsplätze). Der EU-Binnenmarkt ist zu ¾ ein Dienstleistungsmarkt. Dienstleistungshandel ist also bedeutender als der Warenhandel.

Ausgeschlossen aus den TISA-Verhandlungen sind die so genannten BRICS-Staaten, also die aufstrebenden Schwellenländer China. Indien, Russland, Brasilien, und Südafrika. Denn „Strafe muss sein“ – schließlich haben sich diese Länder bei den multilateralen Freihandels-Verhandlungen der WTO den unfairen Absichten der reichen Industriestaaten oftmals verweigert.

Einbezogen sind (neben den USA und der EU für ihre 28 EU-Mitgliedsstaaten) Australien, Kanada und Neuseeland, ferner Israel und die Türkei sowie auch südamerikanische Länder, nämlich Chile, Peru, Costa-Rica und Panama. (Uruguay ist kürzlich ausgestiegen wegen der neoliberalen Ausrichtung des Abkommens). Aus Asien sind ferner dabei: Japan, Pakistan, Taiwan und Südkorea. Die Nicht-EU-Mitglieder Schweiz, Norwegen und Liechtenstein sind ebenfalls einbezogen. Als erstes afrikanisches Land hat Mauritius angefragt, ebenso liegt eine Beitrittsanfrage von China vor, die man aber nicht so gerne dabei hätte.

Die völlig unterschiedliche Rechts- und Dienstleistungskultur und das verschiedene Verständnis von öffentlichen Dienstleistungen und Daseinsvorsorge dieser Ländervielfalt soll also unter einen Hut gebracht werden. Deutsche Standards und Interessen werden dort nicht der Maßstab sein, zumal Deutschland ja gar nicht selber mit am Verhandlungstisch sitzt. Kaum ein Land kennt unsere Öffentliche Daseinsvorsorge und die neoliberale EU-Kommission ist nicht gerade deren Verfechter.

Das fertige Abkommen soll anschließend allen anderen Ländern angeboten werden, die dann die unabänderlichen, diktierten Bedingungen nur noch unterschreiben können nach dem Motto „Friss oder stirb“. Bemerkenswert ist die Betonung der Verhandlungspartner: Man wolle sich angeblich „an die bisherigen GATS-Regeln und WTO-Regeln halten.“ In Wirklichkeit muss sogar der geschäftsführende Direktor der WTO bei den Verhandlungen vor der Tür bleiben – und die Regeln und Deregulierungen gehen weit über GATS hinaus.

Um welche Inhalte, Regeln und Verfahren geht es bei TISA?

Wie eingangs (und im Vortrags-Flyer) genannt, soll durch TISA der internationale Dienstleistungsmarkt liberalisiert und dereguliert werden, einschließlich öffentliche Wasserversorgung (nachdem gerade die EU-Konzessionsrichtlinie zur Wasserprivatisierung 2012 mit 1,9 Mio. Unterschriften verhindert wurde) und einschließlich Datenhandel auch mit personenbezogenen Daten, Finanzdienstleistungen und öffentliche Aufträge! Und mit allerlei Klauseln sollen letztlich Privatisierungen erzwungen und für alle Zukunft festgeschrieben sowie Rekommunalisierungen verhindert werden – entgegen allen anderslautenden Beteuerungen der EU:

Besonders pikant: Die Inhalte des Abkommens bzw. diejeweiligen Verhandlungspositionen sollen auch noch bis 5 Jahre nach Inkrafttreten vor der kritischen Öffentlichkeit geheim gehalten werden. In den USA hat sich Präsident Obama beim TPP- und TTIP-Abkommen ein so genanntes „Fast-Track-Verfahren“ (Schnellspurverfahren) vom Senat und Kongress im zweiten Anlauf beschließen lassen, bei dem das Parlament die Inhalte der Geheimverhandlung der Regierung nicht mehr verändern oder debattieren kann, also nur noch insgesamt !ja“ oder „nein“ sagen kann. Dazu hat Kanzlerin Merkel dem US-Präsidenten ausdrücklich gratuliert. Das hätte sie in Deutschland auch gerne und es ist zu vermuten, dass bei TISA ein gleiches Vorgehen angestrebt wird.

Es lohnt sich also ein kritischer Blick hinter die Kulissen, was man denn bei TISA alles zu verbergen hat mit der undemokratischen Geheimniskrämerei und der Exekutiv-Vollmacht als Blankoscheck. Bereits im September 2013 hatte Attac zusammen mit 340 weiteren Organisationen seine Kritik an TISA und den Geheimverhandlungen formuliert, und zwar in einem Brief an die über 20 Handelskommissare im Namen von Millionen Mitgliedern der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das geschah aus Sorge um die Demokratie und die verheerenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, mit Erinnerung an die Finanzmarktkrise infolge der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte. In TISA werden genau solche Regelungen vorgeschlagen, wie sie zu den weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen vor wenigen Jahren beigetragen haben!

Und TISA wird ja vor allem von den Industriestaaten als führende Dienstleistungsmärkte vorangetrieben und spiegelt deren Interessen. Später soll der TISA-Standard sämtlichen WTO-Mitgliedsstaaten diktiert werden. Dahinter wiederumstecken die Interessen der großen transnationalen Dienstleistungskonzerne, (zu denen in Europa u. a. auch Bertelsmann als das größte Medienimperium gehört, zugleich einflussreichster TTIP-und TISA-Lobbyist und Strippenzieher mit großem politischen Einfluss über seine „gemeinnützige“ Stiftung).

Vor allem wird mit TISA die Demokratie weiter ausgehöhlt, wenn die Entscheidungskompetenz über wichtige Dienstleistungssektoren den demokratischen Entscheidungsprozessen durch die betroffenen Menschen entzogen wird. Denn „auch die politischen Entscheidungsprozesse werden privatisiert“ (Zitat Prof. Dr. Gesine Schwan, Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD). Die USA wollen sogar im TISA-Kapitel „Nationale Sicherheit“ den Datenschutz für personenbezogene Daten verhindern – denn Datenschutz sei eine Gefahr für die Sicherheit, (Die NSA lässt grüßen!)

Insgesamt geht es also um wichtige Sektoren wie:

  • Finanzdienstleistungen (einschl. Bankwesen)
  • Datenerfassung
  • Wertpapierhandel und Rechnungswesen
  • Sozialversicherungen und Gesundheitswesen!
  • Transport, Verkehr und Logistik
  • Postdienste und öffentlicher Nahverkehr
  • Energie und Abwasserentsorgung
  • Tourismus
  • Einzelhandel
  • Bildung, Kultur und Wissenschaft!

Also alles lebenswichtige Dienste, deren Zugang für die Menschen gesichert und bezahlbar bleiben muss, weil ohne dem die allgemeinen Menschenrechte nicht einzuhalten sind. Diese dürfen nicht dem Wunschzettel der Konzerne geopfert werden! Mit den Konzernen zusammen wollen nämlich die staatlichen Verhandlungsführer gemeinsame Kommissionen aus Unternehmensvertretern und Beamten einrichten (ähnlich dem regulatorischen Kooperationsrat bei TTIP), die dann öffentliche Regulierungen unter dem Aspekt der Handelsinteressen als „Handelshemmnisse“ überprüfen sollen.

Zuguterletzt führt die EU in ihren „Verhandlungsleitlinien“ nochmals weitere wichtige Verhandlungsbereiche auf:

  • Computerbezogene Dienstleistungen
  • Elektronischen Geschäftsverkehr
  • Grenzüberschreitende Datenübermittlung
  • Finanzdienstleistungen
  • Post- und Kurierdienste
  • Internationaler Seeverkehr
  • Öffentliche Beschaffungen und Subventionen!

Letzteres trifft unmittelbar die Kommunen massiv, wie ich später noch einmal verdeutliche.

Die Gegenbewegung zu TISA ist wach, aber noch zu schwach

Wir dürfen als zivilgesellschaftliche Gegenbewegung nicht allein auf TTIP und CETA fixiert bleiben, sondern müssen nun zuvorderst TISA im Blick behalten! Deshalb ist schon eine Petition mit 20.000 Unterschriften in Genf zu TISA eingereicht worden. Im Juli 2015 sind nochmals 16.000 Unterschriften in Brüssel – vor der 13. Verhandlungsrunde von TISA – übergeben worden. Und Wikileaks hatte vor der 10. Verhandlungsrunde in 2015 einen bisher geheim gehaltenen Kerntext des höchst umstrittenen TISA-Abkommens veröffentlicht.

Daraus verstärkt sich die Sorge, dass nur transnationale Großkonzerne die Gewinner des Abkommens sein werden, während der Vertragstext lokale und regionale Produzenten und Dienstleister stark schädigt. Massiv betroffen wären auch die Kommunen mit ihren bislang noch öffentlichen Dienstleistungen. Und notwendige Schranken für globale Kapitalströme würden abgebaut. Das führt zu neuen Instabilitäten im Wirtschafts- und Finanzsystem einerseits sowie bei der öffentlichen Daseinsvorsorge andererseits.

Im Dreiklang von TISA, TTIP und CETA gilt TISA als das umfangreichste und weitreichendste sowie folgenschwerste Abkommen. In den Wechselwirkungen der drei Verträge gilt am Ende das Weitreichendste bei der Anwendung (auch nach der „Meistbegünstigungsklausel“). Ein Gutachten der Auckland-Universität in den USA hat das ausdrückliche Ziel von TISA kritisiert, bisherige staatliche Aufgaben wie die Gesundheitsförderung zu kommerzialisieren.

Aus den geleakten Unterlagen wird auch sichtbar: Regierungen und Kommunen sollen bei TISA auf das Recht verzichten, bevorzugt lokale und regionale Anbieter für die Auftragsvergabe zu wählen, z. B. in den Bereichen Rundfunk, Bildung, Gesundheit, Elektrizität etc. Wir erleben mit TISA also einen Frontalangriff auf den öffentlichen Sektor, der dem privaten Verwertungsinteresse unterzogen werden soll.

Für die Kommunalverwaltungen würden die Menschen noch stärker als bisher zu „Kunden“ statt zu „Bürgern“ (im Sinne des Bertelsmann´schen „New Public Management“). Die künftigen Dienstleistungsanbieter von auswärts werden oft keine Verbindung mehr zu den Gemeinschaften und Kommunen haben, für die sie tätig sind. Dieses Ende der Verantwortlichkeit verändert die Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden nachhaltig – zugunsten einer schrankenlosen Profitmaximierung. Bei den Kunden als „marktfähige Wesen“ werden die sozialen, kulturellen und ökologischen Komponenten ausgeklammert. Zu diesem Ergebnis kommt der Autor der zitierten US-Studie, Jane Kelsey.

Als Bürgerinnen und Bürger sollten wir uns gegen diese Bestrebungen und Fehlentwicklungen heftig zur Wehr setzen und müssen über diese Entwicklungen noch viel stärker öffentlich aufklären!

Die TISA-Lüge und die Konzernherrschaft wird an vielen Punkten sichtbar

Das TISA-Verhandlungsmandat bzw. die zugehörigen Verhandlungsrichtlinien für die EU-Kommission vom 8. März 2013 wurden erst am 10. März 2015 öffentlich zugänglich gemacht, also 2 Jahre später, und solange geheim gehalten. (Das CETA-Mandat ist übrigens von der EU bis heute noch nicht offiziell veröffentlicht, obwohl schon längst durch die Tagesschau inoffiziell geleakt und obwohl das gesamte Abkommen längst fertig verhandelt ist und derzeit vom Englischen ins Deutsche übersetzt wird, derweil inoffizielle Übersetzungen schon lange vorliegen). Damit wird die Geheimhaltung zum lächerlichen Prinzip.

Gleich vorne in den Verhandlungsrichtlinien zu TISA wird eingangs betont: Das Abkommen solle „umfassend und ehrgeizig“ sein. Wahrheitswidrig und scheinheilig wird darin weiter behauptet: „Es soll den Grundsätzen der Transparenz und Nichtausgrenzung gerecht werden.“ Und es solle, wie bereits gesagt, mit dem GATS-Abkommen der WTO-Regelungen im Einklang stehen. (Deshalb die Aushebelung von GATS durch Verhandlungen außerhalb der WTO?). Angestrebt wird erklärtermaßen eine „reibungslose Eingliederung von TISA in das GATS-Abkommen, das für alle WTO-Staaten gilt“ – also auch für die nicht an den Verhandlungen Beteiligten und Ausgegrenzten? Somit wird TISA offiziell zum GATS-Nachfolgeabkommen erklärt.

Dabei ist von einer „neuen und erweiterten Regulierungsdisziplin“ die Rede – also staatliche Zurückhaltung bei Gesetzesregelungen ist damit gemeint. Weiter ist die Rede vom „Verbot neuer und die Abschaffung bestehender diskriminierender Maßnahmen für auswärtige Unternehmen“. Mit anderen Worten im Klartext: Eine Deregulierungsverpflichtung für die Staaten und damit Einschränkung ihrer demokratisch-parlamentarischen und verfassungsgemäßen Gesetzes-Regelungs-Kompetenz, auf die sie weitgehend im Konzerninteresse verzichten sollen, zugleich Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltungshoheit.

Sogar die Rücknahme bereits bestehender Gesetzesregelungen und Rechtsvorschriften ist damit impliziert. Die Staaten dürften nach TISA nur noch das demokratisch regeln, was die Handels- und Unternehmensinteressen der Konzerne nicht durchkreuzt. Demokratie und Bürgerinteressen gelten als Handelshemmnisse und sind deshalb zu beschneiden.

Zudem soll das TISA-Abkommen grundsätzlich „für alle Dienstleistungssektoren und Erbringungsarten“ gelten – von wenigen eng begrenzten Ausnahmen abgesehen. Es gilt also grundsätzlich auch für die meisten öffentlichen Dienstleistungen und für die kommunale Daseinsvorsorge. Außerdem wird in TISA ein „wirksamer Streitbeilegungsmechanismus“ gefordert, also wiederum umstrittene Schiedsgerichte wie bei CETA und TTIP, die auch für kommunale Entscheidungen zuständig sind.

Zwar hat die EU-Kommission die erklärte Absicht in die Verhandlungsleitlinien hineingeschrieben, bei alledem die kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu entwickeln sowie die hohe Qualität der Versorgungswirtschaft zu bewahren, doch warum nimmt man dann diese Bereiche nicht komplett heraus? Und warum sitzen weder deutsche Staatsvertreter noch Kommunalvertreter mit am Verhandlungstisch, die sich ausschließlich auf das Verhandlungsgeschick der geheimniskrämerischen EU-Kommissare verlassen sollen? Und schließlich wird auch noch scheinheilig de Beteiligung der Entwicklungs- und Schwellenländer betont, die aber in ihrer Mehrzahl nicht mit am Verhandlungstisch sitzen; der afrikanische Kontinent ist sogar in Gänze ausgegrenzt.

Pflichtgemäß wird auch das Erfordernis von Nachhaltigkeitsprüfungen erwähnt, sofern das überhaupt mehrheitsfähig ist in den so zusammengesetzten Verhandlungsrunden. Und eine weitere Anzahl von Beruhigungspillen wird dann in den EU-Verhandlungsvorschlägen (es handelt sich um bloße Vorschläge) aufgeführt, z. B. das Recht (aber nicht die Pflicht) auf Durchsetzung von Gemeinwohlzielen: und somit regulierende Dienstleistungsvorschriften. Oder: Die Anwendung einzelstaatlicher Vorschriften zur Regulierung und Einreise von auswärtigen Arbeitskräften. Ich erinnere hierzu an die lebhafte Debatte über das so genannte „Herkunftslandsprinzip“ bei der umstrittenen EU-Dienstleistungsrichtlinie, wo es (mit dem Hintergedanken des Lohndumping und der Tariffreiheit) um die Anwendung des Tarif- und Arbeitsrechtes des jeweiligen Herkunftslandes statt der des Gastlandes ging.

Stillstands- und Ratchetklauseln sowie Negativlisten statt Positivlisten

Zuguterletzt fordert die EU selber ausdrücklich eine sogenannte „Stillstandsklausel“ und eine „Ratchetklausel“ in TISA, also das nicht wieder rückgängig machen können einer erfolgten Privatisierung oder Deregulierung und ihre Festschreibung für alle Zukunft – also ein faktisches Rekommunalisierungsverbot, (das zum Beispiel dem „Berliner Wassertisch“ nicht die erfolgreiche Rückholung der Wasserversorgung in öffentliche Hand ermöglicht hätte). Der bisherige Liberalisierungsgrad ist also zukunftssicher festzuschreiben. Das steht im krassen Gegensatz zu der Aussage der EU- und US-Handelskommissare auf der eingangs zitierten gemeinsamen Pressekonferenz vom März 2015.

Die Stillstandsklausel zwingt nicht nur zum Festschreiben des Bestehenden und zum Regulierungsstopp während der mehrjährigen Verhandlungsphase, sondern auch zur Anwendung auf zukünftige (heute vielleicht noch nicht bekannte) Dienstleistungen und die strikte Beschränkung auf unabänderliche Ausnahmen, also keine Einführung neuer Regelungen. Das kommt quasi einer Beurlaubung unserer Parlamentarier gleich.

Und obendrein ersetzt man die bisherigen Positivlisten in GATS für diverse Ausnahmen durch so genannte Negativlisten, d. h. vereinfacht gesagt: In Positivlisten durfte alles das, was nicht ausdrücklich erwähnt ist oder als Ausnahme dort aufgeführt ist, nicht dereguliert oder privatisiert werden. Bei den Negativlisten wird umgekehrt alles das, was nicht ausdrücklich dort benannt ist, ungehindert der Deregulierung und Privatisierung preisgegeben werden.

Öffentliches Beschaffungswesen in Billionenhöhe lockt Finanzmarktspekulanten

Mit der bereits erwähnten Einbeziehung des öffentlichen Auftrags- und Beschaffungswesens und der Subventionen von 51 und demnächst mehr beteiligten Staaten sowie Hunderttausenden Kommunen und öffentlichen Einrichtungen und Betrieben eröffnet sich ein Volumen von mehreren Billionen Euro an den Finanzmärkten, allein über 2 Bio. € auf dem europäischen Dienstleistungsmarkt. (Darüber habe ich in meinen diversen Vorträgen und Publikationen zu TTIP und CETA Näheres mit weiteren konkreten Zahlen ausgeführt).

In einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 2. Mai 2015 heißt es: „Wie die übrigen Teilnehmer möchte die EU mit den Verhandlungen mehr erreichen als bloß eine weitere Öffnung der Märkte für Dienstleistungen (…). So werden für den Handel mit Dienstleistungen neue Vorschriften angestrebt, die mit denen vergleichbar sind, die für die öffentliche Vergabe von Dienstleistungen. Lizenzverfahren oder den Zugang zu Kommunikationsnetzen gelten“.

Diesen Verhandlungsleitlinien mit diesen Zielsetzungen hat das EU-Parlament 2013 nahezu einmütig und unkritisch ohne Änderungen zugestimmt, wie eingangs erwähnt. Und in keinem der beteiligten Staaten werden bei so wichtigen Fragen die Bürger oder Parlamente weiter einbezogen und können folglich keinen Einfluss nehmen auf die Geheimverhandlungen.

Scharfe Kritik von den Gewerkschaften an TISA

Scharfe Kritik üben deshalb auch die Gewerkschaften am geplanten TISA-Abkommen mit Blick auf Arbeitnehmerrechte, Tariflöhne und Tarifverträge, Kündigungsschutz und Gewerkschaftsrechte etc. Der internationale Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (PSI=Public Service International) – in dem 154 Länder vertreten sind – hält TISA für einen „gezielten Versuch, den Profit der reichsten Unternehmen und Länder der Welt über die Interessen der Menschen zu stellen“, und zwar derjenigen, die am stärksten auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen sind – somit ist TISA auch ein Angriff auf Sozialstaat und Menschenrechte!

In einer Studie des unternationalen Gewerkschaftsverbandes heißt es: „TISA gehört zu einer Reihe neuer Handels-. und Investitionsabkommen, die tendenziell eine alarmierende Zielrichtung verfolgen, nämlich auf der Grundlage gesetzlich verbindlicher Regelungen die Investorenrechte zu institutionalisieren und Handlungsspielräume von Regierungen (und Kommunen) einzuschränken, die nur entfernt mit Handelsfragen zu tun haben“.

Weiter schreibt der Generalsekretär von PSI: „TISA wird zur Folge haben, dass Regierungen und öffentliche Dienste nach gescheiterten Privatisierungen nicht wieder rekommunalisieren können, dass innerstaatliche Vorschriften zum Arbeits- Umwelt- und Verbraucherschutz keinen Bestand haben und dass Regulierungsmöglichkeiten des Staates wie Lizenzierung von Gesundheitseinrichtungen, Kraftwerken und Abfallentsorgungsanlagen sowie Akkreditierung von Schulen und Universitäten eingeschränkt werden.“

Zudem hat die Studie herausgefunden: Wenn nur ein einziges Land einen Dienstleistungsbereich nicht explizit ausgenommen hat, müssen alle anderen Vertragspartner einander Zugang für Private gewähren.“ Und wenn öffentliche Betriebe staatliche Subventionen oder kommunale Zuschüsse erhalten, stehen diese auch den privaten Unternehmen gleichermaßen zu – oder die öffentlichen Betrieb dürfen aus Wettbewerbsgründen auch nicht mehr subventioniert werden. (Vielleicht werden ja demnächst auch hier im Rhein-Erft-Kreis Schulkantinen von Coca-Cola oder McDonald betrieben, oder pakistanische. oder peruanische Unternehmen treffen Absprachen über Stundenlöhne und Arbeitszeiten…).

Mit TISA könnte auch moderne Sklaverei über internationale Leiharbeit gefördert werden (und die völkerrechtlichen Kernarbeitsnormen der ILO (interne Arbeitsorganisation der UN) könnten ausgehebelt werden (Stichwort. Herkunftslandsprinzip). Da wäre dann das örtliche Jobcenter oder die Arbeitsagentur machtlos. Auf kommunaler Ebene dürfen dann bei öffentlichen Ausschreibungen hier in Brühl nicht mehr die Bedingungen der tarifgerechten Bezahlung nach dem Tariftreuegesetz oder Mindestlöhne von den Unternehmen gefordert werden, die den Auftrag bekommen. (Erst vor 4 Wochen hat ein NRW-Gericht vorauseilend die kommunale Auflage der Einhaltung von Tariflöhnen gekippt, da nicht mehr als die Mindestlöhne gefordert werden dürfte.)

Ehemalige EU-Kommissarin als TISA-Lobbyistin bei Bertelsmann

Interessant ist, dass im Februar 2015 erstmalig ein „Experten-Hearing“ zu TISA im EU-Parlament stattfand. Maßgebende TISA-Berichterstatterin im EU-Parlament ist ausgerechnet Viviane Reding, zuvor stellvertretende EU-Kommissionspräsidentin unter Barroso und EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. Sie sprach von einem „offenen Dialog“ und gegen „T-TIPPisierung vonTISA“ (aus Sorge vor einer Anti-TISA-Bewegung nach TTIP-Vorbild

Dabei ist die Ex-EU-Kommissarin und heutige Europa-Abgeordnete unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus der Kommission ohne Karenzzeit ins Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung gewechselt – also zum einflussreichsten TTIP- und TISA-Lobbyisten, trotz öffentlicher Kritik der Organisation Lobbycontrol, die dagegen 19.000 Unterschriften sammelte. (Siehe auch meine Studie. „Bertelsmann als TTIP-Strippenzieher“). Das hält die befangene Seitenwechselerin nicht davon ab, sich als Abgeordnete und damit als „Volksvertreterin“ an die Spitze pro TISA zu setzen.

Vermittelt hatte ihr diesen Lobbyisten-Job ihr früherer Kanzleichef bei der EU-Kommission, der ehemalige Bertelsmann-Beauftragte für Handelsfragen in Brüssel, Prof. Selmayr. Dieser ehemalige Bertelsmann-Lobbyist ist jetzt Kanzleichef von EU-Kommissionspräsident Juncker (vergleichbar dem Kanzleramtsminister bei uns) und hatte bereits vorher dessen Wahlkampf gemanagt. Wer wäre dafür auch prädestinierter als ein Bertelsmann-Lobbyist an den zentralen Schaltstellen der Macht in der EU-Kommission mit Zugang zu allen Kommissaren? Nicht Herr Juncker, sondern Herr Selmayr gilt als einflussreicher Drahtzieher in der Kommission.

Schließlich sitzt Bertelsmann in allen Beratungsgremien für die Freihandelsabkommen, erstellt und vergibt dafür Gutachten und hat den offiziellen Auftrag der EU für die Werbekampagnen pro TTIP & Co. in Europa und den USA erhalten. Zugleich führt Bertelsmann eigene hochkarätige Veranstaltungen zu TTIP etc. durch, zu der stets alle geladenen Spitzenpolitiker der EU und der Bundesrepublik erscheinen. Und jüngst auf dem Bertelsmann-Sommerfest waren u. a. vorneweg auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel und seine SPD-Generalsekretärin (nebst ARD- und ZDF-Talkmastern) geladen, um diese pro TTIP und TISA zu vereinnahmen.

Zuvor hatte die „gemeinnützige“ Bertelsmann-Stiftung ja auch die Kommunen zur TISA-Vorbereitung landauf, landab über Jahrzehnte eingestimmt auf das „New-Public-Management“ – die neue betriebswirtschaftliche Steuerung mit Deregulierung, Privatisierung und Ausgründung zum „Konzern Stadt“ – künftig die „Stadt der Konzerne“? (Dazu mehr in meinen diversen Aufsätzen zum Thema). Nun ist mit TISA und TTIP der finale Angriff auch auf die kommunale Daseinsvorsorge vorbereitet, die gleichzeitig in die Zange von 2 Abkommen genommen werden – mit einer befangenen Ex-EU-Kommissarin als Lobbyistin an der Spitze im Kontrollorgan EU-Parlament.

Konkrete Auswirkungen von TISA auf die kommunale und regionale Situation

Darum wenden wir uns zum Schluss einigen konkreten Auswirkungen von TISA auf die kommunale und regionale Situation im Rhein-Erft-Kreis zu – unser eigentliches Thema. (Wir können das gleich in Diskussion und Gespräch noch vertiefen). Was bedeutet TISA für den 40-jährigen Rhein-Erft-Kreis und seine 10 Städte? Wird der waldärmste Kreis demnächst auch der dienstleistungsärmste Kreis ein?

Derzeit gibt es ja hier noch eine Fülle an öffentlichen Einrichtungen: Von den eigenen Stadtwerken hier in Brühl (mit den Sparten Energie- und Wasserversorgung sowie Entsorgung) über den ÖPNV der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft bis hin zu öffentlichen Krankenhäusern und Fachkliniken. Vor allem die vielen Kultureinrichtungen wie Museen, Bürgerhäuser, VHS Rhein-Erft-Kreis oder hier in Brühl die Kunst- und Musikschule, die Mediothek, die öffentlichen und privaten Fachhochschulen und die allgemeinbildenden Schulen (3 Gymnasien, 1 Realschule, 1 Gesamtschule). Die üblichen Subventionierungen und Bezuschussungen sowie die öffentliche Trägerschaft (z. B. bei kommerzieller Konkurrenz auf dem boomenden „Bildungsmarkt“) werden durch TISA in Frage gestellt.

Betroffen sein wird von TISA aber auch die öffentlich-rechtliche Kreissparkasse Köln mit ihren Filialen im Rhein-Erft-Kreis (in kommunaler Gewährsträgerschaft) durch das Kapitel Finanzdienstleistungen in TISA, ebenso die kommunale Datenzentrale in Bezug auf Datenschutz und Lizenzen etc., aber auch Gesundheitseinrichtungen wie die Fachklinik Hürth, weil TISA den lukrativen Gesundheitsmarkt kommerziell erobern möchte. Und was wird aus der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft, wenn der ÖPNV-Sektor noch weiter liberalisiert wird? Zudem bemühen sich Stadt und Kreis um Einzelhandelsförderung und Gewerbeförderung sowie um Flächenpolitik im Rahmen kommunaler und regionaler Wirtschaftsförderung, womit sie in Kollision zu den Wettbewerbsregeln von TISA geraten könnten. (Für auswärtige Dienstleister gibt es bereits einen einheitlichen Ansprechpartner nach der EU-Dienstleistungsrichtlinie).

Was passiert mit all diesen kommunalen Dienstleitungen nach völliger Gleichschaltung oder sogar Bevorzugung privater kommerzieller Anbieter in Konkurrenz zu öffentlichen Betrieben? Denn die Dienstleistungskonzerne werden ja mit TISA den öffentlichen Trägern gleichgestellt oder sogar bevorzugt. Zumindest werden kommerzielle private Interessen mit öffentlichen Gemeinwohlinteressen auf eine Stufe gestellt. Ich wage also die Prognose: Mit TISA werden wir auch hier in Brühl und im gesamten Rhein-Erft-Kreis massive Einschränkungen erleben bei der kommunalen Entscheidungskompetenz in Bezug auf die Organisationshoheit, die Planungshoheit, die Finanzhoheit, die Satzungshoheit usw. Somit werden die politischen und rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume von Rat und Verwaltung massiv eingeschränkt und damit auch die Definitionshoheit über die kommunale Daseinsvorsorge vor Ort.

TISA höhlt die (Kommunal-)Verfassung aus durch unzulässige Eingriffe

Dabei sind die Gemeinden eigentlich die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus, deren Verwaltung ausschließlich durch den Willen der Bürgerschaft bestimmt wird – und nicht fremdbestimmt durch Konzerne oder nicht gewählte bürgerferne Handelskommissare und deren Unterhändler. Eingriffe in die Rechte der Gemeinden sind laut Verfassung nur durch Gesetze zulässig, nicht durch bilaterale oder multilaterale Verträge mit verfassungswidrigen Inhalten. Laut Kommunalverfassung bzw. Gemeindeordnung regeln die Gemeinden in eigener Verantwortung alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, ob wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Betreuung ihrer Einwohner, und sie schaffen die dafür öffentlichen Einrichtungen nach eigenem Ermessen.

Seit 200 Jahren – seit der preußischen Städteordnung – fördern die Gemeinden unangetastet das Wohl ihrer Einwohner durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe der Selbstverwaltung – und nicht durch nicht gewählte Handelskommissare und deren Konzernlenker im Hintergrund. Mit TISA und TTIP aber wollen Handelskommissare und Lobbyisten eine neue diktatorische Gesellschaftsordnung als geheime Kommandosache überstülpen – ohne öffentlichen Diskurs und ohne demokratische Beteiligung.

Bevor wir den Blick abschließend noch weiter auf ganz konkrete Auswirkungen beispielhaft für einzelne öffentliche Bereiche im Rhein-Erft-Kreis richten, zunächst noch die Frage: Was macht die verarmten Kommunen – insbesondere ihr öffentliches Auftrags- und Beschaffungswesen – so begehrlich für die Freihändler und Konzerne? (Dieses Thema hatte ich ja zuvor schon angerissen.)

Das Konzerninteresse am öffentlichen Auftrags- und Beschaffungswesen

Allein in Deutschland vergeben Bund, Länder und Gemeinden jährlich öffentliche Aufträge in Höhe von 400 Mrd. €, davon 50% = 200 Mrd. € alleine die rund 12.0000 Kommunen in Deutschland (also Städte, Kreis und Gemeinden sowie Regionalverbände). Trotz Privatisierungswelle haben wir noch 14.000 öffentliche/ kommunale Unternehmen, die im VKU (Verband der kommunalen Unternehmen) zusammengeschlossen sind. Diese erzielen jährlich 300 Mrd. € Umsatz und 10 Mrd. € Gewinn. Europaweit haben wir ca. 200.000 Kommunen und eine 6-stellige Zahl kommunaler Betriebe. Das Volumen des öffentlichen Beschaffungswesens beträgt EU-weit 2 Bio. €, das sind 16% des BIP. (Bei CETA für EU/Kanada prognostiziert man 2,7 Bio. €).

Diese Zahlen auf TISA umgerechnet mit den zunächst 51 (später noch mehr) Staaten weltweit, also die halbe Welt, sind schwindelerregend! An den internationalen Finanzmärkten (wo ja alle sonstigen Anlagemöglichkeiten ausgeschöpft sind), spekuliert man mit der Privatisierung oder Übernahme der öffentlichen Wasserversorgung auf min. 1 Bio. € weltweit, des Gesundheitswesens (das schon weitgehend in privater Hand ist) auf 3 Bio. €, sowie mit dem Bildungswesen auf dem boomenden „Bildungsmarkt“ als Zukunftsmarkt mit 2,5 bis 5 Bio. € weltweit. Das sind die drei größten Wachstumsmärkte.

Kommunen werden vor private Schiedsgerichte gezerrt

Vor diesem Hintergrund ahnen wir auch, warum die privaten Schiedsgerichte zum Schutz der Unternehmensinvestitionen auch die Kommunen auf Schadenersatz verklagen können, wenn sie es wagen sollten, handelshemmende Regelungen oder Auflagen zu treffen in ihren Bebauungsplänen, Satzungen, Ratsbeschlüssen, Bau- und Betriebsgenehmigungen etwa zugunsten der Umwelt hier im Rhein-Erft-Kreis. Es gibt ja schon mindestens 4 Beispiele für verklagte Kommunen auf mehrstellige Millionenbeträge:

  • Bei der Genehmigung des Kraftwerkes Moorburg in Hamburg verklagte Vattenfall den Senat auf 4,3 Mio, € wegen erlassener gesetzeskonformer Umweltauflagen. Es kam zu einem Vergleich zugunsten des Kraftwerksbetreibers und die Stadt nahm Umweltauflagen zurück, die ansonsten für alle anderen gelten.
  • Der SUEZ-Wasserkonzern verklagte ägyptische Städte wegen des Mindestlohnes für Müllwerker.
  • Das US-Unternehmen Metalclad klagte gegen eine mexikanische Gemeinde wegen verweigerter Betriebsgenehmigung im Wasserschutzgebiet.
  • In Argentinien wurde eine Gemeinde von einem privaten Wasserversorger verklagt wegen verweigerter Erhöhung der Wassergebühren.

Die Stadt Brühl oder der Kreistag Rhein-Erft müssen also künftig bei allen Ratsbeschlüssen oder Verwaltungsakten abwägen, ob sie damit Schadenersatzansprüche gegenüber Konzernen auslösen, weil sie deren spekulative Gewinnerwartungen schmälern. Deshalb muss die Kommunalverwaltung künftig Heerscharen von fachkundigen Juristen einstellen, die den internationalen Wirtschaftsanwälten der Gegenseite gewachsen sind.

Kommunale Ausschreibungen künftig weltweit und ohne Auflagen?

Die Gemeinden müssen künftig nach TISA ihre öffentlichen Ausschreibungen oder Auftragsvergaben nicht nur EU-weit oder transatlantisch (wie bei TTIP), sondern quasi weltweit durchführen, und das schon ab geringen Größenordnungen von 200.000 bis 300.000 € bei Beschaffungen oder ab 5-6 Mio. € bei Bauaufträgen. Die kleinen und mittelständischen Betriebe hier in der Region könnten bei der Preiskalkulation mit transatlantischen Großkonzernen nicht mithalten und gehen leer aus. Sie können sich auch nicht millionenschwere Klagen und entsprechend teure Anwälte bei Schiedsgerichten leisten.

Bei den Ausschreibungen werden Ratsbeschlüsse mit üblichen und notwendigen Auflagen erschwert, wie z.B. die Anforderung tariflicher Bezahlung oder Einhaltung von Mindestlöhnen und Sozial- und Sicherheitsstandards, Umweltstandards, Gütesiegel und Zertifikate, oder die Bedingung fair gehandelter Produkte oder nachhaltiger Bauweisen. Auch die übliche Inhouse-Vergabe zur Vermeidung aufwändiger Ausschreibungen sowie interkommunale Zusammenarbeit etwa bei der gemeinsamen Beschaffung etc. werden erschwert, darum sorgt sich der Städtetag.

Vor allem die Bevorzugung örtlicher Anbieter, Händler, Handwerker und ortsansässiger Unternehmen wäre nicht mehr zulässig, weil wettbewerbsverzerrend. Damit würden auch die kommunale und regionale Struktur- und Wirtschaftsförderung oder lokale Umweltpolitik und Klimakonzepte erschwert oder vereitelt. Und Ansiedlungsverbote großflächiger Einzelhandelsbetrieb auf grüner Wiese wegen Bevorzugung des Einzelhandels in den gewachsenen Innenstädten würden als Wettbewerbsbehinderung durch marktbeherrschende internationale Handelskonzerne mit Sicherheit vor Schiedsgerichten beanstandet.

Kommunale Betriebe u. Einrichtungen müssen sich privater Konkurrenz stellen

Die mit TISA angestrebte „Marktöffnungsverpflichtung“ und „Marktzugangsberechtigung“ für auswärtige Unternehmen und deren „Diskriminierungsverbot“ sowie die Anwendung der „Meistbegünstigungsklausel“ öffnet den Konzernen Tür und Tor und beschleunigt die Privatisierungswelle. Denn auch die kommunalen Betriebe und Einrichtungen müssen sich, wie schon erwähnt, weitgehend der privaten Konkurrenz im Wettbewerb stellen. In die Wettbewerbssituation geraten folglich auch die Stadtwerke mit ihren Monopolen und bislang geschlossenen Konzessionsgebieten; sie müssen Leitungsnetze für Dritte öffnen und ihren Anschluss- und Benutzungszwang (etwa für Fernwärme aus Umweltgründen) aufgeben, ebenso verbotene Quersubventionen (etwa für städtische Bäder); und sie müssen Einnahmeverluste dadurch hinnehmen. Die momentane Gründungswelle neuer Stadtwerke als Rekommunalisierung der Energieversorgung wäre gefährdet.

Auch die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe bekommen noch mehr private Konkurrenz und Tarifdruck, vielleicht sogar bis hin zum Verbot von „Sozialtickets“ für Hartz-IV-Bezieher wegen unerlaubter und wettbewerbsverzerrender Fahrpreissubventionierung. Die öffentliche Wasserversorgung wäre ebenfalls gefährdet – zumal die Konservativen im EU-Parlament gerade den Versuch gestartet haben, nach Scheitern der EU-Konzessionsrichtlinie von 2012 nunmehr die Wasserprivatisierung klammheimlich wieder zu ermöglichen statt als Menschenrechtsverletzung zu streichen. Sie werden hoffentlich an einer Parlamentsmehrheit scheitern. Nachdem gerade die öffentlichen und kommunalen Sparkassen ihren Sonderstatus bei der EU infolge der Bankenkrise erkämpft hatten, kann es auch ihnen wieder an den Kragen gehen durch Einbezug der Finanzdienstleistungen in TISA, wie bereits vorhin angedeutet.

Öffentliche Subventionen und Zuschüsse gelten als Wettbewerbsverzerrend

Gefährdet sind vor allem die öffentlichen Subventionen zur Bezahlbarkeit der Bildungs-,Kultur- Gesundheitseinrichtungen für die Menschen, einschließlich Volkshochschule oder Kreiskrankenhäuser und Kliniken anderer öffentlicher Träger, soweit nicht schon längst in privater Hand der großen Krankenhauskonzerne, wie Fresenius, Helios, Asklepius, Rhön-Kliniken oder Sana-Kliniken , (an denen teilweise die Skandalbank Goldman-Sachs Aktienanteile hält). Schon jetzt klagen private Klinikbetreiber gegen Subventionen öffentlicher Krankenhäuser nach geltendem EU-Recht.

Aber auch Sozialeinrichtungen und Pflegedienste wären als lukrative Dienstleistungsbereiche ebenso betroffen wie kommunale Wohnungsgesellschaften (sofern nicht schon der öffentliche Wohnungsbestand längst verscherbelt wurde an die fusionierten Wohnungsimmobilien-Großkonzerne wie Annington, Gagfah oder VivaWest). Auch die Abfallbeseitigung ist seit langem begehrtes Marktfeld der Kommerziellen.

Und mit der von TISA angestrebten Deregulierung und Verkürzung auch der städtischen Planungs- und Genehmigungsverfahren einschließlich Bau- und Betriebsgenehmigungen unter dem Vorwand des „Bürokratie-Abbaus“ wird zwangsläufig die Umweltverträglichkeitsprüfung kürzer ausfallen und die Bürgerbeteiligung eingeschränkt. Auch unterschiedliche Gebühren und Gewerbesteuersätze der Kommunen oder die gesetzliche „Mietpreisbremse“ sind den TISA-Verfechtern ein Dorn im Auge, weil wettbewerbsverzerrend und deshalb anfechtbar.

Die kommunalen Datenzentralen kommen in Konflikt mit Patentrecht, Urheberrecht und Datenschutz, wie schon angedeutet. Und manches Begehren von TISA reicht auch bis in den gemeinnützigen Trägerbereich. Vielfach droht also Privatisierungszwang für öffentliche und gemeinnützige Einrichtungen, soweit sie denn für die Märkte interessant sind. Und schließlich gilt das erwähnte Rekommunalisierungsverbot selbst für gescheiterte Privatisierungen. Deshalb bedarf es der erwähnten Stäbe in den Rechtsabteilungen der Rathäuser künftig in Kompaniestärke, um sich solcher Bestrebungen zu erwehren.

Mit TISA werden wir ohne kommunale Daseinsvorsorge aufwachen

Die Beispiele ließen sich noch beliebig fortführen, die als potenzielle Gefahren in TISA für die Kommunen schlummern. Der langjährige Vorsitzende des Deutschen Städtetages, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly (SPD) warnte schon vor Jahren vor den Gefahren der Freihandelsabkommen TISA und TTIP und dem dadurch drohenden Ende der kommunalen Selbstverwaltungen. Er sagte: „Wer jetzt nicht aufwacht, der wird am Ende ohne kommunale Daseinsvorsorge aufwachen.“ Denn TISA und TTIP werden beeinflussen, ob und welche Dienstleistungen zukünftig noch von Gemeinden selbst erbracht, subventioniert oder monopolisiert werden dürfen. Und welche dereguliert werden müssen, welche dem globalen Wettbewerb durch ungehinderten Marktzugang geöffnet werden müssen für private Konkurrenz.

Darum wird in 2 Wochen in Berlin, am 10. Oktober, die wohlgrößte Demonstration nicht nur gegen TTIP, sondern auch gegen CETA und TISA stattfinden – und für fairen Handel nach dem alternativen Handelsmandat der Zivilgesellschaft. Erwartet werden mindestens 50.000, wenn nicht sogar Hunderttausend und mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer – zumindest, wenn auch alle Brühler Bürger und der gesamte Rhein-Erft-Kreis sowie das Rheinische Aktionsbündnis mit nach Berlin kommen!

Fast 300 Kommunalparlamente in Deutschland haben (trotz „Maulkorberlass) bereits ablehnende oder Kritische Ratsbeschlüsse gegen TTIP und TISA gefasst, darunter 11 Landeshauptstädte und die Millionenstadt Köln (mit Stimmen aller Fraktionen einschließlich CDU und FDP). In Frankreich wurden 350 und in Österreich bislang 250 entsprechende Ratsbeschlüsse gefasst. Rund 500 zivilgesellschaftliche Organisationen umfasst inzwischen unser Bündnis (angefangen hatten wir mal mit 21). Als europäische Bürgerinitiative haben wir mehrere Millionen Unterschriften gesammelt. Und fast alle etablierten Institutionen haben sich kritisch bis ablehnend gegen TTIP und TISA positioniert: Kirchen, Gewerkschaften, Berufsverbände, Wohlfahrtsverbände, Sozialverbände, Umweltverbände, Mittelstandsvereinigungen, Kulturschaffende, Ärzte, Juristen usw. Auch die Oppositionsparteien im Bundestag – und in der mitregierenden SPD rumort es an der Basis.

TISA und TTIP rechtfertigen das Widerstandsrecht nach Artikel 20 (4) GG

An alle Anwesenden kann ich nur appellieren, auch hier in Brühl und im Rhein-Erft-Kreis heftig zu rumoren und mit nach Berlin zu kommen! Lassen Sie ich schließen mit einem Zitat von Jean Ziegler zu TTTP, das sich genauso und erst recht auf TISA übertragen lässt: „Die großen Konzerne haben heute mehr macht, als es Kaiser und Päpste je hatten. TTIP (TISA) ist der Endkampf. Ich hoffe, dass er nicht kommt. Wenn TTIP (und TISA) in dieser Form durchkommt, ist die entscheidende Schlacht verloren!“ – Erlauben Sie mir die Schlussbemerkung: Darum müssten wir eigentlich von unserem Widerstandsrecht nach Artikel 20 (4) Grundgesetz Gebrauch machen, weil offenbar durch die TISA-Befürworter im Lande die Verfassung ausgehebelt werden soll….

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!