Wilhelm Neurohr

Mit fast 3,3 Millionen Unterschriften gegen die umstrittenen Freihandelsabkommen hat unser internationales Bündnis aus rund 500 Organsiationen die größte europäische Bürgerinitiative aller Zeiten zustande gebracht. Bei der Überreichung der Unterschriften in Brüssel Anfang Oktober erwies die EU-Kommission einmal mehr ihr erschreckendes Demokratieverständnis und ihre Bürgerferne: Kein EU-Kommissar war bereit, die Unterschriften entgegenzunehmen. Schon vorher hatte sie die Europäische Bürgerinitiative formell nicht anerkannt.

Auch die deutsche Bundesregierung reagierte auf die größte Demonstration seit Jahrzehnten in Berlin mit 250.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (und zeitgleichen Aktionen in anderen Hauptstädten Europas) von 500 demokratischen Organsiationen mit Schweigen oder mit Geringschätzung bzw. einen Tag vor der Großdemonstration mit vorherigen ganzseitigen Zeitungsanzeigen pro TTIP, CETA und TISA im Zusammenwirken mit den Wirtschaftslobbyisten des BDI, die auch in den Beratungsgremien zu TTIP sitzen (zusammen mit den einflussreichen Vertretern des Bertelsmann-Imperiums, das auch die Öffentlichkeitsarbeit pro TTIP betreibt).

Und selbst die öffentlich-rechtlichen Medien berichteten zwar in aller Kürze pflichtgemäß und nebenbei über die Großdemonstration (mit angeblich nur 150.000 Teilnehmenden), brachten aber weder Redeausschnitte der dort aufgetretenen Redner (darunter z. B. der DGB-Vorsitzende, ein Landesbischof, der BUND-Vorsitzende und Gesine Schwan als Vorsitzende der SPD-Grundwerte.Kommission), noch machten sie das so viele Menschen bewegende Thema zum Gesprächsstoff in irgendeiner Politik-Talkshow - also auch hier eher totschweigen oder kleinreden - derweil 7000 lokale Demonstranten der rechten Szene in Sachsen ein Vielfaches an medialer Aufmerksamkeit wiederholt bekamen.. Man schien geradzu erleichtert, dass momentan das Flüchtlingsthema die Freihandelskritik an TTIP & Co. medial überlagert, obwohl gerade der unfaire Freihandel mit seinen Verlierern eine der Hauptursachen für den Zustrom der Armutsflüchtlinge z. B. aus Afrika ist.

Unterste Schublade (weit unterhalb des BILD-Zeitungs-Niveaus) boten ausgerechnet Journalisten bei Spiegel-online, WDR 5 oder Süddeutsche Zeitung in Kommentaren, in denen sie entweder die 250.000 aufgeklärten Demonstranten abfällig in die rechte Ecke als "Pegida-Mitläufer" zu stellen versuchten oder als "Opfer der Empörungsindustrie" der Umweltverbände etc. bemitleideten, zumindest aber als uneinsichtig in die absolute Notwendigkeit von TTIP & Co. Damit geben sie der Bundeskanzlerin Flankenschutz, die vor ihrer CDU-Fraktion äußerte, dass sie TTIP "gegen alle Widerstände durchsetzen" wolle, weil TTIP so wichtig sei wie die EU-Gründung oder der NATO-Doppelbeschluss". Soll mit solcher militärischen Analogie etwa darauf hingewiesen werden, dass TTIP die "wichtigste geopolitische Waffe im globalen Wirtschaftskrieg" sei, um als größter und mächtigster Handelsraum der Welt (mit nur 12% der Weltbevölkerung) dem "Rest der Welt" (88% der Bevölkerung) die wirtschaftlichen Standards vorzuschreiben, wie es unverblümt heißt?

Doch es kommt noch 100 Mal schlimmer: Nach CETA und TTIP folgt TISA, das weltweite Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (einschl. öffentlicher Dienstleistungen) als weiterreichender Ersatz für das alte GATS-Abkommen, das mit der 17. Verhandlungsrunde TTIP sogar zeitlich überrunden wird, denn dessen Fortschritt ist nach der 10. Vehandlungsrunde ziemlich festgefahren. In den Hinterzimmern der australischen Botschaft in Genf wird unter noch strengerer Geheimhaltung für 51 involvierte Staaten seit 2 Jahren (anfangs sogar ohne politisches Verhandlungsmandat) etwas ausgeheckt, bei dem unsere gewählten Parlamentarier völlig außen vor sind und die EU-Kommission mehr als nur einem Verhandlungspartner einflusslos gegenüber sitzt. (Siehe zu TISA auch meine diversen Aufsätze, Veröffentlichungen und Vortragstexte auf dieser Homepage).