Wilhelm Neurohr

Was die Medien verschweigen:

Die 58. Münchener „Sicherheitskonferenz“ erneut im Dienste der Rüstungslobby

Wie in jedem Februar tagt auch in diesem Jahr zum 58. Mal die sogenannte „Münchener Sicherheitskonferenz“ im Hotel „Bayrischer Hof“ mit diesmal 500 Vertretern aus Wirtschaft, Finanz- und Rüstungsindustrie, hochrangigen Militärs und den wichtigste Geheimdienstchefs sowie 100 handverlesenen Spitzenpolitikern, darunter 30 Staats- und Regierungschefs, geschützt von 3.800 Polizisten. Wegen der heraufbeschworenen Kriegsgefahr in der Ukraine findet die von Wirtschaft und Rüstungslobby gesponserte private Tagung diesmal besondere Aufmerksamkeit, aber auch wegen der endlich öffentlich aufgedeckten Rolle ihres Leiters Wolfgang Ischinger als langjähriger Rüstungslobbyist - dennoch ein gern gesehener Gast in Talkshows und Interviews der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.

Seit 2009 leitet der deutsche Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger, nebenher Aufsichtsrat und Aktionär des Rüstungskonzerns Hensoldt, diese demokratisch nicht legitimierte Konferenz seiner privaten Stiftung als Großveranstaltung, die in den Medien fälschlich wie eine offizielle Regierungsveranstaltung quasi von Staaten oder internationalen Gremien verkauft wird. Stolz brüsten sich die Veranstalter damit, diese überwiegend von Wirtschafts- und Rüstungsunternehmen finanzierte Privatkonferenz zu den „bedeutendsten informellen Foren“ der „Eliten“ aufgewertet zu haben, mit denen sie die offiziellen Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs in den Schatten stellen, denn sogar Spitzenvertreter von UN und EU geben sich die Ehre. Alljährlich geben sich die von den Veranstaltern ausgewählten Staats- und Regierungschefs sowie Wirtschaftsführer dort ein hochkarätiges Stelldichein, so auch in diesem Jahr der deutsche Kanzler und fünf Minister seines Bundeskabinetts sowie der US-Außenminister und die US-Vizepräsidentin.

Neben der Ukraine-Krise geht es in München zwar auch um andere Themen. Aber selbst die ganz großen Fragen dieser Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung und der Systemwettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie werden wohl angesichts der akuten Gefährdung des Friedens in Europa in den Hintergrund rücken. Die Abwesenheit von Putin und der russischen Delegation wegen der „mangenden Objektivität der Konferenz und der transatlantischen Dominanz“, nachdem Russland in den letzten 10 Jahren immer an der Konferenz teilnahm, hat diesmal das gemeinsame Entwerfen eines Feindbildes begünstigt. Die frühere und jetzt dringend gebotene Entspannungspolitik wurde als Schwäche verworfen, dies zeigte sich schon in den ersten Redebeiträgen der angereisten Staatsgäste, die sich auf Konfrontationskurs begeben.

Diskrete Rüstungsdeals in Hinterzimmern am Rande der Konferenz

Doch wichtiger als die medienwirksamen Fensterreden der Spitzenpolitiker sind für die Teilnehmenden der „Sicherheitskonferenz“ – anfangs hieß sie ehrlicherweise „Wehrkundetagung“ – die rund 100 Nebenveranstaltungen, vor allem die stets diskreten und nichtöffentlichen Hinterzimmer-Treffen am Rande der Konferenz, wo auch Waffendeals eingefädelt werden. Der nach 13 Jahren letztmalig federführende Konferenzleiter Wolfgang Ischinger selber ist laut Medienberichten als Mitbegründer und Teilhaber der Beratungsfirma Agora Strategy Group maßgeblich daran beteiligt, die Staatslenker aus aller Welt mit Investoren und Rüstungsfirmen wie Hensoldt zusammenzubringen und dafür fürstliche Honorare und Erfolgsprovisionen zu kassieren. (Er selber bestreitet das, da er für sein „Ehrenamt“ als Fulltime-Job kein Gehalt bekomme). Unter anderem ging es wohl um Rüstungsgeschäfte u. a. mit Käufern aus Saudi-Arabien, Ägypten oder Libyen, so hat der „Spiegel“ recherchiert. Der ertappte Ischinger behauptet, von alledem gar nichts gewußt zu haben (obwohl einer der Hauptzwecke dieser Konferenzen seit jahrzehnten die Kontaktvermittlung zwischen Rüstungswirtschaft und Politik ist).

„Mehr Sicherheit durch Waffenhandel und Aufrüstung“ - das scheint offensichtlich seit jeher und sogar aktuell während des bedrohlichen neuen „kalten Krieges“ das eigentliche, aber verborgene Anliegen der Konferenzveranstalter zu sein. Deshalb veranstaltet die Zivilgesellschaft alternativ die alljährliche „Münchener Friedenskonferenz“ und die Konferenz wird jedes Jahr von Protesten durch Friedensinitiativen und Rüstungsgegner begleitet. Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac kritisiert die „militärische Ausrichtung“ der Konferenz. Deshalb waren diesmal 14 Demonstrationen und Kundgebungen angemeldet.

In diesem Jahr steht auf der so genannten Sicherheits-Konferenz vor allem der akute Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze im Vordergrund, nachdem der US-Verteidigungsminister Antony Blinken die Kriegshysterie mit angeblichen Geheimdienstinformationen und mit Unterstützung der meisten Medien weiter anheizte, statt zu de-eskalieren. Demgegenüber mahnte UN-Generalsekretär António Guterres auf der Konferenz: „Wir müssen geopolitische Spannungen abbauen und die Friedensdiplomatie stärken. Wir können die größten Probleme nicht lösen, wenn die größten Mächte uneins sind.“

Finanzierung durch Wirtschafts- und Rüstungskonzerne und deutsche Steuerzahler

Ist aber die auf der Konferenz stark vertretene Rüstungsindustrie mit den politischen Lobbyisten an einer De-Eskalation und Abrüstung ernsthaft interessiert? Und geht es den dominanten Wirtschaftsunternehmen nicht beim Knüpfen der Kontakte vorrangig um ihre Wirtschaftsinteressen? Bezeichnenderweise wird die Konferenz finanziell gesponsert vom Partner Siemens Energy sowie assoziierten Partnern wie den Rüstungsunternehmen Hensoldt und Kraus-Maffei-Wegmann sowie von der Allianz SE und von BMW.

Zu den Partnern gehören auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, die Robert-Bosch-Stiftung sowie die Bill & Melinda Gates Foundation als weltweit reichste Stiftung mit fast 47 Mrd. US-Dollar Einlage, ferner der Londoner Welcom-Trust als weltweit zweitreichste Stiftung mit einem Vermögen von 26 Milliarden Euro. Dennoch beteiligen sich zusätzlich auch die Bundesregierung und die bayrische Staatskanzlei mit Millionensummen an der Finanzierung sowie auch die Stadt München mit mehreren Hunderttausend Euro. Zusätzlich geht auch der Einsatz von zumeist über 3.000 Polizisten zum Schutz der teilnehmenden Eliten auf Kosten der deutschen Steuerzahler.

Ehrenwerte Gesellschaft im Beirat der Münchener Sicherheitskonferenz

Dem 20-köpfigen Beirat der Münchener Sicherheitskonferenz, dem die strategische Ausrichtung und Entwicklung der Konferenz obliegt, gehört ein illustrer Kreis von Persönlichkeiten überwiegend aus der Wirtschaft an, unter dem Vorsitz von Joe Kaeser, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Siemens Energy. Stellvertretender Vorsitzender ist Alexander Soros, Vorsitzender der Open Society Foundations, der Stiftungsgruppe des amerikanischen Milliardärs George Soros. Zu den Mitgliedern gehört auch der Aufsichtsratsvorsitzende der (kriminellen) Deutschen Bank, Paul Achleitner. (Die Bank wird gerade in den USA verklagt wegen Hilfe bei der Terror-Finanzierung infolge ihrer Beteiligung an Cum-Ex-Geschäften als größter Steuerraub Europas). Ferner der Vorstandsvorsitzende des Rüstungskonzerns Kraus Maffei Wegmann, Frank Haun.

Und auch der ehemalige Vorstandsvorsitzende des deutschen Rüstungskonzerns Airbus Group, Thomas Enders, ist dabei. (Denn die Bundesrepublik und der französische Staat sind mit je 10,9% Aktienanteil an dem Rüstungskonzern beteiligt, weil das Unternehmen "zentral für die europäische Luftfahrtindustrie" sei). Auf der zurückliegenden 55. Münchener Sicherheitskonferenz hatte Airbus-Chef Thomas Enders auf einer eigenen Pressekonferenz die deutsche Kanzlerin unter Druck gesetzt und die "moralisierenden Deutschen bei Rüstungsexportgeschäften in Krisenregionen" verurteilt. Er forderte eine Lockerung der Restriktionen bei den Rüstungsexporten, möglichst europaweit nach französischem Vorbild. Vor allem möchte Airbus führend werden bei den künftigen Kampfdrohnen für die Bundeswehr und die europäische Verteidigungsunion. Bei Frau van der Leyen als damalige Verteidigungsministerin rannte er damit bereits offene Türen ein, und inzwischen hat sich auch der Bundestag grundsätzlich dafür ausgeprochen, allerding mit einschränkenden Auflagen.

Der Allianz-Versicherungskonzern – einer der größten Versicherungskonzerne der Welt mit 140 Mrd. € Jahresumsatz - ist durch seinen Vorstandsvorsitzenden Oliver Bäte im Beirat der Sicherheitskonferenz vertreten. Für den irisch-britischen Dax-Konzern Linde ist sein Vorsitzender Wolfgang Reitzle im Beirat vertreten. Beiratsmitglied ist auch Hermann Gref als Präsident und Vorstandsvorsitzender der staatlichen russischen Sperbank, der größten Finanzinstitution Russlands (als multinationale Finanzgruppe mit Firmensitz in Moskau). Aber auch der nationale Volkskongress der kommunistischen Volksrepublik China ist vertreten durch den dortigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Fu Ying.

Aus den USA ist Jane Harman im Beirat der "Sicherheitskonferenz" vertreten, die Direktorin, Präsidentin und Vorstandsvorsitzende des von der USA-Regierung finanzierten Woodrow Wilson International Center for Scholars. Und sogar Ruanda ist vertreten durch seine ehemalige Außenministerin Louise Mushikiwabo von der Ruandischen Patriotischen Front, heute Generalsekretärin der Organisation internationale de la Francophonie.

Umsatzsteigerungen der Rüstungskonzerne durch Umgehung der Rüstungsexport-Richtlinien

Im Beirat ist auch Saudi-Arabien vertreten, und zwar durch den Sohn des ehemaligen saudischen Königs, Turki Ibn Faisal, der auch 24 Jahre lang Chef des saudischen Geheimdienstes war (der maßgeblich an der Bewaffnung der afghanischen Mudschahedin gegen die Sowjetunion beteiligt war). Trotz des Rüstungsexportstopps sind Waffen und Munition des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall über Tochtergesellschaften in Italien und Südafrika nach Saudi-Arabien gelangt . Ob der deutsche Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) als Rheinmetall Aufsichtsrat sowie der deutsche Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) als bezahlter Lobbyist für Rheinmetall davon wussten, und mithalfen, den Rheinmetall-Umsatz um 6% zu steigern?

Verstöße gegen die Rüstungsexportrichtlinien erfolgten nicht nur durch Rheinmetall, sondern insbesondere auch durch Heckler & Koch. Hier kam beim damaligen Gerichtsverfahren zur Sprache, dass Beamte des Bundeswirtschaftsministeriums der Rüstungsfirma Tipps gegeben hatten, wie man die Exportrichtlinien legal umgehen kann. So macht sich die Nähe zwischen Politik und Rüstungswirtshaft auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz bezahlt. Dies alles verträgt keine Medienöffentlichkeit, denn die Medien sind Teil des Netzwerkes, wie etwa 2013 die „Frankfuter Allgemeine“ als Mitveranstalter des begleitenden „Energy Securita Summet“ am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz.

Auch hochkarätige Regierungspolitiker und Militärs aus aller Welt im Beirat

Neben der neuen deutschen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist auch der ehemalige US-Außenminister John Kerry Beiratsmitglied, ebenso der ehemalige Außenminister des Vereinigten Königreiches, David Miliband. Von der EU ist Josef Borell vertreten, seines Zeichens Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsident der Europäischen Kommission. Außerdem Federice Mogherini, ehemalige Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, jetzt Rektorin des College of Europe in Brügge. Zum Beirat gehört auch der ehemalige Staatspräsident Estlands, Toomas Hendrik Ilves sowie der ehemalige polnische Verteidigungs- und Außenminister, Radoslaw Sikorski, heute Senior Fellow an der Harvard University in Cambridge.

Von militärischer Seite ist der ehemalige NATO-Generalsekretär Javier Solana vertreten, vormals auch Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und heute Präsident des ESADE Centers für Ökonomie und Geopolitik. Als hoher Militär aus den USA ist James "Jim" George Stavridis im Beirat vertreten, ehemaliger Admiral der US-Navy und Kommandierender General des US European Command (EUCOM), ferner bis zu seiner Pensionierung Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) der NATO.

Der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz hat also mit der Einbindung ehemaliger und amtierender Spitzenpolitiker ein beeindruckendes Netzwerk aufgebaut und somit die Konferenz zu einem einflussreichen und mächtigen Gremium außerhalb der offiziellen Staats- und Regierungsstrukturen ausgebaut. Die University of Pennsylvania zeichnete deshalb die Münchner Sicherheitskonferenz 2021 zum fünften Mal als "weltweit beste Think Tank Conference" aus.

Hilfreiche Vernetzung mit den USA?

Die Münchener Sicherheitskonferenz versteht sich als transatlantische Begegnung, auch wenn im Laufe der Zeit eine Ausweitung der Konferenzteilnehmer auf Staaten aus aller Welt einschließlich Russland und China erfolgte, um die Grenzen des kalten Krieges zu überschreiten. Doch das Herzstück der Konferenz blieb transatlantisch. Deren Leiter Wolfgang Ischinger, Vorstandsmitglied der „Atlantik-Brücke“ und Geschäftsführer der privaten Stiftung Münchener Sicherheitskonferenz, hat beste Beziehungen zu den USA, wo er bereits als Austauschschüler sein High-School-Diplom erlangte und später als Stipendiat an dortigen Elite-Hochschulen wie der Harvard Law School in Cambridge studierte und danach in New-York beim UN-Generalsekretariat arbeitete.

Nach seinem Wechsel zum auswärtigen Dienst bei der deutschen Bundesregierung war er Absolvent des „Young-Leader-Programms“ beim American Council on Germany, die mit der privaten US-amerikanischen Denkfabrik Council on Foreign Relations sowie der deutschen „Atlantik-Brücke“ verbunden ist, in deren Vorstand und Stiftung neben Polikern vor allem Wirtschaftsführer und Banker vertreten sind. Die beiden „Denkfabriken“ wurden seinerzeit von Paul M. Warburg, dem Bankier der privaten Hamburger Warburg-Bank gegründet (die derzeit im Cum-Ex-Skandal verwickelt ist). Später war Ischinger eine Zeitlang deutscher Botschafter in den Vereinigten Staaten und danach im vereinigten Königreich. Seit 2015 lehrt er als Senior Professor for Security Policy and Diplomatic Practice an der privaten Hertie School of Governance in Berlin. Seine internationalen Beziehungen nutzte er für die Kontakte zu den prominenten Gästen seiner Sicherheitskonferenz.

Übrigens sind über das deutsch-amerikanische Young-Leaders-Programm der Atlantik-Brücke und des American Council on Germany (ACG) zahlreiche deutsche Politiker und Fernsehredakteure gefördert worden, z. B. der grüne Cem Özdemir, die Sozialdemokraten Hubertus Heil und Thomas Oppermann, die CDU-Politiker Jens Spahn, Thomas de Maiziére, Friedbert Pflüger, Eckart von Kladen und Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg. Aber auch die ZDF-Journalisten Theo Koll und Elmar Theveßen gehörten zu den Auserkorenen, ebenso wie der Phoenix-Redaktionsleiter Michael Kolz und natürlich die (ehemaligen) BILD-Chefredakteure Kai Dieckmann und Tani Koch sowie der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG und umstrittene Präsident des deutschen Verlegerverbandes. Matthias Döpfner.

„Sind wir an einer Weltmacht USA interessiert?“

Interessant sind die Einschätzungen des früheren deutschen Bundespolitikers Klaus von Dohnany, der aus der Kriegsgeneration stammt, in den USA studiert und zeitweilig in New York gelebt und als Anwalt gearbeitet hat. Er wird für seine besonnenen politischen Einschätzungen geschätzt und stellt seinem neuen Buch „Nationale Interessen“ die Frage: „Sind wir an einer Weltmacht USA interessiert?“ Europas Interesse sei die Kooperation mit Russland, nicht Feindschaft. Er stellt sich dem verbreiteten Russland-Bashing entgegen. Innenpolitische Kraft sei wichtiger als der Aufbau militärischer Stärke. „Wir Europäer sind Objekt US-amerikanischen geopolitischen Interesses und waren niemals wirklich Verbündete, denn wir hatten nie ein Recht auf Mitsprache“, so lautet seine Feststellung.
Seine Einschätzung: Die Sowjetunion habe niemals vorgehabt, den westlichen Teil Europas militärisch anzugreifen. „Russland muss sich beim Vorrücken der Nato an seine Grenzen so fühlen wie die USA, wenn Russland heute einen militärischen Verteidigungspakt mit Kuba vereinbaren würde“. Wegen solcher Äußerungen als „Putin-Versteher“ beschimpft zu werden, würde er an sich abprallen lassen, weil es aus seiner Überzeugung die Voraussetzung für gelungene Verhandlungen ist, die andere Seite zu verstehen.

„Sicherheitspolitik“ gegen die Interessen der deutschen Bevölkerung

Auch die deutsche Bevölkerung denkt laut aktuellen Umfragen völlig anders als die Teilnehmer der Münchener Sicherheitskonferenz. So ist aktuell eine Mehrheit von 53% gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. 90% der Bundesbürger ist eine gute Beziehung zwischen Russland und Deutschland wichtig. Eine große Mehrheit spricht sich für eine eigenständige europäische Außenpolitik aus, bei der auch russische Interessen berücksichtigt werden. Jeder zweite hält es für richtig, dass die Ostsee-Pipeline mit Russland als verlässlichem Gaslieferanten gebaut wurde. Laut vorheriger Emnid-Umfrage sind sogar 75% für die Inbetriebnahme der Pipeline und nur 17% dagegen. Über 80% lehnten vor kurzem Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Und laut Infratest-Umfrage sollten in dieser Krisenzeit deutsche Entscheidungen auch gegen die Positionen der europäische Partner durchgesetzt werden. Außerdem wünschen sich die Bundesbürger laut Umfrage eine Emanzipation von den USA.

Unsicherheit statt Sicherheit durch Kriegstreiberei

Doch die Spielregeln der Münchener Sicherheitskonferenz nehmen auf die Befindlichkeit der letztlich betroffenen Bevölkerung wenig Rücksicht, weil man dem demokratischen Souverän die Kompetenz in sicherheitspolitischen und erst recht in militärischen Fragen abspricht, wenngleich man gegenüber Russland die demokratischen Werte anmahnt. Vielleicht hatte ja der Gründer der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahr 1963 noch andere Vorstellungen als die heutigen Akteure. Der 2013 verstorbene Gründer Ewald von Kleist stammte aus einer alten preußischen Adelsfamilie war ein deutscher Offizier der Wehrmacht (Oberleutnant) und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er als Verleger und Herausgeber sowie von 1963 bis 1998 als Initiator der Wehrkundetagung in Erscheinung, die heute unter dem Namen Münchner Sicherheitskonferenz firmiert. Für sein Vermächtnis wurde er international hoch geehrt. Sein Anliegen nach dem 2. Weltkrieg mit den Nazi-Verbrechen war von dem „nie wieder“ geprägt. Heute hingegen reden die „Sicherheitspolitiker“ wieder eskalierend von der Gefahr des dritten Weltkrieges ausgerechnet durch Russland als Weltkriegsopfer. „Russlandversteher“ haben auf der Konferenz nichts verloren. Mit diplomatischer Sicherheitsstrategie, bei der man sich in den „Gegner“ hineinzuversetzen versucht, hat das Münchener Tagungskonzept nichts zu tun.

Allein die Veranstalter und ihr Beirat bestimmen, welche ausgewählten Politiker – diesmal Einhundert an der Zahl - bedeutend genug sind, um von Ihnen exklusiv und selektiv eingeladen und als Redner auserkoren zu werden, nebst der Überzahl der diesmal 500 selbst ernannten zahlreichen Teilnehmern aus Wirtschaft, Lobbyverbänden, Militär und sogar Geheimdiensten. (Ohne die Pandemie wären sie mit bis zu 6000 Teilnehmern wie in den Vorjahren in der absoluten Überzahl gegenüber den Politikern). Doch die so geschmeichelten und umworbenen Politiker geben sich dort gerne die Klinke in die Hand auf den illustren Treffen, so dass auch die Medien meist unkritisch diese von staatlichen Sicherheitskräften bewachten jährlichen privaten Großveranstaltungen wie offizielle internationale Staatskonferenzen oder Wirtschaftsgipfel behandeln.

Militärische Weltmachtträume?

Und deutsche Politiker fühlen sich den dortigen Forderungen verpflichtet. Insbesondere die kurzzeitige Ex-Verteidigungsministerin Frau Kramp-Karrenbauer unternahm nach den Sicherheitskonferenzen wiederholte Vorstöße zur stärkeren Aufrüstung und Militarisierung der deutschen und europäischen Politik. Der willfährigen Steigerung der deutschen Rüstungsausgaben von 45 Mrd. € auf über 50 Mrd. € und zukünftig 70 Mrd. € (und damit auf den Spitzenplatz Deutschlands in der EU) hat sie aus Überzeugung den Weg geebnet. Die Rüstungsausgaben insgesamt sind auf das Niveau des kalten Krieges gestiegen. Die Friedensbewegung hielt dem entgegen: "Deshalb brauchen wir Abrüstung statt Aufrüstung. Deutschland muss Friedensstifter werden statt Rüstungsmeister". Dazu braucht es deutsche Initiativen für eine europäische Friedens- und Entspannungspolitik statt Militarisierung der deutschen und europäischen Politik.

Stattdessen hegte AKK „deutsche Weltmachtträume“, weil nach ihrer Aussage „ein Land unserer Größe und wirtschaftlichen und technologischen Kraft mit seinen geostrategischen und globalen Interessen nicht am Rande stehen“ könne. Deshalb wollte sie Deutschland auf größere militärische Aufgaben vorbereiten und stärker in internationalen Konflikten mitmischen. Darin wurde sie unterstützt von der deutschen EU-Kommissionschefin und Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und von Kanzlerin Merkel. (Der verstorbene Altkanzler und frühere Verteidigungsminister Helmut Schmidt verurteilte zu Lebzeiten schon damals solche Forderungen aus der Union als „Größenwahnsinn“.)

Dass deutsches Militär schon jetzt weltweit an 17 Militäreinsätzen und Missionen beteiligt ist, davon mit 1.100 Soldaten im gefährlichen Mali-Einsatz, und am Horn von Afrika Handelsrouten sichert, reichte AKK nicht. Sie wollte mehr Kampfbereitschaft und eine Führungsrolle der deutschen Bundeswehr im Ausland statt nur Unterstützung. Im Pazifik sollen deutsche Kriegsschiffe gegen China Flagge zeigen und in der Sahelzone wollte sie französische Soldaten unterstützen. Zuletzt forderte sie den Bau eines deutschen Flugzeugträgers für 5 Mrd. Euro und die Lockerung der Rüstungsexportrichtlinien. Besser hätten es die Rüstungslobbyisten auf der Münchener Sicherheitskonferenz selber nicht vortragen können, denn sie haben ja ihre politischen Sprachrohre.

Militärische Sicherung von Handelswegen?

Besonders bedenklich: Als „Exportnation mit internationaler Container-Schifffahrt“ sollte deutsches Militär nach dem Wunsch von AKK die Handels- und Seewege für die Wirtschaft sichern – und zusammen mit der EU auch den Zugang zu benötigten Rohstoffen? Als Ex-Bundespräsident Köhler in 2010 äußerte, die Bundeswehr müsse für freie Handelswege sorgen, trat er nach heftiger Kritik an damit implizierten verfassungswidrigen “Wirtschaftskriegen“ zurück. Dabei hatte er nur das zitiert, was schon 2004 in einer Bertelsmann-Studie für die europäische Militärpolitik gefordert wurde: Die EU soll „zur politischen und militärischen Weltmacht aufsteigen, um ihre ökonomischen Interessen mit außenpolitischen wie militärischen Mitteln absichern zu können“, ohne dies mit einem humanitären Mäntelchen länger zu kaschieren. Das hatte AKK folgsam auf Deutschland übertragen, statt sich für Friedens- und Entspannungspolitik und Abrüstung einzusetzen.

Schon in 2014 forderten unisono der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der damalige SPD-Außenminister und heutige Bundespräsident Walter Steinmeier auf der von Wirtschafts-und Rüstungslobbyisten finanzierten „Münchener Sicherheitskonferenz“ in übereinstimmenden Reden, dass Deutschland eine stärkere militärische Rolle international einnehmen müsse. Das klang so, als hätte ihnen das der Leiter der militärischen „Münchener Sicherheitskonferenz“, Wolfgang Ischinger und die Bertelsmann-Stiftung in die Feder diktiert, was AKK damals neu aufgewärmt hatte als „ihre“ politische Forderung. Der Beifall auf der Münchener Sicherheitskonferenz war ihr und den anderen deutschen Spitzenpolitikern gewiß.

Abschied von Verfassungsgrundsätzen?

Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes würden sich im Grab umdrehen, denn sie hatten wohlweislich die Rolle der Streitkräfte (mit Blick auf die umstrittene Wiederbewaffnung) nur zur Landesverteidigung gegen Angreifer von außen zugelassen, mit dem Zusatz: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“ – also nicht etwa für geopolitische Wirtschaftsinteressen. Von diesem Verfassungsgrundsatz entfernt sich die deshalb die deutsche Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Schritt für Schritt und bedient damit stattdessen die Interessen der Wirtschafts-und Rüstungslobby als Beitrag zur Friedensgefährdung statt Friedenssicherung. Somit sind wir auch wieder in den kalten Krieg zurückgefallen und machen dafür allein unsere "Feinde im Osten" verantwortlich, die sich vor dem geopolitischen und militärischen Machtanspruch des Westens fürchten..

Verquickung zwischen Politik, Wirtschaft, Rüstungslobby, Militär und Medienschaffenden

Damit gehen sie alle den Interessengruppen auf den Leim und belegen die enge Verquickung zwischen Politik, Wirtschaft, Rüstungslobby und Militär sowie Medienschaffenden. Nicht zuletzt geben sie damit sogar den „Verschwörungstheoretikern“ neue Nahrung, denn deren Behauptung, dass die eigentlichen politischen Entscheidungen in solchen hochkarätigen „informellen“ Zirkeln vorbereitet werden statt in den gewählten Parlamenten oder durch das Volk als Souverän, erscheint plötzlich nicht so abwegig. Nickt der Bundestag nur noch die ausgetauschten Militär-Strategien der privaten „Sicherheitskonferenz“ ab und akzeptiert die stetig steigende neue teure Rüstungsspirale? Diesen Eindruck hat die Münchener Sicherheitskonferenz nach dem Bekanntwerden der Hinterzimmer-Deals von Wolfgang Ischinger (der nach seinem Abgang Präsident des Stiftungsrates bleibt), nicht ausräumen können, sondern eher bestärkt und bestätigt.

Friedenskonferenz: Beitrag zum Weltfrieden durch neue Entspannungspolitik ohne Waffen

Ischingers auserkorener Nachfolger Christoph Heusgen, langjähriger Sicherheitsberater von Kanzlerin Merkel und langjähriger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen, muss unter Beweis stellen, dass die in der Zivilgesellschaft umstrittene Münchener Sicherheitskonferenz in dieser unsäglichen Zusammensetzung und Ausrichtung noch eine Daseinsberechtigung in der Zukunft hat. Denn sie sollte einen Beitrag zum Weltfrieden leisten statt ihn mit den Rüstungsinteressen zu gefährden.

Die zivilgesellschaftliche online-Friedenskonferenz der „Kooperation für den Frieden“ in Zusammenarbeit mit der Initiative „Welt ohne Waffen“ am 26. und 27. Februar will demgemäß mit ihrer Konferenz zu einer neuen Entspannungspolitik zwischen West- und Osteuropa beitragen und Visionen eines dezentralen, entmilitarisierten, ökologischen und sozial gerechten demokratischen Europas konkretisieren sowie Handlungsmöglichkeiten für eine Friedenspolitik in Europa entwickeln. Welche Rolle spielen dabei Nichtregierungsorganisationen und Soziale Bewegungen? Was kann der Beitrag der OSZE sein? Wie gelangen wir zu einem Europa der Kooperation?
Das sind diejenigen Fragen, die man aus der Münchener Konferenz nicht vernimmt, nämlich: Wie man von der militärischen zur zivilen Sicherheitspolitik gelangt.

Wilhelm Neurohr
(18. Februar 2022)