Wilhelm Neurohr

Kommentar (Leserbrief an die taz zum Artikel „Neue Transparenzregeln“ vom 27./28. März 2021)

„Die Pseudo-Korruptionsjäger im Bundestag“

Der politische Sinneswandel im Bundestag zugunsten von Transparenzregeln für Nebentätigkeit von Abgeordneten ist erstaunlich, denn bis dahin hatten alle Bundestagsparteien damit gehadert. Noch 2013 hatte der Bundestag eine Veröffentlichung von Nebeneinkünften der Abgeordneten abgelehnt. Da half auch keine Petition von 51.000 Bürgerinnen und Bürgern zur wirksameren Strafverfolgung von politischer Korruption. Und noch ein halbes Jahr vor der widerwilligen Verabschiedung des wirkungslosen Antikorruptionsgesetzes in 2016 hatten sich laut einer Umfrage von „Abgeordnetenwatch“ 90% der CDU-Abgeordneten, 74% der FDP-Abgeordneten, 30% der grünen und linken Abgeordneten und 27% der SPD-Abgeordneten gegen ein solches Gesetz ausgesprochen. Elf Jahre brauchte deshalb der Bundestag auch zur Ratifizierung einer UN-Konvention gegen Korruption, doch ausgerechnet bei Abgeordneten wird Korruption weiterhin kaum nachweisbar sein.

Noch im Dezember 2020 hatte deshalb der Europarat als führende Menschenrechtsorganisation den Deutschen eine Frist gesetzt: Bis spätestens April 2022 ist dem Europarat vorzulegen, wie sie die verbindlichen Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung endlich umgesetzt haben. Denn bislang geschieht hier nur eine Pseudokorruptionsbekämpfung. Deshalb hatte der Europarat schon in den Vorjahren 2015 bis 2019 der Bundesrepublik stets ein mieses Zeugnis ausgestellt, weil Deutschland nur die Hälfte der Anti-Korruptions-Empfehlungen für Abgeordnete umgesetzt hatte.

Auch das lange geforderte Gesetz zur Bestrafung von Abgeordnetenbestechung ließ (trotz Mahnung des Europarates von 1999, der UNO von 2002 und des Bundesgerichtshofs von 2006) lange auf sich warten: Während 193 UN-Staaten weltweit die Abgeordnetenbestechung längst wirksam unter Strafe gestellt hatten, ließ sich Deutschland nach wiederholten Mahnungen dafür 11 Jahre Zeit bis 2016 und hatte solange keine Antikorruptionsgesetzgebung - neben Staaten wie Nordkorea, Saudi-Arabien, Syrien oder Tschad. International blieb Deutschland deshalb auf einem unbefriedigenden 16. Platz der weltweiten Korruptionsliste von 163 Ländern.

Entgegen allen Sachverständigen-Empfehlungen bei der Anhörung im Bundestag wurde das Gesetz jedoch so gestaltet, dass faktisch kein Abgeordneter wirklich nach § 108 e Strafgesetzbuch strafrechtlich belangt werden kann, anders als jeder korrupte Normalbürger - denn: „Damit würden Parlamentarier an der freien Ausübung ihres Mandates gehindert“ (Zitat FDP-Politiker Patrick Döring) und es habe „noch nie einen Korruptions- und Verdachtsfall seit Bestehen des Bundestage gegeben“, (Zitat Dr. Götze/CSU).

Wilhelm Neurohr, Haltern am See