Die überraschende Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Muslimin Schirin Ebadi aus Teheran in der zweiten Oktoberwoche traf nur im Iran auf gespaltene Reaktionen, während die Weltöffentlichkeit durchweg mit positiver Zustimmung reagierte. Obwohl sie bis dahin in der westlichen Welt eine weitgehend unbekannte Persönlichkeit war und für viele eher der in Friedensmissionen weitgereiste Papst im Vorfeld als Favorit für den Friedensnobelpreis galt, wird das mutige Engagement dieser streitbaren 56-jährigen Rechtsanwältin und Autorin über alle Kulturgrenzen hinweg als vorbildhaft empfunden und die Auszeichnung unbestritten anerkannt.
Die Gründerin eines Kinderhilfswerkes erhielt die Auszeichnung als mutige Kämpferin für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte, insbesondere als engagierte Streiterin für die Rechte der Kinder und der Frauen in der männerdominierten iranischen Gesellschaft mit der problematischen Verflechtung von Staat und Religion. Sie setzt sich für Presse- und Meinungsfreiheit, für einen politischen Reformkurs, für die Freilassung politischer Gefangener und gegen die Todesstrafe sowie gegen Atomwaffen ein und deckte sogar Morde durch den irakischen Geheimdienst auf. Das brachte ihr Gefängnis und Hausarrest sowie Repressalien ein. Sie ließ sich aber durch Drohungen nicht erpressen und setzte sich in einer Zeit der Gewalt stets für Gewaltfreiheit ein.
Schirin Ebadi hält die Geringschätzung und Diskriminierung von Frauen für nicht vereinbar mit den islamischen Grundsätzen. Die Frauen im Iran müssen nicht nur Umhang und Kopfbedeckung tragen, sondern sie haben auch kein geregeltes Sorgerecht für ihre Kinder und dürfen ohne Erlaubnis ihres Mannes nicht das Land verlassen, auf dem Land nicht einmal das Haus. Nur den Männern wird ein Scheidungsrecht zugestanden und den Frauen nur geringfügige Alimente ohne Unterhaltsanspruch. In dieser Umgebung der äußeren Zwänge hat sich die Friedensnobelpreisträgerin ihre innere Freiheit aus der Kraft des eigenen Denkens und Mitfühlens sowie individuellen Urteilens erkämpft und bewahrt. Mit leidenschaftlichem Willen unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile und Bedrohungen hat sie gegen alle Widerstände und Hindernisse, die sich der Freiheit und Gerechtigkeit entgegenstellten, aus ethischem Individualismus weltzugewandt gehandelt. Seit zwanzig Jahren wiederholt sie unablässig, dass der Islam und die Menschenrechte nicht den geringsten Widerspruch darstellen. Wer terroristische oder mörderische Akte im Namen des Islam begehe, sei ebenso wenig Muslim wie ein mordender Christ durch das Christentum zum Mörder gemacht werde.
Die Muslimin hält die Geringschätzung und Diskriminierung von Frauen für nicht vereinbar mit den islamischen Grundsätzen, denn am wichtigsten sei nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man habe, sondern dass man an die Menschenrechte glaube. Schirin Ebadi argumentiert dabei nicht ideologisch und betrachtet die Religion als eine Angelegenheit der Individuen, nicht des Staates. Für sie stand fest, dass sie bei der Verleihung des Nobelpreises in Oslo kein Kopftuch trägt, auch wenn so die Fernsehübertragung in ihrem Land gefährdet sei. Wo sie die Wahl habe, entscheide sie sich, das Tuch nicht zu tragen. Im Iran trägt die Frauenrechtlerin hingegen ein Tuch, denn sie respektiert nach eigenen Worten die Gesetze und glaubt, dass die Demokratie dort eine Chance hat. Was das Kopftuch als Zeichen der Unterwerfung betreffe, hielten sich in Wirklichkeit die verschleierten Frauen für viel stärker als die Männer.
Interessanterweise fiel der Zeitpunkt der Preisverleihung mitten in die Auseinandersetzungen um das Kopftuch einer muslimischen Lehrerin in Deutschland (siehe auch Goetheanum Nr. 42/2003), die bisweilen die Züge eines Kulturkampfes annahmen, indem über äußere Symbole Rückschlüsse auf innere Gesinnungen der Kopftuchträgerinnen gezogen werden. Hier überraschte Schirin Ebadi mit ihrer unkonventionellen und weltoffenen Haltung, die zu einer unbefangenen und unvoreingenommen Gesprächsbereitschaft mit Menschen anderer Religionen, Kulturen und Weltanschauungen geradezu auffordert. Denn auch unter einem Kopftuch verbirgt sich eine individuelle Persönlichkeit. „Wer das Tuch aus rein persönlichen Gründen trägt, also nicht missionieren will, sollte das dürfen; genau wie man das Recht haben sollte, mit Hut spazieren zu gehen oder nackt“, so äußerte sich Schiri Ebadi.
Die allgemeinen Menschenrechte als menschheitsverbindendes Band - das ist die Orientierung und Botschaft von Schirin Ebadi als wahre Weltbürgerin und lichtvolle Hoffnungsträgerin für alle diejenigen Menschen die sich – ob von außen oder von innen selber unterdrückt – mit dem Erringen der Freiheit des Denkens ebenfalls ihre eigene Urteilskraft in der verformten Medienwelt bewahren wollen, um sich aus dieser Würde des freien Denkens dann erkenntnisgemäß und angstfrei zum Handeln aufzuschwingen und selber sein Leben nach den Erkenntnissen so einzurichten. Schirin Ebadi spricht aber wenig von sich und ihrem Leben, sondern stellt sich mit ihrem Lebenswerk ganz in den Dienst der menschheitlichen Sache, was sicherlich nicht von allen politischen Verantwortungsträgern in dieser Zeit behauptet werden kann.
Ob sich jetzt durch die Friedensnobelpreisverleihung ihr Leben verändern werde, wurde Schirin Ebadi in einem Interview gefragt. Ihre bescheidene und realitätsbezogene Antwort: An ihrer Arbeit werde der Friedensnobelpreis gar nichts ändern; sie werde im Iran weitermache wie bisher. Aber sie werde sich jetzt beweisen müssen, dass sie diesen Preis wirklich verdiene. Die iranische Politik sei nicht flexibel genug, sich wegen eines Preises zu ändern. Aber er werde allen Verteidigern der Menschenrechte in ihrem land Mut machen. Wenn sich das Wissen und die Bildung verbessere und die Frauen begreifen, dass nicht die islamische Religion gegen sie sei, sondern die patriarchalische Gesellschaft, welche die Religion gegen die Frauen benutzt, dann seit endlich die Gleichberechtigung im Islam möglich. Am meisten berührt habe sie die Reaktion vieler Iraner auf die Preisverleihung, die vor Freude geweint hatten. Das Preisgeld werde sie größtenteils für ihr Kinderhilfswerk und für den Kampf für die Menschenrechte ausgeben.