Wilhelm Neurohr

Der folgende Beitrag enthält die Auswertung und Bewertung des Teiles C der Erhebung 2008/2009 „Stand des Klimaschutzes und der energetischen Nutzung von Biomasse in den Kreisen Nordrhein-Westfalens“ der AG Agenda 21 des LKT-NRW. Teil C betrachtet speziell die Landwirtschaft und die Abfallwirtschaft als Quellen für die energetische Nutzung der dort anfallenden vergärungsfähigen Biomasse.

Die Nutzung vergärungsfähiger Biomasse in den Kreisen

Von Wilhelm Neurohr, Agenda 21-Beauftragter im Kreis Recklinghausen

Über die Höhe des Bioenergiepotentials (Holz und vergärungsfähige Stoffe) in Deutschland gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Prof. Kaltschmitt geht in einem Vortrag für die Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe (FNR) von ca. 1.200 bis 1.300 PJ aus. Das entspricht etwa 8 Prozent des derzeitigen deutschen Primärenergiebedarfs. Der Anteil am Endenergiebedarf, der für den Verbraucher relevant ist, könnte perspektivisch bei der Bruttostromerzeugung Deutschlands 15 und 25 Prozent ausmachen oder beim Wärmebedarf sogar zwischen 35 und 45 Prozent. Im Jahre 2008 wurden von allen erneuerbaren Energien zusammen 92 TWh Strom produziert, ca. 15,2 Prozent des deutschen Verbrauchs. Für die Vergärung geeignet wären bundesweit ca. 220 Mio. t /a landwirtschaftliche Nebenprodukte, Abfallstoffe, Tierexkremente sowie Bioabfälle und ca. 20 bis 30 Mio. t/a Energiepflanzen. In den letzten Jahren hat sich gerade im landwirtschaftlichen Bereich einiges getan. 4.100 zumeist bäuerliche Biogasanlagen mit einer Gesamtleistung von 1.435 MW produzierten im Jahre 2008 bundesweit 9,2 Milliarden kWh Strom. Damit konnten 57 Mio. t CO2 vermieden und ca. 10.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Jedoch liegen große Biomassepotenziale z.B. in der Abfallwirtschaft immer noch energetisch brach. Durch die erfolgreiche Weiterentwicklung der Vergärungstechnologie in Richtung Trockenvergärung bahnt sich hier eine Trendwende an. Neue Perspektiven für die kommunalen Bioabfallströme tun sich auf.

Potenzialabschätzung, landwirtschaftliche Flächen, Nutztierbestände

Die überwiegende Anzahl der Kreise NRWs (84 %) hat bislang keine Anstrengungen unternommen, die energetischen Potenziale vergärungsfähiger Biomasse abzuschätzen. Umso erstaunlicher ist es, dass für drei Kreise bereits Abschätzungen vorliegen und für zwei weitere Kreise diesbezügliche Gutachten derzeit erstellt werden. Die Ergebnisse der wenigen mitgeteilten Potenzialabschätzungen lassen in ihrer Höhe und ihrer Spannbreite keine Aussagen über die Validität zu. Es bleibt abzuwarten, dass künftige Untersuchungen plausiblere Daten liefern. Erkennbar ist, dass sich gegenüber den Potenzialen der holzartigen Biomasse die Datenlage generell schlechter darstellt. Besser bestellt ist die Datenlage bei den Kreisen zu den landwirtschaftlichen Nutzflächen. Immerhin besteht das Industrieland NRW noch zu 52,6 Prozent aus landwirtschaftlich genutzter Fläche, die sich allerdings zwischen eher ländlich und eher städtischen Kreisen unterschiedlich verteilt. Zudem verhält sich der Waldanteil zum Anteil landwirtschaftlicher Fläche meist komplementär. Vom Kreis Siegen-Wittgenstein mit knapp 19 Prozent landwirtschaftlicher Fläche reicht die Spannbreite bis zum Kreis Coesfeld mit ca. 70 Prozent (Abb. 1). Zu den Nutzungsarten der landwirtschaftlichen Flächen machen rund zwei Drittel der Kreise Angaben, die sich auf 5.490km2 Ackerland und 2.160 km2 Grünland belaufen. Knapp 100km2 Stilllegungsflächen werden mitgeteilt, auf denen sich potenziell – ohne die Nahrungsmittelproduktion zu beeinträchtigen – nachwachsende Rohstoffe anbauen lassen. Die Nutztierbestände sind für die Fragestellung vergärungsfähiger Biomasse insofern interessant, da die anfallenden Gülle- und Mistmengen schon lange ein wasserwirtschaftliches Problem der intensiven Viehwirtschaft darstellen. Die Flächen zur ökologisch unbedenklichen landwirtschaftlichen Verwertung dieser Stoffströme reichen in einigen Regionen intensivster Tierhaltung wie dem nördlichen Münsterland schon lange nicht mehr aus. Die Vergärung dieser Stof-

Abb. 1: Anteil und Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche in den Kreisen NRWs (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2008, Karte: Dr. Waldapfel/ Kreis Mettmann)

Abb. 1: Anteil und Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche in den Kreisen NRWs (Quelle: Statistisches Jahrbuch 2008, Karte: Dr. Waldapfel/ Kreis Mettmann)

fe kann hier zur Lösung des Problems beitragen. Zwei Drittel der befragten Kreise machen Angaben zu ihren Nutztierbeständen, die sich saldiert auf 890.000 Rinder, 4.235.000 Schweine, 59.400 Pferde sowie 5,5 Mio. Geflügel belaufen. Das Aufkommen an Gülle und Mist aus diesen Beständen ist nur vier Kreisen bekannt. 27 Kreise machen hingegen keine Angaben oder verfügen nicht über entsprechende Daten. Da die mitgeteilten Mengen von einer zu kleinen Gruppe stammen, kann auf das Gesamtaufkommen dieser Stoffströme in den Kreisen nicht geschlossen werden. Erkennbar ist jedoch, dass Rinder- und Schweinegülle mengenmäßig im Vordergrund stehen.

Nachwachsende Rohstoffe und biogene Reststoffe

Nur neun Kreisen sind Daten über die mit Energiegetreide (Mais, Triticale, Energieweizen, u.a.) belegten Flächen bekannt. Nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) werden bei Vergärung und Verstromung dieser als NawaRos (nachwachsende Rohstoffe) bezeichneten Pflanzen erhöhte Einspeisevergütungen gezahlt. Von den neun Kreisen wurden zusammen 31.460 ha NawaRo-Flächen angegeben. Nur zwei Kreise haben das energetische Äquivalent dazu ermittelt. Pflanzliche Reststoffe aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie, die für Biogasanlagen geeignet sind, geben nur drei Kreise an. Wesentlich besser ist die Informationslage bei den organischen Abfällen, die getrennt über die Biotonne bzw. die Grünschnittabfuhr erfasst werden. 18 Kreise machen hier Angaben, obwohl allen Kreisen diese Zahlen vorliegen, da sie öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger (örE) für diese Abfallströme sind. Der Landesabfallbilanz NRW für das Jahr 2007 sind flächendeckende Zahlen zu entnehmen. Demzufolge wurden 983.172 t Bioabfall und 435.358 t Grünabfall im Jahre 2007 in den Kreisen gesammelt. Hohe Biotonnenerfassungsquoten bei gleichzeitig hohen Grünschnittmengen schließen sich im Übrigen nicht aus, wie beispielsweise die Kreise Borken und Recklinghausen eindrucksvoll belegen. Die sehr ungleiche Verteilung über die Kreise lässt ahnen, dass hier noch hohe Potenziale zu mobilisieren sind, die bislang entweder gar nicht erfasst werden oder über die Restmülltonne in der Verbrennung landen (Abb. 2). Um anschaulich den erzielbaren energetischen Ertrag aus dem jetzt schon durch die Kreise erfassten Bioabfall darzustellen, kann folgende Kalkulation aufgestellt werden. Jedes eingesammelte Kilogramm Bioabfall wird nach einer Faustregel mit einem – mit Biomethan betriebenen Erdgasfahrzeug – zurückgelegten Fahrzeugkilometer gleichgesetzt. Mithin könnten mit 1.418.530 t/ Jahr Grün- und Bioabfall rund 1,4 Milliarden Kfz-km/Jahr zurückgelegt werden. Das entspricht immerhin 1,65 Prozent der au ßerörtlichen Fahrleistung in ganz Nordrhein-Westfalen, die damit CO2-neutral abzuwickeln wäre.

Biogasanlagen

Die Kreise verfügen nur zum Teil über die Daten von bestehenden Biogasanlagen. Eine nahezu vollständige Übersicht bietet jedoch die von der Landwirtschaftskammer NRW in Haus Düsse geführte Betreiberdatenbank. Demnach waren 2008 landesweit 280 zumeist landwirtschaftliche Biogasanlagen mit einer Gesamtleistung von 105 MW in Betrieb (Abb. 3). Anlagenbeispiele für Biogasanlagen existieren zahlreich und in jedem Kreis, vereinzelt auch solche, die kommunale Gebäude mit Energie versorgen, wie beispielsweise im Kreis Steinfurt. Eine von einem Landwirte-Konsortium betriebene Biogasanlage in ca. 4 km Entfernung von der Kreisverwaltung erzeugt Biogas, das über eine Rohrleitung zum Kreishaus geleitet wird. Dort wird es verstromt und mit einem besonderen EEG-Bonus vergütet, weil auch die anfallende Abwärme für Heizzwecke der Gebäude eingesetzt wird. In der Summe ergibt sich ein wirtschaftlich und thermodynamisch optimiertes Konzept, das einen hohen Energienutzungsgrad aufweist. Eine weitere große Biogasanlage betreiben die Dorstener Firma Odas (Kreis Recklinghausen) und die Stadtwerke Lünen (Kreis Unna) als kreisübergreifendes Kooperationsprojekt auf einem 12.000 qm großen Grundstück am Stadthafen Lünen. Die auf 2 MW elektrische Leistung ausgelegte Anlage versorgt umgerechnet ca. 4.500 Einfamilienhäusern mit Biostrom. Mit einer Investitionssumme von 10 Mio. Euro kann zugleich 14 Mitarbeitern ein Arbeitsplatz geboten und eine CO2-Einsparung von 13.000 t/Jahr erzielt werden. Bioabfall, Gülle, Klärschlamm und Pflanzen werden in dicht verschlossenen Behältern bei 37 bis 55 Grad Celsius vergoren und in Biogas und Gärrest umgesetzt. Die Anlage benötigt täglich ca. 100 t an Substraten. Dafür bieten 14 landwirtschaftliche Betriebe aus der Stadt Dorsten die komplette Gülleverarbeitung an (vom 379 Schwerpunkt:: Klliimaschutz durch Biiomassenutzung und erneuerbare Energien

Abb. 2: Erfasste Jahresmengen an Bioabfall und Grünabfall in den Kreisen NRWs (Quelle: MUNLV, Landesabfallstatistik NRW 2007)

Abb. 2: Erfasste Jahresmengen an Bioabfall und Grünabfall in den Kreisen NRWs (Quelle: MUNLV, Landesabfallstatistik NRW 2007)

Transport über die Ausbringung bis zur Verwertung). Lieferverträge mit den Landwirten geben vor, dass sie auskompostierte Gärreste aus der Biogasanlage abnehmen, denn dieses Restprodukt ist ein wertvoller landwirtschaftlicher Dünger. Geplant sind ein eigenes Leitungsnetz sowie zehn Blockheizkraftwerke im Stadtgebiet von Lünen in direkter örtlicher Nachbarschaft zu Schulen und Sporthallen etc. für eine Wärmeversorgung auf kurzen Wegen.

Fazit

Nordrhein-Westfalen weist gegenüber anderen Bundesländern noch einen Rückstand bei den Biogasanlagen mit nur 7 Prozent am Gesamtbestand Deutschlands auf. Die Biomassepotenziale der hiesigen Landwirtschaft sind jedoch geringer als in den stärker agrarisch strukturierten Bundesländern. Weniger intensiv als bei der holzartigen Biomasse engagieren sich die Kreise bislang in diesem Bereich, wobei einige Kreise insbesondere im Münsterland als Vorbild für andere vorangehen. Den meisten Kreisen sind die Energiepotenziale nicht bekannt. Neben der Sicherung landwirtschaftlicher Arbeitsplätze birgt die energetisch genutzte Biomasse auch ein großes regionales Wertschöpfungspotenzial. Im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen wird über die Bioabfall- und Grünschnittsammlung ein beträchtliches Biomassepotenzial erfasst. Die Erfassungsquote ist noch bedeutend steigerungsfähig. Die Bioabfälle werden derzeit nur in wenigen Vergärungsanlagen ener getisch genutzt. Hier liegt eine große klimapolitische Aufgabe für die nächsten Jahre.

EILDIENST LKT NRW Nr. 9/September 2009 61.16.19