Vortrag in der VHS Recklinghausen am 12. Februar 2004
Noch vor wenigen Jahren wäre beim Thema des heutigen Abends die Frage gestellt worden: Was haben wir hier auf der kommunalen Ebene in Recklinghausen eigentlich mit der Globalisierung zu tun und mit dem internationalen Standortwettbewerb?
Das ist doch nicht der Betrachtungsmaßstab der Kommunalpolitik, sondern eher der Wirtschafts- und Außenpolitik.
Und sind nicht unsere Städte in Deutschland sowieso angesichts der relativ guten Ausstattung und Startbedingungen eigentlich die geborenen Gewinner, die sich gar nicht vorstellen können, gegenüber den Städten in ärmeren Staaten Europas oder gar auf der südlichen Erdhalbkugel mit ihren Slums und Armutsvierteln überhaupt jemals ins Hintertreffen zu geraten?
Bedarf es überhaupt eines solchen Vergleiches und einer Wettbewerbsorientierung, wie es uns aus der globalen Wirtschaftsleben heraus suggeriert wird?
Entzieht sich nicht die kommunale Ebene einer globalen Betrachtung, weil allenfalls die Städte und Regionen innerhalb von Deutschland untereinander konkurrieren
- als der jeweils bessere Standort für Betriebsansiedlungen mit den günstigsten Gewebesteuer-Hebesätzen und den meisten Ansiedlungsflächen,
- als die Stadt mit dem besseren Wohn- und Freizeitwert –
- oder bei dem Gezerre um die abwandernde Bevölkerung und die höchstmögliche Bevölkerungszahl – in Wirklichkeit ein Nullsummenspiel,
- oder bei dem Wettstreit um die bessere Anbindung an den Fernverkehr, die ja in Recklinghausen, die ja gerade erneut verschlechtert wird,
- vielleicht auch noch bei dem Gezerre um Fördermittel und Finanzzuweisungen für Recklinghausen von der staatlichen Ebene.
Insoweit gab es also bisher schon immer ein Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken bei den Kommunen, aber in überschaubarem Maßstab.
Denn allenfalls standen wir mit anderen Städten und Regionen der Nachbarschaft in einem gewissen Konkurrenzkampf, mit dem Bonus der unschlagbaren Kreisstadt, während auf einer ganz anderen Ebene globale Politik betrieben wurde.
Die neue Dimension des Konkurrenz- und Wettbewerbsdenkens für die kommunale Ebene und dessen Auswirkungen
Das änderte sich ein wenig mit den zentralistischen Zuständigkeiten der EU-Bürokratie für die Vergabe von Fördermitteln der EU. Fortan wurde von europäischer Ebene direkt auf die Entwicklung in den Regionen und Städten über Förderprogramme steuernd und lenkend Einfluss genommen wird. Heute ist es zukunftsbestimmend für Recklinghausen, ob es z.B. in das Ziel-2-Programm der EU aufgenommen wird oder nicht, und dabei konkurrieren wir mit Regionen in fernen Ländern Europas.
Auch die Ausschreibung und Vergabe größerer öffentlicher Aufträge muss längst europaweit, demnächst sogar weltweit erfolgen, so dass die heimische Wirtschaft in Recklinghausen immer öfter das Nachsehen hat.
Die Betrachtungsmaßstäbe und Aktionsräume haben sich folglich erweitet. Doch längst nicht für alle Menschen in der Stadt ist es selbstverständlich, den Blick noch mehr zu erweitern auf die ganze Welt .
Der Slogan „Global denken, lokal handeln“ gerät aber allmählich ins Bewusstsein, insbesondere auch anlässlich der globalen Umweltkatastrophen, nicht zuletzt der Klimakatastrophe. Diese ist sogar in Recklinghausen spürbar mit einer Zunahme an Stürmen und Orkanen, die unsere Bäume entwurzelt, oder auch mit dem Jahrhundertsommer im letzten Jahr, mit der die Frage nach der gesicherten Wasserversorgung in der Region auftauchte.
Diese Ereignisse haben verdeutlicht, dass die Städte und Regionen, die einzelnen Lebensräume, wechselseitig voneinander abhängig sind, weil die ganze Erde ein verzweigter, lebendiger Organismus ist. Die Erkenntnis ist nicht neu, wohl aber die jetzt damit eintretende Alltagserfahrung.
Beispielsweise der anhaltende und zunehmende Flächenverbrauch trotz abnehmender Bevölkerung hier in unseren Industriestädten, besonders auch in Recklinghausen, trägt zum weltweiten Trend der Versiegelung und Naturzerstörung sowie Klimaveränderung kräftig mit bei – alles andere als nachhaltige Zukunftsentwicklung. Die dadurch verminderte Umwelt- und Lebensqualität in unserer Stadt zugunsten der Wirtschaft oder der Baubranche erweist sich am Ende nicht als wirtschaftlicher Standortvorteil, sondern in der Gesamtbilanz als gravierender Standortnachteil.
Das örtliche soziale Handeln in Recklinghausen und anderswo sowie dessen globale Folgen auf die Umwelt stehen in enger Wechselwirkung – das spüren wir als Verbraucher oder Händler in dieser Stadt, als Arbeitnehmer beim Lohndumping oder durch das Abwandern von Unternehmen oder Arbeitsplätzen und Bevölkerung, aber auch bei der Zuwanderung von Arbeitssuchenden aus aller Welt, die zum Zusammenprall der Kulturen führen – und zwar nicht irgendwo auf dem Globus, sondern hier in unseren Stadtteilen.
Diese globalen Zusammenhänge gelten also nicht nur für die Ökologie, sondern gerade auch in wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen ist die ganze Welt und die Menschheit ein voneinander abhängiger und aufeinander angewiesener lebendiger Organismus, ein soziales Gesamtgefüge.
Der Vorteil des einen wird zum Nachteil des anderen, wenn kein ausgewogener Ausgleich erfolgt. Wir werden nicht eher soziale Bürger dieser Stadt, bevor wir nicht in unserem Bewusstsein Weltbürger geworden sind.
Spätestens die Verselbständigung der internationalen Finanzmärkte und die Abhängigkeit aller Staaten und Kommunen von deren Finanzgebaren haben uns die Augen geöffnet, allerdings nicht weit genug.
Viele sind noch schlafend für das, was sich daraus entwickelt, bis hinunter in die einzelnen finanzschwachen Städte und Gemeinden. Denen hat der Finanzminister 40 Mrd. € Steuereinnahmen und damit die Existenzgrundlage entzogen, um dadurch den Konzernen eine Steueroase zu bereiten – und damit einen vermeintlichen Wettbewerbsvorteil im globalen Konkurrenzkampf.
In Wirklichkeit gerät das zum Nachteil für Staat und Kommunen und die gesamte Bevölkerung, wie ich gleich noch anhand von Zahlen verdeutlichen werde.
Es hat den Anschein, als stünden wir kurz vor der Auflösung von Staat und Gemeinden. Die Städte sind in Not, wie wir gerade auch in Recklinghausen erleben.
Viele Politiker folgen neuerdings lieber der Logik dieser Finanzwelt, besser gesagt, deren eigennütziger Interessenspolitik und Ideologie – als dem öffentlichen Interesse, indem sie privatwirtschaftliches und öffentliches Interesse einfach gleich setzen. Deshalb fällt es ihnen auch nicht schwer, in ihren kurzsichtigen Denkkategorien, quer durch alle Parteien, die Privatisierung öffentlicher und kommunaler Dienstleistungen tabulos voranzutreiben. Dies würde indirekt der Allgemeinheit zugute kommen, wird behauptet.
Kritiker nennen es auch den Terror der Ökonomie, der nun auch die kommunale Eben nachteilig ergriffen hat und zum Ausverkauf der Städte und Gemeinden führt, über die wir noch mit Blick auf Recklinghausen sprechen.
Da brechen plötzlich von allen Seiten Ereignisse über unsere Stadt und unsere örtliche Lebensgemeinschaft herein, die es seit dem Wiederaufbau noch nie gegeben hat.
Und im begonnenen Kommunalwahlkampf versuchen unsere Kommunalpolitiker uns einzureden, das seien Probleme, die größtenteils hausgemacht wären und mit ideenreichen Kommunalwahlprogrammen, die in Wirklichkeit alter Wein in neuen Schläuchen sind, auch allein vor Ort wieder lösbar seien. Das ist sicher nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit in Zeiten der Globalisierung.
Wir dürfen überdies nicht vergessen, dass die Parteien Relikte aus dem 19. und 20. Jahrhundert sind, aber das 21. Jahrhundert einer Weiterentwicklung der Demokratie durch die aktive Bürgergesellschaft bedarf. Die Parteien werden demnächst nur noch ein Randdasein führen, also nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens stehen, in dem sie sich so gerne sehen.
„Eine Veränderung hin zu einer anderen Welt findet durch die Menschen vor Ort statt oder sie findet gar nicht statt“
Eine Veränderung hin zu einer besseren Welt findet zweifellos entweder durch die Menschen vor Ort hier in Recklinghausen statt oder sie findet gar nicht statt, aber die Menschen müssen dabei die ganze Welt im Blick haben und nicht nur ihre eigenen Interessen, wenn sie alle überleben wollen, auch im Sozialen. Und sie müssen sich von bestimmten Ideologien verabschieden, um dasjenige anzugehen, was in einer aktiven Bürgergesellschaft oder Bürgerkommune als wirkliche Reformen bezeichnet werden können, die den Namen auch verdienen, weil sie uns aufwärts führen und nicht abwärts.
Eine dieser abwärts führenden Ideologien ist die, zu sagen: In der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen liege das Heil und die Erlösung für die armen Städte.
Vor einigen Wochen – auf der Bilanz- und Perspektivkonferenz der lokalen Agenda 21 in NRW in Bonn – kündigte ein Vertreter des Club of Rom ein neues Buch an. Sie kennen alle den Bestseller : “Die Grenzen des Wachstums“. Ihm folgt nun das Buch „Die Grenzen der Privatisierung“.
Doch aus den Köpfen ist weder der Wachstumswahn noch der Privatisierungswahn auszutreiben. In Recklinghausen und anderswo glaubt man immer noch, dass z.B. abnehmendes Bevölkerungswachstum in hochverdichteten Ballungsräumen etwas Negatives sei, dem man mit noch mehr Flächenausweisungen gegensteuern möchte.
In Wirklichkeit wäre der Rückbau unserer Städte im Ruhrgebiet eine Riesenchance für die Umwelt, für die Wohn- und Lebensqualität und den Freizeitwert – aber auch zur Entlastung des Arbeitsmarktes, des Wohnungsmarktes, des Verkehrsaufkommens und der Infrastrukturkosten. Unter dem Strich ein Wettbewerbs- und Standortvorteil, den man nicht erkennen will.
Das hat ganz viel mit der Psychologie von Kommunalpolitikern und Bürgermeistern zu tun, die glauben, eine schrumpfende Stadt bedeutende einen Macht- und Potenzverlust. Doch auch hier gilt der Spruch : „Weniger kann mehr sein“ oder: „Qualität geht vor Quantität“.
Doch zu tief sitzen die Ängste aus dem Märchen vom kleinen Prinzen: Ein König ohne Königreich möchte niemand sein.
In Wirklichkeit leben längst 65% der Menschen auf dem Globus in riesigen Megastädten und stetig wachsenden Ballungsräumen mit ausufernden Metropolen zwischen 10 und 30 Millionen Einwohnern auf engstem Raum. Dagegen ist Recklinghausen ein Dorf und das Ruhrgebiet eine Kleinstadt im Vergleich mit den Megastädten, mit all deren Versorgungsproblemen und Zerfallserscheinungen – keine Vorbilder für uns.
Fast 2 von 3 Weltbürgern leben demnächst im Zuge der Armutswanderung in großen Städten mit hoher Kriminalitätsrate, in deren Elendsvierteln und Slums der eigentliche Zusammenprall der Kulturen stattfindet und der alltägliche Kampf ums Dasein. Dort konzentrieren sich die Verlierer der Globalisierung.
Die Grenze zwischen arm und reich verläuft also nicht mehr zwischen Staaten oder Kontinenten, zwischen Gemeinde- und Stadtgrenzen, sondern mitten durch die Bevölkerung. Die Globalisierung hat den Daseinskampf der Menschen untereinander in unseren Städten erreicht, die nach der Privatisierung der Sozialsysteme um das eigene Überleben kämpfen müssen.
Und die Armutswanderung führt sie in die großen Städte.
Mit diesen Metropolen der Welt nun auf einer Stufe zu konkurrieren, ist neuerdings auch der Traum einiger Kommunalpolitiker aus dem Ruhrgebiet und aus Recklinghausen, die der Ruhrstadt als Weltmetropole das Wort reden im Zeichen der Globalisierung.
Der Vorteil des Ruhrgebietes war aber immer die Einheit in der Vielfalt. Also die kleinteiligen dezentralen Strukturen mit den örtlichen Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten auf die Politik und mit der Individualität der Stadtteile.
Zentralistische Strukturen mit einem Ruhrgebietsbürgermeister wären kein Gewinn, sondern ein Verlust für die Ruhrgebietsbevölkerung und ein Verlust für Recklinghausen, bei allem Lokalpatriotismus für unser Ruhrgebiet.
Denn erst die Nähe und Überschaubarkeit sozialer Beziehungen schafft Raum für Verantwortlichkeit. Hier vor Ort individualisiert sich die globale Verantwortung. Hier spiegeln sich sozusagen alle Probleme und Konflikte der globalen Welt in kleinem Maßstab. Umgekehrt hat hier unser kleinteiliges Handeln Auswirkungen auf die ganze Welt. Wir stehen also der notwendigen Globalisierung nicht ohnmächtig gegenüber, sondern sie ist nach menschlichem Maß gestaltbar
Hilfreich wäre deshalb ein weltweites, solidarisches Städtenetzwerk, wie es die lokale Agenda 21 rund um den Globus unter der Zielsetzung der nachhaltigen Kommunalentwicklung geknüpft hat. Aber auch innerhalb unserer Stadt bedarf es einer nachhaltigen Umorientierung, wie sie zum Beispiel im Leitbild der Lokalen Agenda 21 für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt aufgezeigt ist und dort nachzulesen ist.
Im letzten Teil des Vortrages werde ich stichwortartig einige weitere Ideen skizzieren, welche Schritte und Maßnahmen für unser städtisches Leben zukunftstauglich wären.
Denn mittlerweile dürfte deutlich geworden sein:
Keine Stadt oder Menschengruppe ist für sich allein lebensfähig – eigentlich eine Binsenweisheit, die aber in der alltäglichen Kommunalpolitik vor Ort verdrängt wird, indem man sich dem egoistischen Wettbewerbsgedanken um die eigenen Vorteile für die Heimatstadt anschließt - sofern nicht schon die Nachteile dadurch überwiegen.
Mit diesem Kampf um die eigenen Interessen wähnt man sich jedoch auf der Gewinnerstraße, solange es nur immer die anderen sind, die dabei verlieren – oder solange es anderen noch schlechter geht.
Wir haben zwar eine Ahnung und einen Vorgeschmack, dass wir mal selber in die Verliererzone rutschen könnten, aber solange verdrängen wir das einfach. Wir übersehen nämlich folgendes: Am Ende verlieren wir alle!
Das gilt für die Kommunalpolitik wie für die Landes- und Bundespolitik, wo der Abbau sozialer Leistungen und Errungenschaften mit der trügerischen Hoffnung auf eine bessere Zukunft ideologisch verknüpft wird, die aus einem schwachen Staat mit schwachen Gemeinden angeblich erwachsen soll, mit dadurch geschwächten Bürgern und geschwächter Demokratie.
Verzicht auf rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten und Einflussnahme: „Lokalpolitiker tappen in die kommunale Globalisierungsfalle“
Inzwischen werden örtliche Lebensräume und Lebensgemeinschaften zu bloßen Standorten degradiert, die sich um des Überlebens willen dem verschärften Standortkonkurrenzkampf zu stellen hätten – und vor allen Dingen einzuschränken hätten bei den Ansprüchen der örtlichen Daseinsvorsorge.
Wer in den letzten Monaten sehr aufmerksam die Zeitung gelesen hat, der müsste sich eigentlich ernste Sorgen machen um die Zukunft unserer Stadt und Region, um die Zukunft unseres Lebensraumes – aber auch um die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung.
Denn etliche Lokalpolitiker tappen in die kommunale Globalisierungsfalle:
Der marktwirtschaftliche Egoismus und Eigennutz sorge auch in den Städten und Gemeinden quasi automatisch für den gerechten sozialen Ausgleich, damit keiner zu kurz komme, so wollen uns die neoliberalen Politiker aller Parteien anlässlich der Beerdigung des Sozialstaates und der sozialen Marktwirtschaft neuerdings weismachen - und sich deshalb kampfesmutig für den Wettbewerb fit machen: Gegeneinander statt Miteinander.
Wettbewerb und Standortkonkurrenzkampf auf allen Ebenen, Jeder gegen jeden – eine Art Wirtschaftskrieg mit Zügen einer Wirtschaftsdiktatur .
Sogar die örtliche Stadt- und Kreissparkasse in Recklinghausen mussten fusionieren, weil sie gezwungen sind, plötzlich mit Privatbanken nach gleichen Prinzipien zu konkurrieren und ihren sozialen Gründungsauftrag als öffentlich-rechtliche Einrichtung zu vergessen.
Alle sind sie Getriebene dieser vermeintlichen „Sachzwänge“ auch in unserer Stadt.
Es war aber nicht der Mangel an Wettbewerb oder unternehmerischer Gesinnung , der unsere Stadt auf die Verliererschiene gedrückt hat, wie ich gleich noch darlege. Sondern es war und ist genau die Verstärkung und Vereinseitigung dieses neoliberalen Denkens, das die Probleme verursacht hat und eher verschlimmert als löst. Da die führenden Politiker selber in ihrer persönlichen materiellen Situation auf der Gewinnerseite stehe und bei ihrer sozialen Absicherung keinerlei Abstieg befürchten müssen, sind sie natürlich Anhänger des neoliberalen Denkens geworden.
Man sollte nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Absurderweise will man mit den selben ungeeigneten Denkweisen und Rezepten, welche die Probleme herbeigeführt und verursacht haben, die Probleme auch wieder zu lösen versuchen lösen – nämlich mit einem verschärften Wettbewerbsdenken und Konkurrenzkampf – für den man sich fit machen möchte, wie es neuerdings auch in der Kommunalpolitik so schön heißt.
Die Ausgangsbedingungen für die Siegeszuversicht sind in Recklinghausen jedoch denkbar schlecht und es fehlen in Gänze halbwegs faire Spielregeln für diesen Männersport mit unternehmerischen Phrasen, dem neuerdings auch eine weibliche Bürgermeister-Kandidatin mit ihrer etwas technokratisch anmutenden Management-Sprache in ihrem Internet-Auftritt frönt. Eine Aufbruchstimmung in der Bevölkerung erzeugt das kaum.
Es ist dieser Globalisierungswettbewerb auch wohl kaum eine sportliche Herausforderung, in der Hoffnung, in jedem Falle am Ende zu den Gewinnern zu gehören und zu verdrängen, dass man vielleicht auch schon beim Start zu den Verlierern gehört, wie unsere Stadt oder Region.
Diese startet schon von den ungünstigen Ausgangsbedingungen her in einen ziemlich aussichtslosen Wettkampf, statt sich dem zu widersetzen und gegen den Strom und Zeitgeist zu schwimmen, um ganz neue eigene Wege zu erproben, die nachhaltig und zukunftstauglich sind und dann vielleicht Nachahmer finden.
Warum nicht einmal Recklinghausen als Trendsetter für eine Umkehr zur Vernunft mit bundesweiter Beachtung, anstatt allen anderen nervös hinterher zu hecheln?
Dazu gehört es auch, zu hinterfragen ob nicht der praktizierte großzügige Verzicht der Politik auf demokratische Einflussnahme und Rechtsetzungen zugunsten der dominanten Wirtschaft und der entfesselten Finanzmärkte wieder korrigiert werden muss, indem wieder rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt werden. Denn das Demokratieprinzip steht über dem Ökonomieprinzip, wenn wir nicht in eine Art Wirtschaftsdiktatur abrutschen wollen, bei der die Wirtschaft die Rechtsvorgaben für die willfährige Politik macht.
Auch die staatliche Gerichtsbarkeit wird verhöhnt, z.B. von den Managern der Deutschen Bank, Ackermann und Esser, die gerade in ihrem Prozess ihre Millionenabfindungen für untadelig halten. Das Unrechts- und Rechtsempfinden gerät immer mehr unter die Räder.
Auch in Recklinghausen bestimmen z.B. immer weniger die Stadtplaner und immer mehr die Investoren die städtebaulichen Nutzungen, Entwicklungen und Standorte nach zufälligen Grundbesitzverhältnissen, denen dann das Planungsrecht nur noch Folge leistet. Statt Bebauungspläne sind es die Vorhaben- und Erschließungspläne der Investoren nach ihrer eigenen Interessenlage, die mit dem öffentlichen Interesse gleichgesetzt wird. Und selbst beim sogenannten Zukunftspark Blumenthal bestimmen die Grundstücksbesitzer anstelle der Stadt die Folgenutzung und die Abrisspolitik. Hierauf komme ich in anderem Zusammenhang noch einmal zu sprechen.
Insgesamt wird mehr Gehirnschmalz darauf verwendet, Arbeitsplätze und Dienstleistungen sowie Lebensqualität abzubauen anstatt zu erhalten und zu schaffen.
Es gab und gibt ja deshalb eine Fülle an Ereignissen, Entwicklungen und politischen Reaktionen, mit denen die kommunalpolitischen Handlungs- und Gestaltungsspielräume immer mehr eingeschränkt werden, auf die wir teilweise heute Abend noch zu sprechen kommen. Heute Abend wird ja zur gleichen Stunde einige Meter weiter im Rathaus der Bebauungsplan Blumenthal vorgestellt, als ein Beleg für eine wenig zukunftsträchtige Entwicklung unter dem Etikettenschwindel „Zukunftspark“. Die Stadtvertreter sind gerade dabei, die größte Entwicklungschance für die Stadt zu verspielen.
Das ist nur ein Beispiel für den Abwärtstrend, gegen den ja auch vereinigte Bürgerinitiativen wie „Pro Recklinghausen“ ankämpfen, denen man nur teilweise „Gartenzauninteressen“ anlasten kann als vielmehr die Sorge um die nachhaltige Stadtentwicklung insgesamt.
Auf der globalen Verliererstraße: Recklinghausen als ständiges Schlusslicht beim Vergleich der Städte und Regionen untereinander
Ich beginne mit einigen Indikatoren, aus denen die Tendenzen eines anhaltenden Abwärtstrends in Recklinghausen deutlich sichtbar werden, mit der eine Zukunft als Verliererstadt zunächst vorgezeichnet scheint – mehr noch mit einer Spaltung innerhalb der Recklinghäuser Bevölkerung in Gewinner und eine wachsende Zahl an armen Verlierern.
Es stellt sich dabei die Frage, was wir dabei von Recklinghausen aus überhaupt noch steuern und beeinflussen können und was nicht.
Soweit wir dem Ganzen ohnmächtig statt handelnd gegenüberstehen, haben wir schon verloren. Über die brachliegenden Handlungsfelder reden wir am Schluss noch.
Zunächst aber zu den Ausgangsbedingungen:
Richten wir zunächst den Blick auf die beliebten oder unbeliebten Studien mit Vergleichslisten und -daten der Städte und Regionen miteinander. Da tauchen Recklinghausen und die Emscher-Lippe-Region immer öfter am unteren Ende bei den Schlusslichtern auf, bei fast allen Vergleichsdaten:
- beim Anstieg der Arbeitslosigkeit, bei den fehlenden Ausbildungsplätzen, beim Rückgang der Arbeitsplätze z.B. um 11.000 binnen eines Jahres in unserer IHK-Region trotz eines Überangebotes an Gewerbeflächen; (allein der Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst mit 2500 fortfallenden Arbeitsplätzen in den letzten 10 Jahren in den Rathäusern und im Kreishaus der Region und weitere in den hiesigen Landes- und Bundeseinrichtungen, hat neben dem Rückzug des Bergbaus maßgeblich zum Desaster auf dem heimischen Arbeitsmarkt beigetragen); früher freute man sich über die Ansiedlung von Landesbehörden wie die LÖBF, wegen der qualifizierten öffentlichen Arbeitsplätze, heute werden diese uns zu teuer.
- Wir sind in der Wirtschaftsregion Recklinghausen ferner Schlusslicht bei der geringen Wirtschaftskraft, den rückläufigen Investitionen, der niedrigen Exportquote der heimischen Unternehmen,
- bei der abnehmenden Kaufkraft unserer Bevölkerung, den sinkenden Umsätzen des örtlichen Handels, den dramatisch ansteigenden Insolvenzen oder Firmenkonkursen in dieser Region um ein Drittel,
- beim rapiden Anstieg der Sozialhilfeempfänger im Stadtgebiet, beim Anstieg der Kinderarmut in bestimmten Stadtteilen, bei dem krassen Sozialgefälle zwischen den armen und reichen Stadtteilen laut Sozialraumbericht von Recklinghausen, ferner bei der ansteigenden Obdachlosigkeit und der zunehmenden Kriminalität,
- beim unterdurchschnittlichen Bildungsstand und bei den Schulabschlüssen (Studie der Ruhrgebietsuniversitäten), bei den Bevölkerungsverlusten und der Abwanderung,
- bei den unzureichenden und öffentlich kritisierten Migrations- bzw. Integrationsbemühungen in unserer Stadt, in der ja die Globalisierung am deutlichsten wird durch die Vielzahl von zugewanderten Menschen aus allen Teilen dieser einen Welt; (im Ruhrgebiet leben inzwischen Menschen aus 99 Nationalitäten, also aus jedem zweiten Land der Erde);
- des weiteren beim hohen Verbrauch an Freiflächen in Recklinghausen, bei gleichzeitigem Verlust an Wohn- und Freizeitqualität, mit einem überdurchschnittlich hohen Grundstücks- und Mietpreisniveau bei gleichzeitig sinkendem Einkommensniveau der hier lebenden Menschen;
- bei den lückenhaften Fern- und Nahverkehrsverbindungen und der kaum noch finanzierbarer Infrastruktur im kulturellen und sozialen Bereich, vom Bücherbus bis zur akut gefährdeten Kinder- und Jugendbetreuung in Recklinghausen durch drastische Mittelstreichungen seitens des Landes, gegen die sich ja eine Volksinitiative landesweit wendet.
- Nun hoffen manche, dass wir mit dem Regionalflugplatz Loemühle den Anschluss an die globalisierte Welt erreichen. Noch mehr Wirtschaftsförderung hat absolute Priorität in der kommunal- und Regionalpolitik - als ob wir aus den leeren kommunalen Finanztöpfen noch mehr teure, aber wenig wirkungsvolle Subventionspolitik betreiben könnten – derweil redet alle welt von Subventionsabbau.
- Man hat den Eindruck, dass auch auf kommunaler Ebene in Recklinghausen die gesamte Politik-Ausrichtung sich nur noch einzig und allein um Ökonomie und Wirtschaftsinteressen drehen würde, in dem Glauben, dadurch von politischer Seite zur Schaffung von Arbeitsplätzen tüchtig beitragen zu können. Für die Wirtschaft sind das meist nur angenehme Mitnahme-Effekte z.B. für örtliche Standortverlagerungen mit Rationalisierungseffekten, ohne dass wirklich in neue Arbeitsplätze investiert wird. Das Geld wird heutzutage lieber für Börsenspekulationen eingesetzt, weil dort ein Vielfaches erzielt werden kann als mit neuen Produktionsstätten. So werden öffentliche Gelder vergeblich in die Erde gebuddelt für ein Überangebot an teuer erschlossenen Gewerbegebieten, die unsere Flächennutzung in Recklinghausen zu einem zersiedelten Flickenteppich machen, der potentielle Investoren eher abschreckt und Bürger zur Abwanderung aus der Emscherzone ins grüne Umland veranlasst. Dort beginnt dann derselbe Zersiedelungsprozess in unseren Naherholungsräumen und führt dort zum gleichen sanierungsreifen Siedlungsbrei in der Lippezone.
Das Desaster bei den Kommunalfinanzen - Betriebswirtschaftliches Denken an falscher Stelle führt zur öffentlichen Armut und privaten Reichtumsvermehrung
- Da glauben manche, wenn man auch das kommunale Gemeinwesen wie einen betriebswirtschaftlich Einrichtung führen würde, dann ergäbe sich durch die Summe funktionierender Betriebswirtschaften automatisch auch eine funktionierende Volkswirtschaft und florierende Stadt, und als deren Abfallprodukt ein funktionierendes Sozialsystem.
- Last but not least bei den Kommunalfinanzen und der Verschuldung der Städte in dieser Region, gehören wir eher zu den Schlusslichtern. Die führt zu irrationalen Verzweiflungsakten der Kämmerer, z.B. im Rahmen des Cross Border Leasing für ein einzelnes Haushaltsjahr ein paar Löcher notdürftig zu stopfen. Dafür begibt man sich mit der städtischen Infrastruktur in jahrzehntelange riskante Abhängigkeit von amerikanischen Investoren, um ein paar Makler und Arrangeure reich zu machen; ( hätte es nicht den Bürgerwiderstand gegen Cross-Border-Leasing gegeben und die nun drohende Gesetzesänderung in Amerika, dann hätte unserer Kämmerer neben dem Kanalnetz sicher auch noch weitere Infrastruktur nach Amerika verleast).
- Warum den Kommunen die Steuereinnahmen entzogen wurden, hat wiederum mit dem Wettbewerbs- und Standortkonkurrenzdenken der neoliberalen Globalisierungssicht zu tun. Während die Gesamtverschuldung aller Kommunen in Deutschland 100 Mrd. € überschritten hat, ist in der gleichen Zeit das Geldvermögen in privater Hand auf 5,8 Bio. € angewachsen – allerdings nicht in unseren Taschen, sondern konzentriert auf einige wenige Taschen. Nach einem Rekorddefizit von 10 Mrd. € im Vorjahr müssen die Kommunen auch in 2004 trotz drastischer Ausgabenkürzungen weitere Schulden in Milliardenhöhe machen. Mit nachhaltiger Finanz- und Haushaltspolitik hat das wenig zu tun, und die Verarmung der Städte schafft auch keinen globalen Wettbewerbsvorteile – im Gegenteil, es ist ein Wettkampf der Verlierer!
- Die vorgezogene Stufe der Steuerreform, die wiederum mit Privatisierungen gegenfinanziert werden soll, wird den Kommunen weitere Einnahmeverluste in Höhe von 3,8 Mrd. € bescheren. Dem stehen nur 2,3 Mrd. Erleichterungen durch die misslungene Gemeindefinanzreform entgegen – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Da man den Kommunen auch noch die Kosten für die Langzeitarbeitslosen aufbürden will, wird das im Kreis Recklinghausen in 5 Jahren weitere 1,1 Mrd. € an Belastungen bringen. Jährlich ist von 70 – 156 Mio. € Mehrbelastung im Kreis RE die Rede und von 10 Mio. € nächstes Jahr in der Stadt Recklinghausen. Deshalb werden den Kommunen die Eingliederungshilfen für die Behinderten zu teuer, so dass sich die Menschen nun auch noch gegen das Lebensrisiko der Behinderung privat absichern sollen.
- In der Zeitung lesen wir darum von der Finanzarmut und von der relativ hohen Verschuldung der Stadt Recklinghausen - und mehr noch aller übrigen Städte im Kreis Recklinghausen, über die der Pleitegeier kreist. In NRW sind 90% der Städte nicht mehr in der Lage, ihre regulären Ausgaben über Einnahmen zu bestreiten; von 396 Kommunen des Landes befinden sich 170 in einem sogenannten Haushaltssicherungskonzept, das in 56 Fällen nicht mal genehmigt war. Unsere Städte sind also pleite, so dass einzelne Städte wie Duisburg sogar ihre Personalkosten rechtswidrig über Kredite finanzieren – sonst könnte sie nicht mal mehr die Gehälter auszahlen. Das alles haben sie der neoliberalen Finanz- und Haushaltspolitik der Herren Eichel, Clement, Steinbrück, Schröder und Co. zu verdanken, die den Städten die Steuereinnahmen verfassungswidrig entzogen haben, um damit die Steuergeschenke an Reiche und Konzerne zu finanzieren für den irrationalen Globalisierungswettbewerb.
- Zugleich sollen die Städte damit zum Personalabbau und zur Privatisierung gezwungen ihrer Dienstleistungen werden, denn der Dienstleistungsmarkt ist für die privaten Konzerne der lukrativste Zukunftsmarkt überhaupt: 1/5 des Welthandels ist inzwischen Dienstleistungshandel, von dem man sich jährlich 6,5 Bio. US-Dollar an den Finanzmärkten allein aus dem Bereich Bildung, Gesundheit und Wasser verspricht. Kommunale Einrichtungen müssen deshalb schließen, Dienstleistungen werden eingeschränkt oder privatisiert, öffentliche Gebäude, Parks und Straßen vergammeln, an der abendlichen Beleuchtung wird gespart usw. Die Leidtragenden sind zuvorderst die untersten Bevölkerungsschichten in der Stadt sowie die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, auf deren Rücken und zu deren Lasten mit den Hartz-Gesetzen allein die Gemeindehaushalte saniert werden sollen, durch die Ärmsten der Armen. Tatsächlich kommen dadurch Mehrbelastungen auf die Städte zu.
- Der Personalabbau und damit der Leistungsabbau für die Bürger in den Rathäusern schreitet zudem voran und wird von Politikern aller Parteien auch im Kommunalwahlkampf gefordert. Damit der Widerstand aus den Rathäusern nicht zu groß wird, hat die rot-grüne Landesregierung das Mitbestimmungsgesetz für den öffentlichen Dienst und die Kommunalverwaltungen mit einem Verfallsdatum bis 2010 versehen - ein weiterer Verlust für die Demokratie, neben der drohenden Gefährdung der kommunalen Selbstverwaltung als unterste Demokratie-Ebene des Staates.
Der Niedergang der heimischen Wirtschaft: Recklinghausen als Tummelplatz für Globalisierungsgewinner und -verlierer
- Verlierer des Globalisierungswettbewerbes sind in Recklinghausen und anderswo aber nicht nur die öffentliche Hand und die Kommune, sondern neben den Bürgerinnen und Bürgern auch die heimische Wirtschaft, insbesondere der Einzelhandel. Wir erleben dabei in Recklinghausen, dass diejenigen, die dieser neoliberalen Ideologie des Sozialdarwinismus – d.h. der Stärkere frisst den Schwächeren - am lautesten das Wort reden, plötzlich die dicksten Krokodilstränen vergossen haben: Als nämlich alteingesessene Händler und Betriebe Opfer eben dieses Verdrängungswettbewerbes und Preiswettkampfes geworden sind, z.B. die Firma Kellerhoff oder die Firma Fels, neuerdings auch die Firma Kat-Möbel des Vizebürgermeisters, daneben auch ein Futtermittelhersteller in der Südstadt.
- Leerstehende Ladenlokale und Büroräume prägen längst das Bild unsere altehrwürdigen Kreisstadt mit ihrer mittelalterlichen Handels – und Handwerkstradition. Von der skandalträchtigen Baufirma der gebrüder Feldmann, einstiger Lieblingsbaulöwe unserer Stadtoberen, erst gar nicht zu reden, die womöglich für einen Leerstand unseres stolzen Kino-Centers in der Stadt sorgen durch Insolvenz. Im gleichen Cinema-World-Kino haben sie sich in Werbespots wie Mafia-Bosse mit Sonnenbrillen darstellen lassen. Unter anderem haben sie mit den Plänen für den Lörhof 2 die Stadt an der Nase herumgeführt und im Neubaugebiet Westwinkel die Bürger zu gerichtlichen Auseinandersetzungen gezwungen. Aus der Traum vom Global-Player.
- Hier wird Recklinghausen zum Tummelplatz der Verlierer und Gewinner des Globalisierungskampfes – derweil nebenan die Gebrüder Aldi aus Herten und Essen, die für das Sterben der Tante-Emma-Läden in Recklinghausen verantwortlich sind, immerhin die reichsten Deutschen mit einem Privatvermögen von 26,8 Mrd. Dollar geworden sind – davon können die 12 Städte des Emscher-Lippe-Raumes bei ihren öffentlichen Haushalten für 1 Mio. Menschen nur träumen, deren Region zum Amenhaus des Ruhrgebietes geworden ist und damit zum frühen Verlierer des Globalisierungswettbewerbes. Privater Reichtum und öffentliche Armut prallen hier unmittelbar aufeinander.
Wie reagiert unsere Stadt darauf? Sie erteilt dem sogenannten Stadtmarketing für den kommerziellen Bereich Vorrang vor Nachhaltigkeit im kommunalen Handeln, wenngleich es auch beim Stadtmarketing um nachhaltige Stadtentwicklung und Einzelhandelsstrukturen geht, die aber unter den gegenwärtigen Globalisierungsbedingungen kaum erreichbar sind. Hier hilft nur eine starke Verbraucherbewegung! Es kommt nicht von ungefähr, dass ausgerechnet im Zukunftspark Blumenthal Gerüchte kursieren, dass statt nachhaltiger Nutzungen großflächige Einzelhandelsbetriebe in Konkurrenz zur Innenstadt angesiedelt werden sollen, nachdem die Stadt ihre Planungshoheit mehr oder weniger aus der Hand gegeben hat. Die nachhaltigen Gestaltungs- und Nutzungsvorschläge der lokalen Agenda 21 wurden seinerzeit in den Wind geschlagen, obwohl sich die Stadt per Ratsbeschluss selber der Nachhaltigkeit verpflichtet hat. Das privatwirtschaftliche Verwertungsinteresse an den wertvollen Grundstücken überlagert die öffentlichen Interessen. Aus dem Zukunftspark wird ein Gegenwartspark des neoliberalen Zeitgeistes.
- Übrigens darf demnächst die Ansiedlung von Einkaufsmärkten auf grüner Wiese nicht mehr kommunal behindert werden, weil das wettbewerbsverzerrend wäre, so dass wir unser Stadtmarketing zugunsten des Einzelhandels in der Innenstadt vergessen können. Außerdem wird kommunale Subventions- und Wirtschaftsförderungspolitik zugunsten der heimischen Wirtschaft mit dem internationalen GATS-Abkommen, auf das ich gleich noch eingehe, untersagt. Und zwar deshalb, weil alles das wettbewerbsschädigend wäre für die absolute Handelsfreiheit auf den liberalisierten Welt-Märkten, ohne Rücksicht auf regionale Wirtschaftskreisläufe.
- Auch der beschleunigte Rückzug des Bergbaus aus dieser Stadt und Region mit dem hohen Arbeitslatzverlust - als die vermeintliche Hauptursache für den Niedergang der Stadt und Region und den nun erforderlichen Strukturwandel - entsprang ja ebenfalls dem neoliberalen Wettbewerbsdenken, indem billige Exportkohle aus Russland, China und Südafrika mit Hungerlöhnen und vermutlicher Kinderarbeit an die Stelle treten musste, nicht etwa regenerative Energie-Erzeugung im Ruhrgebiet. Auch der immer noch hohe subventionierte Atomstromanteil hatte die heimische Kohle verdrängt. Was an kritisierten hohen Subventionen in den heimischen Bergbau geflossen war, fließt nun als gleich hohe Subvention in die Strukturförderung und in die sozialen Auffang- und Folgekosten des Niederganges dieser Region, mit mäßigem Erfolg. Fragt sich nur, wie lange noch?
- Wir stehen aber erst ganz am Anfang dieses gnadenlosen Wettbewerbes, dem ja letztlich auch das nachhaltige Agenda-Projekt der alten Feuerwache in Recklinghausen zum Opfer gefallen ist – denn die potentiellen Investoren der Bio- und Öko-Branche – abgesehen von unserem Bioladen Sonnenblume in Recklinghausen - scheuten das Investitionsrisiko in Recklinghausen oder sind selber schon pleite wie die Hermannstorfer Landmärkte. Der globale Preiswettkampf in der Lebensmittelbranche lässt keinen Raum für Qualitätsware, die ihren fairen Preis hat. Dass obendrein auch das größte und einstmals reichste Bundesland Nordrhein-Westfalen als Zuschussgeber für unser Projekt pleite ist, das ist ein eigenes und durch die staatliche Steuerpolitik selbstverschuldetes Kapitel der Globalisierung, mit verheerenden Folgen für die Städte.
Die Grenzen und Folgen der Privatisierungswelle: Der Ausverkauf unserer Stadt schreitet voran
- Zu den Spitzenreitern gehören wir als Stadt Recklinghausen mittlerweile nur noch beim Tempo der Privatisierungen öffentlicher oder kommunaler Dienstleistungen: von der Privatisierung der regionalen Energie- und Wasserversorgung über die Privatisierung von städtischen Altenheimen, den geplanten Ausverkauf der städtischen Sozialwohnungen, dem Verkauf des Tafelsilbers in Form von städtischen Immobilien und Grundstücken und die kommerzielle Entsorgung der gelben Tonnen durch den australischen Global Player Cleanyway bis hin zu den Trauerhallen auf den städtischen Friedhöfen vor einer Woche – damit sich demnächst die Normalsterblichen ihre Bestattung nicht mehr leisten können, nachdem auch das Sterbegeld aus der Rentenversicherung gestrichen wurde. Für den öffentlichen Nahverkehr und für die Kinder- und Jugendhilfe hat die rot-grüne Landesregierung uns das Geld drastisch gekürzt – was bleibt eigentlich noch an kommunalpolitischen Handlungs- und Gestaltungsspielräumen übrig? Wir können das Stadtparlament als Entscheidungsebene bald schließen, zumindest den Stellenwert der Kommunalwahlen reduzieren.
- Im Zuge des Projektes für ein „virtuelles Rathaus“ unter dem Stichwort E-Government – elektronisches Regieren und Verwalten im digitalen Ruhrgebiet – begibt man sich in Stadt und Kreis Recklinghausen mittels Public-Privat-Partnership (also Partnerschaft zwischen öffentliche und privaten Unternehmen) auch bei den hoheitlichen Aufgaben in Abhängigkeit von privaten Partnerfirmen und kommerziellen Netzbetreibern. Das ist der Anfang vom Ende der ortsbezogenen räumlichen Zuständigkeiten der Kommunalverwaltung vor Ort mit ihren hoheitlichen Aufgaben, die sich auf Dauer im anonymen globalen Netzwerk auflösen wird im Verbund mit kommerziellen Anbietern zentral erbrachter kommunaler Dienstleistungen. Zugleich ist das der Beginn des größten Personalabbauprogramms seit Bestehen der kommunalen Selbstverwaltung.
- Demnächst erhalten Sie ihre Dienstleistung oder Auskunft im Rathaus vielleicht nicht mehr vom örtlichen Sachbearbeiter für Sozialhilfe, sondern per Hotline vom Call-Center in Hamburg als zentrales Kompetenzzentrum für Fragen der Sozialhilfe. Die digitale Bürgerakte ist dann überall abrufbar, trotz der Datenschutzprobleme. Die Kommunen und ihre Bürger geraten in totale Abhängigkeiten von den Netzanbietern, die faktisch die Gemeindegrenzen und territorialen Verwaltungsräume als kommunale Gestaltungseben gegenstandslos werden lassen – so wie zuvor die nationalstaatlichen Grenzen und Zuständigkeiten im Zuge der Globalisierung immer unbedeutender werden. Am Ende regiert nur noch die grenzenlose Wirtschaft.
- Nach Maßgabe des Landes ist in den Rathäusern, so auch in Recklinghausen, neuerdings auch die Rede vom Neuen Kommunalen Finanzmanagement (NKF), mit doppelter kaufmännischer Buchführung, mit Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanzen – um die kommunalen Einrichtungen für die bevorstehend Übernahme durch kommerzielle Unternehmen berechenbar und kalkulierbar zu machen. Vielleicht werden sie schon ab 2008 auf dem silbernen Tablett zum Verkauf angeboten – nach der bekannten Formel: gewinnträchtige Bereiche privatisieren, verlustträchtige Einrichtungen sozialisieren oder schließen.
- Darunter leiden in erster Linie die einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen als die eigentlichen Verlierer. Die Stadt als Konzern – unternehmerisches Denken will man in das nur noch betriebswirtschaftlich auszurichtenden öffentlichen Gemeinwesen hineinbringen. Öffentliche Dienstleistungen sind aber gerade solche Dienstleistungen, die nicht allein den Prinzipien des Marktes unterworfen werde können, weil sie eine soziale Ausgleichsfunktion haben. Die Bürger werden gleichwohl in Kunden umgetauft und die für die Bürger tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Rathäusern nur noch als lästige Kostenfaktoren betrachtet, die es zu reduzieren gilt. Der Ausverkauf der Städte und Gemeinden unter dem Druck der Globalisierung schreitet voran.
- Das kommunale Gemeinwesen funktioniert ohnehin nur noch deshalb, weil sich 30 bis 40% der Bürger unentgeltlich im gemeinnützigen Bereich ehrenamtlich und unentgeltlich für die Gemeinschaft engagieren. Je mehr jedoch die Globalisierung eine Verlängerung der Arbeitszeiten erzwingt und eine Reduzierung der Löhne, um so mehr sind die Menschen in unserer Stadt notgedrungen mit der Sicherung ihrer Existenzbedürfnisse beschäftigt und umso weniger Zeit und Spendengeld bringen sie für gemeinnützige Aufgaben auf. Dadurch gerät der Nonprofit-Sektor und das Gemeinwesen in der Stadt auf die Verlierschiene der Globalisierung.
Wie ein internationales Handelsabkommen namens GATS die kommunale Selbstverwaltung in Recklinghausen zerstört
- Was dann an Resten öffentlicher und kommunaler Dienstleistungsangebote noch in unserer Stadt übrig bleibt, das wird nach 2005 durch das globale Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, das erwähnte GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO, zwangsweise privatisiert, ohne Einflussmöglichkeit des Kommunalparlamentes, das gar nicht mehr entscheiden kann, ob es eine städtische Dienstleistung privatisieren will oder nicht.
- Sämtliche zwischenmenschlichen Dienstleistungen werden nach dem internationalen Handels- und Wettbewerbsrecht zur bloßen Handelsware erklärt – damit wird auch der Mensch selber zur Ware, wie bereits auf dem Arbeitsmarkt. Staat und Kommunen werden quasi durch die Wirtschaft enteignet, verbunden mit einem faktischen Sozialstaatsverbot. Die kommunale Planungshoheit wird durch GATS ebenso eingeschränkt wie das Recht, örtliche Sozial- und Umweltstandards oder Tarifstandards zu setzen oder kommunale und regionale Wirtschaftsförderung zu betreiben – denn alles das wäre wettbewerbsverzerrend und würde sanktioniert- es sei denn, kommerziellen Dienstleistern würden die gleiche Subventionen gewährt, wie z. B. die Kosten für den kommunalen Personaleinsatz.
- Darauf können wir in der anschließenden Diskussion später noch vertiefter zurückkommen, weil es das gravierendste und bedrohlichste Beispiel für die direkten und weitreichenden Zusammenhänge zwischen Globalisierung und Kommunalpolitik darstellt – quasi das drohende verfassungswidrige Ende der kommunale Selbstverwaltung. Ein Abkommen, das die demokratischen Kernelemente der Gemeindeordnung als Kommunalverfassung aushebelt und eigentlich zum Widerstandsrecht nach Artikel 20 des Grundgesetzes auffordert.
- Diese Entwicklung will der Bürgermeister dieser Stadt skandalöserweise nicht einmal im Rat der Stadt diskutieren lassen. Dies antwortete er der Attac-Ortsgruppe voriges Jahr auf ihre Bürgeranfrage und dem Antrag auf eine Einwohnerversammlung hin. Der Bürgermeister hält das GATS-Abkommen in seinen Folgen jedoch für keine kommunalpolitische Angelegenheit, anders als die kommunalen Spitzenverbände in Süddeutschland. Ich persönlich halte das für eine Dienstpflichtverletzung und Bevormundung des Rates und der Bürgerschaft, weil der gute Mann sich ganz offensichtlich noch nicht ernsthaft mit den direkten und indirekten Zusammenhängen zwischen Globalisierung und Kommunalpolitik auseinandergesetzt hat. Nicht viel vertiefter war auch das Wissen unserer heimischen Bundestagsabgeordneten bei einer Podiumsdiskussion zu diesem Thema, sofern sie sich nicht davor gedrückt haben.
Nun gibt es Kommunalpolitiker, die zwar vom GATS-Abkommen noch nie etwas gehört haben, aber die mit Blick auf die negativen Bilanzen und Tendenzen sagen, man müsse vor allem diese vergleichenden Studien und Statistiken über die Städte, bei denen Recklinghausen meistens in der Hitliste so schlecht abschneidet, hinterfragen und sehr differenziert betrachten. Vor allem seien die Erhebungsmethoden zuerst einmal in Frage zu stellen – denn ganz so dramatisch sei die Lage nun doch nicht, und auch den anderen ginge es ja nicht soviel besser. In Wirklichkeit sei Recklinghausen besser als sein Ruf.
Regelmäßig reagieren also einige Kommunalpolitiker und auch die Lokalpresse auf solche Vergleichsstudien, Meldungen und Veröffentlichungen zuerst einmal allergisch und mit einer Schelte an die jeweiligen Verfasser oder Wissenschaftler. Sie verharmlosen damit die Probleme und ersparen sich die wahre Ursachenermittlung sowie zukunftsfähige Handlungskonzepte.
Liegt es wirklich nur an den zweifelhaften Umfragemethoden, dass Recklinghausen meistens hinten statt vorne landet – und hilft es uns weiter, mit Zweckoptimismus die geballten Probleme schönzureden aus lauter Lokalpatriotismus?
Um danach so weitermachen in den alten Denkkategorien und Handlungsmustern wie bisher?
Denn wer ist schon gerne Verlierer und nicht lieber auf der Gewinnerseite in einem Wettbewerb und gnadenlosen Standortkonkurrenzkampf, der wie ein sportliches Vergnügen betrachtet wird – obwohl es hier um die Lebensumstände und Lebensqualität von Hunderttausenden Menschen geht, die um ihre Lebenschancen und Zukunftsperspektiven gebracht werden. Da gibt es nichts schönzureden.
Der Wahrheit ins Auge sehen: Kommunalpolitisches Umsteuern tut Not! Neue soziale Bündnisse sind gefragt
Einige Kommunalpolitiker immerhin reden ehrlicherweise selber von dieser Krisenregion mit ihrer Strukturschwäche, sie beklagen sowohl die vermeintlichen Versäumnissen der Kommunalpolitik und der fehlenden regionalen Zusammenarbeit, sie beschweren sich auch über die Benachteiligungen durch die Bundes- und Landespolitik usw. – und sie beschwören nicht zu Unrecht die veränderten globalen Rahmenbedingungen und Abhängigkeiten – ohne aber die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.
Sind diese Entwicklungen und Tendenzen aus den Umfrage-Ergebnissen wirklich alle hausgemacht oder naturgegeben – oder wo haben sie ihre eigentlichen Ursachen?
Haben wir es mit einem komplexen Bündel an Ursachen und Zusammenhängen zu tun, oder lässt sich doch dieser negative Entwicklungstrend, wie er seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie so dramatisch war, auf eine Hauptursache zurückführen, die alles überlagert? Und wie könnte zu einer nachhaltigen Zukunftsentwicklung schrittweise umgesteuert werden?
Die Frage nach den Ursachen haben wir schon weitgehend beantwortet im ersten Vortragsteil, bei dem ich zwangsläufig ein eher dunkles Gegenwartsszenario aufgezeigt habe - aber mit einer falschen Analyse oder Diagnose und mit ungeeigneten Rezepten kommen wir kaum zu Heilungserfolgen und Zukunftsschritten, sondern verschlimmern unter Umständen die Krankheit.
Deren Ursachen liegen in einem verhängnisvollen Denken und Konformismus, der das gesamte politische Denken wie ein Bazillus ergriffen hat und immer weiter um sich greift – ich meine den neoliberalen Marktfundamentalismus, den es als eine bloße Ideologie zu entlarven gilt, soweit er sich nicht schon selber entlarvt anhand seiner negativen Wirkungen – gerade auch für die kommunale Versorgung und die lokale Demokratie.
Denn selbst die kommunalen Spitzenverbände - der Städtetag, der Landkreistag und der Städte- und Gemeindebund - haben quer durch alle Parteien nach der völlig misslungenen Gemeindefinanzreform sorgenvoll Alarm geschlagen mit ihrer spektakulären Aktion „Städte in Not –Reformen statt Kahlschlag“ .
Noch nie da gewesene Bündnisse haben sich auch hier in Recklinghausen gebildet zur Rettung unserer Städte und zur Erhaltung und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung – von den Bürgermeistern aller Partein mit der Gewerkschaft ver.di und dem DGB, mit den Globalisierungskritikern von attac, mit den Sozialverbänden usw.
Soziale Bündnisse und soziale Zukunftsforen sorgen sich in Recklinghausen um die Verlierer des Globalisierungswettbewerbes und um alternative Zukunftskonzepte.
Sie wenden sich gegen den Verdrängungswettbewerb, der die Ärmeren an den Rand drängt und die Gier der Reichen zum Handlungsmaßstab für alle erhebt – mit der Behauptung, wenn es den Gewinnern noch besser geht, dann fällt am Ende auch etwas für die Ärmeren davon ab.
Auch wenn derzeit die einheitliche Propaganda der Medien und der Politik den Menschen einzureden versucht, die neoliberale Ausrichtung der notwendigen Globalisierung erbringe trotz drastischen Sozialabbaus unter dem Strich einen Verbesserung des Wohlstandes und der Lebensverhältnisse für viele Menschen auf dem Globus, so hat der jüngste Armutsbereicht der vereinten Nationen dieses unzweifelhaft widerlegt. Es schreitet also im Gegenteil die Verarmung und Spaltung der Menschheit in Arm und Reich in erschreckender Geschwindigkeit immer weiter voran, mit 800 Mio. Hungertoten jährlich (ein Völkermord infolge des neoliberalen wirtschaftskrieges) - und der Riss zwischen Arm und Reich geht quer durch die Städte und Stadtteile – das erleben wir in Recklinghausen-Nord und Süd ja ganz deutlich und drastisch zunehmend.
In der Nordstadt verkauft unser Bürgermeister städtische Grünflächen als Villengrundstücke, um bestimmte Marktsegmente zu bedienen, wie er es im Jargon der Immobilienmakler ausdrückte. In Süd müssen Förderprogramme aufgelegt werden für einen vernachlässigen Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf und besonderen Sozialproblemen, die sich hier konzentrieren.
Die einstmals soziale Marktwirtschaft ist also längst zur Diktatur des Marktes ausgeartet, die nun auch das menschliche Zusammenleben in den Städten kälter werden lässt, weil sich jeder um seine soziale Absicherung nun selber kümmern soll und muss. Dabei waren die Märkte und Marktplätze in den mittelalterlichen Städten die Ausgangsbasis für eine Wirtschaftsentwicklung nach menschlichem Maß.
Vielleicht kann unser alter Marktplatz in Recklinghausen wieder ein Aktionsplatz für Menschlichkeit werden, ein Bürgerforum der Gegenwehr und der Alternativen, ein Platz der direkten Demokratie, ein Ort des Aufbruchs.
Die kommunale Selbstverwaltung nähert sich nur dann ihrem Ende, wenn nicht die Bürger selber das Ruder herum reißen durch beherztes Handeln. Das drohende Ende der kommunalen Selbstverwaltung ist eigentlich ein Aufruf zu einem ganz neuen Anfang.
Gäbe es die kommunale Selbstverwaltung nicht, dann müssten wir sie jetzt ganz neu erfinden. Da alle aufgezeigten Probleme von Menschen gemacht worden sind, sind sie auch durch handelnde Menschen wieder änderbar.
Der größte Verlust für die kommunale Selbstverwaltung in Recklinghausen wäre es, wenn die Menschen deren Niedergang nicht bemerken oder gleichgültig akzeptieren, anstatt eine neue Wertschätzung dafür zu gewinnen.
Im privaten wie im öffentlichen Sektor obsiegt ansonsten der Stärkere über den Schwächeren, obwohl bei einer kooperativen statt konkurrenzorientierten Wirtschaft alle Beteiligten Gewinner sein könnten.
Es wäre keine Stärke, vorher die Schwächeren beiseite zu drängen; es erbringt auch keinen Sieg oder Gewinn für die Stadt, sich dergestalt am Globalisierungswettbewerb zu beteiligen. Denn wenn es den anderen dadurch schlechter geht, können wir kaum selber dabei glücklich werden.
Vielmehr ist es ein Verlust an Menschlichkeit und kein Gewinn für das soziale Zusammenleben vor Ort, wenn der bloße Eigennutz obsiegt. Letztlich empfangen die Reichen ihren Segen durch die Armen und nicht umgekehrt.
Achselzuckend wird gleichwohl die soziale Kälte in Kauf genommen , als sei sie wie eine Naturkatastrophe oder wie ein unabänderliches Naturgesetz auf uns alle hereingebrochen.
Am Ende gibt es ja noch die Gastkirche und andere, die sich in Recklinghausen um diejenigen kümmern, die dann ganz unten herausfallen.
Wir sind auf dem Weg in amerikanische Verhältnisse, wo allerdings die Obdachlosen kostenlose medizinische Versorgung erhalten, während sie bei uns zuzahlen müssen seit der Gesundheitsreform. Eine unanständige Politik einer rot-grünen Regierung, angetrieben von den noch gnadenloseren Oppositionsparteien.
Seitdem lautet die tägliche Propaganda der Parteien und Unternehmensverbände auch hier vor Ort, es käme jetzt für die Zukunft nur noch auf unsere Verzichts- und Leidensfähigkeit an, obwohl die Gesellschaft als ganzes noch nie so reich war wie an diesem Jahrhundertbeginn – nur die gerechte Teilhabe an dem gemeinsam Erwirtschafteten liegt im Argen.
Es kann nicht die Solidarität auf Gegenseitigkeit abgelöst werden durch die private Zahlungsfähigkeit – erst recht nicht dann, wenn die Taschen leer sind.
Recklinghausen gewinnt den Globalisierungswettbewerb, wenn die Armen und Schwachen in den Mittelpunkt aller Politik gerückt werden
Eine Gesellschaft als Ganzes - und erst recht eine Stadt oder Kommune wie Recklinghausen - kann nur dann gewinnen, wenn die Armen und Schwachen im Mittelpunkt aller Politik stehen, denen die Reichen ihren Reichtum zu verdanken haben. Nur miteinander zu teilen macht wirklich alle reich.
Das ist ja gerade das Lebensprinzip in der kommunalen Lebensgemeinschaft, die ja als solidarische Schicksalsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit angelegt ist, dort, wo sich die Menschen Auge in Auge gegenübertreten und sich am nächsten sind und wo der Markt nicht anonym wird, sondern ein Gesicht bekommt..
Unsere Städte und Dörfer waren ja, wie gesagt, die Keimzellen für eine kulturelle und soziale Entwicklung in gegenseitiger solidarischer Hilfeleistung; Hilfsgemeinschaften auf Gegenseitigkeit.
Und je mehr die Globalisierung mit ihrer Enträumlichung und Entsolidarisierung voranschreitet, umso bedeutender wird wieder die lokale und regionale Ebene der Politikgestaltung in den Kommunen vor Ort.
Von hier aus muss deshalb in erster Linie auch wieder eine Erneuerung und nachhaltige soziale und kulturelle Wirkung ausgehen.
Unsere Stadtregionen sind die Gestaltungsräume der Zukunft, hier kann ein Gewinn an menschlichen Beziehungen eintreten, wenn sich die örtlichen Gemeinschaften gewissen Zwängen und Auswüchsen der Globalisierung entgegenstellen mit eigenen sozialen und menschenwürdigen Zukunftsgestaltungen.
Denn ohne öffentliche und kommunale Dienstleistungen sind die demokratischen Selbstverwaltungsrechte und die allgemeinen Menschenrechte nicht erfüllbar, jedem Menschen einen Zugang zu den lebensnotwenigen Einrichtungen z.B. der medizinischen Versorgung, der sozialen und kulturellen Teilhabe, der Mobilität und des menschenwürdigen Wohnens zu gewährleisten. Das gehört zum deutschen und europäischen Gesellschaftsmodell und Wertesystem.
Deshalb kann man von der Stadtbevölkerung nicht verlangen und erwarten, dass sie sich untereinander in einen verschärften Standortkonkurrenzkampf begibt - und sich obendrein wie David gegen Goliath gegen die globalen Konzerne und Finanzmärkte im Wettkampf behauptet, die den Staaten die politischen Vorgaben diktieren und die Gemeinwohlorientierung der Kommunen eliminieren – zugunsten einer Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse.
Einige naive Kommunalpolitiker sehen sich schon in ihren Allmachtsträumen auf der zukünftigen Gewinnerseite und glauben tatsächlich, ihr abhängiges örtliches Gemeinwesen könne in diese aussichtslosen Wettkampf bestehen oder davon profitieren, wenn man nur erst einmal genügend Einbußen im sozialen und kulturellen Sektor als Vorleistungen erbringe und akzeptiere.
Gehe es den Reichen und den Siegern dieses Kampfes jeder gegen jeden gut, dann falle auch für die ärmeren Menschengruppen und Kommunen schon etwas dabei ab, so hofft man allen Ernstes. Der Markt würde das schon regulieren, was der Staat und die Kommune derzeit dereguliert.
Deshalb ist es nur das trügerische Prinzip Hoffnung, dass unsere Stadt und wir als ihre Bewohner am Ende als die Stärkeren dastehen, wenn wir uns nur eifrig dem Wettbewerb stellen, uns dafür „fit“ machen und die Voraussetzungen schaffen für eine Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse.
Müssen wir nicht stattdessen wegen unserer längst vorhandenen Strukturschwäche in Recklinghausen darüber nachdenken, ob diese nicht bereits die direkte oder indirekte negative Folge dieses um sich greifenden Konkurrenz- und Wettbewerbsdenkens in Politik und Wirtschaft ist?
Wie könnte eine nachhaltige Orientierung für eine zukunftsfähige Kommunalpolitik in Recklinghausen aussehen?
Recklinghausen bekommt also schon in vielerlei Hinsicht einen Vorgeschmack auf das Verliererdasein im Globalisierungswettbewerb. Dabei ist zu fragen, wie können wir stattdessen die Wende zu einem wirklichen Gewinn für alle schaffen?
Was wäre denn stattdessen eine nachhaltige Ausrichtung der Politik im Sinne der lokalen Agenda 21?
- Ich erwähnte bereits die regionalen Bündnisse für soziale Zukunftsfragen und das Leitbild der Nachhaltigkeit für unsere Stadt unter dem Motto: Wir habe es in der Hand. Darin finden sich Aussagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Leben in der Stadt, über nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften, über Bildungsziele, Zusammenleben und Lebensqualität. Sie finden dort Kapitel über Stadtplanung, Mobilität und Wohnkultur, über Kunst und Kultur, über Belebung und Pflege der Natur in der Stadt sowie über verantwortungsbewusste Mitbestimmung.
- Mit Nachhaltigkeitsindikatoren kann die Stadt eine Erfolgskontrolle über ihr nachhaltiges Zukunftshandeln einführen, mit der ihr auch in der Förderpolitik Wettbewerbs- und Standortvorteile im positiven Sinne erwachsen würden. Die Stadtverwaltung könnte sich im Rahmen eines Qualitätsmanagements zertifizieren lassen als nachhaltig handelnde Kommune.
- Ich weise hin auf den Ratsantrag der Agenda 21 für einen Bürgerhaushalt oder Beteiligungshaushalt. Darüber werden Sie demnächst in einem Vortrag von attac noch Näheres hören. Die Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung über den kommunalen Haushalt löst zwar nicht alle Probleme. Aber auf Zukunftskonferenzen sind viele neue Ideen sowohl über die Einnahmeseite wie auch die Ausgabeseite zu erwarten.
- Der Bürgerhaushalt ist ein Beitrag für mehr Eigenverantwortung, er stärkt Solidarität und Gemeinsinn und die direkte Demokratie. Und er sorgt für Transparenz und Dialogfähigkeit. Kenntnisse und Ideen der Bürger würden einbezogen, die Frage nach macht und Geld mehr nach unten verlagert – und der dominante Einfluss der Wirtschaftsinteressen, denen die Politik vor allem gehorcht, würde zurückgedrängt. Die Bürger und die Stadtvertretung würden gemeinsam neue Erfahrungen machen, die Beteiligungsmöglichkeiten würden erweitert und kommunale Demokratie dadurch belebt oder wiederbelebt. Der Sinn für komplexe Zusammenhänge würde wachsen und ein Ausgleich von Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht. Der Bürgerhaushalt wäre das beste Mittel zur Bekämpfung von Korruption, gegen Verschwendung und Klientel-Politik usw. Und die Beziehung zwischen Leistung und Steuerzahlung würde wieder sichtbar – auch die reichen Drückeberger, die nichts zahlen obwohl sie die kommunalen Infrastrukturen in Anspruch nehmen.
- Im übrigen gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen zur Verbesserung der kommunalen Einkommens- und Steuersituation, von der kommunalen Bürgersteuer und Wirtschaftssteuer mit der gerechten Beteiligung aller Einkommensbezieher in der Stadt an der Finanzierung städtischer Aufgaben bis hin zu Modellen einer solidarischen Finanzierung der Sozialsysteme, an deren Erarbeitung ich auf einem Zukunftskongress in Stuttgart mitgearbeitet habe.
- Stadt und Bürgerschaft zusammen müssten gemeinschaftlich für die verfassungsrechtlichen Sicherung der Gemeindefinanzen kämpfen, statt sich der unzureichenden Gemeindefinanzreform zu beugen. Mit direktdemokratischer Beteiligung sollte auch die gesamte Bürgerschaft über die Schließung oder Privatisierung kommunaler Einrichtungen und Dienstleistungen beschließen und eine regelmäßige Demokratiebilanz für die kommunale Selbstverwaltung in der Stadt durchführen.
- Die Bürger könnten Eigenverantwortung übernehmen im Rahmen der Bürgerkommune, mit Bürgerstiftungen, wie von den Grünen in Recklinghausen (mit geringer Resonanz) jüngst aufgegriffen oder mit Tauschringen und lokaler Gutscheinwährung, wie kürzlich bei der Agenda--Preisverleihung in RE ausgezeichnet. Die Gründung einflussreicher Verbraucherorganisationen in der Stadt und Region wäre vonnöten sowie die Realisierung von Ideen im Sinne der alten Feuerwache, mit ethische Dienstleitungen eine neue Wertschätzung für nicht nur profitorientierte zwischenmenschliche Dienstleistungen zu entwickeln.
- Neue Formen der Gemeinwirtschaft in regionaler Vernetzung könnten wiederbelebt werden, bei denen die beteiligten Menschen assoziativ zusammenarbeiten statt zu konkurrieren. Die wechselseitigen Bedürfnisse der beteiligten Menschen wahrzunehmen, neue Qualitäten menschlicher Beziehungen zu entwickeln, bei denen die Preise für Waren und Dienstleistungen die soziale Lebenslage der Menschen widerspiegeln.
- Recklinghausen könnte sich zur GATS-freien Zone erklären, die nicht nur symbolischen Charakter hätte, sondern sich in zivilem Ungehorsam gesetzeswidrigen Entwicklungen widersetzen würde und mit Kreativität und Phantasie globale Vorgaben unterlaufen würde, wo immer es möglich ist.
- Wir können in Zukunftskonferenzen und Zukunftszirkeln, wie sie in diesem Jahr im ganzen Lande vom Institut Kirche und Politik geplant sind, uns als Bürger den Fragen zuwenden, wie wir denn eigentlich in der Mitte dieses Jahrhunderts leben wollen und wie wir darauf hinarbeiten können, um so wieder Orientierung und Ziele sowie ethische Werte in die Politik einbringen können. Die Beispiele ließen sich beliebig verlängern: Alternative Ratssitzungen oder der Rathausplatz als bürgerschaftlicher Aktionsplatz des Gemeinsinns..
Es gibt also viel zu tun für mündige Bürgerinnen und Bürger in Recklinghausen, um die Globalisierung in menschliche Bahnen zu lenken auf dem Weg zu einer anderen Welt mit Gewinn an Menschlichkeit, nach dem Motto: Das Volk sind wir!
Bleiben wir untätig, dann werden unsere Kinder und Enkel uns in der Mitte dieses Jahrhunderts fragen, was wir denn für eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz und für die Demokratie-Erhaltung in unseren Städten beigetragen haben - die nicht für die Verlierer-Länder des Südens wie ein tägliches Todesurteil mit zig Millionen Hungertoten wirkt - und welchen Widerstand wir gegen den Niedergang der kommunalen Selbstverwaltung geleistet haben – so wie wir unsere Väter und Großväter nach 1945 auch mit kritischen Fragen bedacht haben.
Was damals der Wiederaufbau zerstörter Städte war, ist heute der Wiederaufbau gesunder Sozialstrukturen und Gedanken gegen den zerstörerischen Trend.
In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit, wenigstens in kleiner Runde.