Dr. Klaus Günter Deutsch von der Deutschen Bank (DB research) hat 2013 in einem Folienvortrag [1] mit dem Titel „Transatlantischer Freihandel - Die wirtschaftlichen Chancen von T-TIP“ aus Bankensicht die wirtschaftlichen Vorteile von TTIP dargestellt. Demnach sei – „als einfache Antwort“ - TTIP allein schon deshalb nötig, um Freihandel mit politischer Kooperation zu verbinden, und zwar um mit einem „umfassenden Ansatz“ eine „umfassende politische Lösung“ zu erreichen. Desweiteren gehe es um Liberalisierung und „Makro-Effekte“ sowie auch um „Internationale Ordnungspolitik der zweiten Wahl“: Die Welthandelsposition der EU (mit minus 3%) und der USA (mit minus 6%) erodiere im Vergleich mit China (plus 10%). Er spricht in Bezug auf das Abkommen von „Unterstützung der Unternehmen und ihrer Verbände, der Parlamente und Regierungen (in der EU) bei weitgehender Neutralität der Gewerkschaften.“
Bei den Transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den EU-Staaten und den USA gehe es um 45% der Wirtschaftsleistungen weltweit, um 40% des Dienstleistungshandels, um 60% der weltweiten Direktinvestitionen und 40% der weltweiten Patente – aber um nur 12% der Bevölkerung in dieser Freihandelszone. Auch gehe es um den kleinen, aber wichtigen Agrarhandel, der in „einer eigenen Liga“ spiele. Problem sei hier der Protektionismus und der Schutz geografischer Herkunftsangaben. Wichtig sei neben der globalen Zusammenarbeit bei Standardsetzungen der Abbau von Barrieren im Dienstleistungshandel, wo es zu viele Schutzregularien gebe. Bestehende Verpflichtungen (GATS etc.) müssten „an den Marktzugang“ angepasst und adiovisuelle Dienstleistungen ausgeklammert werden. Eine interessante Baustelle „mit vielen Fallgruben“ sei das öffentliche Beschaffungswesen.
In seinem aufschlussreichen „politischen Ausblick macht der Banker zum Schluss deutlich, dass die USA (schon aus innenpolitischen Gründen) unbedingt den Erfolg des Freihandelsabkommen will und deshalb „Scheitern nicht zugelassen“ sei. Da die USA bis Dezember 2016 die Ratifizierung anstrebt, müsse wegen des nötigen Vorlaufs der Hauptteil der Verhandlungen bis Dezember 2015 abgeschlossen sein. In den USA gebe es kaum Probleme mit den Interessengruppen oder NGOs. In Europa gebe es nur Kritik von NGOs, aber Einmütigkeit von Rat, Kommission, Parlament und Verbänden. Deutschland sei bei TTIP neben Schweden und Großbritannien der „Treiber“, mit latenter Unterstützung aus Osteuropa und den Benelux-Ländern. Ein Gelingen der politischen Einigung bei 2000 Seiten Vertragstext sei durchaus denkbar, wenn auch nicht innerhalb von 14 Monaten.
Wachstums- und Wohlfahrtsgewinne sowie Arbeitsplätze durch TTIP ?
Eigentlich pflegen die USA und Europa längst die am engsten verwobenen Wirtschaftsbeziehungen der Welt, bis auf den mit Handelshemmnissen versehene Agrarbereich. Insofern sind nennenswerte Wachstumseffekte durch eine Freihandelszone nicht mehr zu erwarten. Die Handelspartner versprechen sich und den kritischen Bürgerinnen und Bürgern dennoch vom Wegfall etlicher Zölle und „Handelshemmnisse“ einen gemeinsamen Wohlstandsgewinn. In Wirklichkeit geht nur vordergründig um den Abbau von Zöllen, die sich im EU-Durchschnitt nur auf 5,2% und in den USA auf 3,5% belaufen[2], manche beziffern sie auch nur bei 2,25%[3]. Im Vordergrund steht die Beseitigung aller Handelshemmnisse. Es wird dadurch u. a. eine Steigerung des BIP erwartet (laut „Wirtschaftswoche“ und „Finanznet“ von 2,5% bis 2,8%, die völlig unrealistisch sind)[4].
Die EU-Kommission verwendet werbewirksam eine Studie des Londoner Institutes „Centre for Economic Policy Research“[5] zum TTIP und rechnet daraufhin für ihren Verbund mit einem zusätzlichen Wachstum von 120 Milliarden Euro pro Jahr sowie mit einem Plus von 400.000 Arbeitsplätzen. [6] Doch die systematischen Jobverluste durch die Verdrängung bisheriger Produktion werden nicht adäquat erfasst. Nebst der Zunahme des BIP um 0,5% bis 1% wird auch gerne eine Steigerung des verfügbaren Einkommens eines Durchschnittshaushaltes in Europa um 545 € prognostiziert. „Nicht erwähnt wird, dass sich diese Entwicklung bis zum Jahr 2027 hinzieht. Auf 14 Jahre gerechnet bedeutet dies ein Plus von drei € im Monat oder ein jährliches Lohnplus in Deutschland von ca. 1,5 Promille.“[7]
Das Münchener Ifo-Institut verspricht in einer Studie allein in Deutschland 25.000 zusätzliche Arbeitsplätze – auf eine Dekade verteilt ein jährliches Plus von ca. 0,06 Promille. Für die USA prognostiziert es 103.000 zusätzliche Jobs, allerdings nur bei umfassender Liberalisierung und Harmonisierung der Märkte, ansonsten aber mindestens 69.000 neue Arbeitsplätze[8] – auf zehn Jahre gerechnet einen Zuwachs der Beschäftigung um 0,05 Promille[9]. Auch die Auswirkungen auf die Löhne werden in der Ifo-Studie zu hoch eingeschätzt: Sie sollen in Deutschland um 4,7% höher ausfallen als ohne TTIP, in den USA sogar um utopische 13,4% - trotz des geringen Exportbeitrages der USA (nur 14% des BIP und nur 2,4% Ausfuhren in die EU).
Es verwundert nicht, dass auch die Bertelsmann-Stiftung optimistische Verheißungen in einer eigenen Prognose (voller Fehler) kundtut, die der Ifo-Studie ähneln (weil der Studienleiter der ifo-Studio auch Autor bei Bertelsmann ist), aber noch über sie um das 15-fache hinausgehen: Von181.000 zusätzlich entstehenden Jobs in Deutschland in den kommenden 15 Jahren, also 12.935 pro Jahr, ist die Rede und von über eine Million in den USA[10]. Der federführende EU-Handelskommissar Karel de Gucht äußerte daraufhin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 21. Januar 2014 unverdrossen: „Der Handel zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten ist wirklich die große Autobahn des Handels: Zwei Milliarden Euro werden hier Tag für Tag umgesetzt.“
Außerdem werden für die Verbraucher „sinkende Preise“ in Aussicht gestellt durch den Abbau protektionistischer Hürden. Zwar würde durch nicht mehr geltende EU-Qualitätsstandards kostensenkende und damit billigere Angebote aus den USA zu erwarten sein, mit dem die teureren Produkte aus der EU vom Markt verdrängt würden, teilweise mit Risiken zu Lasten der Gesundheit oder mit ökologischen Folgen. Auch die Absenkung von arbeitsrechtlichen und tariflichen Standards mitsamt Mindestlähnen könnte die Arbeitskosten und damit die Produktion verbilligen, aber mit schwerwiegenden sozialen Folgen. Außerdem werden die großen Konzerne und Marktführer, also die monopolitische Konkurrenz, die kleinen und mittleren Unternehmen massiv unter Druck setzen und weiter verdrängen (statt einer dekonzentrierten sozialen Marktwirtschaft als Leitbild der Globalisierung Raum zu geben). Damit werden sie auch die Preise „diktieren“ und die erhofften Preissenkungen bleiben in Wirklichkeit aus oder werden teuer erkauft mit sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen zu Lasten der Allgemeinheit[11].
Der Transatlantische „Freihandels-Bluff“ mit den Wirtschaftsdaten
Die von der EU-Kommission stets zitierte und eigens erstellte Studie internationaler Ökonomen beim Londoner cepr-Institut wurde auch vom Journalisten Harald Schumann im „Tagesspiegel“[12] auf ihre wahren Aussagen hin überprüft: Demnach erwarten die Autoren der Studie nach Abschluss des „Megavertrages“ TTIP gerade einmal eine Steigerung der EU-Wirtschaftsleistung von 0,5% in einem Zeitraum von mindestens 10 Jahren (bis 2017), also gerade einmal 0,5% und damit lediglich kaum messbare 0,05% pro Jahr! Diesen Wert können nicht einmal Statistiker und Volkswirte genau messen… Die EU-Kommission selber rechnet aber mit einem zusätzlichen Wachstum des realen Nationaleinkommens der EU von bis zu 0,48% bzw. 86,5 Mrd. €. Der EU-Handelskommissar spricht von 119 Mrd. € jährlich für die Wirtschaft (und 500 € pro Familie in der Geldbörse, obwohl auch das jährliche Lohnplus im Promillebereich liegt) – über die 10 Jahre gerechnet geht es aber gerade einmal um insg. 0,5% , also 0,05% Zuwachs pro Jahr.
Deshalb ist die Rede vom „Transatlantischen Freihandels-Bluff“. Mit diesen bereinigten Zahlen vor laufenden Fernsehkameras konfrontiert, kam EU-Handelskommissar Karel de Gucht regelrecht ins Stottern und in Argumentationsnot. Die deutsche Wirtschaft will aber das Freihandelsabkommen unbedingt und verweist auf die Zahlen der Importe und Exporte zwischen USA und EU. Danach exportierte die EU 2012 für 206 Mrd. € in die USA (davon Deutschland 51 Mrd.) und importierte für 202 Mrd. € (Deutschland 87. Mrd.)[13] So müssen die Statistik und geschönte Prognosen dafür herhalten, die Liberalisierung des Handels den Bürgerinnen und Bürgern und der Politik schmackhaft zu machen.
[1] http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000323269.pdf
[2] wie vor
[3] Chemieverband VDI
[4] a.a.O.
[5] http://www.cepr.org/
[6] http://www.wiwo.de/politik/europa/transatlantisches-abkommen-streit-um-freihandelszone/9057796.html
[7] Harald Klimenta/ Andreas Fisahn . a, „Die Freihandelsfalle“, VSA-Verlag 2014, attac-Basistexte 45
[8] Siehe taz vom 11.02.2014 sowie http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome.html
[9] ebenda
[10] Harald Klimenta/ Andreas Fisahn . a, „Die Freihandelsfalle“, VSA-Verlag 2014, attac-Basistexte 45
[11] Rudolf Hickel,: „TTIP: Internationale Megakonzerne behindern die soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung“, Überarbeiteter Aufsatz vom 17.2.2014
[12] http://www.tagesspiegel.de/meinung/handelszone-zwischen-usa-und-eu-der-transatlantische-freihandelsbluff/9037908.html
[13] Quelle: GTAJ, veröffentlicht durch dpa