Wilhelm Neurohr

Nachdem im letzten Rundbrief (1/2014) sehr ausführlich und detailliert die Problematik des umstrittenen EU-Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP) dargestellt wurden, das wegen des zivilgesellschaftlichen Widerstandes im Europa-Wahlkampf zum Top-Thema aufgestiegen ist, droht nunmehr durch eine weiteres Handelsabkommen noch stärkeres Ungemach. Unter der Überschrift „TTIP war gestern, heute ist TISA“ wird unter anderem bei www.konjuktion.info [1]ein informativer Artikel dazu veröffentlicht, aus dem hier auszugsweise zitiert werden soll, sowie aus weiteren Quellen:

„TISA steht für Trades in Services Agreement (Vertrag zum Handel mit Dienstleistungen) und wird parallel zu TTIP bzw. TPP seit 2012 – wie soll es auch anders sein – ebenfalls hinter verschlossenen Türen und außerhalb der Regelungen der WTO, sowie ohne Beteiligung nationaler Parlamente, zwischen 23 WTO-Mitgliedern “verhandelt”. Neben den USA und der EU sind unter anderem auch Australien, Chile, Kanada, die Schweiz (!) und Japan bei diesen Gesprächen dabei, die insgesamt 2/3 des globalen Handels mit Dienstleistungen ausmachen. Nach Informationen des ORF (Österreichisches Fernsehen) scheinen diese TISA-Verhandlungen sogar Priorität im Vergleich zu TTIP zu besitzen. Der ORF leitet diese Einschätzung aus einem Schreiben der EU-Kommission ab.

Um was geht es bei TISA?

Der Terminus “Handel mit Dienstleistungen” ist weit gefasst und ist mehr als nur die Dienstleistung des Steuerberaters oder Friseurs nebenan. TISA unterscheidet, wie auch der bisherige, äußerst umstrittene Vorläufer GATS, zwischen

  • grenzüberschreitender Erbringung von Dienstleistungen wie Telemedien, eLearning oder Internetspiele
  • Nutzung von Dienstleistungen im Ausland wie Fremdenverkehr oder Medizintourismus
  • ausländische Direktinvestitionen wie die Gründung einer Bankfiliale oder die Erbringung kommunaler Wasser- und Energiedienstleistungen (!!!)
  • Erbringung durch den vorübergehenden Aufenthalt von Personen im Lande des Dienstleistungsempfängers, wie Führungskräfte oder Krankenpflegepersonal, das vorübergehend im Ausland tätig ist.

Galten die GATS-Regelungen vielen Kritikern bereits als zu weitreichend, (obwohl in Länderlisten Ausnahmen zulässig waren, die ebenfalls Liberalisierungsdruck unterlagen), sollen mit TISA neue und noch weitreichendere Einschränkungen und Verpflichtungen eingeführt werden. Jetzt mag der eine oder andere sagen: Und? Was soll’s – ist ja das gleiche wie bisher mit GATS? Dem sei ein kleines Beispiel an die Hand gegeben:

Bei TISA würde – wie bei GATS – das Prinzip der Inländerbehandlung auch für staatliche Beihilfen gelten; das bedeutet, dass jede finanzielle Subventionierung öffentlicher Dienste ausdrücklich ausgeklammert werden muss oder in gleicher Weise privaten gewinnorientierten Dienstleistungserbringern zur Verfügung zu stellen ist. Quasi ein “Subventionierungsfreifahrtschein” für Unternehmen und Konzerne, die dann beispielsweise bei der Energie- und Wasserversorgung, die gleichen finanziellen Unterstützungsleistungen bekommen müssen/würden, wie die quersubventionierten Stadtwerke.

TISA will Rekommunalisierungen verhindern

Zusätzlich würde TISA eine Rekommunalisierung – hier sei nochmals explizit auf die Privatisierung der Wasserversorgung hingewiesen - begrenzen und sogar ausschließen, da dieses Abkommen die Regierungen daran hindern würde, öffentliche Monopole oder vergleichbare „wettbewerbsunfähige“ Formen der Dienstleistungserbringung zu etablieren oder wiederherzustellen. Handelsabkommen wir das TISA haben einen extrem breiten Anwendungsbereich. Sie sorgen nicht nur für die diskriminierungsfreie Behandlung ausländischer Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer. Sie gehen noch weiter, indem sie bestimmte völlig diskriminierungsfreie Regulierungsmaßnahmen von Regierungen einschränken oder sogar verbieten.

Das heißt eine einmal vorgenommene Privatisierung öffentlicher Dienste kann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zurück genommen werden (sog. Stillstands- und Ratchet-Klausel). Egal, ob die Dienstleistung des Privatbetreibers überteuert, unzureichend oder schlicht nicht funktionieren würde. Äußerst interessant wenn man sich z.B. die seit Jahren geplante Privatisierung der Deutschen Bahn in Erinnerung ruft.

TISA beschäftigt sich aber auch mit dem grenzüberschreitenden Datenverkehr und der Privatsphäre. Betroffen sind dabei Dienste, die mit persönlichen Nutzerinformationen (Facebook) arbeiten, Finanzinformationen, Cloud-Computing-Dienste (Dropbox) und digitale Waren. Insbesondere der europäische Datenschutz würde dann als Behinderung des Marktzugangs gewertet werden. Da davon auszugehen ist, dass die USA auch hier ihren Willen durchsetzen werden, werden wir auch in Deutschland laxe US-Datenschutzrichtlinien sehen, inklusive des uneingeschränkten Sammelns und Übertragens von persönlichen Daten!

Daneben stehen auch die Gesundheitsversorgung und die Bildung im Fokus der Verhandlungsführer: Zudem würden nach dem derzeitigen Vertragsentwurf die Regulierungsmöglichkeiten des Staates wie etwa die Lizenzierung von Gesundheitseinrichtungen oder die Zulassung von Schulen und Unis eingeschränkt. Denn verbindliche Regelungen im TISA-Abkommen dazu würden den Konzernen Möglichkeiten geben, gegen neue oder kostspielige Vorschriften vorzugehen.“

TISA contra öffentliche Dienste

Der Deutsche Städtetag hat bereits im Februar 2014 anlässlich der TTIP-Verhandlungen auch seine Sorgen zu TISA artikuliert, weil die Kommunen mit ihrer öffentlichen Dienstleistungen massiv davon betroffen wären[2]. Und unter dem Titel „TISA contra öffentliche Dienste“ haben Scott Sinclar vom „Canadian Centre for Policy Alternatives“ und Hadrians-Merkins-Kirkwood vom „Institut of Political Economy“ der Carleton University im Auftrag der „Internationale der öffentlichen Dienste (PSI)“ die Problematik der öffentlichen Dienste als Handelsgüter in einer lesenswerten und fundierten Studie umfassend dargestellt[3]. Sie halten dies für eine fundamental falsche Vorstellung von dem, was öffentliche Dienste leisten.

In ihrem Vorwort schreiben sie: „Das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (TISA), dass derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit und außerhalb des WTO-Rahmens verhandelt wird, ist ein gezielter Versuch, den Profit der reichsten Unternehmen und Länder der Welt über die Interessen der Menschen zu stellen, die am stärksten auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen sind. Öffentliche Dienste sollen existenzwichtige soziale und wirtschaftliche Aufgaben übernehmen, z. B. in der Gesundheitsversorgung und im Bildungsbereich. Sie sollen bezahlbar und universell verfügbar sein und nach Bedarf angeboten werden. Öffentliche Dienste gibt es, weil der Markt diese Anforderungen nicht erfüllen kann.“

Weiter heißt es: „Außerdem garantieren öffentliche Dienste faire Wettbewerbsbedingungen für Wirtschaft und Handel innerhalb eines effektiven Regulierungsrahmens, der darauf abzielt, Umweltkatastrophen sowie soziale und wirtschaftliche Krisen zu vermeiden- wie z. B. die globale Finanzkrise oder die Erderwärmung. Handelsabkommen fördern gezielt die Kommerzialisierung dieser Dienste und definieren waren und Dienstleistungen nach ihrer Eignung, globalen Konzernen satte Gewinne in die Kassen zu spülen. Selbst die überzeugtesten Befürworter von Handelsabkommen geben zu, dass es in diesem gezinkten Spiel Gewinner und Verlierer gibt, die von vornherein feststehen.

Die Gewinner sind im Allgemeinen wirtschaftskräftige Länder, die ihre Machtposition ungehindert ausspielen können; multinationale Unternehmen, die am besten aufgestellt sind und die neuen Marktzugänge gewinnbringend nutzen können; und eine gut situierte Kundschaft, die sich teure Auslandsimporte leisten kann. Die Verlierer sind meist die ArbeitnehmerInnen, die den Verlust ihrer Arbeitsplätze und Lohnkürzungen hinnehmen müssen, die NutzerInnen öffentlicher Dienste und lokale kleine Unternehmen, die im Wettbewerb mit den multinationalen Unternehmen nicht bestehen können.

TISA gehört zu einer Reihe neuer Handels- und Investitionsabkommen, die tendenziell die alarmierende Zielsetzung verfolgen, auf der Grundlage gesetzlich verbindlicher Regelungen Investorenrechte zu institutionalisieren und Handlungsspielräume von Regierungen in Bereichen einzuschränken, die nur entfernt mit Handelsfragen zu tun haben. TISA wird zur Folge haben, dass Regierungen öffentliche Dienste nach gescheiterter Privatisierung nicht wieder rekommunalisieren können, dass innerstaatliche Vorschriften zum Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz keinen Bestand haben und Regulierungsmöglichkeiten des Staates, wie z. B. die Lizensierung von Gesundheitseinrichtungen, Kraftwerken und Abfallentsorgungsanlagen sowie die Akkreditierung von Schulen und Universitäten, eingeschränkt werden.“

Das multilaterale Dienstleistungsabkommen TISA soll helfen, den Stillstand in den Doha-Verhandlungen zu überwinden

Aus einer weiteren seriösen Quelle [4] , der österreichischen Wirtschaftskammer, gibt es folgende Informationen: „Die EU hat 2005 im Rahmen der WTO-Doha-Verhandlungsrunde ein GATS-Offer gelegt, ein revidiertes Offer aus 2006 liegt aufgrund der mangelnden Fortschritte in Genf seither in der Schublade. In der Folge hat die EU einige bilaterale Freihandelsvereinbarungen abgeschlossen bzw. vorwärtsgetrieben, mit mehr oder weniger ambitionierten Dienstleistungsteilen. Zum TISA, das den Stillstand im Rahmen der WTO brechen soll, geben sich die Partner noch ambitionierter.

Die Verhandlungsgruppe wird von folgenden 23 WTO-Mitgliedern gebildet, die häufig als "Really Good Friends“ tituliert werden: Australien, Chile, Chinesisch-Taipeh, Costa Rica, Europäische Union, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Türkei und Vereinigte Staaten von Amerika.Für die EU liegt seit März 2013 das Verhandlungsmandat für die Europäische Kommission vor.

Die EU und andere haben in den bisherigen Gesprächen zur Akkordierung der Eckpunkte des zukünftigen Abkommens großen Wert darauf gelegt, dass das TISA möglichst der GATS-Architektur folgt und auch vom Ambitionsniveau her multilateralisierungsfähig bleibt, da es aus Sicht der EK das Ziel sein muss, große internationale Player wie China, Indien und Brasilien ebenfalls noch mit ins Boot zu holen. Die WKÖ befürwortet diese Strategie. Zu diesem Zweck erscheint es wesentlich, dass Marktzugangsverpflichtungen ("Market Access“) weiterhin im GATS-Stil (Positivlistenmodell) abgefasst werden.

Eine wesentliche Bedeutung für die Multilateralisierungsfähigkeit des Abkommens wird auch der Einigung zu Standstill (Verpflichtung, nicht mehr hinter das autonome Liberalisierungsniveau zum Stichtag zurückzugehen) sowie zum Ratchet Mechanismus (jede zukünftige autonome Liberalisierung gilt als verpflichtet) zukommen. Abweichend von der bisherigen GATS-Architektur soll Inländerbehandlung ("National Treatment“) jedoch horizontal kodiert werden. Das TISA soll auch neue bzw. verbesserte "Regulatory Disciplines“ enthalten, ein Punkt, der der EU-Kommission sehr wichtig war und ist.

Das Abkommen soll des Weiteren einen effektiven Streitschlichtungsmechanismus beinhalten sowie einen Beitrittsmechanismus vorsehen. Ein ambitionierter, aber realistischer Zeitplan für die Verhandlungen zum TISA sei laut EU-Kommission aus heutiger Sicht ein Abschluss binnen zwei Jahren. Offen ist noch, welche Wechsel- bzw. Rückwirkungen sich aus den beginnenden TTIP-Verhandlungen zwischen EU und USA ergeben werden“. Soweit die Darstellung der österreichischen Handelskammer. (Einen kompakten Überblick bietet die EU- Kommission auf ihren Seiten [5]).“

Fazit: Während die Zivilgesellschaft also vollauf mit der Abwehr von TTIP beschäftigt ist, darf nicht unbemerkt durch die Hintertür mit TISA ein noch Weitergehendes und noch geheimeres Abkommen ohne jegliche Öffentlichkeits- und Parlamentsbeteiligung zum Zuge kommen, mit dem etwaige Erfolge gegenüber TTIP wieder zunichte gemacht werden. Es gibt auch nach der Europawahl viel zu tun für die wache Zivilgesellschaft…


[1] http://konjunktion.info/2014/05/geheimverhandlungen-ttip-war-gestern-heute-ist-tisa/

[2] http://www.staedtetag.de/fachinformationen/wirtschaft/068853/

[3] http://www.world-psi.org/sites/default/files/documents/research/de_tisapaper_final_web.pdf

[4] https://www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/wto/Das-multilaterale-Dienstleistungsabkommen-TISA.html

[5] http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=870