Leserbrief zum Interview mit Franz Müntefering vom 02. Januar 2015: „Hartz IV war richtig – die Erfolge geben uns Recht“.
„Trotziges Schönreden der gescheiterten Hartz IV-Reform“
Die unerträglichen Lobhudeleien über die angebliche arbeitsmarktpolitische „Erfolgsbilanz“ des 10-jährigen Hartz-IV-Gesetzes gipfeln in dem selbstgefälligen Interview mit dem damals mitverantwortlichen SPD-Politiker Franz Müntefering in der RZ. Während die Süddeutsche Zeitung in einem Kommentar vom 27. Dezember Hartz IV zutreffend als „Schikane per Gesetz“ und als „Riesensubventionsprogramm für Niedriglöhne“ bezeichnet, beharrt „Urgestein“ Franz Müntefering trotzig darauf: „Hartz IV war richtig und die Erfolge geben uns Recht.“
Ich will ihm jetzt nicht mit boshafter Polemik „Altersstarrsinn“ unterstellen, aber sämtliche vorliegenden seriösen wissenschaftlichen Langzeituntersuchungen über 10 Jahre Hartz IV kommen zum gleichen Ergebnis einer Misserfolgs-Bilanz des Scheiterns. Das wird von Medien und Politikern penetrant ignoriert und totgeschwiegen, die hartnäckig und gebetsmühlenartig ohne Belege einfach das Gegenteil behaupten. Das trotzige Schönreden der gescheiterten Hartz-IV-Reform ist billige Propaganda und wird die dafür verantwortliche SPD nicht aus ihrem 25%-Tief jemals herausholen.
In Wirklichkeit gibt es unverändert einen langjährigen festen Stamm von Langzeitarbeitslosen, wie auch das hiesige Jobcenter und die Arbeitsagentur kürzlich bestätigten. Der geringe Rückgang der Arbeitslosigkeit, der als Erfolgsfaktor immer wieder angeführt wird, war in Wirklichkeit eine Verschiebung in atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse: in Mini- und Teilzeitjobs oder in Leiharbeit. Das Arbeitsvolumen hat kaum zugenommen. Außerdem rechnet Hartz IV die Arbeitsmarktstatistik schön, weil Hunderttausende Arbeitslose einfach aus der Statistik verschwunden sind, die bei privaten Arbeitsvermittlern registriert sind, in meist unnütze Maßnahmen geparkt werden oder als ältere Arbeitslose aus der Statistik verbannt wurden, obwohl diese ja eigentlich alle bis 67 erwerbstätig sein sollen, usw.
Hauptzweck von Hartz-IV war die Senkung der Leistungen für Erwerbslose sowie der Löhne und Gehälter mit gleichzeitigem Druck auf die noch Beschäftigten, niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Alljährlich stellt die OECD in ihren Berichten fest, dass die stetig zunehmende Armuts- Reichtums-Schere im reichsten Industrieland Deutschland auf die Hartz-IV-Gesetzgebung zurückzuführen ist. Hartz IV hat die Schuld an der Arbeitslosigkeit an diejenigen abgeschoben, die arbeitslos sind, egal ob sie nach fleißigen Jahrzehnten ihren Arbeitsplatz bei Karstadt, Opel, Nokia oder Auguste Victoria verloren haben.
In der Süddeutschen Zeitung prangert Heribert Prantl sogar an, dass Hartz IV Millionen Menschen als potenzielle Faulpelze betrachtet, weshalb mit Hartz IV Elemente des Strafrechtes ins Sozialrecht Einzug gehalten haben – nämlich mit dem umfangreichsten und „wichtigsten“ Sanktionsparagrafen 32 des SGB II mit seinem „erzieherischen Auftrag“ gegenüber mündigen Menschen. Wie passt das zu einem Sozialstaat, Herr Ex-Arbeitsminister Müntefering? (Manchmal wünschte ich, beim Aufschlagen der RZ, ich fände hier auch mal so einen mutigen und kritischen Kommentar, jenseits des Mainstreams zu Hartz IV…)
Wilhelm Neurohr