Leserbrief zu den zahlreichen rechtspopulistischen Leserbriefen vom 15.11.2015 in der RZ (Leserbriefseite)
„Stammtischniveau: Die Grenzen des Erträglichen überschritten“
Auf der jüngsten Leserbriefseite vom 11. Januar 2015 waren insgesamt 11 Leserbriefe veröffentlicht, davon 9 rechtspopulistische Briefe von Bekennern und Verteidigern der Pegida mit islamophobem oder sogar offen rassistischem Inhalt, nur 2 Briefeschreiber haben dagegengehalten. Auch die vorherigen 3 Leserbriefseiten zeigten insgesamt eine erschreckende Dominanz der rechtspopulistischen Leserbriefschreiber. Diese schreiben zurzeit offensichtlich besonders eifrig auf ihrem Stammtischniveau und überschreiten dabei die Grenze des Erträglichen, während sich die gemäßigten und differenziert und niveauvoll urteilenden Schreiber mit gegenteiligen Meinungen auffallend zurückhalten.
Somit entsteht der falsche Eindruck, als fände im Verbreitungsgebiet der Bauer-Zeitungen das Gedankengut von Pegida mitsamt Ausländerfeindlichkeit zu 80% Zustimmung bei der Leserschaft und Bevölkerung in dieser Region, mehr noch als in Dresden. In Wirklichkeit spiegelt dieses Meinungsspektrum keineswegs die Mehrheitshaltung der Bevölkerung, wie auch in der jüngsten Sendung von „hart aber fair“ aufgezeigt wurde: Allein die zahlreichen Gegendemonstranten übertreffen die kleine Minderheit der Pegida-Demonstranten überall um das zigfache. Gerade das Ruhrgebiet als Zuwanderungsregion hat sich mehr als ein Jahrhundert als Musterregion bei der Integration von Menschen aus über 90 Nationen als vorbildhaft erwiesen!
So lobenswert es einerseits ist, dass die Redaktion in liberaler Haltung allen Leserbriefschreibern breiten Raum gibt und keinerlei „Zensur“ ausübt, so bedenklich ist es jedoch andererseits, dass seit Wochen auch solche Meinungsäußerungen ungefiltert veröffentlicht werden, die über das Stammtischniveau hinaus auch Menschenverachtung offen oder versteckt zum Ausdruck bringen und mit der Verletzung von Menschenwürde und Menschenrechten argumentativ keine Schamgrenze haben. Zwar betont die Redaktion ausdrücklich, dass die veröffentlichten Leserbriefe keinesfalls die Meinung der Redaktion wiedergeben, aber reicht das?
Immerhin gibt es ja den Pressekodex des deutschen Presserates, der in den Ziffern 1 und 8 bis10 für die Wahrung der Menschenwürde bei allen Veröffentlichungen eintritt und den Schutz der Persönlichkeit, der Ehre, der Religion, Weltanschauung und Sitte als Kriterien und Orientierungsmaßstäbe nennt. Ein Blick in die allgemeine Uno-Erklärung der Menschenrechte (Artikel 1 bis 3 und Artikel 6-7 sowie Artikel 13 bis 15 und 18 bis 22) gäbe genügend Anhaltspunkte für eine zu verweigernde Veröffentlichung. Denn davon waren einige Leserbriefe weit entfernt, wie z.B. der regelrecht menschenverachtende und rassistische Brief von Herrn Ebinger, dem Herr Kaschel dankenswerterweise in seiner Entgegnung deutlich widersprochen hat.
Auch Frau Raffel mit ihren regelmäßigen Briefen entlarvt sich selber, wenn sie zuletzt schreibt: Sie verstehe unter freier Meinungsäußerung ihr eigenes Recht der freien Meinungsäußerung, aber keinesfalls das Recht Andersdenkender auf eine Gegenmeinung, die sie nicht hören will. Damit wird die ganze Intoleranz und Diskurs-Unfähigkeit der Rechtspopulisten sichtbar, die einen „Dialog mit den Pegida-Anhängern“ unmöglich machen, wie ihn manche Politiker fordern.
P. S. Wenn die Redaktion also alle diese kruden Meinungsäußerungen „unzensiert“ veröffentlicht, stellt sich für mich die Frage, warum dann neulich ohne Begründung ein Leserbrief von mir auf der Regionalseite nicht veröffentlicht wurde, der sich lediglich kritisch mit der Zins- und Gebührenpolitik und „Abzockerei“ der öffentlich-rechtlichen Sparkasse Vest auseinandersetze und sich mit den dortigen Spitzengehältern und Sitzungsgeldern im Verwaltungsrat befasste. Überwog hier wohl die Sorge der Herausgeber vor evtl. einbrechenden Anzeigen-Aufträgen der Sparkasse…? So misst die Redaktion mit zweierlei Maßstäben?
Wilhelm Neurohr