Sperrklausel-Debatte: Über 1,4 Mio. Wähler in NRW würden durch 3%-Hürde verprellt
Leserbrief zum RZ-Leitartikel vom 2. Juni 2015:
Nie wieder dürfen sich die etablierten Parteien über die dramatisch sinkende Wahlbeteiligung beklagen (wie etwa nach den jüngsten Bremen-Wahlen), wenn sie ihre unlautere Absicht wahrmachen, in NRW die Dreiprozenthürde mit fadenscheinigen Argumenten bei der Kommunalwahl einzuführen! Denn damit würden sie über 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler in NRW verprellen, die sich von den großen etablierten Parteien nicht vertreten fühlen und deshalb bei der Kommunalwahl 2014 in NRW andere Bewerbergruppen gewählt oder selber örtliche Bürgerlisten aufgestellt haben. (Selbst die kleinen Parteien wie die Linke oder FDP mit jeweils nur 4,7% Wählerstimmen landesweit hatten schon mit der noch bestehenden 5%-Hürde ihre Probleme).
Deshalb haben insgesamt ca. 10% der Wählerinnen und Wähler auf der Suche nach Alternativen bei der letzten NRW-Kommunalwahl 2014 den übrigen 23 angetretenen kleinen Parteien und den insgesamt 543 lokalen Wählergruppen in NRW sowie Einzelbewerbern stattdessen ihre Stimmen gegeben (und damit den größten Zuwachs mit +3,6% beschert: siehe amtliches Landesergebnis der Kommunalwahl NRW 2014), die bei einer niedrigen Sperrklausel komplett unter den Tisch fallen würden.
Das Kalkül der großen Parteien, dass die so genannten „Protestwähler“ aufgrund einer niedrigeren Sperrklausel mangels künftiger Alternativen reumütig zu den etablierten Parteien als ihre Wähler zurückkehren würden, wird garantiert nicht aufgehen! Vielmehr würden die unter „Sonstige“ registrierten 10% Wählerstimmen bei Wegfall absehbar dafür sorgen, dass die gerade mal erreicht Wahlbeteiligung von genau 50% in NRW auf nur noch 40% absinken würde. Ist das wirklich gewollt?
Wenn sich die Parteien im Landtag die hanebüchenen Argumente des „Gefälligkeitsgutachtens“ des Prof. Bogumil von der Uni Bochum als Alibi zu eigen machen, dann zeigen sie damit ein erschreckendes Demokratie-Verständnis: „Ermüdende Debatten in den Stadträten und Kreistagen sowie die abgefragte Meinung der Bürgermeister und Landräte“ sprächen für die 3%-Klausel. Mit anderen Worten: Wenn die parlamentarische Demokratie vor Ort zu anstrengend wird für die regierenden Bürgermeister – und Demokratie ist immer anstrengend – dann schaffen wir sie am besten ab oder schränken sie zumindest ein zugunsten der Privilegien und Pfründe der etablierten Parteien? Mit „sicheren Mehrheiten und Koalitionen“ lässt es sich leichter „durchregieren“? Ein demokratisches Armutszeugnis von SPD/CDU/Grünen im Landtag NRW, für das sie ihre Quittung bei den nächsten Wahlen erhalten werden! Und die Nichtwählerpartei klettert auf 60% plus….
Wilhelm Neurohr