Das Interview auf der Titelseite mit Prof. Rürup zum Thema „Rente mit 63“ erweckt den falschen Eindruck, als würde hier ein „neutraler Experte“ und Wissenschaftler als langjähriger Berater der Bundesregierung befragt, der keine eigenen Interessen, sondern „objektive wissenschaftliche Erkenntnisse“ vertritt. Leider verschweigt uns die Redaktion, dass es sich bei Bernd Rürup um einen rührigen Lobbyisten der Versicherungs- und Finanzwirtschaft handelt, der an der Teilprivatisierung unseres Rentensystems („Rürup-Rente“) zugunsten der Versicherungswirtschaft ebenso gut verdient wie ein gewisser Walter Riester an seiner „Riester-Rente“ (heute als „Seiten-wechsler“ Aufsichtsrat bei der „Union Investment“ und anderen Finanzdienstleistern).
Denn auch der Darmstädter Prof. Bernd Rürup war nicht nur Mitglied des Sachverständigenrates (Wirtschaftsweiser) der Bundesregierung und in deren Beraterkreis für die Riester-Rente sowie Vorsitzender der Rürup-Kommission zur Frage der Fi-nanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Sondern nebenbei war er (mit Wissen und Billigung der Bundesregierung) unter anderem Gründer und bis 2013 Vorstands-vorsitzender der Finanzberatungs-Firma „Maschmeyer-Rürup AG“, zusammen mit dem schillernden Carsten Maschmeyer. Zuvor war Rürup eine Zeitlang Geschäftsführer und Chefökonom der AWD Holding AG, außerdem noch Aufsichtsratsmitglie-der der Pensionskasse des AXA-Versicherungskonzerns, Referent und Lobbyist für den Finanzdienstleister MLP, zudem noch Vorsitzender des Kuratoriums des wirtschaftsnahen Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) sowie gut bezahl-ter Gastredner bei IHK, Banken und Aufsichtsräte.
Rürup und Maschmeyer berieten national und international Banken und Versicherungen zu Fragen der Alters- und Gesundheitsvorsorge. Und Rürup beriet die Bundesregierung quasi „in eigener Sache“ bei der Rentenreform. Heute gilt die „Rürup-Rente“ laut Verbraucherberatung als „Rürup-Falle“, denn das staatlich geförderte Modell ist für viele Sparer ein Reinfall, weil die hohen Provisionen das angesparte Vermögen wieder „auffressen“. Und aus den unkündbaren Verträgen kommt niemand wieder heraus. An den Gesetzesregelungen im Ministerium hatte Rürup federführend mitgeschrieben.
Bekanntlich geriet Rürups Geschäftspartner Maschmeyer als Finanzdienstleister der AWD – zu denen neben Bernd Rürup auch Walter Riester gute Geschäftsbeziehungen unterhielt - mit seinen umstrittenen Geschäftspraktiken in die negativen Schlagzeilen, ebenso mit der Wahlkampffinanzierung von Gerhard Schröder (unter Verstoß gegen das Parteispendengesetz) und den umstrittenen Geschäftskontakten zum niedersächsischen Ex-Ministerpräsidenten Christian Wulff. Alles dieses verschweigt uns der Redakteur anlässlich seines Interviews, obwohl mit einer Internet-Recherche oder bei den Lobbycontrol-Organisationen alles das in Erfahrung zu bringen ist.
Doch wenn es darum geht, in den Medien Stimmung gegen die Rente mit 63 zu machen, dann ist jeder fragwürdige „Experte“ als Interviewpartner willkommen, ob ehemalige Regierungsberater und Lobbyisten, ausgeschiedene Bundesarbeitsminister wie Müntefering oder der beleidigte Ex-Kanzler Schröder an seinem 70. Geburtstag, dessen Agenda 2010 wahrheitswidrig als „Erfolgsmodell“ gefeiert wird – obwohl laut Umfragen eine absolute Mehrheit der Bevölkerung gegen ein höheres Rentenalter votiert. Die Versicherungswirtschaft (als größter Spendenzahler an Parteien und Anzeigenkunde bei den Zeitungen) wird sich über die Medienkampagnen freuen, denn sie ist die einzige, die von der privaten Rentenversicherung profitiert…