Im Bundestagswahljahr 2013 wird uns täglich von den Medien und Parteien fälschlich suggeriert, wir dürften unsere „Regierung“ und unsere Kanzlerin oder den Kanzler (als „Regent“ für die nächsten vier Jahre) in einer Art Direktwahl neu wählen. In Wirklichkeit wählen wir mit unseren zwei Stimmen ausschließlich die Zusammensetzung des Parlamentes und die Volksvertreter aus unserem jeweiligen Wahlkreis (an deren Vorauswahl wir leider nicht beteiligt werden). Der Kanzler oder die Kanzlerin wird hingegen vom Bundestag vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt, der den Kanzler dann mit der Auswahl der Minister und der Regierungsbildung beauftragt. Kanzler und Minister brauchen weder dem Bundestag anzugehören noch zwingend Mitglieder einer Partei zu sein oder Listenführer auf Parteilisten. Es täte der parlamentarischen Demokratie sogar gut, wenn die Regierungsmitglieder unabhängige Fachleute wären, die nicht als abhängige „Erfüllungsgehilfen“ einer Mehrheitspartei oder Koalition agieren. Denn in einer parlamentarischen Demokratie bestimmt allein der Bundestag als gesetzgebende Gewalt (Legislative) die Richtlinien der Politik und „regiert“ somit eigentlich mit seinen jeweiligen Mehrheiten. Die sogenannte „Regierung“ mit der Kanzlerin an der Spitze hat als Exekutive lediglich die vom Parlament beschlossenen Gesetze anschließend auszuführen und für deren Einhaltung zu sorgen. Denn das Volk (mit seinen mehr oder weniger repräsentativen Vertretern) ist der Souverän! Die Kanzlerin hat uns also nicht zu „führen“, wie von vielen Zeitungskommentatoren stets gefordert, sondern gefälligst nur das auszuführen, was ihr die gewählten Volksvertreter vorgeben. Auch Verhandlungen der Regierung z. B. mit anderen Staaten oder in der EU erfolgen lediglich im Auftrag und mit Zustimmung des Parlamentes. Insofern bezieht sich die politische Richtlinienkompetenz der Kanzlerin ausschließlich auf das Innenverhältnis im Bundeskabinett gegenüber ihren Ministerinnen und Ministern. In den Medien und in der Parteipropaganda wird hingegen der Eindruck zu erwecken versucht, die Rolle unserer Kanzlerin als „Regierungschefin“ sei vergleichbar mit den Kompetenzen und Vollmachten etwa der Staatspräsidenten in Frankreich, Amerika oder Russland als Präsidialdemokratien. Fälschlich loben die Medien sogar ausdrücklich den „präsidialen“ Führungsstil der deutschen Bundeskanzlerin oder titulieren sie sogar fälschlich als „Staatsoberhaupt“ (wie sie sich sogar selber in einem Fernsehinterview peinlicherweise wiederholt bezeichnete). In Wirklichkeit kommt die Kanzlerin in der Hierarchie der Staatsämter erst an vierter Stelle hinter dem Bundespräsidenten, dem Bundestagspräsidenten und dem Bundesratspräsidenten. Diese haben unser Volk zu repräsentieren, und nicht etwa die Kanzlerin bei Fußballländerspielen und anderen Anlässen. Auch ist es eine Verzerrung der Rollenteilung zwischen Legislative und Exekutive und eine Selbstentmündigung des Parlamentes, wenn die meisten Gesetzesinitiativen aus den Ministerien statt aus dem Parlament kommen, das als Gesetzgebungsorgan in der Praxis fast nur noch auf die Politik der Minister reagiert, die sich damit legislative Funktionen anmaßen. Nicht nur in der Wählerschaft, auch bei den politischen Eliten macht sich bemerkbar, dass vor vielen Jahren der frühere Staatsbürgerkunde-Unterricht in den Schulen abgeschafft worden ist. Allzu sehr spuken in der Bevölkerung und in der politischen Subkultur die feudalherrschaftlichen Regierungssysteme noch in den Köpfen oder man schielt neidvoll auf die aus den Monarchien geborenen Staatsoberhäupter in Großbritannien, Spanien, Niederlande, Schweden usw. Die Sehnsucht nach starker Führung oder „mit starker Hand geführt“ zu werden, hat ihre Wurzeln in vordemokratischen Zeiten oder in unserer heutigen Zuschauerdemokratie. Nach über 60 Jahren vorbildlichem Grundgesetz sollten wir endlich zu einer partizipativen Mitmach-Demokratie mündiger Bürgerinnen und Bürger übergehen, und uns nicht – wie die einstmals „großen“ Volksparteien – zum bloßen „Kanzlerwahlverein“ im Bundestagswahljahr 2013 degradieren lassen! Doch nicht einmal den „Regierungschef“ dürfen wir direkt wählen.