Im Mai plädierte Bundeskanzlerin Merkel nach dem Rat ihrer „Wirtschaftsweisen“ mit Nachdruck für die Anhebung des Pensions- und Rentenalters von bislang 67, wie von SPD-Arbeitsminister Müntefering seinerzeit durchgedrückt, auf künftig 69 Jahre - und das möglichst europaweit nach dem „Vorbild“ Deutschland. (In den meisten anderen europäischen Ländern gelten bislang noch auskömmliche Renten ab 60 bis 65). Gewerkschaften und Sozialpolitiker halten die Forderung nach nochmaliger Heraufsetzung des Rentenalters für weltfremd und arbeitsmarktpolitisch unrealistisch, da heute im Durchschnitt die Arbeitnehmer mit 63 Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden und Ältere keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt haben.
Generell ist die zwangsweise Anhebung der Lebensarbeitszeit bis zum 69. Lebensjahr trotz des demografischen Wandels völlig unnötig und nichts anderes als ein gigantisches Rentenkürzungsprogramm in Richtung Armutsrenten, da selbst bei weiterem Anstieg der Lebenserwartungen fast 80% der Älteren aus Gesundheitsgründen oder mangels betrieblicher Voraussetzungen mit 67 oder 69 Jahren nicht mehr berufsfähig sein können. Und sehr viele würden gar nicht mehr ihr Rentenalter erreichen, sondern früher versterben; die übrigen hätten nicht mehr lange etwas von ihrer Rentenzahlung nach dem 70. Lebensjahr, so dass sich auch die Auszahlungsdauer verkürzt.
An der solidarischen Finanzierung der sozialstaatlichen Rentenkasse müssen alle Bevölkerungsgruppen und Vermögenden beteiligt werden
Abgesehen davon, wollen die Menschen laut Umfragen auch gar nicht bis ins Greisenalter hinein gezwungenermaßen Erwerbsarbeit verrichten, sondern das gewünschte Ausstiegsalter liegt eher bei 59 Jahren. Dennoch wird Politik gegen den Willen des Volkes gemacht, indem angebliche „demografische Sachzwänge“ und daraus resultierende Finanzierungsprobleme für die Rentenkassen vorgeschoben werden. Jedoch ist aus demografischen oder finanziellen Gründen, wie man uns weismachen will, die Anhebung des Rentenalters in Wirklichkeit gar nicht nötig, zumal die Rentenfinanzierung auch anders als bisher gesichert werden kann - und der politische Missbrauch der Rentenkasse für die Finanzierung anderer Staatsaufgaben zu unterbinden ist, ebenso wie die Teilprivatisierung der Altersvorsorge, wie von Lobbyisten angestrebt. Auch über die mögliche Anhebung der steuerlichen Zuschüsse zur Rentenkasse ist zu diskutieren, sofern der Staat im Sinne sozialer Gerechtigkeit bereit wäre, endlich wieder Steuern von Wohlhabenden und für Finanzmarktspekulationen zu erheben zur Finanzierung des Sozialstaates.
Vor allem müssten alle Bevölkerungsgruppen an der Finanzierung unseres Sozial- und Rentensystems beteiligt werden, also etwa auch die Selbständigen und Vermögenden. Dass die Renten wegen des demografischen Wandels nicht mehr in bisherigem Umfang finanzierbar seien, ist also ein Propagandatrick, um über niedrigere Renten auch mehr Akzeptanz für immer niedrigere und prekäre Löhne zu erzielen – denn sonst könnten bisherige Rentner bald besser dastehen als Erwerbstätige mit Niedriglöhnen, was niemandem vermittelbar wäre. Ergo müssen Löhne und Renten gleichermaßen nach unten? Mit dem verfassungsgemäßen Sozialstaatsgebot hat das nur noch wenig zu tun.
Im reichsten Land Europas mit einem Bruttosozialprodukt von 2,4 Mio. € jährlich und stetig steigendem Produktivitätsfortschritt, der sich in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln wird, seien angeblich die Renten nicht mehr finanzierbar – so will man uns weismachen? Andere Länder wie die Schweiz, Dänemark oder Holland haben intelligentere und sichere Rentensysteme, die auch dem demografischen Wandel standhalten, der schließlich nicht nur Deutschland betrifft. Aber auch unser Rentensystem ist im Grunde genommen demografiefest, wenn man die Milchmädchenrechnungen der Politiker entlarvt.
Geringfügige Anhebung des Rentenversicherungsbeitrages würde dauerhaft Rentenkürzung und Erhöhung des Rentenalters erübrigen
Mit 2% Beitragsanhebung für die Rentenkasse (davon 1% paritätisch durch die Arbeitgeber) könnte man trotz demografischem Wandel das heutige Rentenniveau ohne Abstriche bis 2080 finanziell sichern, ohne die jüngere Generation mehr zu belasten, so ist von Fachleuten errechnet worden. Um eine zur Rentensicherung erforderliche 2%-ige Anhebung der monatlichen Beiträge zur staatlichen Rentenversicherung jedoch zu vermeiden (insbesondere 1% Arbeitgeber-Beitrag zu verhindern), raten die Politiker stattdessen zu 4% zusätzlichem Monatsaufwand für die (am Finanzmarkt unsichere) private Riester-Rente, um damit Lobby-Interessen zu bedienen, statt die Interessen der Rentenversicherten im Auge zu haben. Bemühen wir Adam Riese: Sind 4% denn weniger Mehrbelastung als 2%?. Doch die Stabilisierung der bewährten und nachhaltig zukunftsfähigen gesetzlichen Rentenversicherung ist politisch nicht gewollt. Stattdessen versucht man aus taktischen Gründen, junge und alte Generation gegeneinander auszuspielen, um die wahren Motive der Lobbyisten zugunsten der Privatisierung der Altersvorsorge zu verschleiern.
Bei der neu entfachten politischen Debatte um die Anhebung des Rentenalters auf 69 in Deutschland, die es in keinem anderen europäischen Land gibt, wird wieder gebetsmühlenartig die demografische Verschiebung der Altersstruktur als Vorwand für Rentenkürzungen aufgetischt. Weiterhin will man uns weismachen, dass wegen der Überalterung der Gesellschaft nicht mehr genug Geld da sei, um die Altersversorgung sicherzustellen. Deshalb müsse angeblich die Altersgrenze für den Renteneinstieg stetig angehoben werden, zumal „die Menschen immer länger leben und gleichzeitig weniger Kinder bekommen“, so lautet das beliebte und schlichte (vorgeschobene) Argument. Dieses scheinbar logische und oberflächlich einleuchtende Rechenexempel, wonach nur 4 Erwerbstätige einen über 65-jährigen mitversorgen müssen (in 40 Jahren werden es nur noch zwei sein), ist aber ein ziemlicher Schwindel. Denn in Wirklichkeit ist nicht die sich wandelnde Altersstruktur der Bevölkerung das eigentliche Problem als „Sachzwang“ bei der Rentenfinanzierung, sondern die Art und Weise, wie die Gesellschaft damit umgeht.
Rentenniveau ist keine demografische Altersfrage,sondern eine volkswirtschaftliche Verteilungsfrage
Tatsächlich hängt die Frage der Finanzierbarkeit der Sozialsysteme viel mehr von der Wirtschaftskraft eines Landes ab und davon, welcher Teil des erwirtschafteten Geldes zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben verwendet wird, etwa auch über steuerliche Zuschüsse für die gesetzliche Rentenkasse. Bisher wurden die Renten für die älteren Menschen von dem Geld finanziert, das der erwerbstätige Teil der Bevölkerung in die Sozialversicherungen einzahlte, gerecht gestaffelt nach der Höhe des Einkommens. Mit den nun eingeführten privaten Rentenfonds will man Wohlhabende weniger Sozialbeiträge zahlen lassen, zu Lasten der Durchschnitts- und Geringverdiener.
Wer von Demografie redet, um die Renten zu kürzen, hat sich auf eine beständige Umverteilung von unten nach oben eingestellt. Den eigentlichen demografischen Wandel hat unsere Gesellschaft nämlich längst hinter sich: Vor 100 Jahren kamen auf einen über 65-jährigen noch 12 Erwerbstätige, 1950 waren es sieben. (Diese mussten neben den Rentnern auch noch wegen des Kinderreichtums zahlreiche junge Menschen mitversorgen, so dass die sozialen Versorgungsleistungen der Gesellschaft nicht an den Altersgruppen festgemacht werden können!). Die Rente zahlen nicht die Jungen für die Alten, sondern die Beitragszahler für die Beitragsempfänger. Und ganze Bevölkerungsgruppen sind von der solidarischen Beitragszahlung fälschlich befreit, zumal nur vom Erwerbseinkommen, nicht aber vom Vermögenseinkommen Beitrag abzuführen ist.
Mit der ständig gestiegenen Produktivität bei steigenden Einkommen trotz kürzerer Arbeitszeit ist diese dramatische demografische Veränderung spielend bewältigt worden. Auch in Zukunft wird sich mit der ständig steigenden Produktivität (1,8% jährlich) unserer Volkswirtschaft der gesellschaftliche Reichtum in den nächsten 50 Jahren verdoppeln, d.h. vom Baby bis zum hundertjährigen Rentner wird für jeden der doppelte Reichtum zur Verfügung stehen. Es stellt sich lediglich die Verteilungsfrage. Denn immer weniger Beschäftigte werden bei steigender Produktivität in der Lage sein, auch immer mehr Rentner zu versorgen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage der Heraufsetzung des Rentenalters absurd, es könnte vielmehr drastisch heruntergesetzt werden, denn je mehr erwerbslose Frauen und Jugendliche dadurch in Arbeit kämen, desto mehr Einzahler gäbe es wieder für die Rentenkasse.
Künstlich geschürter Generationenkonflikt als Verteilungskampf ist eine überflüssige und infame Ablenkung von den eigentlichen Absichten
Ein stattdessen künstlich geschürter Scheinkonflikt und Verteilungskampf zwischen jüngerer und älterer Generation ist für die Rentenfrage dabei ebenso ungeeignet wie die von Lobbyisten erreichte Teilprivatisierung der Altersvorsorge („Riester-Rente“) in Form risikoreicher privater Rentenfonds und Wertpapiere, die nur bis zum nächsten Börsencrash sicher sind. Derzeit verdient Ex-Minister Riester mit seinen Beratungsunternehmen am meisten daran. Statt 4% zusätzlich in die private Altersvorsorge zu stecken, wäre eine nur 2%ige Erhöhung des gesetzlichen Rentenbeitrages viel effizienter, sicherer und nachhaltiger, auch wenn sich die Arbeitgeber und Selbständigen gegen die solidarische Mitfinanzierung wehren. Die Beitragszahler wären dazu bereit, wenn sie allein dadurch ein niedrigeres Renteneintrittsalter und eine angemessen Rentenhöhe garantiert bekämen.
Demografie ist also nicht die Ursache, sondern lediglich der Vorwand für breite soziale Verschlechterungen – deshalb ist die aktuelle Rentendebatte eine Chance, die „Rentenlüge“ und die „Demografie-Lüge“ zu entlarven statt sie als Volksverdummung über die Medien täglich in die Köpfe zu hämmern. Der individuell gewählte Berufsausstieg zwischen 60 bis 65 ohne Rentenabstriche ist keine Finanzierungsfrage, sondern scheitert nur an bestimmten Interessengruppen und davon abhängigen Politikern, die uns in unserer Lebensplanung bevormunden wollen, aber selber schon in frühem Alter wohlversorgt sind.