Wilhelm Neurohr

Die Berliner Phorms Management Aktiengesellschaft will in den kommenden zehn Jahren mindestens 40 neue Privatschulen flächendeckend in ganz Deutschland gründen und damit zum führenden Privatschulanbieter in Deutschland werden. Ziel sei es, „exzellente Bildung“ anzubieten und damit Gewinne zu erzielen und sich als „Bildungsmarke zu etablieren“, um den „öffentlichen Schulen einzuheizen“. Mittelfristig will das expandierende Unternehmen an die Börse gehen. Was ist davon zu halten, Privatschulen erstmalig in Deutschland als Aktiengesellschaft zu betreiben - und wie gehen die mittlerweile 197 Waldorfschulen in Deutschland mit dieser kommerziellen „Konkurrenz“ um?

Jede Woche werden in Deutschland ein bis zwei private Schulen gegründet; jedes Schuljahr kommen 80 bis 100 allgemeinbildende Schulen in privater Trägerschaft hinzu, während staatliche Schulen schließen müssen, weil deren Schülerzahl sinkt. Privatschulen haben nach dem Pisa-Schock Hochkonjunktur, zumal der Anteil leseschwacher 15-jähriger Schüler EU-weit auf 25% angestiegen ist. Über 20 bis 30 % aller Eltern würden gerne ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, aber die 7,5% Schulen in freier Trägerschaft können die Nachfrage bei Weitem nicht abdecken. Nur jeder 14. Schüler besucht in Deutschland eine Privatschule; die Wartelisten sind lang und die Staatsschulen sind herausgefordert, sich zu wandeln.[1]

Die GLS-Bank, die Schulgründern Kredite gewährt, bekommt allein für die süddeutschen Bundesländer alle zehn Tage eine Anfrage von Gründerinitiativen. In Norddeutschland sorgte der Gründungsboom dafür, dass in den vergangenen zwei Jahren mehr private Schulen entstanden als in den Jahren davor. Auch die „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ konnten zum Jahresbeginn 2008 vermelden, dass die sich weltweit ausbreitende Waldorfschulbewegung die Zahl von 1000 Waldorfschulen erreicht hat, trotz aller Finanzierungsprobleme.

Unternehmerisches Denken in Schulen: Schüler als Aktionäre?

„Eine Schule ist auch ein Unternehmen“ und Lehrer müssten unternehmerisch denken, meint Ulrich Wiechert, Leiter der pädagogischen Sektion am Goetheanum, auf die Frage nach der Zukunft der Waldorfschule.[2] Quantitatives und qualitatives Wachstum in den Schulen sei nötig, um den Lehrern eine echte Existenzgrundlage zu verschaffen. Als Träger privater Lehranstalten fungieren jedoch bisher nur gemeinnützige Vereine, Stiftungen oder Kirchen, die auf die staatlichen Zuschüsse angewiesen sind. Nunmehr kommt die eigens gegründete privatwirtschaftliche PHORMS Management AG als Kette auf den Markt, mit 24 Anteilseignern und einem eigenen Startkapital von einer Million € durch private Investoren. Sie erklärt Bildung zum „Produkt“, um damit nach Rendite zu streben.

Die AG betreibt bereits bilinguale Ganztagsschulen mit insgesamt 500 Schülern und 60 Lehrern in Berlin, Köln, München und Frankfurt (sowie Planungen in Hamburg und Hannover) - mit einer Atmosphäre als „Mischung aus britischer Disziplin und amerikanischer Überschwänglichkeit“, wie es die „Berliner Morgenpost“ wegen der anglo-amerikanischen Ausrichtung der PHORMS-Schulen beschreibt. Diese orientieren sich an amerikanischen Sudbury Schools und lassen regelmäßig den Unterricht von Bildungsberatern aus dem anglo-amerikanischen Raum kritisch beurteilen.

Das Privatschulunternehmen ist optimistisch als siegessicherer „Marktführer auf dem Bildungsmarkt“ in Deutschland: „Die Management AG muss effizient wirtschaften und sich auch tragen“, betont die Vorstandsvorsitzende Béa Beste, ehemalige Unternehmensberaterin bei Boston Consulting, in einem Interview auf der Hompage des Goethe-Institutes. „Wir sind schließlich Unternehmer und möchten wirtschaftlich arbeiten. Was funktionieren soll, muss wirtschaftlich sein“, lautet ihr Motto. Es gehe nun mal um „Qualitätsmaximierung“, und dafür sei Geld „nun einmal der Treibstoff“, um den Kindern die „bestmögliche Ausbildung nach den neuesten Lehrmethoden und mit der besten Ausstattung zu bieten.“ Dafür gewährt die AG den einzelnen Schulen Kredite.

„Ab 120 Schülern trägt sich eine Schule selbst“, davon ist der Initiator und Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Alexander Olek überzeugt, der 2001 als Biotec-Gründer zum „Unternehmer des Jahres“ gewählt wurde. Es sei ein „fairer Deal“, wenn die „Kunden“ den Unternehmer für gute Bildung bezahlen. Und Sabine Drexler, Operations Manager der AG, fügt in einem taz-Interview hinzu: „Wir nehmen die staatlichen Schulen in die Pflicht, indem wir Konkurrenzdruck ausüben“ und „einfach auf der Privatschulwelle mitschwimmen“. Natürlich müsse man „dafür auch ein bisschen besser sein als das öffentliche System.“ Das Grundanliegen: Bildung als Wettbewerbsvorteil und Wettbewerbsfähigkeit für jedes Kind. Finanzvorstand Johannes Nagel ergänzt: „Wäre doch toll, wenn die Schüler irgendwann Aktien ihrer Schule erwerben können.“[3]

Das Klassenzimmer als profitables Dienstleitungsunternehmen?

Das „Geschäftsmodell Klassenzimmer“ ist als Dienstleistungsunternehmen konzipiert, dass neben den eigenen PHORMS-Schulen (mit einem überdimensionierten Computer als Tafel im Klassenzimmer)) auch staatliche Bildungseinrichtungen übernehmen und nach seinem eigenen Konzept reformieren möchte und sich in die Lehrerausbildung einmischen will. Zudem will es anderen Bildungseinrichtungen alle wesentlichen Leistungen „zu marktüblichen Preisen“ anbieten - vom IT-Service bis zur Lehrerfortbildung, aber auch Personalrekrutierung, Buchführung und Verwaltung. Über eine internationale „Taskforce“ soll stets der neueste Stand der internationalen Forschung zur individualisierten Bildung und Talentförderung einbezogen werden, um weltweite Bildungsstandards und das Beste der reformpädagogischen Ansätze zu vereinen.

Die Ideen entstammen einem Business-Plan erfahrener Unternehmer, die besonders Wert legen auf international rekrutiertes Lehrerpersonal, das englisch als Muttersprache spricht, sich einem kontinuierlichen Training unterwirft und eigen Visionen mit Enthusiasmus realisiert, in kooperativer Teamatmosphäre. Dazu fährt Schulleiter Richard Hengelbrok – ein Amerikaner - bis nach London oder Toronto, um auf sogenannten Recruiting-Messen geeignetes Personal zu finden.

Der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, urteilt zu der Gewinn maximierenden Schulidee, die von den Gründern als „Nachhaltigkeit“ bezeichnet wird: „Es ist unanständig, sich auf dem Rücken der Kinder zu bereichern.“ Die aufzubringenden Elternbeiträge an den staatlich anerkannten und bezuschussten PHORMS-Schulen bewegen sich nach Einkommen gestaffelt zwischen 280 Euro (bei bis zu 20.000 € Jahreseinkommen) und 950 Euro pro Monat (bei Jahreseinkommen über 150.000 €). Entsprechende Schulbeiträge gibt es auch bei anderen Schulen in freier Trägerschaft. Diese lassen allerdings keinen Spielraum für „Gewinnspannen“ oder Rendite.

Kommerzialisierung von Bildung - ein Ausweg oder Irrweg?

Ist die Kommerzialisierung von Bildung als eine Reaktion auf die staatliche Majorisierung von Bildung und Schulwesen der richtige Weg bzw. Ausweg aus der Bildungsmisere oder ein Irrweg? Weder dem Staat, noch der Wirtschaft kann es obliegen, sich in die Bildungskonzepte der Schulgemeinschaften einzumischen, wenn ein freies Kultur- und Geistesleben sich entfalten soll. Privatschulen sind aber auch nicht per se besser als staatliche Schulen, denn letztlich entscheidet nicht die Art der Trägerschaft, sondern die inhaltliche Gestaltungsfreiheit und Bildungsqualität. Aber selbstverwaltete Schulen können flexibler auf Elternwünsche und Schülerbedürfnisse reagieren als zentral verwaltete und gegängelte Einheitsschulsysteme, die von politischen oder wirtschaftlichen Ideologien abhängig sind.

Entscheidend sind letztlich die Pädagogik, die Qualität und der Bildungserfolg nach geeigneten Maßstäben und Menschenbildern. Und hier stehen die privaten und staatlichen Schulanbieter untereinander und miteinander in einem Qualitätswettbewerb, der über die Zukunft unserer Kinder und der menschlichen Gesellschaft entscheidet. So gesehen, müssten sich die übrigen Schulträger dem pädagogischen Konzept der PHORMS-Schulen und ihres Schulnetzwerkes im Wettbewerb trotz aller Vorbehalte stellen. Und dabei können die Waldorfschulen ganz selbstbewusst auftreten, ohne sich aber auf ihren Lorbeeren auszuruhen, indem sie vielmehr ihr Sozial – und Qualitätskonzept ständig verbessern.

Wettbewerb der Schulen für das 21. Jahrhundert?

Der Name PHORMS ist abgeleitet aus der Verknüpfung von „Form“ und „Metamorphose“ und steht nach eigenen Angaben des Unternehmens „für die Mischung aus einem fundierten Bildungskonzept und individueller Entwicklungsförderung“ im Ganztagsbetrieb in Anbetracht der Individualisierung unserer Gesellschaft. Jedes Kind hat seinen maßgeschneiderten, straffen Lehrplan nach individuellem Lerntempo, mit Motivation durch Lob und Erfolgserlebnisse. „Unser Ziel ist, unternehmerisches Denken auszubilden“, sagt der amerikanische Schulleiter der Berliner PHORMS-Schule in einem alten Fabrikgebäude des AEG-Maschinenwerkes.

Schulmotto: „Wie aus kleinen Menschen große Optimisten werden“ in einer „leistungsorientierten, glücklichen Schulzeit“, in der sie „gefordert und gefördert werden“ und sich zu „eigenständig denkenden, erfolgreichen Persönlichkeiten entwickeln“. Die Kinder sollen ermutigt werden, auf die eigene Tatkraft zu vertrauen und brauchen „Wurzeln und Flügel, um das Lernen zu lernen“. Dazu gehöre ein solides Bildungsfundament und Entwicklungsförderung nach neusten Erkenntnissen.

Die Unterrichtsinhalte basieren auf dem jeweiligen Landesrahmenlehrplan und dem Cambridge-International-Curriculum. Der Unterricht zielt darauf ab, die Kinder mit umfassenden Fähigkeiten auszustatten, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen zu können. Regeln und Leistungsbewusstsein sowie Vermittlung von Werten gehören zum Schulalltag, aber auch das Internet als Tafel-Ersatz sowie Tischgruppen statt Sitzordnung frontal zum Lehrer. In der Grundschule unterrichten zwei Lehrkräfte, davon eine Erzieherin in jeder Schulstunde, und zwar in kleinen Klassenverbänden mit 20 Schülern bzw. 24 Kindern im Gymnasium, so dass es keinen Unterrichtsausfall gibt.

Im Mittelpunkt des Unterrichtskonzeptes steht weniger fach- oder wissensbezogenes Lernen als vielmehr konzeptbezogenes Lernen nach Lernprozessen, d. h. dem Unterricht liegt meist ein zentrales, fächerübergreifendes Thema bis zur praktischen Ausführung zu Grunde, um das sich für einen bestimmten Zeitraum die Lernfelder alters- und entwicklungsgemäß mit Inhalten füllen, wie z. B. Themen „Wasser“, „Ernährung“, „Freundschaft“ oder „Schnecken“, mit Bezug zur Realität. Bei der PHORMS-Schulkette gibt es kein Sitzenbleiben, keine Pausenklingel und keine Hausaufgaben im herkömmlichen Sinne, dafür aber Recherche oder Projekte allein oder in kleinen Teams, in denen die Kinder ihrer Neugier nachgehen. In den Projektgruppen werden Stärken und Schwächen gezielt zusammengebracht, damit alle lernen, Verantwortung auch für andere zu übernehmen und auch Rat und Hilfe von anderen Kindern zu akzeptieren.

Schon in der bilingualen Vorschule und Grundschule finden mindestens 70% des Unterrichtes in Englisch statt, ohne Vokabeln und Grammatik, im PHORM-Gymnasium zu 50%. Ab der 5. Klasse werden weitere Fremdsprachen gelehrt, beginnend mit Spanisch. Die Ganztagsschule beginnt erst um 9 Uhr mit einem morgendlichen Gemeinschaftsritual in der Aula nach persönlicher Begrüßung und endet um 16 Uhr; ein Schulbus holt die Kinder an der Haustür ab. Nach der Mittagsmahlzeit werden die Zähne geputzt, sich viel bewegt und im Unterricht viel getrunken.

PHORMS versteht sich nicht als Elite-Schule, sondern die Schüler kommen aus „niedrigem und mittlerem Einkommenssegment“ von Handwerkern bis Managern in sozialer und internationaler Durchmischung – eine „Elite im Herzen“, wie PHORMS es umschreibt. Gefördert würden unternehmerisches Denken, Selbstverantwortung und Organisationstalent. Denn „unternehmerisch“ bedeute „angeborener Optimismus und natürliche Neugier der Kinder“. Die ebenfalls international rekrutierten PHORMS-Lehrer, die regelmäßig fortgebildet werden und mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen müssen, verstehen sich allerdings als Elite, denn sie müssten als „außergewöhnliche Persönlichkeiten mit internationaler Erfahrung“ die weltweiten Erkenntnisse und Entwicklungen im Schulwesen einbringen, damit aus den Schülern Weltbürger werden können.

Jeder mag zu diesem unternehmerisch geprägten Schulkonzept stehen wie er will – auf jeden Fall ist es, ähnlich wie andere pädagogische und organisatorische Reformschulkonzepte der privaten und staatlichen Schulen, eine Herausforderung auch für die Waldorfschulbewegung, sich mit neuen Ideen und innovativen Konzepten dem verschärften Wettbewerb um die Schulen für das 21. Jahrhundert zu stellen – denn anders als schädliche Konkurrenz im Wirtschaftsleben ist geistiger Wettbewerb im Bildungswesen jederzeit vonnöten und nutzbringend sowie entwicklungsfördernd. Und das Waldorfschulkonzept der ganzheitlichen Menschenbildung und Erziehungskunst ist und bleibt im Grunde nachhaltig und zukunftsweisend, wenn es zeitgemäß fortentwickelt wird. Dann bringt es auf ganz andere Art und Weise Gewinn für die Menschen als die Schulidee der profitablen Aktiengesellschaft.


[1] Auch die EU-Dienstleistungsrichtline und das GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation über den Handel mit Dienstleistungen wollen den privaten Handel mit der „Bildung als Ware“ auf dem kommerziellen Dienstsleistungsmarkt (und damit die Konkurrenz zu den öffentlichen Schulen) begünstigen.

[2] Im Sonderheft Frühling 2008 „1000 Waldorfschulen weltweit“ der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Stuttgart

[3] Quellen: Zitate aus diversen Beiträgen im 1. Quartal 2008 auf den Internet-Seiten „DIE ZEIT“, „Berliner Morgenpost“, „Süddeutsche“, „taz“, „Stern“, „ver.di Publik“, „Familienklick“, „Deutsches Ärzteblatt“ sowie Homepage der PHORMS Management AG