Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 | Wilhelm Neurohr
Mit dem Motto ‹Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel› wurde von 9. bis 10. Januar auf der Zeche Zollverein das Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010 eröffnet. ‹Kulturhauptstadt Europas› – das meint seit 25 Jahren, kulturelle Impulse zu setzen und beispielhafte Modelle für Europa vorzustellen. Wilhelm Neurohr sieht darin nicht zuletzt die Möglichkeit, die einigende visionäre Kraft der Kultur aufzuzeigen.
In Zeiten, in denen Europa in erster Linie mit Vorschriften und Bürokratie identifiziert wird und Verfassungen scheitern, stellt sich die Frage nach der Rolle der Kultur als Identität stiftende Kraft. Schon Jean Monnet, der Mitbegründer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der Vorläuferin der heutigen EU, soll einmal rückblickend gesagt haben: «Wenn ich heute noch einmal mit der Konstruktion Europa beginnen müsste, würde ich mit der Kultur anfangen.» Das haben auch die Veranstalter von Ruhr.2010 erkannt.
Europäisches Labor
Die ‹Metropole› Ruhr eignet sich in besonderer Weise als europäisches Labor. Denn zum einen hatte die genannte Vorläuferin der EU ihren Ausgangspunkt im Ruhrgebiet. Zum anderen ist die Metropole Ruhr durch Einwanderung entstanden: Von den Arbeitssuchenden aus Ost- und Westpreußen und Schlesien ab 1880 über die Bergleute aus Belgien, Frankreich, England und Schottland um 1900 bis zu den Gastarbeitern aus Italien, Griechenland, Portugal oder Türkei nach 1955. Heute spiegelt sich im Ruhrgebiet die ganze Welt, mit Menschen aus 170 Nationen und •••<stimmt die folgende sehr hohe Zahl?> 2055 Religionsgemeinschaften, aus allen sozialen Milieus.
Die konkrete Begegnung zwischen Bürgern in Europa, der kreative Austausch zwischen Künstlern und der internationale wissenschaftliche Dialog soll durch gemeinsame Projekte gefördert werden. Beteiligt sind 53 Städte der Metropole Ruhr mit 5 Millionen Menschen, ihre mehr als 200 Partnerstädte in Europa und in der Welt. Beteiligt sind mehr als 1700 mitwirkende Künstlergruppen, Einzelkünstler, Kulturvereine, Institutionen, Schulen und die freie Kulturszene Europas, die 2500 Veranstaltungen auf die Beine stellen werden.
Kulturelle Identität
Im Vordergrund stehen die Fragen: Wie nehmen wir uns gegenseitig wahr? Wie nehmen Einwanderer und ihre Familien am kulturellen Leben teil? Wie ermöglichen wir diese Teilhabe? Wie gestalten unsere Kultureinrichtungen ihre Programme, und für wen gestalten sie diese? Mit einem erweiterten Kulturbegriff will die Kulturhauptstadt vor allem jungen Menschen die Gelegenheit geben, die Kulturhauptstadt Europas aktiv mitzugestalten und eigene, unkonventionelle Projekte zu verwirklichen. Damit sind zugleich Zukunftswege aufgezeigt. Denn die zunehmende Mehrsprachigkeit von Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien ist ein ungeborgener Schatz.
Der von Kohle und Stahl, von harter Arbeit und Solidarität, vom Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und Religionen, inzwischen aber auch vom vielseitigsten Wissenschaftsnetzwerk Europas geprägte Ballungsraum erforscht seine kulturelle Identität und sein kulturelles Erbe ebenso wie seine kulturelle Zukunftsaufgabe. Die Metropole im Wandel und Werden fordert dazu heraus, «aktiver an der Verwandlung unserer Welt der Zerrissenheit in einen Garten von universaler Urbanität teilzunehmen» (Michael Butor).
Spirituelle Verwandlung
All diesen Ideen liegt ein erweiterter Kunst- und Kulturbegriff zugrunde: Nicht nur der bisher als Künstler akzeptierte Maler oder Musiker produziert Kultur, sondern jeder Selbstständige beziehungsweise Unternehmer, der mit künstlerischer oder kreativer Arbeit Geld verdient und letztlich alle Menschen mit ihrer privaten oder zivilgesellschaftlichen Lebensgestaltung und mit der Gestaltung ihrer Arbeitswelt und des sozialen Zusammenlebens in Gemeinschaften.
Es lohnt sich bei der kulturellen Suche und Verwandlung mitzuwirken – an einem Erdenort, von dem Rudolf Steiner anlässlich der Bochumer Zweigeröffnung am Beginn der Industriealisierung, in der Welt von Eisen, Feuer und Elektrizität, über diese naturferne Region sinngemäß sagte: Die Menschen mögen sich nicht unverständig gegenüber diesen notwendigen Entwicklungen und Verwandlungen zeigen, denn sie gehören zur menschlichen Kulturentwicklung. Aber sie erfordern auch besondere Kräfte der hier lebenden Menschen bei der spirituellen Arbeit und Verwandlung. Diese Kräfte sind in diesem Jahr konzentriert wirksam, und jeder kann sie verstärken.