Wilhelm Neurohr

Der kurz vor Weihnachten stattgefundene „Weltgipfel über die Informationsgesellschaft“ (WSIS) vom 10. bis 13. Dezember in Genf mit rund 8000 Teilnehmern aus 180 Staaten - knapp zehn Jahre nach Entstehen des Internets als Massenkommunikationsmedium - sollte zur „Überwindung der digitalen Kluft“ zwischen Nord und Süd beitragen. Weil Informationen ein öffentliches Kulturgut und die Demokratisierung des Wissens ein zentrales Anliegen der Vereinten Nationen sind, stand die Streitfrage im Mittelpunkt, ob virtuelle Information und Wissen eine durch Urheberrechte und geistige Eigentumsrechte gesicherte kommerzielle Ware sein können. Hier bahnt sich ein neuer Nord-Süd-Konflikt mit neuen Abhängigkeiten an.

Das weltweit vernetzte Internet wird inzwischen als „Herzstück lebendiger Demokratie“ in der globalisierten Welt betrachtet, läuft aber gleichzeitig Gefahr, ein „Instrument für eine demokratische Elite“ zu werden, da sich nur 10% aller Internetanschlüsse außerhalb der Industrienationen befinden. Einzelne Großstädte in der westlichen Welt haben mehr Anschlüsse als der gesamte afrikanische Kontinent.

Der Gipfel wurde nicht von der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ausgerichtet, sondern von einer technischen Unterorganisation der UNO, der „Internationale Telekommunikations Union“ (ITU), die als erheblich von Wirtschaftsinteressen beeinflusst gilt. Damit setzte sich die mehr instrumentelle und ökonomische Sichtweise des eigentlich Kultur verändernden Mediums Internet durch.

Die kommunikationstechnische Beherrschung von Zeit und Raum verspricht seit Anbeginn eine Gesellschaft mit mehr Solidarität, Transparenz, Freiheit, Gleichheit und Wohlstand. Mit dem Internetnetz könne zu universeller Bildung beigetragen werden, welche die Völker der Welt einander näher bringe. Doch die im „Coordination Committee of Business Interlocutors“ organisierte Privatwirtschaft unter Führung der Internationalen Handelskammer erhebt den Anspruch auf die Rolle des Mentors und Baumeisters der Inforationsgesellschaft. Mangelnde Transparenz wird auch den für die sich öffnenden Märkte zuständigen privaten und öffentlichen Institutionen vorgeworfen, insbesondere der „Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann)“ – einer privaten Institution, die von den vereinigten Staaten aus weltweit alle Internet-Adressen verwaltet.

Überdies wird im Zuge der Antiterror-Gesetzgebung das Recht der Bürger auf Kommunikation hinten angestellt und ansonsten nur noch auf die Selbstregulierungskräfte von Markt und Technik vertraut. Obwohl die Informationsgesellschaft im Prinzip auf die Anerkennung kultureller und sprachlicher Vielfalt beruht, wird geltend gemacht, dass die Förderung lokaler kultureller Werte kein „unvertretbaren Handelshemmnisse“ schaffen dürfe. Teilweise hat die wirtschaftliche Konzentration zensurartige Auswirkungen, die einer Mediendemokratie mit unabhängigen und pluralistischen Medien eher entgegenwirken.

Vertreter der Staaten, der Nichtregierungsorganisationen und der privatwirtschaftlichen Informations- und Telekommunikationsbranche stritten auf dem Weltgipfel heftig um die Finanzierungsfragen sowie um eine Abschlusserklärung und einen Aktionsplan mit vielen Fragezeichen und Erwartungen, wie z.B. der Plan, bis 2010 für 90% der Erdbevölkerung Mobilfunknetze bereitzustellen. Der digitale Graben zwischen armen und reichen Ländern wurde jedoch nicht überwunden, obwohl die neue „intellektuelle Ressource“ auf dem besten Wege ist, alle Tätigkeiten des Menschen zu durchdringen und zu strukturieren. Die Frage der kulturellen Identität und der Solidarität zwischen den Völkern ist zwar in die Schlusserklärungen eingeflossen, aber der Gipfel mochte sich nicht eindeutig dafür aussprechen, freie Software zu fördern und zu entwickeln.

Proklamiertes Ziel ist es, in armen wie in reichen Ländern spätestens bis in 2015 Schulen, Bibliotheken, Krankenhäuser und öffentliche Verwaltungen auf lokaler und nationaler Ebene ans große weltweite Netz anzuschließen. Die Zauberworte heißen „E-Bildung, E-Gesundheit und E-Governemt“1, als ob ungleiche Lebens- und Bildungschancen ihre Ursachen in fehlenden Netzanschlüssen oder unzureichenden elektronischen Medien haben. Die Informationsgesellschaft nährt also weiterhin eher die Technikgläubigkeit als den Kulturfortschritt, bei dem es auf die Inhalte von Wissen und Information, auf Bildung und Fähigkeiten, auf Technik unabhängige Kreativität und Sozialfähigkeit usw. ankommt. Über sozial angepasste Technologien wurde weniger geredet als über die Anpassung der Menschen und ihrer Kommunikation an die „intelligente“ Technik – alles andere als ein Kulturfortschritt und Freiheitsimpuls.


1 Wilhelm Neurohr: „E-Governemt und E-Demokratie – Regieren und Verwalten im digitalen Zeitalter“, in „Rundbrief Dreigliederung“ Nr. 2/3002, Hrsg. vom Netzwerk Soziale Dreigliederung, Stuttgart,