Wilhelm Neurohr

Die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und TISA erstreben Kommerzialisierung statt Freiheit von Kultur und Bildung

Über das Bestreben, mit schulischen Bildungseinrichtungen finanzielle Profite an den Aktienmärkten zu erzielen, berichtete die „Erziehungskunst“ bereits in der Ausgabe 5/2008 unter dem Titel: „Schulen als Geldmaschinen“. Was seinerzeit noch als Einzelvorhaben der anglo-amerikanischen „Phorms AG“ mit kommerziellen Schulgründungen in Deutschland begann und vorerst scheiterte, setzt sich nun in großem Maßstab fort - mit Hilfe eines geplanten, aber heftig umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA mit dem Kürzel TTIP[1] sowie eines noch weiterreichenden globalen Abkommens mit dem Kürzel TISA[2], das parallel verhandelt wird. Davon bleiben auch die Freien Waldorfschulen (als anerkannte „staatliche Ersatzschulen“) mit ihrer „Non-Profit-Trägerschaft“ nicht unberührt, von denen es inzwischen 712 in Europa (einschl. 232 in Deutschland) gibt sowie 1026 weltweit[3].

Den Bildungssektor betrachten die Ökonomen als den größten Wachstumsmarkt, neben dem Gesundheitswesen und der Wasserversorgung. An den internationalen Finanzmärkten erhofft man sich durch den internationalen „Bildungshandel“ am boomenden „Bildungsmarkt“ Gewinne in Höhe von 2,5 Billionen Dollar. Deshalb sind nunmehr auf Betreiben einflussreicher Lobbyisten-Netzwerke unter anderem auch Kultur und Bildung ins Visier des transnationalen „Freihandels“ auf den liberalisierten und deregulierten Märkten geraten, nachdem vielerorts bereits die profitable Privatisierung der einst öffentlichen Energie- und Wasserversorgung etc. vollzogen wurde sowie mit der begonnenen vollständigen Privatisierung (sprich: Kommerzialisierung) des Gesundheitswesens weitere Gewinne in Billionen-Höhe erwartet werden.

Hohe Gewinnerwartungen durch „Bildungshandel“ am boomenden „Bildungsmarkt“

Längst drängen private Business-Schulkonzerne, Weiterbildungsanbieter und kommerzielle Kindergarten- und Krippenbetreiber auf den „boomenden Bildungsmarkt“, die zugleich das öffentliche Bildungs- und Erziehungswesen (mitsamt den Non-Profit-Privatschulträgern) „schlecht reden“. Zu beobachten ist bereits ein sprunghafter Anstieg der kommerziellen und von großen Konzernen unterhaltenen Hochschulen und ihrer auswärtigen Dependancen mit Gewinnerwartung an den Märkten: Den 298 öffentlichen Hochschulen in Deutschland stehen bereits 129 kommerzielle (Konzern-)Hochschulen gegenüber, also jede vierte Hochschule[4]. Und auch an den öffentlichen Hochschulen haben die Geldgeber aus der Wirtschaft inzwischen das Sagen bei Forschung und Lehre, so dass die Freiheit und Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährdet ist. Lobbyisten dringen auch verstärkt in die Klassenzimmer der Schulen vor, mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien und als Informationsveranstaltungen kaschierte Marketing-Aktionen.

Die über 34.000 allgemeinbildenden Schulen allein in Deutschland gelten als großes „Marktpotenzial“; zusammen mit den berufsbildenden Schulen (2,5 Mio. Schüler)[5] unterrichten sie über 11 Millionen Schülerinnen und Schüler[6]; weit über 5000 Schulen befinden sich in privater Trägerschaft mit 726.000 Schülerinnen und Schülern[7]. Hinzu kommen für die Erwachsenenbildung fast 1000 Volkshochschulen mit jährlich 9 Millionen Besuchern[8] und Einrichtungen anderer Fortbildungsträger. Die Sorge ist berechtigt, dass die Interessen der bisherigen Bildungs- und Schulträger ins Hintertreffen geraten, wenn die größte Freihandelszone der Welt mit über 800 Mio. Einwohnern (und fast 60% des globalen Bruttoinlandsproduktes und 40% des Welthandels) spätestens in ein bis zwei Jahren weltweit ihre Regeln diktiert und zur Kommerzialisierung auch des Bildungsmarktes antritt.

Es ist überdies die Intention der Freihandelsabkommen, die finanzielle Förderung oder Bevorzugung von öffentlichen Einrichtungen wie auch der Bildungseinrichtungen (einschl. der anerkannten Ersatzschulen in privater Trägerschaft) entweder zu untersagen oder den kommerziellen Bildungsanbietern die gleichen finanziellen Zuwendungen zukommen zu lassen und diese über transnationale Ausschreibungen als Schulbetreiber in Konkurrenz zuzulassen, und zwar nach den von ihren Lobbyisten beeinflussten ökonomischen Zulassungs- und Auswahlkriterien. Das könnte womöglich der Anfang vom Ende freier und unabhängiger Schulgründungen sein, zumindest das Ende ihrer staatlichen Förderung und Anerkennung im Falle gleichzeitiger Konkurrenzangebote einer kommerziellen Schulgründung am jeweiligen Standort. Das ohnehin nicht eingehaltene Prinzip der gleichen Bildungschancen für alle, unabhängig von Reichtum oder Armut, droht weiter unter die Räder zu kommen.

Humanistisches Bildungsideal oder betriebswirtschaftliche Ausrichtung und unternehmerische Steuerung der Bildungseinrichtungen?

Wie bei den eingeführten betriebswirtschaftlichen Zwängen des „New Public Management“[9], also das Anwenden von unternehmerischen Managementmethoden für die öffentlichen Verwaltungen und Dienstleitungseinrichtungen, würde das betriebswirtschaftliche Diktat auf die bislang öffentlichen Schulen einschl. derjenigen in privater Trägerschaft ausgedehnt. Erwartet uns somit eine rein betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Bildungseinrichtungen, mit inhaltlicher Beeinflussung und Unternehmenssteuerung, mit Abkehr von der öffentlichen Finanzierung und der Selbstverwaltung sowie mit veränderten Bildungszielen und fremdbestimmten Zulassungs- und Akkreditierungsregeln oder Qualitätsvorgaben nach quantitativen Maßstäben?

Da jedoch kulturelle Dienstleistungen z. B. im Bildungssektor von Menschen für Menschen erbracht werden, funktionieren Dienstleistungsmärkte nicht wie Warenmärkte. Dennoch ist nicht nur der Warenhandel, sondern der Handel mit zwischenmenschlichen Dienstleistungen - auch derjenigen der öffentlichen Daseinsvorsorge einschließlich Gesundheit, Kultur und Bildung sowie kommunale Selbstverwaltung - unter anderem Gegenstand des angestrebten, aber heftig umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA sowie des noch weiter reichenden globalen TISA-Abkommens zwischen einer Vielzahl beteiligter Länder. Bildung und Kultur (zur individuellen Persönlichkeitsbildung) gehören jedoch nicht in marktorientierte Handelsabkommen. Und Grundsatzentscheidungen in Bezug auf die Zukunft von Bildung, Wissenschaft und Forschung gehören nicht in die alleinige Verfügungsgewalt von Handelskommissaren und -.beauftragten unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Kommerzielle Bildungseinrichtungen beeinträchtigen absehbar das humanistische Bildungsideal und sein Menschenbild und ersetzen es durch einen problematischen Bildungsbegriff nach einem Menschenbild des funktionierenden egoistischen Wirtschaftssubjektes. Bildungsaspekte wie individuelle Persönlichkeitsformung, Erkenntnisgewinn, Wissensdurst oder kreative Fähigkeiten zu kritisch-konstruktivem denken geraten in den Hintergrund oder werden nur in Ansätzen nachrangig berücksichtigt.

Vereinheitlichung des europäischen Bildungssystems zur Steigerung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit

Schon lange ist eine europäische Angleichung und Vereinheitlichung der Bildungssysteme auf dem Weg der EU zur „Bildungsunion“ im Gange, beginnend mit dem Bologna-Prozess[10], der Kopenhagen-Initiative[11] sowie den PISA-Studien[12] als Teil der neoliberalen Lissabon-Strategie[13]. Obwohl Bildung und Kultur nach den EU-Verträgen in die Hoheit der Länder bzw. Bundesländer gelegt ist, greift subsidiär die EU-Kommission zunehmend über Bildungs- und Förderprogramme (mit Milliardenbudgets), Richtlinien, Verordnungen und EuGH-Urteile des Europäischen Gerichtshofes, außerdem durch Koordinierung der Bildungssysteme mittels umfangreicher verbindlichen Berichtspflichten, Empfehlungen, Leitlinien, Indikatoren und Benchmarks sowie Ranking in das Hochschul- und Bildungswesen staatlich und zentralistisch sowie vereinheitlichend ein.

Laut Lissabon-Vertrag[14] will die EU, dass Europa als „Wissensstandort“ und „wissensbasierter Wirtschaftsraum“ im globalen Marktwettbewerb bestehen kann. Bildung im Sinne von Fachwissen soll vor allem zum wirtschaftlichen Erfolg und zur Steigerung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes global beitragen, mit dem vorrangigen Ziel der Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte für die Wirtschaft. Erklärtes Ziel der EU ist es, jede Schule in Europa mit einem kommerziellen Wirtschaftsunternehmen zu verbinden. Ein Lobbynetzwerk hat sich bereits als „Globale Allianz transatlantischer Erziehung“ gebildet. Und der in die TTIP-Vorbereitungen eng eingebundene einflussreiche Bertelsmann-Konzern (als Europas größter Medienkonzern) will erklärtermaßen 20 Mrd. € Umsatz durch das Geschäft mit der Erwachsenenbildung, mit Online-Dienstleistungen „E-Learning“ und Dienstleistungen für Hochschulen von den USA bis China erzielen[15].

Abwehr der kommerziellen Vereinnahmung von Bildung und Kultur

Galt es bislang, den alten Zopf zu bekämpfen, dass unser Schulwesen allein auf staatlicher Grundlage aufgebaut wird statt auf der Eigeninitiative und Gestaltungsfreiheit der am Schulleben Beteiligten, geht es nunmehr aktuell um die Abwehr der Vereinnahmung von Bildung und Kultur durch eigennützige statt gemeinnützige wirtschaftliche Profitinteressen vor allem großer transnationaler Dienstleistungs- und Bildungskonzerne. Deren Interessen werden in den (geheim verhandelten) Freihandelsabkommen sogar über die demokratisch legitimierten staatlichen Regelungen gestellt und deshalb die demokratische Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger und ihrer gewählten Parlamente unterlaufen.

Gab es bei dem ebenfalls umstrittenen GATS-Abkommen[16] der Welthandelsorganisation (WTO) von 1995, bei dem zum ersten Mal zwischenmenschliche Dienstleistungen zur Handelsware erklärt wurden, noch Länderlisten und „Positivlisten“ mit Ausnahmen, bei denen allerdings Bildung und Gesundheit strittig waren, so sind bei den neuen Abkommen von vornherein „Negativlisten“ geplant, d.h. alles was nicht ausdrücklich ausgenommen ist, wird von den Abkommen erfasst. Bislang ist die EU-Kommission als Verhandlungsführer nicht bereit, Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge einschl. Bildung und Kultur herauszunehmen, mit Ausnahme audiovisueller Dienstleistungen, bestreitet aber zugleich wahrheitswidrig, dass die enthaltenen Dienstleistungen Gegenstand des Abkommens seien, weil sie momentan noch nicht konkret verhandelt wurden.

„Freihandel“ als Angriff auf Demokratie und Freiheit

Mit dem wohlklingenden Begriff des „Freihandels“ wird Freiheit suggeriert oder assoziiert, tatsächlich aber geht es um die Vorherrschaft global agierender Konzerne die ihre Regeln für allgemeingültig erklären und das Primat der Politik durch das Demokratie gefährdende Primat der Wirtschaft ablösen wollen. (Stichwort: „marktkonforme Demokratie“). Zugleich werden Sozial- und Umweltstandard sowie Arbeitnehmer -und Verbraucherinteressen gefährdet sowie „fairer Handel“ ins Gegenteil verkehrt. Deshalb wird das geplante Freihandelsabkommen von den Kritikern als Angriff auf Demokratie und Freiheit betrachtet und ruft entsprechende Widerstände hervor, denn es liefe auf Entmündigung und Bevormundung hinaus.

TTIP und TISA würden zunehmend zu einer Unterordnung des Verhaltens des Einzelnen unter den Willen der Wirtschaft führen; das sind im Kern Wesenszüge eines totalitären Regimes. Die Wirtschaft gewinnt die Oberhand über das Rechtsleben und das kulturelle Leben und erstickt damit die individuelle Freiheit und den Sozialimpuls. Und sie wird unsere Bildungslandschaft einschneidend verändern, wie derzeit schon im Wissenschafts-, Forschungs- und Hochschulsektor und bei der beruflichen Bildung und Erwachsenenbildung sowie Fortbildung anfänglich zu beobachten. Kultur und Bildung als elementare Bürger- und Menschenrechte stellen nichtökonomische Gesellschaftsaufgaben und zwischenmenschliche Beziehungsdienstleistungen für die Allgemeinheit, nicht für die Märkte dar; sie besitzen einen eigenen nichtökonomischen Wert. Sie gehören deshalb nicht als „Handelsware“ oder „Produkte“ mit Warencharakter auf Scheinmärkte für „Kultur- und Bildungskonsumenten“, weil die gewinnorientierten Handelsmärkte keine kulturellen Güter und Errungenschaften hervorbringen können, sondern diese verhindern, wenn sie nicht lukrativ sind.

Größte Widerstandsbewegung seit Bestehen der EU

Noch nie in der Geschichte der Europäischen Union sind deshalb so viele Menschen und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen ein Vorhaben der EU Sturm gelaufen wie derzeit gegen das Geheimabkommen TTIP und das noch geheimere globale Abkommen TISA. Nicht einmal die Referenden 2005 in Frankreich, den Niederlanden und Irland, die zum Scheitern der EU-Verfassung durch das Bürgervotum führten, haben so viele Menschen und Widerstände mobilisiert wie die nun verhandelten Freihandelsabkommen. Im zurückliegenden Europa-Wahlkampf war TTIP das Top-Thema, das nun in aller Munde ist. Hunderte zivilgesellschaftliche Nichtregierungsorganisationen haben sich im Widerstand gegen TTIP und TISA zusammengeschlossen und bereits über 700.000 Unterschriften gesammelt, ein „alternatives Handelsmandat“ wurde entwickelt und ein Verhandlungsstopp gefordert sowie eine Veröffentlichung aller Verhandlungstexte. Die Medien berichten allenthalben kritisch über die geplanten Abkommen und ihre absehbaren Auswirkungen, das Internet mit seinen Netzwerken „quillt über“ vor Informationen, Aufklärung und Aktionen zu den Freihandelsabkommen unter dem Stichwort TTIP.

Und im ganzen Lande gründen sich örtliche und regionale Bündnisse gegen TTIP und TISA sowie CETA (Freihandelsabkommen mit Kanada als „Blaupause“ für TTIP), die allerorts Aktionen und Veranstaltungen durchführen und in den Kommunalparlamenten Beschlüsse und Resolutionen herbeiführen, da auch die kommunale Daseinsvorsorge arg betroffen ist, wie der Städtetag und die kommunalen Unternehmen befürchten. Die EU-Kommission und die Bundesregierung sowie USA-Regierung und die einflussreichen Lobbyverbände drängen hingegen auf Eile bei den geheimen Verhandlungen, die spätestens 2015 zum Abschluss gebracht werden sollen, bevor die zivilgesellschaftlichen Widerstände das Abkommen zu Fall bringen.

Europäische Bürgerinitiative sammelt 1 Mio. Unterschriften

Denn in Gang gesetzt wurde auch eine unterstützenswerte Europäische Bürgerinitiative (EBI)[17], die mit der Sammlung von 1 Mio. Unterschriften in mindestens 7 EU-Ländern von der Möglichkeit des Lissabonner EU-Vertrages (seit 1. April 2012) Gebrauch macht, über eine Petition bei der EU-Kommission die Abkommen zu hinterfragen. Jeder hat die Möglichkeit, sich daran zu beteiligen. Schon dreimal gelang es der Zivilgesellschaft mit Erfolg, fragwürdige und schädliche EU-Abkommen wie das multilaterale MAI-Abkommen[18] (1999) oder das ACTA-Abkommen[19] (2012), die EU-Konzessionsrichtlinie[20] (Wasserprivatisierung) zu verhindern oder die umstrittene EU-Dienstleistungsrichtlinie[21] (2006/2009) erheblich einzuschränken.

Dieses Mal sind durch die umstrittenen Freihandelsabkommen neben dem hier abgehandelten Kultur- und Bildungsbereich vor allem auch Umweltstandards, Verbraucherschutz und Sozialstandards gefährdet. Die staatliche Gerichtsbarkeit würde bei Handelsstreitigkeiten durch private Schiedsgerichte ersetzt, die demokratische Gesetze aushebeln und Staaten und Steuerzahler zur Entschädigung für entgangene Gewinne verurteilen könnten. TTIP geht im Dienstleistungssektor über alle bisherigen bilateralen und multilateralen Abkommen weit hinaus. Das nichtöffentliche und intransparente Verfahren und die in Frage gestellte Beteiligung des Bundestages zeigt überdies Abgründe im Demokratieverständnis der EU auf: Beamte verhandeln mit Unternehmen über Belange der Bevölkerung, während diese außen vor bleiben soll? „Im Namen des Volkes“ verhandeln von niemandem gewählte Funktionäre mit der Privatwirtschaft nichtöffentlich über die Grundwerte von Rechtstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung in Europa sowie über Kultur und Bildungsfragen.

Öffentliche Kontroverse um TTIP als willkommene Gelegenheit zur Bewusstseinsbildung in der Bildungs- und Kulturfrage

Die Kulturschaffenden und Bildungsträger haben die Problematik frühzeitig erkannt und sind längst vorneweg dabei in der Widerstandsbewegung gegen die Freihandelsabkommen, die Freiheit suggerieren, aber in Wirklichkeit die Freiheit einschränken. Lehrergewerkschaften in Europa und den USA machen mobil und appellierten in einem gemeinsamen Schreiben an Präsident Obama und den EU-Kommissionspräsidenten , Bildungsdienstleistungen aus dem TTIP-Abkommen auszuschließen. Sie halten TTIP für einen Generalangriff auf die demokratische Beschlussfassung im Bildungsbereich, so heiß es in einer Veröffentlichung von „didacta“, des Verbandes der Bildungswirtschaft. Auf europäischer Ebene macht das Europäische Gewerkschaftskomitee für Bildung und Wissenschaft ebenfalls Druck auf die Verhandlungsführer. Die DGB-Gewerkschaft GEW (Erziehung und Wissenschaft) sowie der DGB und ver.di sowie der Lehrerverband VBE kritisieren massiv das Abkommen. Sie sehen große Risiken für den gesamten Bildungsbereich. Lizensierungs- und Akkreditierungsverfahren könnten als versteckte Handelsbarrieren ausgelegt werden. Die GEW beobachtet sorgenvoll massive Lobbyeinflüsse in dem Bestreben, Bildung in die TTIP-Verhandlungen aufzunehmen. Und die Buchhändler (Deutscher Börsenverein des Buchhandels) sorgt sich zudem um die Buchpreisbindung.

Der deutsche Kulturrat, die kulturpolitische Gesellschaft e. V., die Rundfunkräte und die Deutsche UNESCO-Kommission sehen in TTIP einen Verstoß gegen die gültige UNESCO-Kulturkonvention als einzuhaltenden Vertrag. Das TTIP-Abkommen träfe unsere Vorstellungen von Kultur im Kern. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters fordert aus dem Regierungslager heraus ebenfalls mit Nachdruck die Herausnahme von Kultur und Bildung aus dem Abkommen und betont, dass es bei der Umsetzung des Freihandelsabkommens „um unsere Identität als Kulturnation und um das große Ganze“ gehe[22]. Auch beim Goethe-Institut, deren Gremien namhafte Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft angehören, darunter Schriftsteller, Musiker, Kunstsammler, stößt TTIP auf heftige Kritik: Kultur und Bildung dürfen nicht den Prinzipien des freien Welthandels unterworfen werden; sie seien ein öffentliches Gut, das öffentliche Förderung verdient und benötigt. Kultur und Bildung sollen besonders geschützt werden und künstlerische Produktionen könne nicht nach den Gesetzen des freien Marktes bewertet werden.

Befreiung des Bildungswesens aus der Umklammerung von Staat und Wirtschaft

Deshalb sollte die Debatte um die problematischen Freihandelsabkommen auch den Eltern, Lehrern und Schülern an den Waldorfschulen und in ihren Verbänden nicht gleichgültig sein, da sie ebenfalls in vielfacher Weise von den Folgen der Abkommen betroffen sein werden. Es geht nicht zuletzt auch darum, die wirtschaftliche und politische Vereinnahmung von Kultur und Bildung und ihre Kommerzialisierung durch Freihandelsabkommen zu verhindern. Zugleich kann die öffentliche Kontroverse als willkommene Gelegenheit zur Bewusstseinsbildung in der Bildungs- und Kulturfrage genutzt werden. Schule braucht Freiheit; deshalb geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Befreiung des Geistes- und Schullebens aus der Umklammerung von Staat und Wirtschaft. Denn Staat und Wirtschaft wollen gemeinsam einen fragwürdigen Paradigmenwechsel mit den Freihandelsabkommen erreichen, der sich in nebenstehenden/nachfolgenden Zitaten der Verhandlungsführer* an die Adresse der Kritiker offenbart.


*) „Bei TTIP handelt es sich um die weitreichendsten Veränderungen der Gesellschaften in Europa, weit über alle bisherigen Handelsabkommen hinausreichend“.(…)

„Das ist es, worum es in Wahrheit geht: die politische und wirtschaftliche Führung in Bezug auf das Gesellschaftsmodell für die nächste Generation. Es geht darum, den Rahmen für die Zukunft festzulegen.“ (…)

„Wir müssen das strategische Potenzial von TTIP klar und überzeugend darstellen. Es geht um mehr als ein weiteres Freihandelsabkommen, allein schon wegen seiner Ausmaße. (…) Es wird die wirtschaftspolitische Weltkarte verändern.“(…)

„Im Ergebnis wird es der EU und den USA ermöglichen, sich an die Spitze des Welthandels zu stellen und weltweite Standards zu setzen (beispielsweise im Regulierungsbereich), die als Grundlage für künftige globale Verhandlungen in neuen Bereichen fungieren können.“ (…)

„Ich bitte Sie: Lassen Sie uns gemeinsam für eine neue Weltwirtschaftsordnung eintreten, die im Interesse Europas und Amerikas ist.“(…)

„Wir müssen deshalb die Erzählungen der Mainstream-Medien zu den Verhandlungen im Griff haben“…

(Zusammenstellung von Zitaten der EU-Verhandlungsführer Karel de Gucht, Ignazio Bercero und Rupert Schlegelmilch sowie von Bundeskanzlerin Merkel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel).


[1] „Transatlantische Investitions- und Handelspartnerschaft“ TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“); das geplante Freihandelsabkommen wird seit Mitte 2013 in bislang 6 Verhandlungsrunden zwischen der EU-Handelskommission und den USA unter strenger Geheimhaltung verhandelt; es ist eines von 140 internationalen Handelsabkommen mit deutscher Beteiligung, aber das wohl Weitreichendste. Die Vorbereitungen liefen bereits seit den 1990-er Jahren mit einem Entschluss der EU im Jahre 1990 und der Einrichtung eines „Transatlantischen Wirtschaftsrates auf dem EU-USA-Gipfel 2007. Eine umfassende Darstellung des TTIP-Abkommens, seiner Hintergründe und Entstehungsgeschichte sowie Ziele und Absichten und die Gegenargumente der Kritiker sind nachzulesen in Veröffentlichungen des Autors dieses Artikels unter http://stoptafta-ttip.tumblr.com/post/79316519310/aufsaetze-von-wilhelm-neurohr-zum-freihandelsabkommen, ferner unter http://stoptafta-ttip.tumblr.com/docs mit zahlreichen Quellenangaben.

[2] „Vertrag zum Handel mit Dienstleistungen“ TISA („Trades in Services Agreement“) wird parallel zu TTIP verhandelt, hinter verschlossenen Türen, außerhalb der Regelungen des WTO und ohne Beteiligung nationaler Parlamente zwischen 23 WTO-Mitgliedern, neben den USA und der EU sind auch Australien., Chile, Kanada, die Schweiz und Japan bei den Gesprächen dabei, die insgesamt 2/3 des globalen Handels mit Dienstleistungen ausmachen. Es soll die den Lobbyisten zu laschen Regelungen des GATS-Abkommens (General Agreement on Trade in Services) für den Handel mit Dienstleitungen ablösen und genießt bei der EU höchste Priorität. Ein Aufsatz des Verfassers dieses Artikels ist nachzulesen in der Ausgabe des „Rundbrief Sozialimpulse“ Nr. 2/2014, http://www.sozialimpulse.de/zeitschrift.html, ausführliche Informationen auch unter http://www.world-psi.org/sites/default/files/documents/research/de_tisapaper_final_web.pdf, ferner Kurzinformationen auch unter http://www.tagesschau.de/wirtschaft/tisa-102.html,

[3] Bund der Freien Waldorfschulen: http://www.waldorfschule.de/service/schulverzeichnisse/

[4] siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Hochschulen_in_Deutschland oder http://www.bmbf.de/de/655.php oder https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/BildungForschungKultur/Hochschulen/Hochschulen.html oder http://www.hochschulen-deutschland.org/ oder http://www.hochschulkompass.de/hochschulen/download.html oder http://www.hrk.de/themen/hochschulsystem/arbeitsfelder/statistik/

[5] http://www.bildung-news.com/bildung-und-karriere/berufsleben/berufsbildende-schulen-in-deutschland/

[6] Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes

[7] Statistik des VdP (Verband deutscher Privatschulverbände e.V.)

[8] Volkshochschulstatistik www.die-bonn.de

[9] Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96ffentliche_Reformverwaltung oder http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/new-public-management-npm.html oder http://www.wiso.uni-hamburg.de/professuren/public-management/literatur/glossar/new-public-management-npm/ oder http://www.dhv-speyer.de/rei/PUBLICA/online/NPMGlossar.pdf

[10] siehe http://www.bmbf.de/de/3336.phphttps:// sowie www.google.de/?gws_rd=ssl#q=bologna-Prozess

[11] Siehe http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=12&ved=0CCcQFjABOAo&url=http%3A%2F%2Fwww.bibb.de%2Fveroeffentlichungen%2Fde%2Fpublication%2Fdownload%2Fid%2F803&ei=TdXgU9mFIIjLOPWVgfgN&usg=AFQjCNHIVR1NAqLaDFRJeYNL4KXf0CX-PQ

[12] Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien sowie http://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-internationaleschulleistungsstudiederoecd.htm und http://www.pisa.tum.de/

[13] Siehe http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/Lexikon/Pdf/Lissabon_Strategie.pdf und https://www.google.de/?gws_rd=ssl#q=lissabon-Strategie

[14] Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Lissabon oder http://europa.eu/lisbon_treaty/full_text/index_de.htm oder http://www.europarl.europa.eu/aboutparliament/de/0042423726/Der-Vertrag-von-Lissabon.html oder http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/43000/grafik-lissabonner-vertrag . Eine kritische Betrachtung des Lissabonner Reformvertrages und seiner Folgen liefert das Buch von Wilhelm Neurohr: „Ist Europa noch zu retten? Wie die EU den Europagedanken verfälscht. Wege zu einer europäischen Identität“; Pforte-Verlag (jetzt Futurum-Verlag) 2008.

[15] Aussagen auf einer Pressekonferenz im 1. Quartal 2014.

[16]

[17] Siehe http://www.mehr-demokratie.de/eu-buergerinitiative.html oder http://www.heise.de/tp/artikel/42/42232/1.html oder http://www.ttip-unfairhandelbar.de/start/ebi/ oder http://www.gruene.de/partei/stop-ttip-die-europaeische-buergerinitiative.html

[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Multilaterales_Investitionsabkommen oder http://germanwatch.org/tw/mai.htm

[19] http://de.wikipedia.org/wiki/Anti-Counterfeiting_Trade_Agreement

[20] http://www.wasser-in-buergerhand.de/recht/eu_konzessionsrichtlinie/index_material_konzessionsrichtlinie.htm oder http://www.tagesschau.de/wirtschaft/wasser-eu100.html

[21] https://www.dienstleisten-leicht-gemacht.de/ oder http://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_2006/123/EG_%C3%BCber_Dienstleistungen_im_Binnenmarkt

[22] www.treffpunkteuropa.de/ttip-als-gefahr-einer-kulturnation...