Den realen Klimawandel und den dringlichen Klimaschutz als eine zentrale Herausforderung für die Kreise und Kommunen vor Ort und deren Bürgerinnen und Bürger sowie für die örtliche und regionale Wirtschaft aufzufassen, trifft für den industrialisierten Vestischen Kreis Recklinghausen als Städteverbund im Norden des Ruhrgebietes und Mitglied im Klimaschutzbündnis in ganz besonderem Maße zu - auch wenn nach ersten Ansätzen ein umfassendes regionales Klimaschutzkonzept für alle Sektoren mit ganzheitlichen Strategien und Handlungsfeldern erst noch nachhaltig zu entwickeln ist und den gebührenden Stellenwert erhalten muss. Klimaschutz ist künftig als eine Querschnittsaufgabe in der Kreisverwaltung in Kooperation mit den kreisangehörigen Städten mit hoher Priorität zu betrachten und im Leitbild des Kreises zu verankern.
In 2007 hat die Leitungskonferenz deshalb beschlossen, einen Kreistagsbeschluss vorzubereiten für den Auftrag an die Verwaltung, im Sinne des kommunalen Klimaschutzbündnisses eigene Klimaschutzziele mit den regionalen Akteuren konkret zu entwickeln und zu vereinbaren versuchen, um vor allem regional messbare Senkungen der CO-2-Belastungen und zur Energieeinsparung und Energieeffizienz zu erreichen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 (LAG) in NRW hat es auf den Punkt gebracht: Klimaschutz muss sektorübergreifend als neuer Teil der kommunalen Daseinsvorsorge begriffen werden, der von Bürgerschaft, Politik, Verwaltung, Interessenverbänden und Wirtschaft gleichermaßen getragen wird. Die Kreise nehmen vor allem beim Thema „erneuerbare Energien“ eine Schlüsselposition ein.
Klimabelastende und –ausgleichende Prägung des Kreises Recklinghausen
Der am Ballungsrand des nördlichen Ruhrgebietes zwischen den Flüssen Emscher und Lippe gelegene Kreis Recklinghausen mit seinen dicht besiedelten 10 Städten ist einerseits von großen Kohlekraftwerken und weiteren modernen Kraftwerksplanungen (mit geringerem CO-2-Ausstoss) sowie als Chemiestandort und Standort einer großen Müllverbrennungsanlage geprägt, andererseits eine von Fernwärmenetzen und modernen Zukunftsenergien geprägte alte und neue Industrieregion: Schadstoff- und Feinstaubbelastungen mit verkehrsbeschränkenden Zonen im Süden, zugleich aber auch grüner Freizeit- und Naherholungsraum für die Bevölkerung des Ruhrgebietes im Norden, als waldreiche klimatische „grüne Lunge“ des Reviers bezeichnet. Dieser Kontrast kennzeichnet die Ausgangssituation des Kreises Recklinghausen.
Mitglied im kommunalen Klimaschutzbündnis und in der Lokalen Agenda 21
Klimaschutz geht nicht ohne die Kreise und Städte vor Ort, wenn die nationalen und internationalen Klimaschutzabkommen praktisch wirken sollen, dies ist die Erkenntnis im einwohnerstärksten Kreis der Bundesrepublik (642.000 Einwohner), der deshalb schon vor über 8 Jahren Mitglied im weltweiten Kommunalen Klimaschutzbündnis (Klima-Bündnis der europäischen Kommunen) wurde und sich auch der Lokalen Agenda-21 mit Kreistagsbeschluss von 2001 angeschlossen hat.
Seit dem 1. Januar 2008 übt der Kreis (wie die übrigen Kreise in NRW) mit der kommunalisierten Landesaufgabe auch die Funktion der unteren Immissionsschutzbehörde aus, mit den übrigen Umweltaufgaben gebündelt im „Vestischen Umweltzentrum“der Kreisverwaltung, so dass über die Fragen der Luftbelastungen und -reinhaltung auch Aspekte des Klimaschutzes tangiert sind. Diese sind zugleich verknüpft mit dem Bodenschutz und dem Gewässerschutz sowie der Abfallwirtschaft (Untere Wasserschutzbehörde und Untere Bodenschutzbehörde sowie Untere Abfallwirtschaftsbehörde) in der gebündelten Zuständigkeit des Kreises – Ausgangsbasis für integrierte kommunale Umwelt- und Klimapolitik des Kreises im Zusammenwirken mit der regionalen Wirtschaftsförderung.
„Ökoprofit“ trägt zur CO-2-Minderung und Energieeinsparung und -effizienz bei
Mit wiederholter Beteiligung des Kreises und 5 seiner Städte an dem mit Landesmitteln durch das MUNLV geförderten Projekt „Ökoprofit“ konnte mit insgesamt 70 beteiligten Betrieben sowie in den kreiseigenen und in mehreren städtischen Immobilien zur Umwelt- und Klimaschonenden Energie- und Ressourceneinsparung sowie eine Verringerung des CO-2-Ausstoßes als „Klimakiller“ erfolgreich beigetragen werden; so wurde z.B. beim letzten Durchgang mit 16 Betrieben allein eine Minderung von 4.400 t an CO-2 sowie eine Energieeinsparung von annähernd 20 Mio. kWh erzielt, bei gleichzeitiger Kosteneinsparung in Millionenhöhe. Deshalb beteiligen sich auch am derzeit laufenden Folgeprojekt 20 Betriebe und kommunale Einrichtungen mit großem Engagement und erwarten die Auszeichnung durch den Umweltminister NRW.
Kompetenzregion für Zukunftsenergien – Konkrete Ansätze für Klimaschutz
Als „Energie-Region Emscher-Lippe“ und Modellregion des BMU-Projektes „Bio-Regio / Bio-Logio“ – eine von 6 Modellregionen in Deutschland - ist der Kreis Recklinghausen mit seinen angrenzenden kreisfreien Nachbarstädten das Kompetenzregion für Zukunftsenergien und die Energieregion Nordrhein-Westfalens, als solche gefördert mit Landesmitteln und durch das Gemeinschaftsprogramm Ziel 2 der EU, begleitet von der Energie-Agentur NRW. Damit rückt die klimaverträgliche Energieerzeugung sowie die Energieeinsparung und -effizienz in den Mittelpunkt eines noch weiter auszugestaltenden regionalen Klimaschutzkonzeptes auf der kommunalen Kreisebene. (Die einbezogene Nachbarstadt Gelsenkirchen hat zudem ein Zukunftskonzept als „Solarstadt“).
Die Kompetenzfelder reichen von der Nutzung von Grubengas und der Gewinnung geothermischer Energie mittels Wärmepumpen über Solarenergie und Brennstoffzellentechnologie bis hin zur energetischen Nutzung von Biomasse: Nahwärmeversorgung aus Holzhackschnitzelheizwerken oder einem 50 MW Biomasse-Heizkraftwerk, ländliche Biogasanlagen, Kläranlagen und Deponiegasanlage, eine Biogasanlage für biologische Abfälle, die größte Biodieselproduktion in Deutschland und 20 Biodiesel-Tankstellen sowie ein 8 MW-Bioenergiekraftwerk auf der Basis von Pflanzenölen – eine hervorragende Ausgangsbasis mit 17 örtlichen und regionalen Partnern für die Kompetenz Biomasse.
Regionale Biomasse bei Planungen systematisch einbeziehen
In der Region belaufen sich die großen ungenutzten Biomasse-Potenziale auf über 3.500 T J/a in der Region laut einer erstellten Potenzialstudie. Die Bürgermeisterkonferenz des Kreises hat deshalb mit dem Landrat schon im August 2006 beschlossen, regionale Biomasse bei der kommunalen Energieversorgung von Neubauten und Sanierungen einzubeziehen und die kommunalen Planungsverantwortlichen zu informieren und zu beraten sowie Projekte zu initiieren und zu begleiten. Die regionale Bedeutung zeigt sich in höchster Wertschöpfung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, in der Schaffung neuer, zukunftsweisender Arbeitsplätze und in der Nutzung regionaler Ressourcen mit hoher Versorgungssicherheit, vor allem auch in umweltneutraler und Klimaschonender Nutzungsbilanz. Die Erfahrungen (Logistikkonzepte, Technologien) sind auf andere Kreise und Regionen übertragbar, als Ansätze für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm.
Bewusstseinsbildung in der Kreisregion für den kommunalen Klimaschutz
Im Rahmen der Lokalen Agenda 21 und des Agenda-Kreisnetzwerkes, aber auch in verschiedenen anderen Zusammenhängen bemüht sich der Kreis Recklinghausen schon seit Jahren um öffentliche Bewusstseinsbildung in Sachen Klimaschutz und Energieeffizienz sowie um umweltgerechtes und damit klimafreundliches Mobilitätsverhalten, Letzteres auch als Träger des regionalen Nahverkehrsunternehmens „Vestische Straßenbahnen“ (VRR) oder als einer der ersten Kreise, die in der Aufbauphase dem „Bürgerservice Pendlernetz“ beitraten.
Mit der Beteiligung an der „Klimastaffel“ (Vorläufer. „Autofreier Tag“) in 2003 sowie vor allem als „fahrradfreundlicher Kreis“, aber auch mit der Unterstützung von Energie- und Klimaprojekten der „Agenda-Schulen“ (vormals „Umweltschulen“) im Kreis Recklinghausen, darunter auch Berufskollegs des Kreises, und mit vielen anderen Aktionen und Aktivitäten ist der Klimaschutz als Thema stets präsent, zuletzt noch bei der „E-Fit-Woche“ durch den Fachdienst für das Gebäudemanagement im Herbst 2007 im Kreishaus zur Aufklärung von Mitarbeiterschaft und Öffentlichkeit über energiesparendes Verhalten im Betrieb und daheim. Das Kreishaus selber wird über ein nahe gelegenes Fernwärmekraftwerk beheizt. Die eigene Gebäudesanierung hat großes Gewicht, scheitert aber vielfach an den fehlenden Mitteln für die Investitionen (Der Kreis Recklinghausen hatte im Vorjahr ein Haushaltssicherungskonzept und unterwirft sich weiter freiwillig dessen Kriterien.).
Die Einstellung eines Energiesparberaters in der Kreisverwaltung ging voraus, dessen Stelle sich aus den ersparten Energiekosten selber finanziert. Es gilt nun, die verschiedenen Aktivitäten zusammenzuführen, zu erweitern und zu professionalisieren sowie weitere Akteure in der Region einzubinden und zu vernetzen und im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung Kontrakte mit heimischen Unternehmen zur Erzielung messbarer Erfolge für den Klimaschutz anzustreben.
Autorennotiz: Wilhelm Neurohr (56), Dipl.-Ing. für Städtebau und Landesplanung, ist Agenda-Beauftragter der Kreisverwaltung Recklinghausen und Mitglied im Arbeitskreis Agenda 21 des Landkreistages NRW; er betreut federführend die regionalen Ökoprofit-Projekte im Kreis Recklinghausen; derzeit teilfreigestellter Personalratsvorsitzender des Kreises Recklinghausen; vorher als Abteilungsleiter im ehemaligen Amt für Planung und Umweltschutz tätig und Stabsaufgaben für Landräte.( In seiner aktuellen Buchveröffentlichung „Ist Europa noch zu retten? “plädiert er u. a. für stärkere Rechte und Beteiligungen der Städte, Kreise und Regionen nach dem Subsidiaritätsprinzip in einem „Europa der Regionen“.)