Die IHK jagt einem Phantom nach, um nicht zu sagen, einem selbst geschaffenen „Feindbild“: Statt öffentlich über angeblich um sich greifende „Industriefeindlichkeit“ zu lamentieren, sollte sie sich lieber selbstkritisch fragen: Hängt sie nicht einem überholten Wachstums- und Wirtschaftsförderungs-Leitbild der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts an? Scheinbar ist sie immer noch der überholten Ideologie verhaftet, dass Ökonomie und Ökologie unvereinbare Gegensätze seien – und nicht notwendige Bedingungen für die industriellen Arbeitsplätze und die Produktion der Zukunft. Für diese Erkenntnis muss man heutzutage kein „Grüner“ sein, sondern diese ist längst Allgemeingut bei vielen Unternehmensvorständen – nicht jedoch bei deren öffentlich-rechtlicher Kammer mit Zwangsmitgliedschaft?
Die IHK sollte sich angesichts der globalen ökologischen Katastrophen, des Klimawandels und der ungebremsten Flächenzersiedelung sowie der Industrialisierung der Landwirtschaft fragen: Wie müsste zeitgemäße Arbeitsmarkt- und Industriepolitik im 21. jahrhundert für dieses Land und speziell diese Region aussehen? Und zwar jenseits der klassischen Großprojekte, wie man sie aus der ersten und zweiten Industrialisierungswelle der vergangenen Jahrhunderte im Ruhrgebiet kennt. Oder geht es der IHK um Industrie-Nostalgie? Damit wäre keine Zukunft zu gestalten. Die Ent-Industrialisierung dieser Region haben nicht die „Gegner“ verschuldet, sondern die am Alten haften gebliebenen Unternehmen, die daraufhin verschwanden.
Zwar mag es eine Minderheit von Mitbürgern geben, die generell gegen jedwede Industrialisierung zu Felde zieht. Aber die Mehrheit der so genannten „Gegner“ ist nicht gegen, sondern für eine moderne Industriepolitik. Diese gehrt zunächst von 3 Prämissen aus:
- Industrieprojekte auch in dieser Region müssen erstens die demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren gesetzeskonform durchlaufen und nicht unterlaufen.
- Sie müssen zweitens dem heutigen Stand der Technik und damit auch der Umwelttechnik entsprechen und mit etwa divergierenden ökologischen Belangen im Einklang stehen.
- Sie müssen drittes für Alternativen offen sein und sich von der bloßen Größenorientierung oder Gigantonomie verabschieden.
Am Kraftwerksbeispiel: Seit Jahrzehnten ist nachgewiesen, dass kleine dezentrale Energieerzeugungsanlagen effizienter, umweltfreundlicher und weniger störanfällig sind sowie Überlandleitungen reduzieren. Auch zum Straßenbau gab es gerade in dieser Industrieregion immer Alternativen für industrielle Transporte: Die Schiene mit eigenen Industriebahngleisen oder die eigens gebauten Kanalnetze usw.
Viele vermissen bei der IHK in dieser alten Industrieregion eine wirkliche Zukunfts-Vision, die mit den an Industrie gewöhnten Menschen in dieser Region ideologiefrei kommuniziert wird. Da reicht es nicht allein, dem Chemiestandort in Marl oder dem geplanten Industriestandort im Ostvest das Etikett „Park“ zu verpassen und eine neue Produktpalette zu vermarkten. Und für eine ideologiefreie Debatte wäre es hilfreich, wenn sich die (neutrale) IHK selber in ihren Publikationen nicht zu einseitig als Anhänger ganz bestimmter Parteirichtungen zu erkennen gäbe. Zugleich sollte sie ehrlich zugestehen, dass unternehmerische oder betriebswirtschaftliche Interessen nicht immer und überall mit öffentlichen Interessen einfach gleichgesetzt werden können. Ergo sind manche öffentlichen Auseinandersetzungen auch Interessenkonflikte jenseits von „Industriefeindlichkeit“. Die IHK sollte also nicht übertreiben mit der Diffamierung engagierter Bürger als „Totalverweigerer“, die angeblich die öffentliche Debatte beherrschen. Letztere wird eher von „anderen Seite“ beherrscht, statt aufeinander zuzugehen, damit es gar nicht erst so eskaliert wie in Stuttgart.
P.S. Um Vorurteilen vorzubeugen: Ich habe selber meinen Berufsweg im Bergbau begonnen und als Mitglied der industriefreundlichen IGBCE und war später auch mit Industriestandortplanungen betraut etc. Das hindert mich nicht an einer differenzierten Sicht der Dinge. Denn gerade der Arbeitsmarkt braucht Differenzierung sowie Diversifizierung und nicht industrielle Einseitigkeit.