Autobiografie und Erfolgsgeschichte
Der anthroposophisch orientierte Unternehmer Götz Werner, Gründer und 35 Jahre lang geschäftsführender Inhaber der erfolgreichen dm-Drogeriemarktkette, legte 5 Jahre nach Geschäftsübergabe an seinen Nachfolger Erich Harsch, kurz vor seinem 70. Geburtstag, seine Autobiografie im Econ-Verlag (Ullstein) vor – rechtzeitig zum 40-jährigen Unternehmens-Jubiläum von dm in diesem Jahr. Er erzählt die Geschichte seines Lebenswerkes und berichtet, wie sein Unternehmen dm als heute marktführender und stetig expandierender Discounter zu einem der beliebtesten und erfolgreichsten Unternehmen Deutschlands mit vielen Preisverleihungen und Auszeichnungen wurde. (Siehe Kasten S. XXX). Götz Werner gilt als „Pionier moderner Managementmethoden“ und als „Querdenker in Sachen Unternehmensethik“. Im Klappentext des Buches wird der „Tagesspiegel“ zitiert: „Ach, wie schön wäre es, wenn die Regierung einen hätte wie Götz Werner …“.
Das 300seitige Buch mit dem Titel – „Womit ich nie gerechnet habe“ – wird voraussichtlich eine hohe Auflage erreichen, zumal es auch in Anzeigen und in der dm-Kundenzeitschrift „alverde“ beworben wird. Der durch sein öffentliches Eintreten für ein bedingungsloses Grundeinkommen bekannte und seitdem prominente Autor ist gleichzeitig gefragter Vortragsredner und Talkshow-Gast. Er setzte als Kenner und Verfechter der „sozialen Dreigliederung“ in seinem „organisch wachsenden“ Unternehmen neue unternehmerische Maßstäbe – mit einer konsequent an seinen Mitarbeitern als Mitunternehmern sowie an den Kunden orientierten Unternehmensphilosophie, die auf einem vom unternehmerischen Mainstream abweichenden Welt- und Menschenbild basiert.
Lernendes Unternehmen
Werner betont wiederholt seine tiefe Überzeugung, dass für ihn jede Arbeit und jeder Mensch wertvoll seien. Das hat vielerlei Auswirkungen auf das soziale Miteinander im Unternehmen und strahlt aus in die Gesellschaft und auf das Wirtschaftsleben als Ganzes mit seiner verloren gegangenen Wirtschaftsethik. Was anthroposophisch geprägtes Unternehmertum ausmacht, wird in Götz Werners Buch ansatzweise sichtbar als dasjenige, was der Einzelne individuell aus der Anthroposophie heraus als „Lebensunternehmer“ aus seiner Biografie macht und in seinem Lebens- und Berufsalltag verwirklicht. Vor diesem Hintergrund gibt der Autor vielfältige Einblicke in seine Unternehmensphilosophie, wie sie sich in 40 Jahren entwickelte: Er schreibt vom „lernenden Unternehmen“ als „lebendiger Organismus“, das europaweit Mitarbeitsmöglichkeiten bietet – für bald 50.000 Beschäftigte und 3000 Auszubildende – bei dm als „Lernlinge“ bezeichnet –, zu deren Ausbildung auch künstlerische Elemente gehören.
All das hat ihm und seinem Unternehmen zahlreiche Anerkennungen, Auszeichnungen und Preisverleihungen sowie die Marktführerschaft unter den Drogerie-Discuntern eingebracht , auch positives Kunden- und Mitarbeiter-Feedback, ferner eine Professur an der Universität Karlsruhe, wo er von 2003 bis 2010 das Institut für „Entrepreneurship“ (= Unternehmertum) leitete – und das, obwohl er selbst als Schulabbrecher nach dem 11. Schuljahr kein universitäres Studium genossen hat, sondern nach eigenen Worten an der „Universität des Lebens“ studiert hat).
Nach eigenen Aussagen war die auf Nachhaltigkeit und Wertschätzung der beteiligten Menschen setzende Unternehmensstrategie der Schlüssel zum Erfolg, und nicht etwa kurzfristiges Gewinnstreben als Selbstzweck. Gewinne seien für ihn vielmehr „Gestaltungszweck“. Das Unternehmen sei für die Menschen da und nicht die Menschen für das Unternehmen. Deshalb gebe es bei dm eine andere Umgangskultur als in vielen anderen Unternehmen üblich. Das Unternehmen sei ein Prozess, keine Hierarchie, und praktiziere deshalb „dialogische Führung“ mit einvernehmlichen Zielvereinbarungen.
Diese Einsichten und Orientierungen, das gibt Götz Werner unumwunden zu, sind erst im Laufe vieler Jahre im Zuge der Unternehmensentwicklung aus Erkenntnissen, Schlüsselerlebnissen, Erfahrungen, Beratungen und Menschenbegegnungen gewachsen. Einer seiner wichtigsten Berater war der Holländer Hellmut J. ten Sienhoff, der Organisationsentwicklung auf der anthroposophischen Grundlage von Prof. Dr. Bernhard Livegood anbot. Die Größenordnung des Unternehmens mit der wachsenden Zahl von Filialen drohte dem Gründer über den Kopf zu wachsen. Nach dem anfänglichen „Erfolgsrausch“ war ein radikaler Kurswechsel nötig. Bis dahin wurde das Unternehmen zentralistisch, hierarchisch und eher patriarchalisch geführt, vorübergehend auch nach überholten Organisations-und Führungsmodellen wie dem „Harzburger Modell“.
Pionier einer nachhaltigen unternehmerischen Wirtschaftsweise
Götz Werner sieht sich selbst als Pionier einer nachhaltigen unternehmerischen Wirtschaftsweise. Er schildert die einzelnen Etappen zum Aufstieg und wie die dabei auftretenden Probleme erkannt wurden und zu den erforderlichen Kurskorrekturen führten, die mit wichtigen Erkenntnis- und Lernprozessen für ihn und alle Beteiligten verbunden waren. Durch das Hinterfragen von Grundsätzlichem, durch Reflektieren sowie durch Bewusstseinsveränderungen habe er dem lernenden Unternehmen mit großer Ausdauer und Hartnäckigkeit schrittweise eine vorbildliche Ausrichtung gegeben – nicht zuletzt dank der den Mitarbeitern eingeräumten Freiräume zur ideenreichen Mitgestaltung und Übernahme von Eigenverantwortung. Insbesondere die bald 1.500 Filialen des Discounters dm in Deutschland, bekamen sukzessive mehr Eigenverantwortung zugestanden. Sie wurden aber nie ganz in die Selbständigkeit entlassen, wie es etwa das Prinzip von Edeka vorsieht, oder im Sinne einer Einkaufs- und Solidargemeinschaft selbständiger Drogerien mit genossenschaftlicher Kundenbeteiligung.
Götz Werner lehnt Leistungszulagen oder Erfolgs-Boni für Mitarbeiter als materielle Leistungsanreize konsequent ab, weil es unwürdig sei, Leistungssteigerung mit einer „Wurst am Haken“ zu entlocken und damit quasi Leistungsunwilligkeit zu unterstellen. Das Unternehmen praktiziere aber die Ausschüttung von Gewinnanteilen zuletzt in zweistelliger Millionenhöhe.[1]
Götz Werner hebt wiederholt seine Lernprozesse sowie die neu eingeführten Begriffe und damit verbundenen Inhalte in seinem Unternehmen hervor, obwohl in den ersten Jahren eher konventionelle Organisations- und Führungsmodelle und Wachstumsstrategien praktiziert wurden und manches „Pionierhafte“ auch dem gewandelten Zeitgeist und veränderten Führungsprinzipien geschuldet war, wie sie auch in vielen anderen Unternehmen oder Verwaltungen zeitgleich Einzug hielten. Sein grundlegend anderes Verständnis von Arbeit, Einkommen und Löhnen, führt dazu, dass Löhne in einer parallelen Buchführung nicht als Kosten, sondern als Ertragsanteile dargestellte werden. Dieses Verständnis wird von seinen Unternehmer-Kollegen gedanklich leider nicht mitvollzogen, sondern stößt dort eher auf Unverständnis. Gleiches gilt für seine Anstöße zu Reformen des Steuerrechtes – nach den Vorschlägen seines Freundes und Beraters Benediktus Hardorp – des Geldwesens und zu anderen sozialen Fragen im Sinne der sozialen Dreigliederung, die er in seinem autobiografischen Werk beiläufig, aber leicht verständlich zur Sprache bringt.
Götz Werner nimmt des Öfteren Bezug auf die konsequente Mitarbeiter- und Kundenorientierung von dm, auch wenn mancher Kunde sich einer aktuellen dm-Werbekation gegenüber eher kritisch äußern würde: Wer als eifrigster Kunde die meisten Payback-Punkte sammelt, wird für einen Monat zum dm-„Platzhirsch“ ernannt, dann geht der „Wanderpokal“ weiter.
Entwicklung eines expandierenden Konzerns transparent machen
Götz Werner macht keinen Hehl daraus, dass ein unternehmerisches Gründungsmotiv war, dem Erfolgsrezept der Albrecht-Brüder (Aldi-Discounter) aus der Lebensmittelbranche nachzueifern, über die es im Hinblick auf Geschäftsverlauf und -gebaren und Marktverhalten Kritisches zu bemerken gibt. Mit entwaffnender Ehrlichkeit schildert Götz Werner diesen Gründungsimpuls Anfang der siebziger Jahre, das Discounter-Prinzip auch auf die Drogerien anzuwenden, also mit weniger Artikeln und weniger Aufwand größeren Umsatz zu machen. Dirk Rossmann war ihm allerdings mit der gleichen Idee zuvorgekommen und hatte ein Jahr davor die Rossmann-Drogeriekette gegründet. Gut ein Jahr später folgte Anton Schlecker.
Götz Werners Lebensweg vom „einfachen Zahnpasta-Verkäufer“, wie er sich gerne selbst nennt, zum Unternehmenschef eines inzwischen ständig expandierenden Konzerns brachte ihn auf der Liste des Manager-Magazins der 500 reichsten Deutschen mit einem Vermögen von 1,1 Mrd. € auf Platz 107. Der Milliardär Götz Werner schreibt: „Geld kann man nicht essen“. Sein Milliardenvermögen bestehe lediglich auf dem Papier aus den dm-Anteilen, die er nicht zu verkaufen gedenke und deshalb auch nicht als Geld zur Verfügung habe. Folglich springe er nicht „jeden Morgen wie Dagobert Duck in ein Schwimmbecken voller Goldmünzen“ – trotz eines sicher beträchtlichen Privatvermögens – „Millionen zu scheffeln, ist nicht Bedürfnis des Menschen“. Und er betont: „Ein Unternehmer ist nicht erfolgreich, wenn er reich ist“. Das Raffke-Bild, das viele Menschen vom Unternehmer haben, sei falsch. Auch Mitarbeiter arbeiteten nicht bloß, um Geld zu verdienen, das „Motivieren“ über monetäre Leistungsanreize sei unwürdig.
Bei alledem ist berechtigter Stolz über sein erfolgreiches Lebenswerk spürbar. Er artikuliert auch seine Dankbarkeit für die vielen glücklichen Fügungen, Menschenbegegnungen und Berater zur rechten Zeit, die den Erfolg beförderten. Doch geht es Götz Werner in seinem fesselnd zu lesenden umfangreichen Buch in Wirklichkeit um viel mehr als um kurzweilige Plaudereien und amüsante Anekdoten aus seinem bewegten unternehmerischen und privaten Leben: Er möchte die die Unternehmensentwicklung transparent machen und Einblicke geben in seine eigenen Lernprozesse.
Er gibt dabei als früherer Waldorf-Vater von 7 Kindern mit viel Freimütigkeit und Ehrlichkeit auch sehr viel Persönlich-Privates von sich preis. Allerdings wurden in den Medien gelegentlich auch rein sachliche Entscheidungen Werners persönlich interpretiert: Als er seinen Eigentumsanteil am Firmenvermögen nach seinem Ausscheiden nicht an seine Kinder überschrieb, sondern in eine Stiftung einbrachte, hieß es, er habe seine Kinder „enterbt“. Dabei ging es ihm um die Förderung einer zeitgemäßen Eigentumsform für ein Unternehmen, das eben kein verkäuflicher Vermögensgegenstand sein dürfte, sondern sich selbst und damit seiner Aufgabe für andere gehören sollte. (Dass im Erbfall die Versteuerung u.U. den Verkauf von Unternehmensanteilen geradezu provoziert hätte, ist allenfalls eine zusätzliche Pointe.)[2]
Dynastische Verhältnisse wollte Werner aber in der Tat nicht. Dass er einen seiner Söhne, Christoph Werner, in die Geschäftsführung des Unternehmens holte und seit der Schließung seiner zweiten Ehe mit Götz Rehn, dem Inhaber des wichtigen Partners „Alnatura“ verschwägert ist, heißt lange nicht, dass dm eine Art Familienbetrieb wäre Nach seinem länger vorbereiteten Ausstieg aus der Geschäftsführung wechselte Götz Werner selber in den Aufsichtsart und hat heute vor allem den Stiftungsvorsitz inne.
„Die eigene Biografie aktiv gestalten als Lebens-Unternehmer“
Letztlich will er den zum Mitdenken angeregten Lesern insgesamt wert- und weisheitsvolle Botschaften über soziale Zusammenhänge vermitteln, und das in lockerer und leichtverständlicher, populärer Sprache, illustriert von lebendigen Beispielen und in einer Art und Weise, die einleuchtet und zum Nachahmen anregt. Es gelingt ihm sogar, spirituelle und anthroposophische Kernpunkte der sozialen Frage, die karmische Frage wiederholter Erdenleben mit Rudolf Steiner als Quelle im Zusammenhang mit seiner biografischen Entwicklung offen anzusprechen und sich damit öffentlich zur Anthroposophie zu bekennen.
Er ruft die Menschen zum Schluss dazu auf, Unternehmer im Hinblick auf ihr eigenes Leben und „soziale Künstler“ zu werden, ihre Biografie aktiv zu gestalten, anstatt sie zu erleiden: Er warnt z.B. davor, sinnlose und ungeliebte Arbeit zu verrichten nur um des Arbeits- oder Erwerbseinkommens willens, und dadurch womöglich ihren eigenen Lebensweg zu verbauen und ihr Lebensziel zu verpassen. In dem Zusammenhang widmet er der Frage des bedingungslosen Grundeinkommens einen breiten Raum in seinem Buch und räumt üblicherweise dagegen vorgebrachte kritische Einwände aus. Bei der Finanzierung plädiert er für die Mehrwertsteuer und baut im Übrigen nach Einführung des BGE stark auf die Wirkung von Marktkräften, ein Punkt, über den man durchaus streiten kann.
Alles in allem bietet das autobiografische Buch von Götz Werner viele positive und kritische Anregungen und Anstöße für eine vertiefte Diskussion über dreigliederungsgemäße Unternehmenskultur unter gegebenen Marktverhältnissen. Man würde sich allerdings wünschen, dass das Theme Dreigliederung deutlicher im Kontext behandelt worden wäre und nicht nur aspekthaft an verschiedenen Stellen aufschiene. In Bezug darauf, wo das Unternehmen in Bezug auf die Umsetzung von Elementen einer Wirtschaft der Zukunft steht (vgl. hierzu in diesem Heft S XXX – YYY ), bleiben durchaus Fragen offen. Auf jeden Fall aber ist das Buch die interessante und lesenswerte Biografie eines engagierten Unternehmers und Anthroposophen, dem es obendrein gelingt, schwierige Sachverhalte in einfachen Worten und humorvoll darzulegen. Eine der vielen Botschaften lautet: Fehler und Rückschläge auf dem Lebensweg sind Voraussetzung für die Lehren, die sich daraus ziehen lassen und somit auch für die darauf aufbauende Erfolge – Beharrlichkeit und zähes Durchhaltevermögen vorausgesetzt.
Autorennotiz: Wilhelm Neurohr ist seit Jahrzehnten dm-Kunde, hat viele Vorträge von Götz Werner und öffentliche Veranstaltungen mit ihm besucht sowie seine Bücher gelesen; auch unterstützt er die Initiativen für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Firmenentwicklung von dm hat er intensiv recherchiert und beobachtet. Selber hat er jahrzehntelange Erfahrungen in der Entwicklung mitarbeiterorientierter Führungsstile und Umgangskulturen sowie sozialer Managementmethoden sammeln können als Personalratsvorsitzender in einer reformorientierten Kommunalverwaltung mit zuletzt 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
[1] Bei der Lohngestaltung gibt es allerdings – bei guter tariflicher, teilweise übertariflicher Bezahlung – im Rahmen eines Systems von Einkommensbänder zwar eine gewisse Mitsprache der Filialmitarbeiter, eine Unternehmensbeteiligung der Mitarbeiter ist jedoch nicht geplant.
[2] vgl. http://www.unternimm-die-zukunft.de/de/goetz-werner/eigentum/