Betrachtungen vor der Europawahl:
Auf der Suche nach realistischen Wegen aus der Krise der EU
In wenigen Wochen, am 25. Mai[1] 2014, stehen zum achten Mal die Europa-Wahlen wieder bevor. Damit rücken die Europafragen wieder stärker in den öffentlichen Fokus. Europa und seine Zukunftsgestaltung waren und sind allzeit auch Dauerthemen dieses Rundbriefes und des Netzwerkes Soziale Dreigliederung mit seinen Veranstaltungen. Bisherige Themenstellungen waren z. B. die europäische Rechts- und Sozialgestaltung, die Idee und Wirklichkeit europäischer Einheit sowie Europa als Schauplatz geistiger Auseinandersetzungen. Weitere Beiträge und Veranstaltungen umfassten die Demokratiefrage und die Wirtschafts- und Währungsfrage, die Finanz- und Eurokrise und die aktuelle Krisenbewältigung.
Im Rundbrief Nr. 3/2012 waren bereits verschiedene Beiträge auch zur aktuellen Krisensituation in Europa veröffentlicht und die Frage nach Lösungen aufgeworfen worden unter der Fragestellung: „Euro(pa)Krise ausweglos?“. Dargestellt wurden mehrere lösungsorientierte Ansätze, darunter z. B. auch ein Lastenausgleich und ein Gesellschaftspakt Schuldentilgung sowie ein Masterplan zur Wirtschaftsbelebung in den Schuldenländern. In der Ausgabe 4/2012 folgte vor dem Hintergrund der Griechenland-Krise ein erweiterter 10-Punkte Plan als umfassender Handlungsrahmen für die Krisenbewältigung. Doch weiterhin läuft die Politik mit ihrem verfehlten Krisenmanagement den jeweiligen Ereignissen hinterher und verschlimmert damit die Probleme, abgesehen von einigen (insgesamt unzureichenden) Regelungen für die Banken und Finanzmärkte, die inzwischen immerhin auf den Weg gebracht worden sind, (aber mit der üblichen Rücksichtnahme auf Lobbyinteressen aus der Bankenwelt).
Europawahl als Chance für eine grundlegende öffentliche Krisendebatte
Die jetzt bevorstehende Europawahl bietet erneut eine nicht zu verpassende Chance, eine vertiefte öffentliche Debatte über tatsächliche Ursachen und weitreichende Folgen der noch nicht bewältigten Krisen der gewandelten EU zu beginnen[2]. Vor allem aber geht es neben einer gründlichen Problemanalyse um die weitere Suche nach realistischen und geeigneten Wege aus den Krisen, denn wir haben es mittlerweile mit einem ganzen Krisen-Bündel zu tun, wie in diesem Beitrag ausgeführt wird. Damit steigen aber auch die Veränderungschancen, denn Europa hat Zukunft und längerfristige Perspektiven - aber welche? Was ist eigentlich das Endziel des gesamten Vorhabens der europäischen Integration?[3] Wohin soll es sich entwickeln? Was hält Europa wirtschaftlich, politisch und kulturell zusammen? Welche Zukunft hat die EU[4]? Wollen wir ein solidarisches Europa oder ein Europa der nationalstaatlichen Egoismen?
Gibt es ein Kontrastprogramm zur herrschenden Sparpolitik mit ihren sozial verheerenden Folgen? Wer wird zur Krisenbewältigung finanziell mit herangezogen? Und ist nicht bei ehrlicher Analyse der wahren Krisenursachen der Weg in eine neue Geld- und Wirtschaftsordnung unausweichlich? Wird also die anhaltende Euro-Systemkrise eigentlich an den Wurzeln angepackt? Wie geht Europa weiter mit dem zentralen Krisenproblem der Staatsschulden und der Zinsbelastungen um? Ist der institutionelle Zustand der EU, die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive mit ihren Zwitterfunktionen sowie zwischen Nationalstaaten und EU überhaupt geeignet, demokratische Strukturen und klare Regierungsaufträge herauszubilden? Wie wird das Subsidiaritätsprinzip gelebt?
Ist das europäische Demokratie- und Sozialmodell nur eine Fiktion angesichts des zerstörerischen Wettbewerbs der Staaten? Und wie wirkt sich die schädliche Durchmischung, Verflechtung oder Gleichsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen in der EU aus? Wer profitiert eigentlich von den Stabilitätsprogrammen außer den Vermögenden? Ist die mit belastbaren Zahlen der EU-Kommission hinterlegte Korruption[5] in den Mitgliedsländern der EU auch ein Ausfluss der (nicht dreigliederungsgemäßen) allzu engen Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft in Europa?
Welche Chance hat ein solidarisches europäisches Sozialmodell?
Kann die EU als Friedensnobelpreisträger für die Zukunft gewährleisten, dass angesichts der sozialen Spaltung auch der soziale Frieden in Europa als Voraussetzung für friedliches Zusammenleben gesichert bleibt? Welchen Stellenwert hat eigentlich im europäischen Krisenalltag die „Europäische Sozialcharta“ von 1996, (die ja eine „schwere Geburt“ war)? Die Reformvorgaben der Troika stehen jedenfalls in klarem Konflikt zum europäischen Recht, insbesondere zur europäischen Sozialcharta. Es entsteht der Eindruck: Die Institutionen der EU und ihre (im Kern neoliberale) Grundausrichtung stehen eigentlich im Widerspruch zu einer europäischen Sozialordnung. Doch ohne sozialen Frieden kann auf Dauer kein Frieden gewährleistet werden, so sollte die eigentliche Botschaft des 2012 verliehenen EU-Friedensnobelpreises aufgefasst werden. Daniel Goeudevert[6] drückte es einmal so aus: „Die europäische Währungsunion kann man verordnen, die Liebe unter den Völkern nicht.“
Besonders drastisch drückt es der bekannte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Schachtschneider aus: „Der europäische Frieden wird nicht dadurch gesichert, dass Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat ruiniert werden.“[7] Der Abbau sozialer Besitzstände sei die Konsequenz der Entdemokratisierung in Europa. Sogar die öffentliche oder staatliche Daseinsvorsorge ist weitestgehend dem Markt- und Wettbewerbsprinzip unterworfen. Von verschiedener Seite[8] wird hierbei auch die zweifelhafte Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) beklagt, der in seiner Rechtsprechung das europäische Sozialmodell nicht zur Kenntnis nehme und sich Kompetenzen anmaße, die ihm nicht zustünden. Die demokratische Gewaltenteilung in der EU wird teilweise faktisch aufgehoben, (obwohl deren Funktionieren das Kennzeichen demokratischer Staaten ist, im Gegensatz zu autokratischen Staaten). Heute ist Europa auf dem Weg, eine Großmacht zu werden, ohne eine Staatsidee zu besitzen, die nicht der für Alles zuständige Einheitsstaat sein kann[9].
Bleibt neben der (kriselnden) Wirtschafts- und Währungsunion noch Gestaltungswille für eine vielfach beschworene „Sozialunion“? Oder lenkt die EU von den Fragen der inneren sozialen Spaltung geschickt ab, indem sie (seit der Münchener Sicherheitskonferenz vom Februar 2014) das weltweite militärische Engagement Europas und Deutschlands an auswärtigen Krisenherden nunmehr in den Vordergrund stellt? (Längst gehört auch die militärische Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen zur erklärten Strategie Europas[10], bei zugleich höchstem Stand der Rüstungsexporte weltweit auch in Krisengebiete, obwohl der deutsche Friedensnobelpreisträger Willy Brandt diese als „Exporte des Todes“ bezeichnete). Und wie bringt sich die sozial notleidende Bevölkerung in diese stattdessen geführte Debatte um eine Neuorientierung der (militarisierten) Außen- und Weltpolitik ein?
Wiederbelebte Diskussionen über die „Vereinigen Staaten von Europa“
Oder ist jetzt die Zeit für eine demokratisch-föderale Verfassung für Europa gekommen, wie manche Eliten meinen? „Ist es vielleicht auf das historische Zusammentreffen von Nationalstaats-Souveränismus und Neoliberalismus zurückzuführen, dass mit dem Vertrag von Maastricht nicht sogleich die Vereinigten Staaten von Europa, sondern nur eine unvollendete Union als Währungsunion geschaffen wurde, ohne den nächsten logischen Schritt zur politischen Union?“ Diese Frage stellt die luxemburgische EU-Vizepräsidenten und Justizkommissarin Viviane Reding in einem relativ aktuellen Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.[11] Durch dieses Versäumnis, so ihre Auffassung, seien die Märkte stark und die Politik schwach in Europa, die auf nationale Souveränität beharre.
Die Kommissions-Vizepräsidentin ist davon überzeugt, dass die „Vereinigten Staaten von Europa“ (als föderales Gebilde) zwar „eine kontroverse Vision für die Zukunft unseres Kontinents“ sei, diese aber mittelfristig den richtigen Weg aus der aktuellen Schulden-, Finanz- und Legitimationskrise weisen würde. Mehr Demokratie durch ein solches Regierungsmodell mit entsprechender Verfassungsstruktur sei gerade in der Krise nach ihrer Ansicht eine aufzuzeigende Alternative im Europawahljahr 2014. (Bis 1992 stand dieses Ziel noch im Parteiprogramm der CDU und bis 1959 im Heidelberger Programm der SPD). Die Dynamik unter dem Druck der Krise könne nach ihrer Auffassung diese Entwicklung sogar beschleunigen und bis 2020 eine föderal integrierte Eurozone hervorbringen.
War die Fiskalunion also nur ein Einstieg? Und bedeutet ein Mehr an Zentralisierung nicht einen weiteren Verlust an Bürgernähe sowie Weniger an Souveränität der Einzelstaaten und an Subsidiarität? Schon jetzt ist bei den gegebenen Strukturen innerhalb der EU tendenziell ein Verlust an Demokratie und Freiheit erlebbar, weil die Exekutive an den Parlamenten vorbei Europapolitik und „Krisenmanagement“ betreibt[12]. Mehr Zentralismus verbessert kaum die strukturellen Demokratie-Defizite. Spätestens nach dem 2005 an Volksabstimmungen gescheiterten EU-Verfassungsvertrag sowie nach Urteilen des deutschen Verfassungsgerichtes dürften die Visionen eines „europäischen Superstaates“ kaum ernsthaft wiederbelebt werden, obwohl sie auch unverdrossene Anhänger in Deutschland haben (von Oettinger und Kohl über Westerwelle bis van der Leyen und Cohn-Bendit, aber auch bei manchen Europa-Abgeordneten).
Der letzte Entwurf eines EU-Verfassungsvertrages wurde bekanntlich in einem handverlesenen Konvent (überwiegend nichtöffentlich) entwickelt, in der „dunkelsten Dunkelkammer, die es je in Europa gab“ (Zitat Jean-Claude Junker, ehemaliger luxemburgischer Präsident). Folglich blieb das 400-seitige Paragraphenwerk hinter den Errungenschaften unseres auch für andere Staaten vorbildlichen Grundgesetzes zurück. Der mit dem gescheiterten EU-Verfassungsentwurf nahezu inhaltsgleiche Lissabon-Vertrag (als dann gültiger Ersatz für die 2005 gescheiterte Verfassung) schreibt trotz Finanzmarktkrise immer noch einen „ungehinderten Kapitalverkehr“ vor und gewährt die „freie Eigentumsverfügung“ ohne jede Sozialverpflichtung. Er stellt den freien Waren- und Kapitalverkehr über die sozialen Menschenrechte.
Bundeskanzlerin Merkel hatte übrigens 2012 dazu aufgerufen, die Europäische Kommission als Exekutive wenigstens mit dem Begriff einer „Europäischen Regierung“ zu belegen. Die Bevölkerung kann sich mehrheitlich wohl kaum für diese Ideen erwärmen, dazu sind die Vorbehalte „gegen die Brüsseler Bürokraten“ und ihre eingesetzte Troika gerade in der Krisensituation zu heftig. (Unter dem Aspekt der sozialen Dreigliederung ließe sich zu einem „allzuständigen Einheitsstaat“ ohne funktionale Gliederung sicher auch manches andere noch einwenden, gerade auch in Bezug auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange Europas und unter dem Prinzip der Dezentralisierung von Verantwortungsebenen und Selbstgestaltungsräumen).
Die Gefahr der Erstarkung anti-europäischer Kräfte
Mittlerweile steht die „Krisen-Union“ an einem Scheideweg. Die EU verliert nicht erst seit dem wirtschaftlichen und soziale Niedergang in den südeuropäischen Krisenländern an Vertrauen, Orientierung und Zuspruch, denn die Menschen wollen ein „anderes Europa“ und kein „weiter so“ in Brüssel oder kein bloßes „Durchwursteln“ auch in Deutschland. Doch hier sieht man von Regierungsseite „keine Alternative“ zum aktuellen Kurs der Europa-Politik, deren katastrophal gemanagter Euro-Rettungskurs im Wahljahr als „erfolgreich“ gepriesen wird (derweil gerade das nächste Rettungspaket für Griechenland geschnürt wird). Nach Ansicht der EU-Kommission könne Europa die Krise „bald hinter sich lassen“[13]. Sichtbare Misserfolge werden schlicht in Erfolge umgedeutet, so lautet die Kritik von vielen Seiten.
Die Lügen im politischen Leben wirken wie ein Krebsgeschwür im Europagebilde. Dabei hängt die Zukunft des ganzen Kontinents davon ab, „ob die EU-Hegemonialmacht Deutschland durch politischen Druck oder ökonomische Zwänge zu europäischer Solidarität verpflichtet werden kann“, so drückt es die Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Hermann in einem Leitartikel der Zeitung „Le Monde diplomatique“[14] aus. Sie hält die deutsche Bundesregierung „für eine echte Gefahr für den Euro“, weil von Deutschland mit seinen Exportüberschüssen eine Wettbewerbskrise für die Defizit-Länder erzeugt werde.
Das Staatengebilde der EU versteht sich seit Längerem vorrangig als Währungs- und Wettbewerbshüter und deren Akteure betrachten demgemäß alle Politikbereiche und Lebensfelder fast nur noch durch die die ökonomische und fiskalische Brille. Die in der EU gewachsenen und geschaffenen Strukturen und Regeln für den ausufernden „Wettbewerbswahn“ und die „marktkonforme Demokratie“ werden als unabänderlich verteidigt, obwohl sie in den Krisenstaaten zum Absturz der Wirtschaft, zu höchster Arbeitslosigkeit und massenhafter Armut geführt haben. Das lässt im Wahlkampf möglicherweise anti-europäische Kräfte erstarken und in der Euro-Zone auch verstärkte Abneigung gegen das dominante Deutschland befürchten, das mit schlechtem Beispiel vorangeht, wie im Weiteren noch näher ausgeführt wird. Dabei lehrt uns die Geschichte, dass Demokratien zusammenbrechen können, wenn Krisen nicht bald enden. Oft setzen sich dann autoritäre Regime durch, die nach Sündenböcken suchen und Minderheiten verfolgen[15].
Von der starken rechtspopulistischen französischen Front national bis zur deutschen AfD („Alternative für Deutschland“) wird der Austritt aus dem Euro propagiert – wobei Europas Schicksal und Existenzfrage nicht allein am Euro festgemacht werden kann, der sich als Klammer wie auch als Sprengsatz erweisen kann. Die Menschen in den südlichen EU-Ländern, wo sich ebenfalls radikale politische Kräfte zur Europawahl formieren, könnten sich für die negativen Folgen der Austeritätspolitik mit ihrem Wahlverhalten revanchieren. Denn für sie gilt der deutsche Kurs von Angela Merkel mit ihren Spardiktaten als gescheitert – durchaus eine Gefahr für Demokratie und Solidarität in Europa (derweil in Kiew mutige Demonstrationen für dieses Europa mit Unterstützung aus Europa stattfinden). Eigentlich drängt sich die Frage auf: Ist die EU mit Europa gleichzusetzen – oder hat sie nicht längst die Europa-Idee verfälscht?[16]
Der 95-jährige Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) formulierte am 2. Februar 2014 auf der Münchener Sicherheitskonferenz die Sorge: „Wenn die EU weiterhin so vor sich hin wurschtelt wie in den letzten 10 Jahren, dann kann es sein, das es die NATO zwar noch gibt, aber es gibt die EU nicht mehr.“[17] Auch aus der Regierungspartei gibt es kritische Stimmen: „Die Politik verrät die Gründungsidee Europas“, so formulierte es vor anderthalb Jahren der Enkel Konrad Adenauers, Stephan Werhahn, (der sich nach eigener Einschätzung als „wertkonservativ und liberal“ versteht). Er trat deshalb zeitweilig aus der CDU aus und als Spitzenkandidat zu den Freien Wählern über.[18] Er sieht Europa „auf der abschüssigen Bahn“ und kämpft seither gegen den Europa-Kurs der Kanzlerin Merkel (ist aber inzwischen in die CDU zurückgekehrt). Es besteht also auch wenig Vertrauen in das von Deutschland dominierte Krisenmanagement der EU. (Wer bringt den deutschen Krisenmanagern bei, dass Staaten keine Firmen sind und deshalb Volkswirtschaft nicht mit Betriebswirtschat verwechselt werden darf?). Auf einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel fiel der Satz: “Das wahre Europa? Nichts einfacher: Das ist die Union, die auf dem Kopf steht. Sie befindet sich in einem schlechtem Zustand, den sie überwinden muss.[19]” Muss Europa also „neu erfunden werden“? Ist Europa noch zu retten? Und wenn ja – wie und durch wen?
Wie einflussreich ist die Pro-Europäische Zivilgesellschaft?
Ein Wandel der EU kann eigentlich nur durch zivilgesellschaftlichen Einfluss auf gesamteuropäischer Ebene als „gemeinsames Projekt“ vieler (mit inhaltlichen Zielsetzungen) erreicht werde, die sich durch die Regierungen und Parlamente in Europa nicht mehr repräsentiert fühlen. Zur Krisen-Gemengelage der EU gehört aber leider auch die Tatsache, dass in der europäischen Bürger- oder Zivilgesellschaft immer noch Problemlösungen in und für Europa zumeist im nationalen Alleingang versucht werden. Und das auch noch vor allem in gewohnter Fixierung auf politische Parteien, staatliche Institutionen, „Staatsmänner“ (und -frauen) oder wirtschaftliche Eliten, von denen die geforderten Umsteuerungen erwartet werden. Oder auch von gewählten Parlamenten oder Parlamentariern.
Deren Einfluss aber reicht gerade im EU-Parlament und in den vielfach entmachteten Nationalparlamenten (wegen der überwiegend von Brüssel vorgegebenen Rechts- und Gesetzesnormen) kaum aus, um die Krisen im Interesse der betroffenen Menschen wirksam zu lösen. Und ein wirksames Subsidiaritätsprinzip zur Demokratisierung Europas muss erst noch erkämpft werden. Deshalb müssen die mündigen Menschen aus der europäischen „Zuschauerdemokratie“ heraustreten, die Rolle als „Idiotes“[20] verlassen und sich in das politische Geschehen öffentlich einmischen. Wahres Bürgerengagement für (ein verändertes) Europa ist nötiger denn je.
Soweit zivilgesellschaftliche Initiativen und Eigenverantwortung in Europafragen ergriffen werden, so mangelt es zumeist an europaweiter Vernetzung und Zusammenarbeit, sondern vieles beschränkt sich auf die nationalen Aktionsräume und Zusammenhänge. Und die vielen Einzelvorschläge werden nirgendwo gebündelt. Darum gilt: Grenzen überschreiten heißt Chancen wahrnehmen! Paradoxerweise sind es aber die gegenwärtigen Krisen, die möglicherweise eine europäische Öffentlichkeit und erstarkte Bürgergesellschaft grenzüberschreitend hervorrufen. Wie einflussreich ist dabei die pro-europäische Zivilgesellschaft und was vermag sie zu leisten? Diese Frage wird zum Schluss noch einmal aufzugreifen sein.
Solange jedoch gegenüber dem „zentralstaatlichen Gebilde“ der EU gewisse Ohnmachtsgefühle und zynische bis fatalistische Haltungen erhalten bleiben, droht eher die Abwendung von der EU, der Rückzug auf die überschaubare Nationalpolitik und damit die weitere Erstarkung nationalistischer, europaskeptischer und anti-europäischer Kräfte. Es wäre deshalb schon hilfreich, wenn die enge Verflechtung und der Zusammenhang der europäischen mit den jeweiligen nationalen Problemlagen und deren wechselseitige Abhängigkeiten deutlicher würden, um zu erkennen, was Europäische „Gemeinschaft“ im solidarischen Sinne auch bedeuten kann. Das aber erfordert die Abkehr von einer falsch verstandenen Wettbewerbsorientierung, also kein Europa der Märkte, sondern der Menschen. Gefragt ist jetzt vielmehr ein Ideenwettbewerb um die bestmögliche Zukunft Europas. Ziel einer solchen Gemeinschaft sollte eine Win-win-Situation sein, um sowohl innereuropäisch als auch interkontinental mit der Europapolitik keine Gewinner und Verlierer hervorzubringen. Tatsächlich aber sind die Arbeits- und Lebensverhältnisse in den EU-Staaten sehr ungleich, ohne deren Anpassung eine Währungsunion gar nicht funktionieren kann.
Deutschland als „Gewinner oder Verlierer“ der EU-Wettbewerbspolitik?
Das wirtschaftlich vermeintlich starke Deutschland steht selber - mit seiner aggressiven Exportpolitik und zugleich strengen Austeritätspolitik zum Nachteil anderer EU-Staaten - ohnehin in der Kritik und gilt eher als Krisenverschärfer, weniger als „Problemlöser“. Eine soziale „Vorbildfunktion“ des wirtschaftsstärksten und mit Abstand reichsten EU-Landes wird nicht einmal von der deutschen Bevölkerung empfunden, im Gegenteil: Hier herrscht erheblicher Unmut über die nationale Sozialpolitik im europäischen Vergleich, aus der sich statt einer „Vorbildfunktion“ allenthalben eine „Schlusslichtfunktion“ erkennen lässt: Deutschland liegt einer Studie zufolge in der Frage der sozialen Gerechtigkeit innerhalb Europas weit zurück[21], nämlich abgeschlagen auf dem 19. Platz.
Die Armut unter Beschäftigten und Arbeitslosen ist in Deutschland besonders stark gestiegen. Die deutschen Arbeitslosen, von denen zwei Dritteln die Armut droht, sind die Ärmsten in Europa, so hat eine Studie in 2013 ermittelt[22]. Und von den Beschäftigten ist jeder fünfte Arbeitnehmer im Niedriglohn-Sektor (obwohl 80% der Geringverdiener eine abgeschlossene Ausbildung haben, darunter sogar 10% Akademiker); in anderen EU-Ländern liegt der Anteil deutlich unter zehn Prozent; der EU-Schnitt liegt bei 17%[23].
Zudem hat Deutschland über ein Jahrzehnt die schwächste Reallohn-Entwicklung in der EU und liegt beim pro-Kopf-Realeinkommen auf dem untersten Platz[24]. Auch bei Ersparnissen, Rücklagen und Kleinvermögen oder Wohneigentum der Privathaushalte sind uns die Nachbarländer weit voraus. (Ohne Einführung des Euro hätte Deutschland übrigens sein Lohndumping nicht beginnen können, weil die D-Mark bei angehäuften Exportüberschüssen im Kurs gestiegen wäre und die Lohnvorteile wieder verschwunden wären. Derweil haben die anderen Länder mustergültig ihre Lohnzuwächse an die Produktivität gekoppelt, wofür sie jetzt „bestraft“ werden). Auch mit dem Abwärtstrend zu Armutsrenten, wegen eines unzureichenden Rentenniveaus von 42% (brutto) des vorherigen Einkommens, liegt Deutschland mit Abstand weit unter dem EU-Durchschnitt von fast 62% (in zehn EU-Staaten gibt es sogar Rentenniveaus zwischen 70 und 88%)[25]. In vielen deutschen Städten ist bereits jeder vierte Deutsche von Armut bedroht, in manchen Stadteilen gehört jedes dritte Kind zu Hartz-IV-Familien.
Zudem ist die ungerechte Vermögensverteilung (Reichtums-Armuts-Schere) in kaum einem europäischen Land so krass wie in Deutschland: Das reichste Zehntel verfügt hier über 61% des Nettovermögens, während 27% über gar kein Vermögen verfügen oder verschuldet sind, mit zunehmender Tendenz[26]. Zugleich gilt Deutschland als „Steuerparadies“ und steht auf einer aktuellen Rangliste[27] der besten Steueroasen auf der Welt, weit oben auf Platz acht, noch vor der britischen Kanalinsel New Jersey und Panama. (Dennoch bringen prominente Steuerhinterzieher ihr Geld immer noch ins Ausland, wie es gerade in den letzten Wochen ans Tageslicht kam).
Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn die Menschen in Deutschland und Europa von der für die Menschen nachteiligen Wettbewerbspolitik der EU wenig halten und an ein zentrales Gründungsmotiv oder -versprechen der EU erinnern: In einem friedlich vereinten Europa sollten die wirtschaftlichen Lebensbedingungen für alle Menschen verbessert und nicht verschlechtert werden. Deshalb wenden sie sich enttäuscht von der EU ab, die sie für den sozialen Abwärtstrend verantwortlich machen. Das Identität stiftende europäische Demokratie- und Sozialmodell als einstiges Markenzeichen von Europa zerbröselt, und Deutschland hat daran maßgeblichen Anteil. Deshalb hat Europa seinen Anspruch verloren, Vorreiter für die Menschenrechte zu sein. Insofern ist Europa Verlierer bei seinen eigenen (misslungenen) Einigungsbemühungen, und mit ihm verliert die übrige Welt, die wir zu Konkurrenten des interkontinentalen Wettbewerbs „Starke gegen Schwache“ auf den Weltmärkten erklärt haben. Das schlägt absehbar auf Europa negativ zurück.
Fällige Analyse der wahren Ursachen der Eurokrise und ihrer Konsequenzen
Neue Krisen sind vorprogrammiert und die Erfolgsmeldungen zur Euro-Rettung scheinen untauglich zu sein. Vielmehr ist eine schonungslose Analyse der wahren Ursachen der längst noch nicht überwundenen „Eurokrise“ unverzichtbar, um daraus die Fragen und Konsequenzen abzuleiten: Ist eine Stärkung der Währungsunion zusammen mit dem Aufbau einer Wirtschafts- und Finanzunion geboten? Befördern die Folgen der ökonomischen Systemkrise nicht eine brandgefährliche politische Krise mit Feindseligkeiten zwischen Geber- und Nehmerländern, bei der Vertrauen und Akzeptanz schwinden? Gelingt es, Vertrauen in die Währung zu gewinnen, indem sich der Euro als Währungsbasis einer sozialen und ökologischen Gemeinwohl-Ökonomie entwickelt? Oder droht schon bei den Wahlen zum Europa-Parlament der Trend zu einer gefährlichen Renationalisierung?[28]
Was zwischenzeitlich die EU mit Parlamentsbeteiligung an Finanzmarkt- und Bankenregulierungen sowie zuvor an Rettungspaketen im letzten Jahr alles eingeleitet hat, reicht jedoch auch kritischen und rührigen Abgeordneten wie Sven Giegold von den Grünen im Europaparlament (dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung) bei weitem noch nicht aus, um die weitere Krisengefahr als gebannt zu betrachten[29]. Bei allen beschlossenen Maßnahmen seien Halbherzigkeiten, Abstriche und Ausnahmen durch erkennbaren Lobby-Einfluss der Finanzmarktakteure an der Tagesordnung. Aktuell hat sich das Europa-Parlament Anfang Februar 2014 beim gemeinsamen Bankenabwicklungsmechanismus (SRM) deshalb gegen die Vorstellungen des deutschen Finanzministers Schäuble gestellt, der ein allzu langwieriges und bürokratisches Verfahren bevorzugt[30]. Auch in der Wochenzeitung „Die Zeit“ wird die Finanzmarktregulierung als „eine Chronik des Scheiterns“ kritisiert[31]. Das sieht der Präsident der deutschen Bundesbank, Jens Weidmann anders, der auf dem deutschen Sparkassentag 2013 das Maßnahmenbündel aus Finanzmarktregulierungen, einheitlicher Bankenaufsicht (EZB) und Bankenhaftung sowie Abwicklungs- und Restrukturierungsmechanismen als insgesamt gelungen charakterisierte.[32] Ähnlich positive Einschätzungen findet man auch auf der Homepage des deutschen Bundesfinanzministeriums.[33] Auch das „Euroforum“ attestiert, dass es bereits gelungen sei, „die Finanzmarktregulierung an entscheidenden Stellen zu verbessern“[34].
Wirkungsanalysen dieser Regelungen und Instrumentarien sowie der Praxistest beim nächsten Ernstfall stehen noch aus. Die Sorge der vielfach zur Kasse gebetenen Menschen nach den vielen Belastungsproben und Zumutungen bleibt deshalb zu Recht bestehen. Und auch auf den meisten anderen europäischen Politikfeldern sind die Defizite und Unzulänglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Vorgehensweise allenthalben erlebbar (nicht zuletzt auch bei der menschenrechtswidrigen EU-Flüchtlingspolitik nach den Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer). Der „Global Risk Report 2012“ des WEF[35] hat neben den Nahrungs-, Wasser- und Umweltproblemen und dem Terrorismus als folgenschwerste Risiken weltweit die chronischen finanziellen Ungleichgewichte und die gravierenden Einkommensunterschiede genannt. In diese Risikobereiche gleitet nun auch Europa ab. Europa - quo vadis?
Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei aktuelle Analysen der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2012 und 2013[36] mit vier möglichen Szenarien für die künftige Entwicklung der EU unter dem Druck der Euro-Krise. Vorausgegangen war zunächst eine Serie von Konferenzen der Stiftung in diversen europäischen Ländern, bei der die Frage ausgelotet wurde, wie sich Krise auf den Staatenbund auswirken könnte. Demnach sei die Verdichtung zu einer „politischen Union“ wünschenswert, aber nicht wahrscheinlich. Eher sei mit der Bildung eines „Kerneuropa“ um das deutsche Zentrum herum zu rechnen, bei gleichzeitigem Fortbestand der EU in Gestalt einer größeren Freihandelszone. Hierbei sei mit einer ebenso dramatischen Verelendung der EU-Peripherie zu rechnen wie bei einem möglichen Totalzusammenbruch der Eurozone. Ein solcher habe das Potenzial, die Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Regionen der EU, etwa zwischen Nord und Süd, auf neue Eskalationsstufen zu treiben. Die Ebert-Stiftung ruft in Erinnerung, dass der Zerfall staatlicher Bündnisse durchaus gewaltförmig enden kann (Beispiel Jugoslawien), so dass diese Gefahr durchaus ernst zu nehmen sei.
Szenarien zum Verfall oder zur Spaltung der EU und Eurozone
Die neue Analyse der SPD-nahen Ebert-Stiftung von 2013 basiert auf zahlreichen Workshops und Diskussionsveranstaltungen im letzten Jahr in mehreren europäischen Staaten. Allgemein sei dabei „ein Bewusstsein für Deutschlands Stärke im Rahmen der EU“, aber auch „unausgesprochen eine Furcht vor Berlin“ spürbar gewesen. In dem als „Durchwursteln“ bezeichneten ersten Szenario wird die aktuelle Krisenpolitik im Wesentlichen weitergeführt, d. h. regelmäßig gibt es Spardiktate, allenfalls leicht gemildert durch eine vorsichtige Wachstumspolitik. Die Krisenstaaten des südlichen Europa müssen weiterhin mit Rettungspaketen gestützt werden und es kommt in diesen Ländern aufgrund von Massenarbeitslosigkeit und Verelendung immer wieder zu Armutsunruhen. Weltpolitisch ist die EU durch die fortdauernde Krise empfindlich geschwächt und in ihrem Inneren finden Wanderungsströme aus dem perspektivlosen Süden in die Wohlstandszentren statt. (Eine Entwicklung, die Berlin inzwischen vorwegnimmt und mit der Forderung nach „Wiedereinreisesperren“ zu konterkarieren versucht). Auf Dauer ist so ein Durchwursteln nicht möglich, weil dann immer größere Unruhen in den Krisenstaaten zu Politikwechsel zwingen. Schon jetzt drängen einflussreiche Kreise in Deutschland immer stärker darauf, das Experiment Euro zu beenden, weil es Berlin zu teuer zu stehen komme.
Als Erfolgsszenario wertet die Friedrich-Ebert-Stiftung dasjenige Szenario, in dem der Sprung in die vollständige Fiskalunion gelingt. Dabei würden sämtliche relevanten Kompetenzen an Brüssel übertragen, das eine weitgehende Vereinheitlichung der europäischen Wirtschaftspolitik vornehmen würde, einschließlich Angleichung der Steuersätze und Harmonisierung der Sozialleistungen. Letzte Konsequenz wäre dann die Einführung einer umfassenden „politischen Union“. Wegen der entgegenstehenden nationalen Interessen rechnet die Ebert-Stiftung aber nicht mit dem Eintreffen dieses Szenarios, weil auch Deutschland eine Umverteilung seines Wohlstandes in die Krisenstaaten ebenso verhindern würde wie die Aufgabe zentraler Souveränitätsrechte (mit dauerhafter Gefährdung der deutschen Vormachtstellung).Eine größere Wahrscheinlichkeit wird deshalb in dem Szenario eines „Kerneuropa“ aus wohlhabenden Ländern gesehen, die die Fiskalunion vollenden und sich auf eine politische Union hin bewegen, umgeben von einer riesigen Freihandelszone (mit Wohlstandsgefälle und ökonomischem Desaster an der Peripherie), somit mit geringem demokratischem Charakter.
Als viertes Szenario betrachtet die Ebert-Stiftung noch das Auseinanderbrechen zumindest der Eurozone mit Aufspaltung der gemeinsamen Währung, wenn es nicht gelingt, die Krise zumindest mit „Durchwursteln“ einzugrenzen. Dadurch würde der Zusammenhalt der EU erodieren und protektionistische Maßnahmen den Freihandel in Frage stellen. Eine „Disintegartion der EU“ mit nationalistischen Verhaltensweisen und separatistische Abspaltung von reichen Regionen wie Katalonien oder Norditalien wäre evtl. die Folge. Aus der Konkursmasse einer zerfallenden EU würde Deutschland ein Maximum an ökonomischer und politischer Macht für sich zu retten versuchen.
Soweit die Szenarien, die zumindest das durchaus realistische Gefahren- und Krisenpotenzial anschaulich machen, das derzeit in der aktuellen Krisensituation schlummert. Natürlich gäbe es noch weitere und differenziertere Handlungsalternativen, die aber in der offiziellen Politik weniger virulent sind als vielmehr in zivilgesellschaftlichen Think-Thanks. Hier ist bei aller artikulierten Kritik an der EU-Politik oft mehr europäische Gesinnung und Ideenpotenzial vorhanden - mit Blick auf ein demokratisches, soziales, solidarisches, ökologisches, kulturelles und friedliches Europa - als in der institutionellen EU oder bei den nationalstaatlichen Akteuren.
Bedarf das Krisenbündel zur Lösung einer „Neubegründung“ Europas?
Europa steckt erkennbar nicht nur in einer Euro-, Finanz- und Schuldenkrise, sondern längst in einer grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen, politischen und demokratischen und institutionellen Krise, wenn nicht sogar in einer regelrechten Existenz- oder Sinnkrise. Es ist inzwischen eher geprägt von einer Vielfalt nationaler Eigeninteressen und ist zunehmend zerklüftet. Darum startete 2013 auf einem „EU-Alternativgipfel“ von Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und übriger Zivilgesellschaft die Kampagne „Europa neu begründen“ mit der plakativen Forderung, die Krise „durch Solidarität und Demokratie zu überwinden“. Sie halten der EU vor, dass schon vor der Krise die Weichen falsch gestellt wurden: durch die einseitig auf Geldwertstabilität fixierte Euro-Konstruktion und verfehlte Schulden- und Defizitkriterien, durch falsche wirtschaftspolitische Koordinierung und die sträfliche Vernachlässigung der Sozialunion.
Den Verantwortlichen wird u. a. vorgehalten: „Forciert wurde die Krise durch neoliberale Deregulierungspolitik und gewissenlose Gier der Finanzeliten, die gegen Krisenländer spekulieren und eine finanzmarktkonforme Politik erzwingen wollen. Mit dem neoliberalen Leitbild der Unterordnung unter die Dominanz der (Finanz-)Märkte trägt die EU nicht zur Lösung, sondern zur Verschärfung der Krise bei. Statt Politikfehler und Profitgier als Krisenursachen zu benennen, werden die Staatsdefizite zu einer (Sozial-)Staatsschuldenkrise umgedeutet, um eine desaströse Politik zu legitimieren“[37]. Weitere Kritikpunkte der Initiative: Öffentliche Ausgaben sowie Arbeits- und Sozialeinkommen werden durch europäische Vorgaben radikal gekürzt, Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentnern werden die Kosten der Bankenrettung aufgebürdet. Dabei folgen vor allem die wirtschaftliche Steuerung (»Economic Governance«) und der von der deutschen Regierung durchgedrückte Fiskalpakt einer Agenda, die die politische und soziale Demokratie in den Mitgliedstaaten irreparabel zu beschädigen droht. Auch der Abbau der sozialen Besitzstände wird als Konsequenz dieser Entdemokratisierung gesehen.
Dieser Analyse der als verantwortungslos bezeichneten Politik folgen eine Reihe von konstruktiven und diskussionswürdigen Vorschlägen etwa zur Geldpolitik, zur Besteuerung, zur Entkoppelung der Staatsfinanzen von den Kapitalmärkten, sowie zur Regulierung der Finanzmärkte und des Bankensektors. Mit der geforderten „Neubegründung“ Europas können also nur viele Veränderungs- und Entwicklungsschritte gemeint sein, denn man kann die bestehende EU nicht einfach als Ganzes beenden und in kürzester Zeit wieder etwas ganz Neues aufbauen wie in einem Sandkasten.
Vor allem stellt sich dabei die Frage, wie und auf welchem Wege sowie durch wen ein Kurswechsel demokratisch erreicht werden kann. Der bereits zitierte EU-Kritiker und bekannte Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider vom Lehrstuhl für öffentliches Recht der Universität Erlangen-Nürnberg drückte bei einem Vortrag in Prag seine generellen Bedenken so aus: „Soweit das geeinte Europa demokratisch, rechtsstaatlich, sozial und föderativ ist, dem Grundsatz der Subsidiarität folgt und die Menschenrechte, sowohl die liberalen als auch die sozialen und auch die ökologischen achtet, ist die Integration in ein solches Europa nicht zu kritisieren. Der wesentliche Grund dafür ist deren demokratisches Defizit, das wegen der Größe dieses Bundesstaates unüberwindbar ist.“ [38]Die Demokratiefrage ist und bleibt also eine aktuelle und zentrale Frage für die Zukunft Europas, innerhalb derer sich das Krisenmanagement zu bewegen hat.
Ablenkende Militärpolitik statt Debatten über den Kurs zur Krisenbewältigung?
Eine wirkliche Debatte über die EU, ihren weiteren Kurs und ihre fehlgeleitete Euro-Rettung gab es in Deutschland weder bei der Bundestagswahl noch spielten diese Themen in den Koalitionsverhandlungen oder in der Regierungserklärung der deutschen Kanzlerin eine angemessene Rolle. Stattdessen fühlten sich der deutsche Außenminister Steinmeier und die Verteidigungsministerin von der Leyen in Übereinstimmung mit dem deutschen Bundespräsidenten Gauck auf der 50. internationalen „Sicherheitskonferenz“[39] in München berufen, für Deutschland als „wirtschaftsstärkste, führende Macht in Europa“ künftig außenpolitisch, weltpolitisch und militärisch eine stärkere Rolle und einen „Mentalitätswechsel“ zu reklamieren - wie zuvor schon in einem „außenpolitischen Strategiepapier“ der großen Koalition artikuliert. Unmissverständlich kommt darin zum Ausdruck, dass sich Deutschland von seiner „Kultur der Zurückhaltung“ infolge der Kriegsschuld verabschieden und eine stärkere Führungsrolle in und für Europa einnehmen will, nicht zuletzt auch bei der Ausweitung gemeinsamer EU-Militärinterventionen[40] - und dies auch wegen der globalen wirtschaftlichen Interessen Europas. Daraus folgt der Anspruch „stärkerer Mitgestaltung der globalen Ordnung“ sowie „weltweiter Interventionen jeglicher Art“.[41]
Gedacht ist etwa auch an den Einsatz der EU-Battle Groups, einem 2004 eingerichteten gemeinsamen EU-Kampfverband in Bataillonsstärke für schnelle Soforteinsätze innerhalb weniger Tage zur Krisenintervention. Wolfgang Ischinger, der Leiter der so genannten „Internationalen Sicherheitskonferenz“ (bei der es in erster Linie um militärpolitische und rüstungsindustrielle Interessen geht), bezeichnete die Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik als sicherheitspolitischen „Weckruf an Europa“ und lobte den „deutschen Befreiungsschlag“[42]. Diese militärischen Planspiele und „Weltmacht-Allüren“ der „europäischen Führungsmacht“ wurden von manchen Medien als Paradigmenwechsel in der deutschen Europapolitik und Weltpolitik geradezu gefeiert. Und der Bundespräsident wurde für seine „klare außenpolitischen Richtungsvorgabe“ ausdrücklich gelobt, obwohl er damit auch auf heftige inhaltliche Kritik stieß, auch wegen Überschreitung seiner Kompetenzen. Indessen lehnen 68% der deutschen Bevölkerung laut Umfragen[43] weitere militärische Auslandseinsätze ab, zumal eine weltweit eingesetzte Interventionsarmee kaum mit unserem Grundgesetz im Einklang stehen dürfte wegen seines eng eingegrenzten Begriffs der Landesverteidigung[44]. Allen diesen Zweiflern möchte der Bundespräsident nach seinen Worten“ ein „Wissen um Deutschlands Stärke und Verantwortung“ vermitteln“ und „zu einem neuen Nationalbewusstsein führen“. [45] Über eine solche Neuausrichtung der deutschen Militär- und Außenpolitik bedürfte es eigentlich zuvor einer grundlegenden Debatte in Parlament und Gesellschaft, und zwar europaweit.
Zwischenzeitlich ist Deutschland weltweit größter Waffenlieferant nach Amerika und Russland[46] (trotz weltweitem Umsatzrückgang der Rüstungsindustrie um 4,2%)[47] sowie zweitgrößte Exportnation, Kopf an Kopf mit China[48]. In Europa ist Deutschland die führende Wirtschaftsmacht. Die Kanzlerin wird in der internationalen Presse als „mächtigste Frau der Welt“ gehandelt[49]. Angeblich erwarten die anderen Staaten angesichts dessen nunmehr eine stärkere weltpolitische Einmischung und Führungsrolle vom „Drückeberger“ Deutschland, das nicht länger „militärischer Zwerg“ bleiben könne. Somit fällt offensichtlich die Beendigung der deutschen Zurückhaltung, 100 Jahre nach Ausbruch des ersten Weltkrieges und fast 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges und des Holocaust, leicht mit der Umschreibung als „Mentalitätswandel“.
Der amerikanische Außenminister Kerry forderte zudem die deutschen Regierungsvertreter am Rande der Münchener Sicherheitstagung unmissverständlich auf, den Worten in München nun auch Taten folgen zu lassen, wenn es ans Bezahlen der Rüstungsgüter und um Aufstocken des Rüstungsetats geht[50]. Schon lange erwarten die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien finanzielle Entlastungen und Kompensation durch Deutschland. Damit kommen neue Aufgaben, vor allem aber unabsehbare Zahlungsverpflichtungen und damit neue Risiken auf Deutschland als dem dominierenden „europäischen Krisenmanager“ zu, demnächst auch verstärkt an internationalen Krisenherden. Für die Zukunft Europas trägt Deutschland somit die Bürde einer immer größeren Gesamtverantwortung. Hat es dazu auch das notwendige Ideen- und Gestaltungspotenzial bis hin zu einer europäischen Vision? Und hat es dazu ein Mandat der Bevölkerung?
„Europa neu denken“ – Themen und Kampagnen im Europawahlkampf
Als die kontroverse öffentliche Debatte um die Neuausrichtung der Militär- und Außenpolitik lief und von den eigentlichen (ungelösten) Krisen der EU ablenkte, zog derweil der Präsident des EU-Parlamentes, Martin Schulz, als deutscher Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für das Europaparlament mit dem zivilgesellschaftlichen Slogan in den Wahlkampf „Europa neu denken.“ Wenn in diesem Jahr erstmalig das EU-Parlament den Nachfolger des ausscheidenden EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso auf Vorschlag des Europäischen Rates mit absoluter Mehrheit wählen darf, gilt Martin Schulz als aussichtsreicher Bewerber für dieses Amt. In seiner Homepage wird er wegen dieser durchgesetzten Kompetenzstärkung des Parlamentes als „Revolutionär“ und „glaubwürdiger und authentischer Idealist“ dargestellt[51]. Er bezeichnet die europäische Integration als das „größte Zivilisationsprojekt des 20. Jahrhunderts“. Als konservativer Gegenkandidat für das Amt des Kommissionspräsidenten geht der luxemburgische Ex-Ministerpräsident Jean Claude Juncker als „dienstältester Staatschef in Europa“ ins Rennen, der auch die Unterstützung der deutschen Kanzlerin hat[52].
Die Wahlchancen der Bewerber für das Amt als Spitzenbeamter der EU-Kommission hängen aber vom Ausgang der 8. Europawahl in diesem Jahr in den 28 Mitgliedsstaaten (mit 506 Mio. Einwohnern und ca. 400 Mio. Wahlberechtigten) ab und damit von der politischen Zusammensetzung des neuen EU-Parlamentes und seinen Mehrheitsverhältnissen. Zu vergeben sind insgesamt 751 Sitze, davon 96 für Abgeordnete aus Deutschland[53]. Das Wahlverfahren richtet sich in Deutschland nach dem Europawahlgesetz, wonach bloße Listenwahl mit nur einer Stimme erfolgt, es gibt also keine Direktkandidaten und Wahlkreise. Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 die 5%-Sperrklausel in Deutschland auf 3% heruntergesetzt, das erhöht auch die Chancen für kleinere Parteien und Gruppierungen wie etwa die AfD in Deutschland.
Das Straßburger EU-Parlament, das nach eigener Einschätzung „zu einer einflussreichen Volksvertretung herangewachsen ist“, hatte schon ab September 2013 eine Informationskampagne zur Wahl gestartet (für 16 Mio. € mit einem Kampagnenfilm)[54] unter dem Motto: „HANDELN.MITMACHEN.BEWEGEN“. In vier Phasen werden fünf zentrale Themen vermittelt: Die Befugnisse des EU-Parlamentes und seine Bedeutung für die EU-Bürger und Bürgerinnen sowie Wirtschaft/ Arbeitsplätze/ Lebensqualität/ Geld und die Rolle der EU weltweit[55]. Ob allein eine solche Kampagne zu einer größeren Wahlbeteiligung beizutragen vermag, sei dahingestellt. Reicht das Themenspektrum den Bürgerinnen und Bürgern oder wollen sie nicht die Krisen thematisieren, vor allem aber die Chancen und Perspektiven für die Menschen in den wirtschaftlich und sozial abgerutschten „Verlierer-Länder an der Peripherie“? Im Wahljahr formiert sich eine breite Front anti-europäischer Kräfte, wie bereits erwähnt. Um eine Debatte über Ursachen und Folgen der Krise kommt die Politik nicht umhin, aber es fehlt so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit und europäische Medien für so einen unverzichtbaren gesellschaftlichen Diskurs, der parlamentarischen Entscheidungen stets vorausgehen muss. Somit bleibt es oft bei einseitigen „Aufklärungskampagnen von oben“ ohne Beseitigung des Demokratiedefizites.
Zur Gestaltungsmacht des EU-Parlamentes und seiner Beschränkung
Den wenigsten EU-Bürgern und Bürgerinnen dürfte überdies so recht klar sein, das ihr EU-Parlament – das immerhin die Interessen von über 500.000 EU-Bürgern und Bürgerinnen vertritt - zwischenzeitlich zwar eine Fülle an erweiterten Anhörungs-, Mitwirkung- und Beteiligungsrechten auch in Personal- und Haushaltsfragen etc. erkämpft und (seit dem Lissabonner EU-Reform- oder Grundlagenvertrag von 2009)[56] erhalten hat. Es besitzt aber nicht die eigentliche Kernkompetenz eines Parlamentes zur Gesetzesinitiative und zum alleinigen Beschließen von Gesetzen, auch nicht allzu weitreichende Kontrollrechte; es ist allenfalls „gleichberechtigt“ mit der Recht setzenden Exekutiv-Kommission. Ein wirklicher Parlamentarismus würde die EU zum existenziellen Staat machen – von vielen wird eine solche „politische Union“ als Schritt in Richtung europäischer Bundesstaat gefordert - was quasi ein einheitliches Volk voraussetzt, welches das Parlament wählt. Im noch bestehenden Staatenbund wird die Rechtsetzung in der EU im Wesentlichen von der Kommission mit dem machtvollen Beamtenapparat unter großem Lobby-Einfluss betrieben[57]. Die meisten Rechtsetzungsakte der EU können nur von den nationalen Parlamenten legitimiert und verantwortet werden; das EU-Parlament kann deren Legitimation allenfalls stützen.
Die nationalen Parlamente, (deren Einfluss auf Vorschläge der EU-Kommission durch den Lissabonner Reformvertrag ebenfalls erweitert wurde) können aber das Defizit an Demokratie nicht decken oder ausgleichen, denn längst ist die EU von einem zwischenstaatlichen Bündnis zum eigenständigen Träger öffentlicher Gewalt geworden[58]. Kritiker halten deshalb das freiheitliche Prinzip der Gewaltenteilung in der EU so gut wie aufgehoben. [59] Der Mangel an europäischer Demokratie in der exekutivlastigen EU ließe sich aber nicht alleindurch eine Stärkung des Europäischen Parlamentes, also durch Vergrößerung seiner parlamentarischen Befugnisse beheben. Denn Parlamentarische Formen alleine (ohne begleitende öffentliche gesellschaftliche Debatte mit Interessenartikulation und Basisdemokratie) gewährleisten noch keine demokratische Substanz, bei der die Staatsgewalt vom Volke ausgeht.
Immerhin lässt bekanntlich der Lissabonner Reformvertrag zusätzlich ein Europäisches Bürgerbegehren bei Vorliegen von 1 Mio. Unterschriften aus mehreren Mitgliedsstaaten zu. Davon hat unter anderem ELIANT erfolgreich Gebrauch gemacht in dem Bemühen, die Wahlfreiheiten und -möglichkeiten für zentrale Lebenswerte sicherzustellen.[60] Dies ist ein Beispiel für „positiven Lobbyismus“ zugunsten des Allgemeinwohls. „Wie eine Krake breitet“ sich hingegen der allgegenwärtige Lobbyismus zugunsten von Konzern- und Partialinteressen am Standort Brüssel aus, der auch vor den Abgeordneten in Straßbourg nicht halt macht: Die Organisation Lobbycontrol hat 2013 ermittelt, dass ähnlich wie im Bundestag auch die Abgeordneten im Europa-Parlament in erheblichem Umfang bezahlte Nebentätigkeiten ausüben (50% der CDU/CSU-Abgeordneten, 17% der SPD-Abgeordneten)[61], ohne die damit verbundenen Interessenkonflikte transparent zu machen.
Weiterhin erscheint das Europaparlament zwangsläufig als ein „Pseudo-Parlament“, zumindest aber ein seltsames „Zwitterwesen“. Immerhin hat das EU-Parlament im November 2013 durch eine Parlamentsinitiative des Abgeordneten Gerald Häfner durchgesetzt, dass es selber anstelle der Nationalstaaten entscheiden darf, ob es den „teuren Wanderzirkus“ zwischen den Standorten Straßburg und Brüssel länger mitmacht[62]. Dieses (berechtigte) Eigeninteresse der Parlamentarier dürfte jedoch die Bevölkerung nur am Rande interessieren, auch wenn es der vielfach kritisierten Geldverschwendung entgegenwirkt und die politische Interessenvertretung gegenüber der wenig geliebten Brüsseler Zentrale stärkt. Dem europäischen Parlament fehlt es aber nicht nur deshalb an Legitimationskraft, weil es kein wirkliches Parlament ist, sondern weil auch die auffällig geringe Wahlbeteiligung seit jeher die Legitimationsbasis schwächt.
Sinkendes Interesse der europäischen Wahlbürger an der EU-Wahl
Zur Krise Europas gehört auch die niedrige und stetig sinkende Wahlbeteiligung bei den Europawahlen als Ausdruck der Haltung der EU-Bürgerinnen und Bürger zu den demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten. Seit den ersten direkten Europawahlen 1979 ist die anfängliche Wahlbeteiligung von durchschnittlich 63% (66% in Deutschland) von Mal zu Mal kontinuierlich um 1-2% gesunken und lag 1999 erstmalig unterhalb von 50% (in Deutschland sogar nur bei 45%). Danach ging es weiter abwärts bis auf 43% (46% in Deutschland) bei der letzten Europawahl 2009. Der EU-Durchschnitt lag 1979 bei lediglich 43% In mehreren Beitrittsländern Osteuropas dümpelt die Wahlbeteiligung um die 20%, im traditionell Europa-skeptischen Großbritannien selten über 30%.[63] Damit stellt sich massiv die demokratische Legitimationsfrage für das EU-Parlament, auch wenn es Einschätzungen gibt, dass die Krise das Interesse an Europa und den diesjährigen Wahlen gestärkt habe, allerdings mit Stärkung der Kräfte am extremen rechten und linken Rand als Nutznießer[64]. Nur die wenigsten Wahlbürger dürften jedoch momentan die genauen Macht- und Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament kennen sowie die dortigen Fraktionen mit ihrer Sitzverteilung und die länderübergreifenden Allianzen.
In der derzeitigen Zusammensetzung des Europaparlamentes mit insgesamt 736 Abgeordneten und 7 Fraktionen werden 60% der Sitze allein von den beiden größten Fraktionsbündnissen eingenommen. Die stärkste Fraktion mit 265 Sitzen ist die Europäische Volkspartei (EVP) als Zusammenschluss christdemokratischer und konservativer Nationalparteien (einschl. CDU/CSU), gefolgt von der Fraktion der progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten (S&D) einschl. der deutschen SPD mit 184 Abgeordneten (unter Einschluss der italienischen Mitte-Links-Partei). Es folgt die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) einschl. der deutschen FDP mit 84 Abgeordneten, dann die Fraktion Grüne/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) einschl. der deutschen Grünen mit 55 Sitzen. Die Fraktion Europäische Konservative und Reformer /(ECR) hat 54 Mandate und die Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) aus Ex-Kommunisten, Linkspartei und radikal-linken Grünen hat 35 Abgeordnete einschließlich der Abgeordneten der deutschen Linkspartei. Schlusslicht bildet die europaskeptische Fraktion „Europa der Freiheit und Demokratie /EFD) mit 32 Mitgliedern. Bei der deutschen Sitzverteilung der insgesamt 99 Mandate entfallen 42 auf die CDU/CSU, 22 auf die SPD, 14 auf die Grünen, 12 auf die FDP und 8 auf die Linkspartei.[65]
Eine Wahlprognose der „europäischen Föderalisten“ [66] für die Verteilung der künftig 751 Sitze (davon nur noch 96 für Deutschland) in 2014 geht von Einbußen für die konservative EVP um ca. 50 Sitze aus. Für die Sozialisten (S&D)prognostiziert man einen Zugewinn von ca. 30 Sitzen, bei den Liberalen (ALDE) einen Verlust eines Dtzd. Mandaten, ebenso bei den konservativen Reformern (ECR), bei den Grünen (G/EFA) von minus 15 Sitzen, bei den Linken um einen Zuwachs von fast 20 Sitzen; die Europaskeptiker (EFD) würden um ca. 7 Sitze wachsen. Die Sozialisten könnten im EU-Parlament stärkste Kraft werden und die konservative Europäische Volkspartei verlieren, obwohl sie weiterhin stärkste Fraktion wäre. In Deutschland prognostiziert man der CDU wieder um 42 bis 43% (andere Prognosen nur knapp 38%), der SPD einen Stimmenanteil in einem Korridor von 15 bis 25% (aktuelle Prognosen eher bei 21 bis 27%, für die Grünen bis zu 12%)[67]. Das Institut Infratest dimap[68] ging im Februar 2014 von 41% für die Union, 27% für die SPD sowie je 9% für Grüne und Linke aus. (Die AfD bekäme 5% und die FDP 4%). Die Wahlbeteiligung läge wieder bei 43%. Insgesamt besteht in Europa die Sorge um Protestwähler von ganz rechts und ganz links. So werden der rechtsextremen EU-feindlichen Front National in Frankreich 24 % (als damit stärkste Partei in Frankreich) vorausgesagt[69], gefolgt von der konservativen UMP mit 22%, davon abgeschlagen die Sozialisten mit nur 19%.
Das nächste Europaparlament, zu deren Wahl fast 400.000 Wahlberechtigte aufgerufen sind, wird also deutlich Europa-skeptischer. Und das gewählte Parlament kann sich dann weiterhin nur in dem zuvor beschrieben Rahmen bewegen, ohne echte Gesetzgebungskompetenz. Dennoch darf man seinen gewachsenen Einfluss und seine politische Funktion bei der Entscheidungsfindung und öffentlichen Meinungsbildung nicht unterschätzen – vielleicht erfolgt zugleich auch ein vorsichtiger Politik-Wandel unter einem neuen EU-Kommissionspräsidenten?
Zunehmende Entfernung der EU von den Bürgerinnen und Bürgern
Das Europa der Regierungs-, Wirtschafts- und Finanzmarktinteressen scheint weiter denn je von einem Europa der Bürgerinnen und Bürger entfernt. Das zeigen auch die aktuellen Auseinandersetzungen um das umstrittene EU-Freihandelsabkommen mit den USA, dass auch die deutsche Regierungskoalition trotz der Einwände aus der Zivilgesellschaft schnellstmöglich verhandelt und unterzeichnet sehen möchte (siehe hierzu Beiträge in den vorherigen Rundbriefen 3/2013 und 4/2013 sowie den aktuellen Artikel an anderer Stelle dieses Rundbriefes). Diese bislang unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufenden Verhandlungen (unter Einbeziehung von Lobbyisten und Konzernvertretern) hat der für Handelsfragen zuständige belgische EU-Kommissar Karel de Gucht während des Europa-Wahlkampfes lediglich für den strittigsten Teil (Investitionsschutz für Konzerne mit Klagerecht vor Schiedsgerichten) ausgesetzt, damit es nicht zum unerwünschten Hauptwahlkampfthema wird. Eine ursprünglich nicht geplante Information der Öffentlichkeit hat er nun anschließend zugesagt. Ansonsten gehen die Verhandlungen mit Nachdruck weiter.
Deshalb werden die kritischen Diskussionen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA im Wahlkampf weitergehen, insbesondere zu der Frage, ob große Konzerne mittels Klagen gegen Staaten vor nichtöffentlichen Schiedsgerichten der WHO gültige Gesetze etwa zum Verbraucherschutz, Umweltschutz oder Arbeitnehmerschutz aushebeln und die Steuerzahler (außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit) zu Schadenersatzzahlungen für entgangene Profite verpflichten können. Auch hier würde gewissermaßen „Wettbewerb über Demokratie siegen“, passend zur Fehlentwicklung der EU.
Dies ist eines von vielen Beispielen für die bevorzugte Hinterzimmer-Politik der EU-Kommission (wie zuvor schon beim Lissabon-Vertrag, beim Urheberrechtsabkommen ACTA, bei der Konzessionsrichtlinie mit dem Streitpunkt der Wasserprivatisierung, bei der EU-Dienstleistungsrichtlinie usw.). Stets mussten Zivilgesellschaft und anschließend das Europa-Parlament ihre frühzeitigen Beteiligungsrechte oder Änderungen erkämpfen und öffentliche Transparenz statt Geheimhaltung einfordern.. Auch das schafft kein Vertrauen in die exekutiv-lastig angelegten Entscheidungsstrukturen in Brüssel, die eklatante Demokratie-Defizite erkennen lassen. Die Bürgerinnen und Bürger verbinden deshalb mit der Europa-Wahl keine besonderen Erwartungen.
Diesem demokratischen Missstand und Defizit setzt die bereits erwähnte Initiative „Europa neu begründen“ wiederum Vorschläge entgegen: „Europa braucht eine Demokratieoffensive. Als abgehobenes Elite-Projekt hat die EU keine gute Zukunft. Politische Weichenstellungen dürfen nur unter strikter Beachtung europäischer Verträge und Institutionen getroffen werden. Die Regierungen haben kein Mandat, Krisenpolitik an den Parlamenten vorbei zu betreiben. In Kernfragen Europas müssen die Bevölkerungen befragt werden. Europa muss sich neu begründen! Der Einigungsprozess braucht eine neue identitätsstiftende Leitidee. Immer mehr Menschen verbinden mit Europa Staatsschulden, Sozialabbau und Bürokratie. Sie entziehen der EU Sympathie und Zustimmung. Soll Europa eine Zukunft haben, muss aktiv um die Zustimmung und Zuneigung der Menschen geworben werden. In einer europäischen Öffentlichkeit müssen sich die Akteure über eine Leitidee für ein soziales und demokratisches Europa verständigen. Wir plädieren für eine europäische soziale Bürgerbewegung, die gegen die desaströse Krisenpolitik und für einen radikalen Politik- und Pfadwechsel antritt“. [70]
Realistische Alternativen und Initiativen für „ein anderes Europa von unten“?
Europa – wohin? Diese Frage stand wiederholt auf Tagungseinladungen und in Aufsätzen des Dreigliederungsnetzwerkes mit dem Versuch, herauszuarbeiten, dass „ein anderes Europas möglich“ ist, (ergänzt z. B. auch um „Sieben Thesen zur nachhaltigen Zukunft Europas – Beitrag zu einem europäischen Leitbild“[71].) Auch die eingangs erwähnten Lösungsansätze und der Handlungsrahmen für eine mögliche Krisenbewältigung sind diskussionswürdig und noch weiter entwicklungsfähig. Schon vor der letzten Europawahl 2009 gab es von verschiedener Seite Szenarien etwa unter dem Motto: „Europa neu erfinden“[72]. Und der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ kämpft unter dem Motto „Europa – nicht ohne uns“ weiterhin für einen europäischen Bürgerkonvent, um eine demokratischere Weiterentwicklung der Europäischen Union schrittweise zu erreichen, verbunden mit einer EU-Wahlrechtsklage gegen die 3%-Hürde bei den Europawahlen.
Ein „Europa von unten“ ist auch das Ziel der Kampagnen von Attac, die den politischen Einigungsprozess in Europa unter sozialen, ökologischen und demokratischen Blickwinkeln begleiten[73]. „Europa Menschen- und zeitgemäß gestalten“ war in 2013 das Thema eines Kolloquiums des Internationalen Kulturzentrums Achberg. Im Januar 2013 legte der „Initiativkreis Demokratiekonferenzen“ eine „Charta für ein Europa der Regionen“ vor, um Wege zur Selbstbestimmung auf freiheitlicher und demokratischer Grundlage aufzuzeigen und das Subsidiaritätsprinzip stärker einzufordern. In gleiche Richtung zielten auch die Veranstaltungen des Forums integrierte Gesellschaft zum Jahresende 2013, zu der Kai Ehlers eingeladen hatte. Doch in Brüssel sind trotz Europawahl wirkliche Kurskorrekturen, geschweige „Runderneuerungen“ oder gar ein etwaiger „Neubeginn“ mit „Aufbruchstimmung und Visonen“ kaum erkennbar, auch wenn das rührige Europa-Parlament von seinen geringfügig erweiterten Beteiligungsrechten rege Gebrauch macht und demnächst ein neuer Kommissionspräsident an die Spitze gewählt wird. Mehr denn je sind also europaweite Bündnisse der Zivilgesellschaft vonnöten, die im Zusammenspiel mit progressiven Kräften im Europa-Parlament ein gesamteuropäisches Veränderungsprojekt auf die Beine stellen.
Dabei sollte sich niemand davon abschrecken lassen, dass Kritik an politischen Fehlentwicklungen oder an bestehenden Missverhältnissen und Strukturen in der EU sogleich als „anti-europäische“ oder gar „rückwärtsgewandte nationalistische Haltung“ diffamiert wird, wie etwa seinerzeit bei den EU-Verfassungskritikern in Frankreich, den Niederlanden und in Irland. Dem möchte man am liebsten entgegnen: Die wahren Europa-Gegner sitzen in Brüssel, die ein Europa „ohne uns“ wollen und Europa und die europäische Idee mit ihrer Krisenpolitik an den Abgrund gebracht haben. (Hiermit will dieser Aufsatz nicht undifferenziert in ein Freund-Feind-Schema der Befürworter und Gegner verfallen, denn die Grenzen sind fließend und die Standpunkte vielfältig). Aber es stellt sich sehr wohl die Grundsatzfrage: Erstreben wir ein vorrangig ein Europa der Märkte und des Wettbewerbs oder ein soziales Europa der Menschen? Wollen wir ein kommerzielles oder ein kulturelles und zivilisiertes Europa?
Deshalb stehen wir jetzt an einem Scheideweg oder an einem Entscheidungspunkt: Die europäische Bürgergesellschaft, die erst noch öffentlich als solche in Erscheinung treten muss, ist die wahre pro-europäische Bewegung, die „ein anderes“ Europa“ nachhaltig und demokratisch gestalten kann (wenn sie sich zugleich als europäische Kulturbewegung versteht). Mit dieser realistischen Erkenntnis und Zielsetzung sollten Initiativen gestartet werden - aber nicht als populistisch-blinder Aktionismus, sondern mit fundierten inhaltlichen Alternativen und mit Ausdauer, Kreativität und sozialer Phantasie.
Die Bedeutung der kulturellen Vielfalt für ein zukunftsfestes Europa
Der Präsident des Deutschen Kulturrates, Christian Höppner, sagte im Januar 2014 auf einer deutsch-französischen Konferenz über Daseinsvorsorge und EU-Binnenmarkt: „Mit Transparenz und Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei maßgeblichen Weichenstellungen der europäischen Zukunftsgestaltung ließe sich ein Zeichen gegen die zunehmende Europaverdrossenheit setzen“[74]. (Anlass war die Debatte um das geplante, aber umstrittene EU-Freihandelsabkommen mit den USA). Und in einem 2012 unter facebook veröffentlichten „Zornesruf“ schreibt der frühere deutschen Arbeits- und Sozialministers Norbert Blüm (CDU): „Die Hostie des Finanzkapitalismus ist das Geld. Mit Kaufen und Verkaufen von Firmen lässt sich mehr Geld verdienen, als in Firmen zu produzieren. Große Unternehmen sind Bankhäuser mit angeschlossenen Produktionsfilialen geworden. (…) Auch die Staaten schrumpfen auf einen virtuellen Geldwert. (…) Auch unser Land opfert bereits Teile seiner Hoheitsaufgaben dem Gott Mammon“[75].
Last but not least sei deshalb hier dem zunehmend am „Mammon“ interessierten Europa entgegengehalten: Der wahre Reichtum Europas liegt in seiner kulturellen (und sprachlichen) Vielfalt. Es geht in Europa um demokratiestiftende und kulturelle Werte. Die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt setzt den völkerrechtlich verbindlichen Rahmen für den Doppelcharakter von Kultur – als Wirtschafts-und Kulturgut – und das Recht auf nationale Kulturpolitiken. Deshalb fordert der Deutsche Kulturrat: „Diese Konvention muss endlich Anwendung durch die EU-Kommission finden und darf nicht durch das Freihandelsabkommen ad absurdum geführt werden.“[76] Die Vizepräsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission, Dr. Verena Metze-Mangold[77] fügt hinzu: „Die Handels- und Marktpolitik der EU trifft unsere Vorstellungen von Kultur im Kern. Die Kultur darf deshalb nicht dem liberalisierten Markt unterworfen werden“. Kunst und Kultur dürfen keinen Warencharakter bekommen. Somit ist die zentrale Bedeutung der Kultur und der kulturellen Vielfalt in Europa für seine Zukunftsfestigkeit herauszustellen, um sich nicht nur in den ökonomischen Fragen der Eurokrise, der Finanzmärkte und des Binnenmarktes sowie der politischen Institutionen in Europa zu verlieren. Was wäre denn eine „kulturverträgliche Marktöffnung“?
Zum Verhältnis von Politik und Wirtschaft zur Kultur in Europa
Es stellt sich somit generell die Frage, wie sich Kultur und Wirtschaft sowie Politik in Europa zueinander verhalten. „Kultur ist der Inbegriff menschlicher Verhaltensweisen, der damit auch den Kapitalismus und seine Gebräuche einschließt, ohne diesem jedoch eine führende, alles regulierende Rolle einzuräumen“[78]. Darf deshalb die Ökonomie der vorrangige Modus bleiben, in dem sich menschliche Bedürfnisse und Handlungsweisen organisieren? Ist Kultur nur ein ökonomischer Anwendungsfall unter vielen, weil kulturelle Produkte und das damit verbundene ökonomische Interesse an ihnen auf den Märkten einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren haben?
Längst ist der internationale Handel mit kulturellen (und audiovisuellen) Produkten ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges. Auch für die Exportindustrie geht es hierbei Europa- und weltweit um Milliardensummen. Sollen Kulturgüter, deren gesellschaftlicher Dienst ihren Warenwert bei weitem übersteigt, dem Prozess der Marktliberalisierung unterworfen werden? Und dürfen kulturpolitische Regulierungen und Standards oder Subventionen künftig als „unzulässige Handelsbarrieren“ eingestuft werden? (Diese Fragen wurden in diesem Rundbrief bereits zu den früheren Themen des GATS-Abkommens und TRIPS-Abkommens aufgeworfen)[79]. Demgegenüber betont die EU-Kommission bei jeder Gelegenheit, dass der Schutz der kulturellen Vielfalt „ein Kernprinzip der EU“ sei. Deshalb hat die EU auch die UNESCO-Kulturkonvention ratifiziert und damit internationales Völkerrecht in die europäische Rechtsarchitektur integriert. Aber hält sie sich selber daran?
Gefragt sind jetzt neue Denkansätze für ein neues Verhältnis von Kultur und Wirtschaftsentwicklung sowie eine verantwortliche Politik, die der Kultur den notwendigen Schutz und die erforderlichen Freiräume zu ihrer Entfaltung sichert. (Dazu kann die soziale Dreigliederungsbewegung kompetent einiges beitragen). Aus dem freien Kulturleben heraus bedarf es einer „neuen“ Idee von Europa, eines Bildes vom Ziel seiner Einigung, denn dann „blüht der Kontinent auf“. Wenn jedoch die „Idee Europa“ – und „Europa ist eine Idee und kein Ort“ (Bernhard Henri Lévy[80]) - als Ausdruck des hegemonialen Strebens Einzelner (wie derzeit der Bundesrepublik Deutschland) empfunden wird, „gerät Europa als Idee und als Einheitswirklichkeit ins Wanken“[81].
Die Krise als Chance für Veränderungen
Die sich zuspitzende Krisensituation in Europa ist eigentlich Anlass zur Hoffnung und zum Handeln: Denn geschichtlich betrachtet gingen allen großen sozialen Umbrüchen, die auch jetzt wieder gefordert sind, stets Krisen und Skandale voraus: Das war geschichtlich nicht nur vor dem Untergang des römischen Reiches (heute noch Grundlage aller heutigen Staaten Europas) und bei der französischen Revolution der Fall, sondern auch vor dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches oder zuletzt beim Zusammenbruch der DDR. Aber es gilt auch aktuell etwa bei der katholischen Kirche, beim ADAC, bei der Finanzmarktkrise, bei den Parteispenden- und Steuerskandalen, bei den ansteigenden Korruptionsfällen, bei den Lebensmittelskandalen usw. Krisen sind fast immer Auslöser und Ausdruck überfälligen gesellschaftlichen Wandels und verweisen auf den Reformbedarf, ja sie erleichtern und erzwingen jahrelang vor sich hergeschobene Veränderungen mit Nachdruck.
Wir erleben in diesem Sinne den Werdegang Europas und das Werden der europäischen Einheit in ihrer Verwandlung als ein höchst dramatisches Geschehen - und wir sind als Bürgerinnen und Bürger in der Zivilgesellschaft mittendrin. Von uns hängt es ab, ob eine Ethik der Kooperation und Solidarität in Europa gelebt wird - oder die vielfältige Kultur Europas und die aus ihr hervorgegangene Demokratie mitsamt den Menschenrechten und dem Sozialmodell immer mehr dem Markt geopfert wird. Nicht mehr und nicht weniger sollte jetzt das große und zentrale Thema im Europawahlkampf sein, bei dem wir uns nicht auf Nebenschauplätze ablenken lassen und in finanzmarktpolitischen Detailfragen verlieren sollten.
Autorennotiz: Wilhelm Neurohr (62) ist seit zwei Jahrzehnten Autor regelmäßiger Beiträge in diesem Rundbrief, darunter auch viele Aufsätze zu jeweils aktuellen Europa-Fragen. Er veröffentlichte 2008 das Buch „ist Europa noch zu retten? Wie die EU den Europa-Gedanken verfälscht. Wege zu einer europäischen Identität“ (Pforte-Verlag, jetzt Futurum-Verlag). Im Rundbrief 2/2005 wurden seine „Sieben Thesen zur nachhaltigen Zukunft Europas“ als ein Beitrag zu einem europäischen Leitbild veröffentlicht. Insgesamt erschienen in diversen Publikationsorganen ca. 70 Aufsätze von ihm zu Europa-Themen, weitere über 500 Aufsätze zu vielen anderen Themenbereichen. In mehr als 40 Städten hielt er über 80 Vorträge oder war an zivilgesellschaftlichen Veranstaltungen beteiligt.
[1] Die EU-Wahl läuft im Zeitraum vom 22.-25. Mai, für Deutschland gilt Sonntag, der 25. Mai.
[2] Siehe Forschungskolloquium des Netzwerkes am 2./3. Mai 2014 im Stuttgarter Forum 3 zum Thema: „Europa – Krise ohne Ende oder Ende der Krise?“
[3] Thomas Bauer/Peter Wahl (Hrsg.): „Welche Zukunft hat die EU? Eine Kontroverse.“ Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac
[4] Siehe hierzu auch die Neuerscheinung von Thomas Sauer/Peter Wahl (Hrsg.): „Welche Zukunft hat die EU? Eine Kontroverse. Reader des wissenschaftlichen Beirates von Attac“. VSA-Verlag 2014
[5] Am 3. Februar veröffentlichter Bericht der EU-Kommission
[6] Französischer Literat, Automanager, Unternehmer und Europa-Anhänger in einer Fernsehdiskussion
[7] Vortrag in Prag, http://www.kaschachtschneider.de/
[8] Fritz Scharpf in der Zeitschrift Mitbestimmung 8/2008 sowie Verfassungsrichter Dieter Grimm im Spiegel vom 19.10.1992
[9] Wilhelm Neurohr: „ist Europa noch zu retten? Wie die EU den Europa-Gedanken verfälscht. Wege zu einer europäischen Identität.“(Pforte Verlag 2008, heute Futurum-Verlag), Seite 134
[10] Siehe GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU), Gutachten der Bertelsmann-Stiftung für die EU sowie Weißbuch der Bundeswehr und NATO-Strategie, zitiert auch im Rundbrief Nr. 3/2007
[11] FAZ Nr. 47 vom 25.02.2013
[12] Vgl. Christoph Strawe im Rundbrief 3/2912, Seite 7
[13] http://future.arte.tv/de/was-erwartet-europa-im-jahr-2014
[14] Ausgabe vom September 2013 als Internationale Beilage der taz
[15] Ulrike Herrmann, a.a.O.
[16] Wilhelm Neurohr: „ist Europa noch zu retten? Wie die EU den Europa-Gedanken verfälscht. Wege zu einer europäischen Identität.“ (2008, Pforte-Verlag, heute Futurum-Verlag)
[17] dpa-Berichterstattung vom 3.02.2014 in diversen Tageszeitungen
[18] Berichte Süddeutsche Zeitung und Welt im 2. Halbjahr 2012 und in 2013
[19] http://de.euronews.com/2013/10/15/muss-europa-neu-erfunden-werden/
[20] In der griechischen Antike wurden Privatpersonen, die kein öffentliche Amt bekleideten und sich nicht am Gemeinschaftsleben aktiv beteiligten, wertfrei als „idiotes“ bezeichnet.
[21] Vergleich von 27 Staaten durch das Berliner Forschungsinstitut Berlinpolis/Institut für Zukunftspolitik
[22] www.welt.de/wrtschaft/article15546305/Deutsche-Arbeitslose.
[23] Studie des Sozialwissenschaftlichen Institutes WSI der Hans-Böckler-Stiftung von 2013
[24] www.eu-info.de/deutsche-europapolitik/umfragen-statistiken
[25] www.wirtschaftundgesellschaft.de
[26] Berechnungen des Institutes für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), veröffentlicht bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
[27] Rangliste des TaxJusticeNetwork (TJN), www.dw.de/steuerparadies-deutschland/a-17212834
[28] Siehe hierzu Beitrag von Rudolf Hickel vom wissenschaftlichen Beirat von Attac in einem Kommentar für die taz vom 17.01.2014: „Untaugliche Erfolgsmeldung zur Eurorettung: Neue Krisen vorprogrammiert“.
[29] www.sven-giegold.de
[30] Aktuelle Infos des EU-Abgeordneten Sven Giegold via Mailingliste.
[31] http://www.zeit.de/2011/42/Banken-Regulierung-Europa
[32] http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2013/2013_04_24_weidmann
[33] http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Finanzmarktpolitik/Finanzmarktregulierung/finanzmarktregulierung.html
[34] http://www.euroforum.de/news/Finanzmarktregulierung-als-Treiber-des-Umbruchs-im-Finanzsystem_95055
[35] http://www.weforum.org/reports/global-risks-2013-eighth-edition
[36] http://www.fes.de/inhalt/in_finanzkrise_is_publ.php
[37] Siehe www.europa-neu-begruenden.de
[38] http://www.kaschachtschneider.de/
[39] Bei der seit 1963 jährlich stattfindenden „Wehrkundetagung“ im Münchener Hotel „Bayrischer Hof“ handelt es sich um eine privat von „Transatlantikern“ organisierte internationale Veranstaltung von Sicherheitspolitikern, hohen Militärs und Rüstungsindustriellen als weltweit größtes Treffen dieser Art, später umbenannt in „Internationale Sicherheitskonferenz“, obwohl keine regierungsamtliche Veranstaltung. Dieser Anschein wird aber geweckt durch Einladung ranghoher Politiker.
[40] Siehe dpa-Berichterstattung vom 1.02.2014 in diversen Tageszeitungen sowie www.tagesschau.de, ferner „German-Foreign-Policy.Com“ (Informationen zur deutschen Außenpolitik) und Deutsche Welle www.dw.de/deutschlands-führungsrolle-in-der-welt/a-15717207
[41] Tagesspiegel vom 05.11.2013 sowie Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten.“
[42] Deutsche Welle, wie vor. Wolfgang Ischinger war Mitarbeiter bei UN-Generalsekretär Waldheim, enger Mitarbeiter von Außenminister Genscher, später Staatssekretär im Auswärtigen Amt und danach deutscher Botschafter in den USA und in Großbritannien.
[43] u. a. ZDF-Barometer
[44] Was die Einsätze im Ausland betrifft, sieht Artikel 24, Absatz 2 GG zwar eine Beteiligung an "Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit" wie der NATO und den Vereinten Nationen (UN) vor. "Innerhalb dieses Rahmens, aber eben auch nur dort, sind auch bewaffnete Einsätze im Ausland erlaubt. Von einer bewaffneten Nothilfe jenseits dieses Rahmens weiß das Grundgesetz nichts. Auch für einen Einsatz der Soldaten im Inland hat das Grundgesetz die Grenzen eng gezogen. Nach Artikel 35 Absatz 2 kann die Bundeswehr unter Umständen bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücken eingesetzt werden, aber: "Terroristische Angriffe stellen keinen "Unglücksfall" im Sinne dieser Vorschrift dar." Und auch die in Artikel 91 und 87a beschriebenen Einsatzfälle erfassen keineswegs sämtliche vorstellbaren Terrorszenarien.
[45] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/01/140131-Muenchner-Sicherheitskonferenz.html; Redetext des Bundespräsidenten auf der Münchener Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014 sowie darauf diverse bezogene Interview-Äußerungen.
[46] Stockholmer Friedensinstitut Sipri: http://www.t-online.de/wirtschaft/unternehmen/id_67702596/neue-sipri-liste-das-sind-die-groessten-ruestungshersteller-der-welt.html
[47] taz vom 3.02.2014
[48] Statistik-Portal und Bundesforschungsministerium: http://www.bmbf.de/
[49] Forbes-Liste, zitiert u. a. in http://www.welt.de/politik/deutschland/article116427584/Angela-Merkel-bleibt-die-maechtigste-Frau-der-Welt.html
[50] Berichte und Kommentare in diversen deutschen Tageszeitungen von Anfang Februar
[51] http://www.martin-schulz.info/
[52] Laut dpa-Meldung vom 8. Februar 2014.i
[53] Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Europawahl_2014
[54] http://future.arte.tv/de/was-erwartet-europa-im-jahr-2014
[55] Homepage der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
[56] Der Vertrag auf einen Blick: http://europa.eu/lisbon_treaty/glance/index_de.htm
[57] Karl A. Schachtschneider, a. a. O.
[58] Dieter Grimm (Verfassungsrichter) im SPIEGEL Nr. 43/1992
[59] Bundesverfassungsgericht im so gennannten Maastricht-Urteil.
[60] Siehe Broschüre: „Bürgerengagement für Europa“, Hrsg. Götz Werner, Karlsruhe
[61] www.lobbycontrol.de/2013/nebeneinkuenfte-im-eu-parlament
[62] siehe: http://www.geraldhaefner.de/2013/11/historische-abstimmung-in-strassburg/
[63] Bundeswahlleiter und EU-Archiv
[64] http://diepresse.com/home/politik/eu/1433695/Politischer-Umbruch-bei-Europawahl-2014
[65] http://www.bdi.eu/download_content/Marketing/Broschuere_EU_Parlament_2009-2014.pdf
[66] foederalist.blogspot.de/2013/12/umfragen-zur-europawahl-2014-eine.html
[67] http://www.rp-online.de/politik/eu/europawahl-klarer-sieg-fuer-schwarz-gelb-aid-1.477643
[68] http://www.infratest-dimap.de/
[69] http://future.arte.tv/de/was-erwartet-europa-im-jahr-2014
[70] www.europa-neu-begruenden.de
[71] Rundbrief Dreigliederung Nr. 2/2005
[72] Siehe Zeitschrift „NOVOargumente für den Fortschritt“
[73] http://www.attac.de/themen/europa/
[74] www.kulturrat.de/detailphp?detail=2730&rubrik=142
[75] http://www.facebook.com/notes/echte-demokratie-jetzt/der-neue-gott-mammon-ist-zum-g%C3%B6tzen-der-welt-geworden/411429285556357
[76] Christian Höppner, www.kulturrat.de/detailphp?detail=2730&rubrik=142
[77] http://www.unesco.de/praesidium.html
[78] Verena Metzler-Mangold, wie vor
[79] Siehe z. B. Rundbriefe Nr. 2/2002 und 4/2001 sowie 2/2002
[80] Französicher Journalist, Publizist und Philosoph
[81] Ludger Kühnhardt, Zentrum für europäische Integrationsforschung der Universität Bonn, zitiert in dem Buch „Ist Europa noch zu retten?“, a.a.O.