Stuttgarter Zukunftskongress 5. Juli 2003 Forum 7
Zu der finanziellen Zukunftsfähigkeit der Städte und Gemeinden wollen wir uns heute morgen innovative Gedanken machen und Ideen entwickeln, auch wenn es den Anschein hat, dass der Erfindungsreichtum der Kommunen beim Sparen ausgereizt ist, während gleichzeitig die Einnahmeseite weggebrochen ist.
In meinem gestrigen Vortrag hatte ich ja das scheinbar ausweglose Dilemma der Gemeindefinanzen und Kommunalen Haushalte bereits skizziert und die Tendenzen mit deutlichen Zahlen untermauert.
Es handelt sich aber nicht um eine naturgesetzliche Zwangssituation, sondern eine politisch gewollte, also von Menschen herbeigeführte Lage, die auch wieder änderbar und korrigierbar ist – auch unter den Verhältnissen der Globalisierung, die sich ja durchaus bis auf die lokale Ebenen niederschlägt.
Was ist nachhaltige Finanz-, Investitions- und Haushaltspolitik auf kommunaler Ebene, so könnte die Ausgangsfrage lauten?
Geht es nur um eine Umverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden?
Oder geht es um Steuererhöhungen und andere Einnahmeverbesserungen?
Oder geht es um Umverteilung von Steuerlasten? Oder geht es um Aufgabenverringerung und -einschränkung, also auch um weitere Privatisierungen?
Das ist in den bisherigen Diskussionen um die Gemeindefinanzreform noch nicht so recht geklärt, weil es ja an weitsichtigen oder ganzheitlichen Konzepten und Ideen mangelt, insbesondere an einer Diskussion über den Stellenwert der kommunalen Selbstveraltungsebene in Zeiten der Globalisierung.
Reichen die halbherzigen Vorschläge der im März 2002 als Runder Tisch eingerichteten Kommission zur Gemeindefinanzreform für eine grundlegende Korrektur der Fehlentwicklungen im Gemeindefinanzsystem?
Diese beschränkt sich inhaltlich weitgehend auf die bekannten Positionen zur bloßen Gewerbesteuerreform, mit Beschränkung auf zwei Grundpositionen:
- eine Modernisierung der Gewerbesteuerreform nach dem Modell NRW, deren Effekte aber zunichte gemacht würden mit dem Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform mehr zugunsten hoher Einkommensbezieher, mit dem die Kommunen 3,8 Mrd. € Einbußen hätten, und
- dem Vorschlag des BDI für einen kommunalen Zuschlag zur Körperschafts- und Einkommenssteuer, der aber wieder einer Entlastung der Industrie und einer Abwälzung auf die Arbeitnehmer gleichkäme.
Eine Reform der Grundsteuer findet bislang keine Berücksichtigung. Das Spektrum alternativer und innovativer Ideen ist also von offizieller Seite nicht sehr ausgeprägt.
Gewisse Chancen auf Einbeziehung haben die weiter reichenden Vorschläge und Kriterien von ver.di für bezahlbare Steuern, ebenso wie die entsprechenden Vorschläge des Städte- und Gemeindebundes und der übrigen kommunalen Spitzenverbände.
Vielleicht sollten wir eingangs zunächst einige notwendige und grundlegende Ausgangsbedingungen klären, die sich in folgende 7 Punkte zusammenfassen lassen:
1.Im Zuge der Globalisierung ist eine Steuerlösung künftig nicht mehr isoliert von Kommunen, Ländern oder Bund zu betrachten und zu gestalten, sondern europaweit. - Hierbei sind auch steuerliche Lösungen einzubeziehen, wie sie z.B. von attac mit der Tobinsteuer vorgeschlagen werden, also der Devisenumsatzsteuer auf Finanzspekulationen in Höhe von 0,5 bis 1%. Zugleich bedarf es einer möglichst europaweiten Reform des Bodeneigentums und der Grundsteuern im Interesse der Gemeinden. Statt die Gemeinden europaweit zum Ausverkauf ihrer Immobilien und Infrastruktureinrichtungen zu zwingen (Stichwort GATS-Abkommen), womit die kommunale Selbstverwaltung zum Papiertiger würde, muss das öffentliche und kommunale Eigentum an Versorgungseinrichtungen und Anlagevermögen gesichert und wiederhergestellt werden.
2.Es bedarf einer Reform des Föderalismus zur Stärkung der Vor-Ort-Politik und lokaler Einnahmekompetenzen. Zugleich bedarf es einer Reform der auf die Gemeinden abgewälzten Sozialhilfe-Finanzierung – allerdings nicht zu Lasten der Betroffenen, wie bei der sogenannten Sozialreform der Bundesregierung im Rahmen der Agenda 2010, sondern mit stärkerer Finanzierungsbeteiligung des Bundes und mit Abwehrrechten der Gemeinden gegen die Aufgaben- und Ausgabenüberwälzung. Künftig muss gelten: „Wer bestellt, der bezahlt“.
3.Basis der Sozialangabe und der Steuern für die Staats- wie für die Gemeindeebene müssen alle Einkommensarten und –gruppen nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit sein, also nicht nur die abhängige Erwerbsarbeit, die jetzt schon die größten Steuerlasten zu tragen hat. (Hierzu verweise ich auf den gestrigen Vortrag von Prof. Spehl).
4.Eine Umorientierung der Besteuerung hin zur steuerlichen Belastung des gehobenen Konsums wäre eine sehr wichtige Voraussetzung für eine gerechte und ausgleichende Steuerlösung, an der alle gleichermaßen beteiligt sind und die für die globale und lokale Standortsituation wettbewerbsneutral und unschädlich wäre, mit einem hinreichenden Steueraufkommen.
5.Mit der Zivilgesellschaft muss die verfassungsrechtliche Sicherung der Gemeindefinanzen politisch und rechtlich erkämpft und wieder ins Bewusstsein geholt werden. Denn laut Kommunalverfassung ist für alle Pflichten, die den Gemeinden von Staat und Ländern gesetzlich aufgebürdet werden, ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen und die Aufbringung der Mittel zu regeln. Dazu gehört zunächst auch eine Revitalisierung und Modernisierung der Gewerbesteuer und eine Korrektur der nachteiligen Regelungen der letzten Steuerreform bei der Körperschaftssteuer, aber die Reform muss noch weit darüber hinausgehen, bei gleichzeitiger Anwendung des Kongruenz- und Subsidiaritätsprinzips. (Darauf gehe ich gleich noch näher ein. ) Eine solche Steuer muss sozial- und bedarfsgerecht, niveaugerecht und strukturgerecht sein, zugleich beweglich und mit Anreizen versehen, d.h. sie sollte auch gegen einseitige lokale Wirtschaftsstrukturen absichern und die Steuern auch für eigenkapital- und ertragsschwache Unternehmen vor Ort verträglich gestalten. Mit der Ausdehnung des Kreises der Steuerpflichtigen auf Selbständige und Freiberufler gäbe es eine größere Wertschöpfung und eine Verstetigung der Einnahmen sowie eine Senkung der Gewerbesteuersätze (man denke nur an die Einkommen aus Zinsen, Leasingraten, Mieten, Pachten, Veräußerungsgewinne usw. in die Bemessungsgrundlagen für Steuern).
6.Lokale Aufgaben sollen auch stärker lokal finanziert und lokal verantwortet werden, durch Stärkung originärer Gemeindesteuern, wie von der Bertelsmann-Stiftung vorgeschlagen, - mit der Einführung einer lokalen Bürgersteuer und einer lokalen Wirtschaftssteuer – als Alternative, nicht als Zusatzsteuer. Die Bürgerstuer soll die 15% Einkommenssteuer ersetzen, die den Kommunen bisher als Zuweisung des Landes zufließen. Mit der neuen Steuer muss der Bürger nicht mehr zahlen als vorher, kann dafür aber erstmals auf seinem Steuerbescheid sehen, wie viel von seiner Einkommenssteuer direkt vor Ort ausgegeben wird. Diese Transparenz befähigt die Bürger, sich zu beteiligen, wenn über die Verwendung von Steuergeldern auf lokaler Ebene entschieden wird. Diese Bürgersteuer ist nur in Verbindung mit grundsätzlichen Änderungen bei der Gewerbe- und der Grundsteuer denkbar. Um mehr Steuergerechtigkeit zu erzielen, soll die Gewerbesteuer abgeschafft und durch eine lokale Wirtschaftssteuer ersetzt werden, die alle wirtschaftlich Tätigen angemessen an der Finanzierung der von ihnen in Anspruch genommenen Infrastruktur beteiligt, also auch Feiberufler und Landwirte.
7.Durch die Nähe zu lokalen Entscheidern und lokalen Netzen ist neben mehr Transparenz eine bürgernahe Entscheidung über den Gemeindehaushalt sicherzustellen und die Eigenverantwortung und Selbstverwaltung zu stärken; hierzu nenne ich die Stichworte Bürgerhaushalt und Bürgerkommune sowie Bürgerstiftung, (auf die wir noch kurz eingehen sollten).
Es ist ja bemerkenswert, dass die Bürger in die Diskussion um die Gemeindefinanzen ebenso wenig einbezogen werden wie in die Diskussion um die haushalts- und Investitionsplanung oder die fragwürdigen Privatisierungs- und Leasinggeschäfte z. B- im Rahmen des Cross-border-Leasing oder des GATS-Abkommens. Alles das bleibt den Experten in den Rathäusern überlassen.
Dabei geht es um die Existenz –und Zukunftsfragen der kommunalen Selbstverwaltungsebene.
Die Gemeinden nehmen mit ihrer Investitionstätigkeit wesentliche öffentliche und staatliche sowie gesellschaftspolitische Aufgaben wahr:
-Von den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Kinder- und Jugendarbeit
-über die Verkehrsinfrastruktur und damit die Mobilität der Wirtschaftsaktivitäten
-bis hin zu Wasserversorgung und Umweltschutz
-und damit auch für die Volkswirtschaft und Lebensbewältigung in den Städten.
Deshalb sollte die Bürgerbeteiligung über den Bürgerhaushalt in allen Gemeinden zur Selbstverständlichkeit werden bzw. eingefordert werden.
Der Bürgerhaushalt löst zwar nicht die Probleme, obwohl auf Zukunftskonferenzen viele neue
Ideen sowohl für die Einnahmeseite wie für die Ausgabeseite zu erwarten sind.
Aber er ist ein Beitrag für mehr Eigenverantwortung, er stärkt Solidarität und Gemeinsinn und direkte Demokratie, und er sorgt für Transparenz und Dialogfähigkeit.
Kenntnisse und Ideen der Bürger würden einbezogen, die Frage um Macht und Geld würde mehr nach unten verlagert und der dominante Einfluss der Wirtschaftsinteressen, denen die Politik vor allem gehorcht, würde zurückgedrängt.
Die Bürger und ihre Gemeindevertretung und –verwaltung würden gemeinsame Lernerfahrungen machen, das Verständnis und die Beteiligungsmöglichkeiten würden erweitert und kommunale Demokratie dadurch belebt oder wiederbelebt.
Der Sinn für komplexe Zusammenhänge würde wachsen und ein Ausgleich von Verteilungsungerechtigkeit ermöglicht.
Der Bürgerhaushalt oder Beteiligungshaushalt wäre das beste Mittel zur Bekämpfung von Korruption, gegen Verschwendung und gegen Klientel- und Lobby-Politik.