(März 2015, Leserbrief an die RZ zum Bericht vom 24.03.2015 auf der Regionalseite: „IHK zu TTIP: Vorteile überwiegen“)
„Unverantwortliche und falsche Behauptungen der IHK zu TTIP“
Mit dem einmütigen Votum des Regionalausschusses der IHK für den Kreis Recklinghausen pro TTIP-Freihandelsabkommen (und dem zugleich ausgesprochenen blinden Vertrauen in die Verhandlungen der EU-Kommission) handelt die hiesige IHK völlig unverantwortlich und den Interessen ihrer Mitglieds-Unternehmen zuwider. Auf der Grundlage falscher und offiziell längst korrigierter Zahlen und behaupteter Effekte kommt sie zu der kühnen Behauptung, die heimischen Betriebe und unsere Region würden von dem Abkommen angeblich profitieren.
Auf der eigenen IHK-Homepage ist dagegen nachzulesen, dass 99,7 % aller Betriebe kleine und mittelständische Unternehmen oder Familienbetriebe und Einzelhändler sind, die 66% der Arbeitsplätze bereitstellen und 42% des Umsatzes erbringen. Diese Unternehmen werden nachweislich zu den Verlierern und nicht zu den Gewinnern des TTIP-Freihandelsabkommen gehören, weshalb sich sogar der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMV) kritisch bis ablehnend zum TTIP-Abkommen geäußert hat. Demgegenüber sind die 500 transnationalen Großkonzerne, die an den Verhandlungstexten der EU intensiv mitgewirkt haben, absehbar die alleinigen Gewinner und kontrollieren bereits jetzt 50% des Weltsozialproduktes.
Geradezu peinlich ist es, wenn der stellv. IKH-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Bodo Ritsch behauptet, durch das Abkommen seien allein in NRW 20.000 neue Arbeitsplätze zu erwarten. Sogar die von der EU offiziell in Auftrag gegebenen (und längst wiederlegten) Gutachten gehen für ganz Deutschland von nur 18.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in einem Zeitraum bis 2027 aus. Inzwischen hat der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) öffentlich fehlerhafte Zahlen und Angaben zum TTIP-Abkommen kleinlaut eingeräumt. Und ein aktuelles Gutachten der USA von einer Bostoner Universität hat auf der Grundlage realistischer Wachstumsdaten sogar deutliche Arbeitsplatzverluste und Wachstumseinbußen durch TTIP prognostiziert. Dies deckt sich mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Evaluation des seit 20 Jahren in Kraft befindlichen NAFTA-Freihandelsabkommen zwischen USA, Mexiko und Kanada, wo durchgängig negative Effekte nachgewiesen wurden.
Besonders schlimm: Die hiesige IHK unterschlägt, dass sich mit TTIP die heimischen mittelständischen Unternehmen künftig der transnationalen Marktkonkurrenz stellen müssen und wohl kaum mit der Kosten- und Preiskalkulation der Großkonzerne mithalten können. Auch die Städte in dieser Region dürfen bei öffentlichen Auftragsvergaben und Beschaffungen nicht mehr die ortsansässigen Unternehmen, Händler und Diensleister im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung bevorzugen, sondern müssen alles transnational ausschreiben. Dadurch entgehen den Städten wiederum Gewerbesteuereinnahmen, weil die auswärtigen Konzerne hier keine Gewerbesteuern zahlen.
Und nur die Großkonzerne können sich auch Klagen vor den umstrittenen Schiedsgerichten leisten, weil die Mittelständler kaum die zweistellige Millionensumme für Verfahrens- und Anwaltskosten aufbringen können.
Die IHK hätte besser daran getan, ihre Mitgliedsunternehmen auf eine Website hinzuweisen, wo sich eine zunehmende Zahl von Betrieben gegen TTIP aussprechen und eintragen. Vielleicht treten sie auch daraufhin aus der IHK aus, denn laut Artikel 20(2) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO darf niemand gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören. Denn nicht die Vorteile überwiegen, sondern die Nachteile von TTIP!
Wilhelm Neurohr