Endlich spricht es ein führendes Mitglied der Koalitionsregierung selbstkritisch aus, aber lei-der kommen die von Dietmar Gabriel ausgesprochenen Einsichten zu spät: Die Diplomatie und Außenpolitik der Bundesrepublik und der EU hat einen Kardinalfehler gemacht und im Grunde jämmerlich versagt, indem sie die Ukraine vor die Wahl stellte, sich entweder für Europa oder für Russland zu entscheiden. Klüger wäre ein Sowohl-als-auch gewesen, denn die Ukraine und andere osteuropäische Staaten haben eine Brückenfunktion zwischen Ost und West mit Orientierung (auch der Bevölkerung) sowohl zur eurasischen wie auch zur eu-ropäischen Gemeinschaft – das einzig richtige, um die Interessen beider Seiten zu wahren.
Das hatte übrigens Putin im Herbst 2013 der EU selber angeboten, als Alternative zu dem einseitigen Vorstoß der EU mit ihrem Assoziierungsabkommen für die Ukraine. Dieses enthielt zu allem Überfluss auch noch das unnötige Vorrücken der NATO bis an die russischen Grenzen. Durch diese politischen Dummheiten der vorsätzlichen Provokation Russlands steigert man sich nun in einen kalten Krieg hinein, der in heißen Auseinandersetzungen blutig enden kann. Die EU hat in dem Konflikt auch übersehen, dass sie mit ihren 28 Mitgliedsstaaten nicht für ganz Europa sprechen kann, zu dem 50 Staaten gehören. Statt einer Integration beginnt jetzt eine neue Spaltung Europas durch dilettanti-sche Außenpolitik aus einseitigen Wirtschaftsinteressen.
Zu allem Überfluss fühlten sich von Anfang an deutsche und EU-Außenpolitiker bemüßigt, demonstrativ in Kiew personell mitzumischen: Vom damaligen Außenminister Westerwelle über den jetzigen Außenminister Steinmeier bis zum US- Außenminister Kerry ließen sich alle mit den Demonstranten auf dem Maidan ablichten, schon lange bevor überhaupt die Krim-Krise aufkam. Und Boxweltmeister Klitschkow wurde schon wie ein künftiger Staatschef der Ukraine von EU und Merkels Gnaden hofiert. Laut Monitor-Sendung hatten die USA die Protestbewegung sogar massiv finanzielle gefördert (weil sie in der Ukraine große Clains für die Schiefergasgewinnung per Fracking abstecken möchte….). Das war Futter für die russische Propaganda, die den Aufstand in Kiew somit als von außen gesteuert darstellen konnte. Man stelle sich umgekehrt einmal vor, der russische Außenminister Lawrow würde sich unterstützend in Berlin unter Demonstranten der Occupy-Bewegung mischen, die gegen die Regierung Merkel demonstrieren…
Da allseits bekannt ist, dass Putin eben kein „lupenreiner Demokrat“ ist, konnten die Reakti-onen nicht lange auf sich warten lassen. Deshalb sind die Gegenreaktionen darauf von Sei-ten der EU, der deutschen Kanzlerin und der USA sehr heuchlerisch und sollen von den eigenen diplomatischen Fehlern ablenken. Die jetzt verzweifelten Versuche zum Wiederauf-leben des Gesprächsfadens mit Russland hätte man vorher und nicht hinterher intensivieren sollen. Wenn sich dann noch der im Gasgeschäft mitmischende Altkanzler Schröder – der anlässlich seiner Werbetour für sein Buch erneut sein Attestat für seinen Geschäftsfreund Putin als „lupenreiner Demokrat“ verteidigte – politisch einmischt, dann ist das ein Beleg dafür, dass die Sozialdemokraten nach Egon Bahr jedes Gespür für Außen- und Ostpolitik verloren haben, obwohl sie für sich eine „Führungsrolle in der EU“ reklamieren.
Dann sollten sie gefälligst im Europawahljahr eine tragende und begeisternde Idee für die Zukunft Europas entwickeln, denn im Bewusstsein der Bürger lebt Europa kaum, das werden die Wahlen wieder zeigen. Stattdessen also Sanktionen und Säbelrasseln? Waren es nicht die Sozialdemokraten, die nach jahrzehntelangem kalten Krieg eine neue Ostpolitik des „be-hutsamen Wandels durch Annäherung“ erfolgreich und nachhaltig betrieben hatten, verbun-den mit einer offensiven Abrüstungspolitik? Selbst unter CDU-Kanzler Kohl brach der gute Draht zu Russland nicht ab. Jetzt steht die SPD in der großen Koalition vor dem Scherben-haufen ihrer einst erfolgreichen Ostpolitik der Vergangenheit, und sie versteckt sich hilflos hinter den Kanzlerin und irgendwelchen EU-Gremien – ein Drama auf der Bühne der europä-ischen Zuschauerdemokratie