Hartz IV komplett gescheitert: Wissenschaftliche Studie: Hartz-Reform verfehlt ihr Ziel
Die Jobcenter und Optionskommunen auf verlorenem Terrain mit geringen Erfolgsaussichten – Dauer der Arbeitslosigkeit nicht verringert
Die Hartz-IV-Reform hat keine deutliche Verkürzung der Arbeitslosenperioden gebracht. Die Dauer der Erwerbslosigkeit hat sich nicht verändert, so dass sich die Frage nach dem Nutzen des vor 7 Jahren erfolgten damaligen Systemwechsels stellt. Zu diesem Fazit und Urteil gelangten jetzt Wissenschaftler und Arbeitsmarktexperten des Instituts für Arbeits-markt- und Berufsforschung und der Universität Leipzig nach der Auswertung und dem Vergleich von repräsentativen Daten über die Dauer der Arbeitslosigkeit vor und nach der Hartz-IV-Einführung.
Im alten Arbeitslosen-und Sozialhilfesystem dauerte die Erwerbslosigkeit demnach im Mittel 12 Monate. Nach einem Jahr hatten 49% der betrachteten Arbeitslosen wieder einen Job oder standen aus anderen Gründen – Rente, Aus- und Weiterbildung – dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. In den Folgejahren sank die Arbeitslosigkeit noch einmal um 20% und um 11 Prozentpunkte. Nach 4 Jahren waren noch 13% arbeitslos.
Kaum anders fallen die Zahlen nach der Hartz-IV-Reform aus. Arbeitslosigkeit dauerte im Mittel 13 statt 12 Monate. Nach einem Jahr war für 50% der ALG-II-Bezieher die Arbeitslosigkeit vorbei. In den Jahren danach sank die Erwerbslosigkeit noch einmal um 20% bzw. 10 Prozentpunkte. Nach 4 Jahren waren 16% weiterhin arbeitslos. Verfälschungen des Ergebnisses durch eine verschlechterte Arbeitsmarktsituation oder eine andere Zusammensetzung der Gruppe der Joblosen schlossen die Wissenschaftler durch weitere Berechnungen aus.
Bereits die Diagnose für die Hartz-IV-Reform war falsch - Arbeitslosendauer durch Hartz-IV-Regelunge nicht reduzierbar
Ihr Fazit: Bereits die Diagnose für die Hartz-IV-Reform war falsch. Armut und Bezug von Sozi-alhilfe seien eben kein Langzeitphänomen. Die Verweildauer im Transferleistungsbezug sei vielmehr vor und nach der Hartz-IV-Reform überwiegend relativ kurz gewesen. Die Wissenschaftler schlussfolgern, dass das Problem, um das es der Hartz-IV-Reform zentral ging, nicht existierte. Oder dass es nicht gelungen ist, die Arbeitslosendauer weiter zu reduzieren.
Zunahme sozialer Ungleichheit trotz Armut produziert höhere Folgekosten – Steigenden Reformkosten steht kein Nutzen gegenüber
Stattdessen verweisen sie auf die Folgekosten der Reform: Die Zunahme von sozialer Un-gleichheit und Armut trotz Arbeit. Wenn aber dadurch gegen gesellschaftlich breit geteilte Gerechtigkeitsvorstellungen verstoßen worden sei, stehe den Kosten der Reform kein Nut-zen gegenüber.
(Quelle: taz und Internet-Recherchen)
Das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (sog. „Hartz IV-Gesetz“) führte mit Wirkung vom 1. Januar 2005 die bisherige Arbeitslosenhilfe und die bisherige Sozialhilfe im neu geschaffenen Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Form einer einheitlichen, bedürftigkeitsabhängigen Grundsicherung für Erwerbsfähige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zusammen. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden, nicht erwerbsfähigen Angehörigen, insbesondere Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres, Sozialgeld. Diese Leistungen setzen sich im Wesentlichen aus der in den §§ 20 und 28 SGB II bestimmten Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und Leistungen für Unterkunft und Heizung zusammen. Sie werden nur gewährt, wenn ausreichende eigene Mittel, insbesondere Einkommen oder Vermögen, nicht vorhanden sind.
Die Regelleistung für Alleinstehende legte das SGB II zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens für die alten Länder einschließlich Berlin (Ost) auf 345 Euro fest. Die Regelleistung für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bestimmt es als prozentuale Anteile davon.
Danach ergaben sich zum 1. Januar 2005 für Ehegatten, Lebenspartner und Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft ein Betrag von gerundet 311 Euro (90%), für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres ein Betrag von 207 Euro (60%) und für Kinder ab Beginn des 15. Lebensjahres ein Betrag von 276 Euro (80%). Im Vergleich zu den Regelungen nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wird die Regelleistung nach dem SGB II weitgehend pauschaliert; eine Erhöhung für den Alltagsbedarf ist ausgeschlossen. Einmalige Beihilfen werden nur noch in Ausnahmefällen für einen besonderen Bedarf gewährt. Zur Deckung unregelmäßig wiederkehrenden Bedarfs ist die Regelleistung erhöht worden, damit Leistungsempfänger entsprechende Mittel ansparen können.
Kommentar:
Arbeitslose durch mehr Druck, sprich niedrigere Sozialleistungen und Sanktionen, schneller wieder in Jobs zu bringen, das war die große Rechtfertigung für die Hartz-IV-Reform durch den damaligen Bundeskanzler Schröder, seinen cholerischen Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement und deren vorbestraften Freund Peter Hartz aus der Automobilwirtschaft, der seine Betriebsräte 44 mal bestochen hatte. Was damals als „alternativlos“ (Unwort des Jahres) mit Hilfe des grünen Koalitionspartners und Zustimmung der CDU- und FDP-Opposition im Bun-destag aus neoliberaler Gesinnung durchgesetzt wurde, erweist sich nun nach 7 Jahren Praxis als komplett gescheitert, gemessen an den eigenen (vollständig verfehlten) Zielsetzungen. Das belegen aktuell die Daten des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und der Leipziger Universität. Stattdessen begann ein stattlich verordneter sozialer Abstieg und Leidensweg derjenigen, die unverschuldet durch Betriebsschließungen oder familiäre Veränderungen (alleinerziehende Frauen, Scheidung, Lebensalter50 plus) arbeitslos wurden, indem ihre Arbeitslosigkeit als individuelles statt gesellschaftliches Versagen abgestempelt wurde. Nicht fehlende Arbeitsplätze, die auch durch Hartz-IV nicht neu geschaffen werden, sondern unterstellte „mangelnde Arbeitsbereitschaft“ wurden plötzlich zur Problemursache erkoren und die Betroffe-nen diffamiert und sozial ausgegrenzt. Soziale Abstiegsängste kursieren seither bis in die Mit-telschichten hinein; die zunehmende Spaltung zwischen Arm und Reich begann im reichsten Land Europas mit einem schwindelerregenden Bruttosozialprodukt, dessen Wachstum nur einigen wenigen zugute kommt. Mit dem griffigen Motto des „Fördern und Fordern“ erfolgte der Abschied von altbewährten Sozialstaatsprinzipien. Dadurch verlor die damals (innerparteilich nach undemokratischer Basta-Manier regierende) SPD gut die Hälfte ihrer entsetzten Mitglieder. Demgemäß wurden die Hartz-IV-Bezieher von den Neoliberalen und ihren Medien pauschal abgestempelt mit dem Klischee der Arbeits- und Fortbildungs-Unwilligen in Trainingsanzü-gen, die allesamt aus unterstem Milieu ihr Geld versaufen, dem Nichtstun vor dem Fernseher frönen und ihre bildungsgeschädigten Kinder verkommen ließen. Damit rechtfertigte man allerlei Zwangsmaßnahmen, Bevormundungen oder gar erzieherische Vorgaben für mündige Erwachsene ohne Erwerbseinkommen, auch wenn sie zuvor jahrzehntelang im Berufsleben ihre Frau oder ihren Mann gestanden haben. Beinahe hätten die Mitarbeiter der bundesweit um zigtausend Sachbearbeiter aufgestockten Hartz-IV-Behörde selber als Bittsteller auf der anderen Seite des Antragstisches gesessen, wenn man nicht im letzten Moment ihre befristeten Arbeitsverträge entfristet hätte (infolge eines Gerichtsurteils).. Von hohen Missbrauchsquoten ist ständig die Rede, obwohl nachweislich nur 4% Miss-brauchsfälle den 96% korrekten Leistungsempfängern entgegenstehen. Trotzdem wird in der Privatsphäre der so genannten Bedarfsgemeinschaften behördlicherseits durch Außen-dienstmitarbeiter geschnüffelt, (als handele es sich um die ganz großen Steuerflüchtigen oder Subventionsschwindler in Nadelstreifen, die natürlich mit solcherart Kontrollen nicht behelligt werden). Und sie müssen bekanntlich in ellenlangen Antragsformularen alles offenbaren und ihre kleinen Ersparnisse bis auf zulässige Restbeträge zunächst aufbrauchen. Hartz-IV-Empfänger werden genötigt, ihre Wohnungen durch kleinere Wohnungen in preiswerten Vierteln mit sozialen Brennpunkten einzutauschen. Und die Kinder müssen das Taschengeld der Oma wieder abliefern, wenn es zu großzügig ausfällt. Fast jeder zweite Hartz-IV-Bescheid ist fehlerhaft und löst eine Welle von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren aus; das meiste wird durch die überlasteten Sozialgerichte ganz oder teilweise korrigiert. Obwohl laut Verfassung und Menschenrechtskonventionen Zwangsarbeit in jeder Form verboten ist, haben Hartz-IV-Empfänger fast jede angebotene Arbeit (auch als Leih- und Zeitarbeiter, im prekären Niedriglohnsektor und jenseits der eigenen Ausbildung und Qualifikation) unter Androhung von Leistungskürzungen zwangsweise anzunehmen. Mit Schikanen in den ersten Arbeitsmarkt, und sei es als 1-€-Jobber oder in „Bürgerarbeit“, zumindest aber als Teilnehmer an allerlei nutzlosen Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen. Oder man schickt sie altersbedingt zwangsweise in die reduzierte Frührente, damit sie die geschönte Arbeitsmarktstatistik nicht verderben, die einen Aufschwung am Arbeitsmarkt suggerieren soll.
Von Anfang an sind die Gewerkschaften gegen dieses unsoziale Hartz-IV-Gesetz Sturm gelau-fen mit der Forderung: „Hartz-IV muss weg“ – vergeblich. In beispiellose Kampagnen und mit breiter Medienunterstützung hatten die neoliberalen Netzwerke, denen der Sozialstaat ein Dorn im Auge ist, auch die Öffentlichkeit auf ihrer Seite. Sie schürten Neid der Geringverdiener gegen die Hartz-IV-Empfänger, die „ ohne Arbeit fast genauso viel erhalten“., statt die Löhne der Arbeitenden anständig zu erhöhen. Inzwischen sind aber viele Familienangehörige selber betroffen oder haben jemanden im Bekanntenkreis, der betroffen ist. Und diejenigen, die noch in geregelter Arbeit sind, finden sich im Niedriglohnsektor wieder oder als sklaven-ähnlicher Leih- und Zeitarbeiter. Sie müssen sehen, wie sie nach dem Lohndumping selber über die Runden kommen, weil sie von ihrem Arbeitseinkommen nicht mehr leben können. Sie müssen ergänzende Leistungen bei der Hartz-IV-Behörde beantragen. Und die Unterneh-men freuen sich über die staatlichen Lohnsubventionen, so dass die Lohndrückerei munter weiter geht. Auch die Beschäftigten in den Jobcentern sind mit betroffen, die sich alltäglich mit dieser Gesamtproblematik konfrontiert sehen – und selber mit belastenden Arbeitsbedingungen. Nach den jetzt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Scheitern von Hartz IV ist es an der Zeit, nach 7 Jahren endlich einen Schlußstrich zu ziehen. Wenn nicht jetzt, wann dann: Hartz IV muss weg! Auf der Suche nach Alternativen sollte man sich lieber dem „bedin-gungslosen Grundeinkommen“ zuwenden, damit der Menschenwürde Rechnung getragen wird. Was aber passiert dann mit unseren 850 Beschäftigten beim Jobcenter Kreis Recklinghausen und den 70.000 anderswo?