Wilhelm Neurohr

War das freimütige, aber verklausulierte Bekenntnis des Bundespräsidenten Horst Köhler zur Notwendigkeit von „Wirtschaftskriegen“ tatsächlich nur eine missverständliche Formulierung - oder nicht vielmehr eine wohl kalkulierte Botschaft für den Paradigmenwechsel bewusst zu diesem Zeitpunkt? Denn längst ist klammheimlich ohne öffentliche oder parlamentarische Diskussion die Militärdoktrin geändert worden, auf die Köhler sich bezieht – nachzulesen seit über 2 Jahren im Weißbuch der Bundeswehr, in der Nato-Strategie und in den EU-Grundlagen zu GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Europas).

Demnach sind weltweite militärische Interventionen mit bewaffneten Kampfeinsätzen auch zur Sicherung von Handelswegen und von Energien, Rohstoffen und Ressourcen das erklärte Ziel der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ausdrücklich im Visier sind dabei Afrika, Asien und der Nahe Osten. Die Grundgesetzwidrigkeit solcher Angriffskriege wird mit dem Hinweis auf Bündnisverpflichtungen beiseite gewischt.

In einem vorausgegangenen Gutachten der Bertelsmann-Stiftung für die EU (unter Beteiligung von Rüstungslobbyisten) wird sogar unverblümt empfohlen, europäische Kampfeinsätze in aller Welt nicht länger mit einem humanitären Deckmäntelchen zu kaschieren, sondern die Bevölkerung an Waffeneinsätze für wirtschaftliche Interessen in Zeiten des Kampfes um Ressourcen zu gewöhnen. Dazu will der Medienkonzern erklärtermaßen in seinen geknüpften Netzwerken mit Zeitungsverlegern und Fernsehsendern publizistisch beitragen. Das funktioniert: Man braucht ja nur den erschreckenden Kommentar von Andreas Herholz in der RZ mit Beifallsbekundungen für Horst Köhler und einem Plädoyer für Aufrüstungen zu lesen.

Und der langjährige Nato-Befehlshaber in Afghanistan, General Solberg, forderte schon vor Jahren gegenüber den Soldaten: „Die Deutschen müssen wieder das Töten lernen“. Wen interessiert es in einer Demokratie, dass 83% der Deutschen laut Umfragen gegen den Afghanistan-Einsatz sind – und dass der Irak-Krieg keine humanitäre Mission gegen Terrorismus war, sondern sich die amerikanischen und britischen Ölkonzerne die einstmals staatlichen Ölförderung des Irak einverleibt haben? Allenthalben Wirtschaftskriege.

Nicht ohne Grund ist übrigens für die mächtige EU-Außenkommissarin ein Ressort eingerichtet worden, in dem die Außenpolitik, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Handels- und Entwicklungspolitik zusammengelegt wurden. Die Zuständigkeit für Wirtschafts- und Militärpolitik in einer Hand ist politisch ein Novum, aber der neuen Wirtschafts- und Militärdoktrin geschuldet, die Europa laut „Lissabon-Strategie“ zum „mächtigsten Binnenmarkt der Welt“ ausgerufen hat – eine Kriegserklärung?.

Auf den internationalen Märkten tobt ja längst der globale Finanz- und Wirtschaftskrieg, mit Steuer- und Lohndumping und mit Angriffen der Finanzspekulanten auf schwache Staaten und Währungen. Der globale und marktradikale wirtschaftliche Konkurrenzkampf rechtfertigt in dieser Logik den Militäreinsatz für wirtschaftliche Eigeninteressen – als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln?
Laut Lissabonner EU-Vertrag ist übrigens bei europäischen Militärinterventionen weder eine förmliche Beteiligung des Straßburger Parlamentes noch der Nationalparlamente erforderlich. Zugleich enthält der rechtskräftige Lissabonner Reformvertrag jährliche Aufrüstungsverpflichtungen, kontrolliert durch die europäische Verteidigungsagentur (EDA). Alleine Deutschland hat für seine weltweiten Militäreinsätze in den letzten 15 Jahren zweistellige Milliardensummen ausgegeben, weit mehr als jetzt für die nationalen Sparprogramme anstehen. Die weltweiten Rüstungsausgaben sind in den letzten 12 Jahren um 45% auf 1.400 Mrd. Dollar jährlich angestiegen, der höchste Stand in der Menschheitsgeschichte.

In Deutschland sind laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut die Rüstungsausgaben mit 37 Mrd. Dollar höher als in Russland mit 35,54 Mrd. Dollar und höher als zu Zeiten des „kalten Krieges“. Die Wirtschaftskriege können beginnen - durch eine Politikergeneration, die laut Helmut Schmidt nur deshalb in militärischen Kategorien denkt und handelt, weil sie selber keinen Krieg mehr erlebt hat, sondern diesen auf andere Kontinente verlagert…Von einem humanitären 21. Jahrhundert keine Spur mehr im Wirtschaftskrieg „jeder gegen jeden“ – und Deutschland wieder vorneweg?