Wilhelm Neurohr

Leserbrief

Zum Bericht in der RZ vom 5.5. 2008 über den Plan der CDU für einen „Nationalen Sicherheitsrat“

Sicherheitsrat: Kennen die Abgeordneten ihre eigen Beschlüsse nicht?

Die heftigen politischen Auseinandersetzung um die fragwürdigen Pläne zur Einrichtung eines „Nationalen Sicherheitsrates“ verdeutlichen auf erschreckende Weise: Weder die Regierungsparteien noch die Opposition im Bundestag wissen offenbar, was sie selber noch 10 Tage vorher, am 24. April 2008, im Bundestag einmütig beschlossen haben. Nämlich die künftige Übertragung der Verantwortung und Zuständigkeit für die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich aller Militäreinsätze auf den Ministerrat der Europäischen Union und deren machtvollen EU-Außenkommissar – und zwar ohne jeweilige Zustimmung des Europaparlamentes oder der nationalen Parlamente!

Der Streit um Bundeswehreinsätze im Krisenfall auch ohne vorherige Bundestagsbeschlüsse auf bloße Anordnung eines „Nationalen Sicherheitsrates“ ist also eine Diskussion von gestern! Mit der bereits erfolgten Zustimmung des Bundestages zum Lissabonner Reformvertrag als EU-Verfassungsersatz entscheidet künftig kein Bundestag mehr über eine spezifisch deutsche Außenpolitik und über eigene Bundeswehreinsätze. Denn schwarz auf weiß steht im ratifizierten EU-Reformvertrag, dass die gesamte nationale Zuständigkeit für die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik künftig auf die EU und deren mächtigen Außenkommissar übergeht. Damit werden das deutsche Außenministerium, das Verteidigungsministerien und das Entwicklungshilfeministerium über kurz oder lang überflüssig, ebenso die Abteilung für Außenhandel im Wirtschaftsministerium. Alle Fäden zieht fortan die allmächtige EU-Zentrale als Exekutive, die keinerlei parlamentarischer Kontrolle unterliegt und auch keiner Rechtsüberprüfung durch den EU-Gerichtshof.

Das war politisch so gewollt und ist von Bundeskanzlerin Merkel während ihrer EU-Ratspräsidentschaft federführend so ausgehandelt worden. Und so hat es Frau Merkel mit den übrigen 26 Staatschefs in Lissabon auch eigenhändig unterschrieben. Dafür hat sie vor wenigen Tagen den Karlspreis in Aachen erhalten als hoch gelobte Europa-Politikerin. Scheinbar hat weder die Bundeskanzlerin noch haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages den 500-seitigen EU-Reformvertrag gelesen, dem sie allesamt zugestimmt haben, sondern diesen blindlings beschlossen. Damit hat der Bundestag seine eigene Entmündigung auch in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik selber beschlossen. Und deshalb ist die gesamte Diskussion über einen „Nationalen Sicherheitsrat“ obsolet, denn ein solcher könnte nach EU-Recht höchstens noch eine nationale Spielwiese ohne irgendeine Entscheidungskompetenz sein. Fortan entscheiden die Berlusconis, Sarkozys und Solanas, ob und wann die Bundeswehr zu fragwürdigen Auslandseinsätzen abkommandiert wird und wie wir uns gegenüber Drittländern außerhalb Europas außenpolitisch zu verhalten haben.

Die europäischen Militäreinsätze dienen künftig erklärtermaßen auch der Sicherung der Handelswege und eigenen Rohstoffsicherung in aller Welt im europäischen Wohlstandsinteresse – es geht im Klartext also um Wirtschaftskriege und nicht mehr um Landesverteidigung, so wollen es die EU-Verträge. Und dazu gehören auch Militäreinsätze im Inneren, gegen Terroristen und Demonstranten, die man im Zweifel auf eine Stufe stellt, wie bei den Protesten gegen den G-8-Gipfel. Schützt uns dagegen etwa ein „Nationaler Sicherheitsrat“?