Wilhelm Neurohr

Wer rettet und verbessert die Welt? Das ist die Leitfrage einer aktuellen Artikelserie in einem bekannten deutschen Nachrichtenmagazin, mit der Feststellung: Nicht mehr die Politik, das staatliche Rechtsleben, sorgt für die Zukunftsgestaltung, sondern die vernetzte Zivilgesellschaft mit den kulturell Kreativen. Diese hat jetzt massive „Konkurrenz“ und Verbündete bekommen von der Wirtschaft mit ihrem professionellen Know-how - die dafür Geldsumme zur Verfügung hat, größer als ganze Staatshaushalte. Der Traum von einer friedlichen und gerechten Welt bewegt scheinbar alle Ebenen der Weltgesellschaft und viele Weltbürger, doch die Motive und Ziele wirken sehr verschieden.

Es vergeht kein Tag mehr, an dem nicht irgendwo in der Welt Menschen zusammensitzen, um lokale Strategien gegen soziale und ökologische Fehlentwicklungen zu beraten, gegen Armut, Hunger, Krankheit, Unmenschlichkeit oder Klimawandel. Jeder ist begabt, selber verantwortungsvoll zu leben und Verantwortung für die ganze Welt zu übernehmen, wenn man ihn nur lässt. Davon ist auch der Friedensnobelpreisträger, Bankier und Kleinkreditgeber der Armen, Muhammed Yunus überzeugt, der in der aktuellen Artikelserie des „Spiegel“ häufig zitiert wird als Verfechter einer neuen Ethik und Weltmoral. Er ist auch davon überzeugt, dass die herrschenden Theorien des Kapitalismus falsch sind, weil diese den Unternehmer ausschließlich als „money maker“ definieren, statt ihn als Menschen und soziales Wesen zu begreifen, der genauso gut gemeinnützige Nonprofit-Unternehmen zugunsten der Dritten Welt managen könnte: Ein sozialer Unternehmer misst seinen Profit nicht in Bilanzsummen, sondern im Erreichen richtiger und nachhaltiger Ziele wie etwa Gesundheit, Bildung, saubere Umwelt.

Neue Bündnisse im Interesse des Gemeinwohls

Wie realistisch aber ist es, dass die Wirtschaft neue Bündnisse eingeht mit der Gesellschaft und nicht nur Geschäfte mit ihr abschließen will zum eigenen Vorteil? Und welchen Einfluss kann die Kundschaft selber als Käufer oder Verbraucher ausüben? Gibt es genügend Weltbürger, die so denken und handeln und sich in Netzwerken zusammenfinden mit der Erkenntnis: „Wer, wenn nicht wir; wann, wenn nicht jetzt?“ Offenbar werden es täglich mehr, die sich als Weltbürger der Rettung der bedrohten Erde und Menschheit verschrieben haben, seitdem klar geworden ist, dass die Staaten in der globalisierten Welt ratlos sind, die Vereinten Nationen auf den wesentlichen Politikfeldern zu spät kommen und die Selbstverpflichtungen von Industrie und Wirtschaft nicht länger glaubhaft sind. Die „neuen Weltbürger“ fragen deshalb nicht mehr zuerst danach, wer zuständig ist oder wie und ob die Welt gerettet werden kann, sondern danach, was sie selber dazu beitragen können auf ihrem Platz, an ihrer Stelle, mit ihren Mitteln, auch ohne formelle Legitimation. Es wird sehr viele solcher Menschen brauchen.

Die nichtstaatliche und nichtkommerzielle Zivilgesellschaft ist als dritter Sektor aufgewacht, seitdem Bürger und Politiker nicht mehr an die Allmacht des allzuständigen Staates glauben und der Uno nicht mehr zugetraut wird, den Traum von einer gemeinsam mit der Staatengemeinschaft zu erringenden friedlichen und gerechten Welt zu erreichen. Nicanor Perlas, Träger des alternativen Nobelpreises, sieht schon seit längerem in dem Aufkommen der aktiven und vernetzten Zivilgesellschaft ein wichtiges Element der sozialen Dreigliederung in der Weltgesellschaft und spricht von „trisektoraler Partnerschaft“ zwischen Geschäftswelt, Politik und Zivilgesellschaft. Und das deutsche Nachrichtenmagazin „Der „Spiegel“ schreibt in seiner Leitartikel-Serie über die „Retter der Welt“ von einer „frischen Lust auf Zukunft, die von der Gesellschaft und auch von der Wirtschaft ausgeht, nicht mehr von der Politik“.

Allerdings wäre es fatal, der Politik mit ihrem notwendigen Rechtsleben wegen des (bewussten und unbewussten) Verlustes von Demokratie auf allen Ebenen, der sehr besorgniserregend ist, keine Funktion mehr zuzuweisen. Ebenso verhängnisvoll wäre es, stattdessen auf einzelne Sponsoren und Spender aus der Wirtschaft angewiesen zu sein, die mit ihrem privat angehäuften Milliardenvermögen, das sie zuvor dem wirtschaftlichen Gemeinwohl entzogen haben, nicht wissen wohin damit und allein bestimmen, wo damit in der Welt etwas Soziales geschehen soll.

Die Weltzivilgesellschaft setzt sich und andere in Bewegung

Mit der Geburt einer Weltzivilgesellschaft, in der sich Manager, Politiker, Wissenschaftler und vernetzte Weltbürger vereinen, ist nicht etwa die notwendige Gliederung in die Sphären von Rechtsleben, Wirtschaftsleben und kulturellem Geistesleben obsolet oder aufzuheben, wenn etwas Fruchtbares dabei entstehen soll. Tatsächlich steht dem eine bedrohliche Entwicklung gegenüber, bei der sich das Wirtschaftsleben sowohl der Politik als auch der Kultur bemächtigt hat und längst alles dominiert. Nur deshalb ist ja jetzt die „Rettung der Welt“ erforderlich geworden, um dieses einseitige Missverhältnis in einer von der Ökonomie dominierten Welt mit ihren dramatischen Folgen zum Wohle der Menschheit wieder zurecht zu rücken. Viele Menschen wollen nicht länger auf abstrakte Rettungspläne und Lösungen „von oben“ hoffen, sondern selber „von unten“ etwas unternehmen, und sei es, das sie in der Lebenswelt der reichen Länder ihre eigene Lebensweisen verändern nach der Erkenntnis: Auch die längste Reise beginnt mit einem ersten Schritt.

Die Menschheit weiß eigentlich, was zu tun ist, um Hunger, Armut und Krankheit auszurotten, aber es wollte ihr bisher nicht wirklich gelingen, als sei die Welt verhext. Denn seit Jahrzehnten werden die gesetzten Jahrtausendziele der Uno auf globaler Ebene, auf die sich die Führer der Weltgesellschaft feierlich verständigt haben, verfehlt, obwohl das alles nicht sehr viel kostet – jedenfalls nicht mehr als die Militärausgaben des Pentagon an einem einzigen Tag, nämlich 1,5 Mrd. Dollar. Nähme man die 3,5 Billionen Dollar privates Geldvermögen der weltweit 950 Milliardäre, hätte man bei 5% Verzinsung 175 Mrd. Dollar jährlich und damit keine großen Finanzprobleme mehr in der Entwicklungshilfe, um damit den täglichen Hungertod von 30.000 Kindern zu beenden.

Die Superreichen wollen nicht abseits stehen: Soziales Investment und Bankwesen

Aber auch der so genannte „Geldadel“, bei dem Einzelne mehr Geld privat besitzen als ganze Staatshaushalte für –zig Millionen Menschen, scheint erwacht zu sein und will nicht länger abseits stehen in der Rolle als Profiteur und Hauptverursacher der Probleme. Immer mehr junge, aber auch erfolgreich alt gewordene Wirtschaftsmanager mit enormen Privatvermögen und Bankleute wollen plötzlich ihren Beitrag leisten zur Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwertes, anstatt sich länger als „seelenlose Geldautomaten“ zu betätigen. Sie haben erkannt, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass man Geld weder essen noch am Lebensende mit ins Jenseits nehmen kann. Geld muss Soziales bewirken, so keimt die Erkenntnis der eigentlich heilsamen Funktion des Geldwesens. Denn teilen macht alle reich.

Immer mehr Chefs der größten Konzerne und Banken entdecken inzwischen die Menschenrechte und wollen nicht länger zusehen, wie die Welt zugrunde geht, auch wenn sie verdrängen, dass sie an deren Ausbeutung und Fehlentwicklung maßgeblich beteiligt sind und davon profitieren. Damit haben sie große Schuld auf sich geladen in punkto Armutsentwicklung, Hungertod und Umwetzerstörung und suchen nun den Ausgleich. Wenn vom daraus gewonnen und anderen vorenthaltenen Reichtum wenigstens anteilig etwa wieder zurückfließt für gemeinnützige oder Umwelt- und Lebensrettende Projekte, kann das nicht zurückgewiesen werden, auch wenn damit an Symptomen kuriert statt an den Ursachen gearbeitet wird. Denn eine bessere Welt kann man nicht kaufen, sondern sie entsteht durch Änderung der Menschheitskultur in kleinen Schritten.

Ethisches Investment wie bei der GLS-Bank, die bisher löblicher Außenseiter und Pionier im neuen Bankwesen war, findet plötzlich Nachahmer. Es entsteht „Social Banking“ als Brücke zwischen Profit. und Non-Profit-Sektor mit der Finanzierung von Sozialprojekten auch über Aktiengesellschaften. Lose Bürgerinitiativen mit ihren Amateuren werden in professionelle Organisationen verwandelt, die nicht mühsam Kleinspenden sammeln, sondern großes Geld vom Finanzmarkt holen. Jede neue Idee ist willkommen. Es geht nicht mehr um das Verteilen von Flugblättern durch Idealisten und “Gutmenschen“ in den Fußgängerzonen, sondern um wirksames Handeln.

Handeln nach dem sozialen Hauptgesetz mit verändertem Geldwesen

Die Losung „Global denken und lokal handeln“ scheint nun auch bei den Hauptverursachern angekommen zu sein, die sich spendabel zeigen oder Stiftungen gründen und die Weltprobleme bis hin zum Klimawandel thematisieren. Galt ihr bisheriges Profitstreben bislang fast ausschließlich dem eigenen Nutzen, so schimmert jetzt eine Ahnung von der Wirksamkeit des Sozialen Hauptgesetzes Rudolf Steiners durch, bei dem das Wohl der anderen im Vordergrund steht als Sinn und Zweck des brüderlichen Wirtschaftslebens. Dieser Wandel ist ein Verdienst der Zivilgesellschaft, die auch als Weltgewissen auftritt und unbequem bleibt. Ihre Aktionen zeigen Wirkung und zeugen von geistiger Macht und sozialer Kraft. Sie hinterlassen bleibenden Eindruck und machen wach.

Ausgerechnet im Waldorf-Astoria Hotel in New York trafen sich nunmehr auf Initiative des Ex-Präsidenten der Vereinigten Staaten, Bill Clinton, und mit Unterstützung von Bill Gates und anderen, solche Akteure, die in Wirtschaft und Politik eigentlich lange genug Zeit und Gelegenheit hatten, an wichtigen Schalthebeln für die Menschheit tätig zu werden. Als Einzelpersonen wollen sie nun in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen versuchen, menschlich für das Gemeinwohl zu handeln. Ob alle Versammelten durchweg ehrliche Motive haben oder vielleicht ihr negatives Image und Ansehen aufpolieren wollen, ihr Gewissen beruhigen oder Steuerersparnisse erzielen möchten oder ihre neoliberale Wirtschaftsideologie in einem besseren Licht unangreifbarer darzustellen versuchen, um die globalisierungskritische Zivilgesellschaft mit ihren Nichtregierungsorganisationen zu neutralisieren oder zu schwächen, sei dahingestellt.

Die Geister, die sie nun riefen, werden sie jedenfalls nicht mehr los, denn sie werden an ihren Taten gemessen, nicht an ihren Geldbeträgen für die Weltverbesserung. Niemand will abseits stehen bei der neuen Bewegung der Weltbürger, die wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Die „Rettung der Welt“ rückt ein Stück näher.