Wilhelm Neurohr

Als nach den Weihnachtsfeiertagen Andrej Illarionow, der langjährige Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten Wladimir Putin, seinen Rücktritt einreichte, begründete er dies u. a. damit, dass Russland seit 6 Jahren kein freies Land mit Meinungsfreiheit mehr sei und überdies die Verstaatlichung von Unternehmen betreibe. Der russische Staat habe aufgehört, politisch frei zu sein. Schon vor Weihnachten gab es eine staatliche Initiative zur Freiheitsberaubung der Zivilgesellschaft in Russland - mit einem schwerwiegenden Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen, das im Januar 2006 trotz scharfer Kritik des Europarates in Kraft tritt. Das ist ein folgenschwerer Rückschlag für die Bürgergesellschaft in Russland und deren weltweite Vernetzung.

Zivilgesellschaftliche Organisationen sind in Moskau seit langem ein Dorn im Auge: Im „Bericht zur `Lage der Nation“ verunglimpfte Putin die Nichtregierungsorganisationen (NGO) bereits als „fünfte Kolonne“ und drohte eine „härtere Gangart“ an. Angeblich würden „terroristische und andere Organisationen“ mit ausländischer Hilfe weitere Umstürze in GUS-Staaten vorbereiten, behaupteten Geheimdienst- und Regierungsvertreter vor der Duma, dem russischen Parlament. Seitdem in der Ukraine, in Kirgisien und Georgien das Volk die alten Machthaber davonjagte und die zivilgesellschaftliche Kritik am Tschetschenien-Krieg und der russischen Politik im Nordkaukasus nicht verstummt, sind die regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen mit ihren internationalen Vernetzungen und wegen ihrer Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen in Ungnade gefallen.

Lückenlose Kontrolle der Bürgergesellschaft durch den Staat

Mit nur 18 Gegenstimmen unterstützten die 370 Duma-Abgeordneten am 23. November in erster Lesung einen Gesetzesentwurf des russischen Vize-Präsidenten Alexander Schukow, der für die 450.000 zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen einen Zwang zur Registrierung beim Justizministerium im Laufe des Jahres 2006 vorsieht – im Durchschnitt also 1500 Organisationen pro Tag, eine logistische Herausforderung für die russischen Behörden. In der 2. Lesung im russischen Unterhaus bekam das Gesetz nach scharfer Kritik des Europarates zwar eine neue Version, aber die Möglichkeiten, in Russland Druck auf politisch missliebige Nichtregierungsorganisationen auszuüben und gegen sie vorzugehen, werden sich enorm vergrößern. Die dafür notwendigen neuen Instrumente für eine lückenlose Kontrolle durch den Staat bekommen die Behörden jetzt in die Hand, so bedauerte die Geschäftsführerin des „Deutsch-russischen Austausches“, Stefanie Schiffer, deren Partnerverein in St. Petersburg sich ebenfalls neu registrieren lassen muss, unter Ausschluss der deutschen Mitglieder aus dem Vorstand.

Abschottung gegen ausländische und internationale Nichtregierungsorganisationen

Das neue Gesetz zielt vor allem auf eine Handhabe gegen ausländische zivilgesellschaftliche Organisationen wie Human Rights Watch, Transparency international, Ärzte ohne Grenzen, Greenpeace, Amnesty International usw., deren Präsenz in Russland sowie deren finanzielle und ideelle Hilfe an russische Partner unterbunden werden sollen. Das macht die internationale zivilgesellschaftliche Kooperation fast unmöglich, da sich die russischen Partnervereine nun neu registrieren lassen müssen. Das gilt übrigens auch für die Anthroposophische Gesellschaft in Russland.

Künftig dürfen bei russischen Organisationen keine Ausländer mehr in Leitungsgremien sitzen, als eines der gewünschten Effekte des Gesetzes über die NGO. Entfallen ist nach den Protesten aus Europa lediglich die Verpflichtung ausländischer NGOs, sich als russische Körperschaft beim Justizministerium registrieren zu lassen. Jedoch dürfen Ausländer weder eine NGO in Russland gründen, noch dort Mitglied sein oder nur mitarbeiten. Sogar russische Forschungseinrichtungen müssten auf Kooperationen mit westlichen Wissenschaftlern verzichten.

Zurückdrängung von Menschenrechtsorganisationen

Betroffen von der Neuregelung sind aber auch Stiftungen sowie Menschenrechts- und Hilfsorganisationen mit Sitz im Ausland, ebenso NGOs etwa zur Förderung von Demokratie, Frieden und Abrüstung, im Medien- und Umweltbereich u. v. m. Auch sie müssen sich künftig bei Betätigung in Russland neu registrieren lassen als eigenständige juristische Personen nach russischem Recht, während bisher der Status einer Filiale der Mutterorganisation ausreichend war. Zugleich muss mit dem Neuantrag der Nachweis über die ausschließliche Finanzierung aus russischen Quellen erbracht werden.

Die Folgen für die russische Zivilgesellschaft sind absehbar: Ohne die couragierte Bürgergesellschaft in Russland wäre seinerzeit Glasnost nicht möglich gewesen, auch nicht Initiativen wie die des Komitees der Soldatenmütter oder die öffentliche Wirkung der Helsinki-Gruppe. Nicht zuletzt ist ehemaligen Dissidenten, die bislang eine führende Rolle in der russischen Bürgergesellschaft bekleiden, per Sonderpassus im Gesetz ein zivilgesellschaftliches Engagement verwehrt. Kritiker des Tschetschenien-Krieges und der menschenrechtsverletzenden Nordkaukasus-Politik sind ebenfalls damit lahmgelegt.

Der Willkür ist Tür und Tor geöffnet

Der gleiche Paragraph ist besonders zugeschnitten auf den in Sibirien inhaftierten Unternehmer Michail Chodorkowski, dessen inzwischen verstaatlichtes Gasunternehmen nun einen neuen zwielichtigen Geschäftsführer mit dunkler Vergangenheit bekam und der zugleich in Person des deutschen Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden erhält. Vor dem Hintergrund der zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Fesseln durch den russischen Staat gerät die persönliche Nähe zwischen Putin und Schröder in noch größere Fragwürdigkeit, zumal auch der neue deutsche Außenminister Steinmeier bei seinem Antrittsbesuch bei Putin die europäische Kritik an der gesetzlichen Maßregelung der russischen Zivilgesellschaft ausklammerte.

Insgesamt lässt der Gesetzestext eine kreative, sprich restriktive Auslegung in jeder Hinsicht zu: So kann die Tätigkeit ausländischer NGOs unterbunden werden, wenn sie die russische Souveränität, die Unabhängigkeit, die territoriale Integrität, die nationale Einheit, das kulturelle Erbe oder die nationalen Interessen bedrohen. Schluss mit der finanziellen Zuwendung an einheimische Organisationen oder der Durchführung spezieller Programme ist auch, wenn ausländische NGOs die nationale Sicherheit oder die Rechte anderer Bürger beeinträchtigen sollten. Im Falle von „zwei kleinen oder einem großen Gesetzesverstoß“ - welche immer das sein mögen, lässt das Gesetz offen – können die Behörden bei Gericht die Schließung einer NGO beantragen. Das Moskauer Institut für Menschenrechte befürchtet, dass auch schon die Nichteinhaltung der Feuerschutzbestimmungen als Vorwand für einen Gesetzesverstoß in der Praxis ausreichen könnte. Der Willkür ist jedenfalls Tür und Tor geöffnet.

Zivilgesellschaft zwischen den Restriktionen von Staat und Wirtschaft

Offensichtlich ist in Russland von staatlicher Seite erkannt worden, dass die unabhängige Zivilgesellschaft als kulturell kreative globale Bewegung mit dem Ziel einer neuen. menschengerechten Weltordnung den politischen Machthabern als Repräsentanten einer alten, inhumanen Weltordnung gefährlich werden könnte. Gleiches hatte auch schon die Wirtschaft nach den zivilgesellschaftlichen Protestaktionen bei den Welthandelskonferenzen und Weltwirtschaftsgipfeln erkannt. Die deutsche Industrie (BDI) unter ihrem damaligen Sprecher Olaf Henkel hatte bereits die zivilgesellschaftlichen Organisationen ebenfalls heimlich beobachten und in genehme und nicht genehme unterteilen lassen.

So muss sich die Zivilgesellschaft ihren kulturellen Freiraum zwischen Politik und Wirtschaft umso kreativer erkämpfen, um damit der sozialen Dreigliederung im Sinne einer neuen Weltordnung zum Durchbruch zu verhelfen. Die Zivilgesellschaft, die das anstrebt, ist keine neue Macht, kein dritter Machtfaktor neben Staat oder Wirtschaft, sondern Kämpfer gegen das Machtprinzip – zugunsten der Handlungsmacht der freien und mündigen Menschen, die solidarisch ihr Zusammenleben gestalten – das ist die Mission der sozialen Dreigliederung.