Wilhelm Neurohr

Nun ist die ungeschminkte Wahrheit endlich ausgesprochen, die jahrelang vor dem unbeteiligten und ahnungslosen Volk versteckt werden sollte: Die weltweiten militärischen Auslandseinsätze der Bundeswehr als künftige Berufsarmee dienen in Wirklichkeit den Wirtschaftsinteressen. Was Ex-Bundespräsident Horst Köhler zu früh verraten hatte und deshalb vorzeitig seinen Hut nehmen musste, durfte nun der „Publikumsliebling“ Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg offiziell verkünden. Der deutsche Verteidigungsminister lässt die Katze aus dem Sack und verrät die wahren Motive der von ihm betriebenen Reform der Bundeswehr zur Berufsarmee: Sie wird in Zukunft grundgesetzwidrig missbraucht zur Sicherung von Handelswegen und Rohstoffen in aller Welt für deutsche und europäische Lobby- und Wirtschaftsinteressen – denn eigene Söldnerheere der Konzerne wären allzu auffällig und kostspielig?

Die reichen westlichen Länder holen sich von den armen Ländern dasjenige mit militärischer Gewalt, was sie denen allein durch den radikalen Marktwettbewerb mit unfairen Handelsbedingungen noch nicht weggenommen haben? Der rücksichtslose neoliberale Handels- und Wettbewerbskrieg auf den globalisierten Märkten, wie er auch Thema des jüngsten G-20-Gipfels in Südkorea war, wird demnächst zu einem wahren Wirtschaftskrieg mit militärischen Waffeneinsätzen ausgeweitet? Die Fortsetzung der Konkurrenzorientierten Wirtschaftspolitik mit anderen, nämlich militärischen Mitteln?

Heißt das, der Exportweltmeister Deutschland schießt sich demnächst seine Handelswege auf dem Globus frei, falls ihm jemand in die Quere kommt? Hat die Rüstungslobby in Ermangelung neuer Feindbilder den Wirtschaftspolitikern nun die Idee mit den Wirtschaftskriegen schmackhaft gemacht? Und erweist sich die amtierende Bundesregierung einmal mehr willfährig als verlängerter Arm eben dieser Wirtschaftslobbyisten?

Lohndumping, Börsenspekulationen oder „feindliche Übernahmen“ von Betrieben führen offenbar noch nicht zum Endziel, nämlich die wirtschaftliche Macht und Vorherrschaft des „unschlagbaren“ europäischen Binnenmarktes - nachzulesen in der Lissabonner EU-Strategie. Zwar steht das alles längst seit 2006 im Weißbuch der Bundeswehr, in den EU-Abkommen zur gemeinsamen Handels- und Außenpolitik (GASP) sowie in der veränderten Nato-Militärdoktrin. Es stand auch schon in einem Militärgutachten der Bertelsmann-Stiftung für die EU, mit dem verräterischen Hinweis: Das deutsche Volk müsse „publizistisch daran gewöhnt werden, dass es in Zukunft nicht mehr um humanitäre Kriegseinsätze im Ausland“ gehe, sondern um Wirtschaftskriege im Eigeninteresse Europas. Auch müssten „die Deutschen Soldaten wieder das Töten lernen“, verlangte folglich der Nato-General Solberg. Und Nato-Generalsekretär Rasmussen ermunterte vor einer Woche deshalb die Deutschen zum Aufbau ihrer global einsatzfähigen Berufsarmee.

Das meiste ging an den Parlamenten mit den gewählten Volksvertretern vorbei, obwohl es einer Grundgesetzänderung bedürfte. Die veränderte Militärdoktrin wurde auch nicht öffentlich in einem gesellschaftlichen Diskurs kontrovers erörtert. Und der Aufschrei der Opposition in der jüngsten Bundestagsdebatte über die Pläne von Verteidigungsminister Guttenbergs war sehr verhalten, ebenso hielten sich die Medien und Zeitungskommentatoren mit Kritik auffällig zurück und gingen schnell zur Tagesordnung über. Hat sich hier ein versteckter Konsens aller Wohlstandbürger breit gemacht im reichen und erfolgreichen Nachkriegsdeutschland?

Doch die deutschen und europäischen Pläne für Wirtschaftskriege in aller Welt ohne humanitäres und demokratisches Mandat sind nichts anderes als ein Aufruf zur Barbarei! Das einstige Land der Dichter, Denker und Humanisten, aber auch der historischen Kriegstreiber, begibt sich wieder auf perverse Abwege? Es debattiert zwar leidenschaftliche über Stuttgart 21, über Atomtransporte und über absurde Sarrazin-Thesen. Doch beim bedrohlichsten Thema des 21. Jahrhunderts, dem wirtschaftlich-militärischen „Kampf jeder gegen jeden“ auf dem Globus, mit vorangetrieben von Deutschland, geht man zur Tagesordnung über. Das macht mir persönlich Sorge, nachdem der soziale Frieden bereits nachhaltig gestört ist und die Friedensbewegung schweigt. Dabei müsste beim Thema Wirtschaftskriege der § 20 des Grundgesetzes (Widerstandsrecht der Bürgerinnen und Bürger) bemüht werden, um die geplante Barbarei abzuwenden!