Wilhelm Neurohr

Kurzbeitrag für den Dreigliederungs-Rundbrief Sozialimpulse

Die größte Herausforderung für das menschliche Bewusstsein und Handeln ist neben dem Klimawandel die nun akut drohende Wasserknappheit für fast 2 Milliarden Menschen in weniger als 20 Jahren. Der Ende Oktober in 26 Ländern veröffentlichte aktuelle Umweltbericht der Vereinten Nationen verdeutlicht nun erneut diese seit Jahrzehnten bekannte Entwicklung. Die erkannte Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung scheitert bislang an dem Vermögen, tatsächlich „aus Erkenntnis zu handeln“, weil es an einem erweiterten Naturverständnis mangelt – mit der Einheit von Naturwissenschaft und Menschenwissenschaft.

Vier Jahre lang haben 400 Wissenschaftler an dem jüngst veröffentlichten UNEP-Bericht (Umweltprogramm der Vereinten Nationen) gearbeitet, der auf die weltweite Schädigung von mehr als 60 Prozent der Ökosysteme verweist. Wenn sich an dem derzeitigen Umweltverhalten nichts ändert, werden bis 2025 fast 2 Milliarden Menschen, bis 2050 sogar mehr als 5 Milliarden Menschen auf der Erde in Gegenden mit großer Wasserknappheit leben. Schon heute sterben jährlich 3 Millionen Menschen in den Entwicklungsländern an den Folgen verschmutzten Wassers. Voraussehbare Kriege um das knappe Trinkwasser werden die Ölkriege ablösen. Der Bericht „Environment for Development“ knüpft an die vor 20 Jahren veröffentlichte Studie der Brundtland-Kommision über „Unsere gemeinsame Zukunft“ an, welche die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung propagierte.

Doch bei keinem der wesentlichen Punkte des damaligen Brundtland-Reportes hat sich durch menschliche Verhaltensänderung ein günstiger Trend ergeben, im Gegenteil, die Entwicklung spitzt sich dramatisch zu. Ebenso wirkungslos blieb der vor 30 Jahren veröffentlichte Bericht „Global 2000“ an den amerikanischen Präsidenten, der ebenfalls auf die Gefährdung der Ressource Wasser und den hohen, verdoppelten Wasserverbrauch und die Wasserverschwendung mit der Folge drohender Wasserknappheit und verschlechterter Wasserqualität hingewiesen hatte. Gleichermaßen folgenlos blieben die entsprechenden Prognosen und Mahnungen vor 35 Jahren im Bericht des „Club of Rome“ aus dem Jahr 1972 über die „Grenzen des Wachstums“, obwohl ebenfalls als Bestseller-Buch weit verbreitet und für kurze Zeit weltweit im Bewusstsein. Danach ging die Menschheit wieder zur Tagesordnung über, bis sie zeitweilig vom „Waldsterben“ und zuletzt vom „Klimawandel“ erneut aufgeschreckt wurde.

Naturbewusstsein und Lebensweise - Versiegt der Lebensquell Wasser?

Die Botschaft aller Berichte bleibt immer die gleiche: „Es ist fünf vor zwölf“ und die Umweltkrise zwingt zum Handeln und Umdenken. Stattdessen erfolgte jedoch die Kommerzialisierung der lebensnotwendigen knappen Ressource Wasser; das Wassergeschäft erwies sich als eine scheinbar nicht versiegende Einkommensquelle für findige Geschäftsleute großer Wasserkonzerne, wie Jens Loewe in seinem Buch „Das Wassersyndikat“ (Pforte-Verlag) aufzeigt. Der Lebensquell Wasser droht dadurch zu versiegen. Die Natur ist keine käufliche Ware. Schon am Thema des Waldsterbens zeigte 1984 Jochen Bockemühl von der Naturwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften am Goetheanum auf, dass es sich um eine Bewusstseinsfrage handelt und die Schulung an Naturzusammenhängen mit dem Wandel der Lebensweise einhergehen müssen.

Die anhaltende Naturzerstörung geht dagegen mit dem Siegeszug der materialistischen Naturwissenschaft und der kommerzialisierten Wirtschaftswissenschaft einher. Es gibt keine Einheit von Naturwissenschaft und Menschenwissenschaft, als ein Kernanliegen von Anthroposophie. Das verloren gegangene Bewusstsein für die sozialen und ökologischen Lebenszusammenhänge und deren Wechselbeziehung offenbart die problematisch gewordene menschliche Denk- und Lebensart: Der Raubbau an der Natur und das falsche Ökonomie-Denken zeugen von unserem kranken bewußseinsmäßigen Verhältnis zur Natur, die gleichsam entseelt und geistlos erscheint, weil sich der Mensch ihr gegenüberstellt wie ein externer, unbeteiligter Beobachter, statt in sie einzutauchen. Das Bewußtsein für die irdisch-kosmischen Naturzusammenhänge, der Zusammenhang mit der Natur im Erleben, Erkennen und Handeln scheint weitgehend verloren zu sein, so dass der Wille, aus Erkenntnis zu handeln, geschwächt ist.

Gedankenfluss beleben mit den Verwandlungs- und Erscheinungsformen des versiegenden Wassers

Die Menschheit handelt täglich den Erkenntnissen zuwider und entfernt sich mehr und mehr von der Natur, die sie retten möchte. Damit entfernen sich die Menschen auch von sich selbst und ihren natürlichen wie geistigen Lebensgrundlagen. Es geht nicht um ein schlichtes „Zurück zur Natur“ im Sinne des Zurückschraubens der Entwicklung, die geprägt ist von moderner Technik und Zivilisation sowie verwandelter Umwelt, bis hin zu den industrialisierten, naturfernen Megastädten, in denen längst bis zu 60 Prozent der Menschheit leben. Was aber durch diesen Wandel der Lebensweise und der Lebenshaltung entstanden ist, lässt sich nur durch eine Änderung dieser Lebenshaltung selber wieder heilen und verwandeln, indem die Trennung zwischen dem eigenen Inneren und der Außenwelt überwunden wird. Den Geist in der Natur zu leugnen, hieße, dass sich der Mensch selber als Geistwesen verleugnet. Dieser Verlust des eigenen Wesens, des Zusammenhanges des Natur- und Menschenlebens mit dem Erdorganismus, führt aber zur Verantwortungslosigkeit.

Gerade in den verschiedenen Verwandlungs- und Erscheinungsformen des Wassers als der notwendigen Lebensgrundlage von Mensch und Natur lassen sich die Lebenszusammenhänge erkennen. In dem „sensiblen flüssigen Chaos“ des strömenden Formenschaffens in Wasser und Luft werden die geistige Erfülltheit dieser Elemente und deren Beziehungen zu den Lebensbedingungen der Lebewesen spürbar und sichtbar. Das Wasser als Urbild alles Flüssigen und das Flüssige wiederum als das Universelle lassen Wasser nicht nur als physischen Stoff erscheinen, auf den sich das vom Nutzen geleitete Denken und Handeln richtet, sondern Wasser bewirkt den Lebenszusammenhang im Gesamtorganismus der Natur.

Indem die Menschheit das Wesenhafte der Natur und des Wassers verloren hat, verliert sie auch dessen physische Substanz im Versiegen unzähliger Quellen über die ganze Erde hinweg. Die Berichte über Klimawandel und Wassermangel ermöglichen das Wiederentdecken dieser strömenden Elemente durch beweglicheres Denken. Damit werden die notwendigen Schritte erleichtert, die heute getan werden müssen, um den Wassermangel und den ihm zugrunde liegenden Geistesmangel zu beheben. Die Menschen dürsten nach geistigen Erkenntnissen und Handlungsfähigkeiten und können sich nur dann vor dem Verdursten retten, wenn sie zuvor diesen geistigen Durst löschen, indem sie sich lebensnotwendig mit erweiterten Naturerkenntnissen durchtränken. Daraus werden sich ganz neue sprudelnde Quellen erschließen im Einklang mit der Natur und dem Flüssigen im geistig durchtränkten Menschen, so dass der Wasser- und Gedankenfluss nicht mehr versiegen.